Kolumne von Patrick Esume

Patrick Esume: "Beim Thema Homosexualität sind wir im Sport-Steinzeitalter"

Ob Frauen als Coaches, schwule Spieler oder Engagement gegen Rassismus – Sports-Illustrated-Kolumnist Patrick Esume stellt fest, dass die NFL der Fußball-Bundesliga in Sachen Gleichberechtigung, politische Mündigkeit und Zivilcourage einiges voraus hat.

Patrick Esume
Credit: Imago
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Inhalt

  • Patrick Esume wünscht sich klarere Haltung von Fußballern
  • Esume: "Beim Thema Homosexualität im Sport-Steinzeitalter"
  • NFL-Experte Esume fordert mehr Engagement gegen Rassismus

WIR IN DEUTSCHLAND rühmen uns immer damit, dass wir im Vergleich zu den USA als Gesellschaft viel liberaler, sozialer und offener seien. Dagegen wird hier viel über die konservativen US-Amerikaner gemeckert. Wie viel Klischee und wie viel Wahrheit darin steckt, will ich gar nicht beurteilen. Aber zumindest auf sportlicher Ebene müssen wir uns eingestehen, dass uns der US-Football in vielem weit voraus ist.

Zum Beispiel sind Schiedsrichterinnen in der NFL Normalität, auch Positionstrainerinnen – wie Lori Locust bei den Bucs, Jennifer King bei den Washington Commanders oder Katie Sowers bei den Chiefs – sind nichts mehr, was die Footballwelt schockt. Was den Chefposten anbelangt: Catherine Raîche wäre vor Kurzem fast General Managerin der Minnesota Vikings geworden – und wäre damit nicht einmal die erste Frau auf dem GM-Posten gewesen. Susan Tose Spencer managte jahrelang die Philadelphia Eagles. Und zwar schon in den 1980ern. Einen weiblichen Boss bei einem deutschen Fußball-Erstligaklub: Kann man sich das überhaupt vorstellen?

Patrick Esume: "Ich hoffe, dass bald ein Profifußballer in Deutschland den Mut hat, dazu zu stehen"

Beim Thema Homosexualität befinden wir uns ebenfalls im Sport-Steinzeitalter. Überall in Deutschland sieht man Diversität, alle Formen, Farben und sexuellen Ausrichtungen. Nur im Fußball hat sich noch kein einziger Spieler getraut, zu seiner Homosexualität zu stehen. Im US-Football schon: Carl Nassib. Das ist übrigens keiner, der mal kurz in die NFL reingeschnuppert hat, sondern ein Stammspieler der Las Vegas Raiders. Innerhalb des Teams mag das für den ein oder anderen zuerst ungewohnt gewesen sein, aber es gab und gibt damit überhaupt keine Probleme.

Carl Nassib von den Las Vergas Raiders
Carl Nassib von den Las Vergas Raiders
Credit: Imago
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Auch das Feedback der Medien war unglaublich positiv, selbst bei uns sorgte die Nachricht für viel Aufmerksamkeit. Aber wie das eben immer so ist: Man glaubt, so ein Coming-out wäre ein Riesending, doch eine Woche später spricht niemand mehr darüber. Und genau so sollte es auch sein. Die sexuelle Präferenz hat eben nichts damit zu tun, wie gut oder wie schlecht du Football spielst. Oder Fußball.

Ich hoffe, dass bald ein Profifußballer in Deutschland den Mut hat, dazu zu stehen. Doch auch hier existiert ein großer Unterschied zwischen dem Sport in den USA und in Deutschland: In der NFL geht man viel offener und direkter mit sozialkritischen Themen und gesellschaftlichen Missständen um. Viel zu wenige Fußballer haben den Mut, sich da nach vorne zu wagen. Als Ausnahme fällt mir Leon Goretzka ein, der eine starke Meinung hat und klare Kante zeigt bei Dingen, die ihm am Herzen liegen. Mehr Spieler sollten wie er ihre Plattformen nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen, die gibt es nämlich hier auch. Und ich rede nicht von irgendeiner Stiftung, die das Management leitet, du tauchst da einmal auf, winkst und gehst wieder.

NFL-Experte Esume: Alle haben Angst vor Folgen in den Medien und sozialen Netzwerken

Auch beim Thema Rassismus: bitte klar Stellung beziehen – und nicht nur auf den Social-Media-Accounts von Verband oder Verein eine Karte ablesen. Im Zuge von "Black lives matter" hätte ich mir von Fußballern mit Migrationshintergrund mehr Engagement erwartet. Warum nicht auf dem privaten Account dafür einstehen, wenn man Ungleichheit erkennt? Weil alle Angst haben vor den Folgen in den Medien und den sozialen Netzwerken. Ich kenne das, weil ich öfters den Finger in die Wunde lege. Du musst damit rechnen, dass es Feedback gibt – und nicht jeder deine Meinung teilt.

Aber davon darf man sich nicht abschrecken lassen. Hätte nicht 1968 jemand die Faust mit dem schwarzen Lederhandschuh hochgehalten, wer weiß, wo der schwarze Athlet in Amerika jetzt wäre? Ohne Muhammad Ali und seine politische, gesellschaftskritische Einstellung? Auf Missstände aufmerksam machen und denen helfen, die sonst keine solche Plattform haben: Daran könnten doch auch jene mal denken, die gesegnet in ihren Ferrari steigen und in ihre Drei-Millionen-Euro-Villa fahren.

Colin Kaepernick
Colin Kaepernick
Credit: Getty Images
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Unser Kolumnist Patrick Esume war Football-Profi und arbeitete als Coach. Er ist unter anderem Moderator und Experte bei „ran Football“.

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