Andrea-Petkovic-Kolumne

Die Reifeprüfung – Tennis-Star Andrea Petkovic über das Altern im Profi-Sport

Wie ist das, wenn man mit 34 fast schon bereit für die Rente ist? In ihrer Kolumne für Sports Illustrated schreibt Andrea Petkovic über französischen Rotwein, ihre Regeneration nach den Matches, jüngere Kolleginnen sowie das Älterwerden als Profi-Tennisspielerin.

Tennisspielerin Andrea Petkovic beim Melbourne Summer Set
Credit: Getty Images

IN DIESEM MOMENT, in dem ich an meinem Computer sitze und meine erste Kolumne für Sports Illustrated verfasse, steht neben mir ein Glas französischer Rotwein. Französisch tut nichts zur Sache, ich wollte nur begreiflich machen, dass ich Klasse habe. Das Verwunderliche an dem Glas Rotwein ist nicht das Französischsein oder das Rotsein, sondern dessen schiere Existenz. Im richtigen Leben bin ich professionelle Sportlerin, und während der Saison lasse ich die Finger vom Alkohol. Muskelrückbildung, Dehydrierung, verlangsamte Regeneration, der ganze spaßbefreite Quatsch. Das heißt im Umkehrschluss: Ich befinde mich im Urlaub. 

Als ich 20 war und im Urlaub, tat es ein mickriges Glas französischer Rotwein nicht. Die erste Nacht der Freiheit wurde stets mit Gin Tonic und Schlimmerem begossen. Meistens bestellte ich dann Pizza mitten in der Nacht und fuhr am nächsten Tag zu einer Fast-Food-Kette. Das war Freiheit für mich. Zugegeben: ein ziemlich beschränkter Freiheitsbegriff, und ich bin mir sicher, unsere Vorväter und -mütter der Revolution haben dafür nicht ihr Leben gegeben. Aber als Tennisspielerin, die elf Monate lang darauf achtet, acht Stunden Schlaf pro Nacht zu bekommen, 20 Minuten Powernap nach dem Mittagessen, kein Alkohol, keine Süßigkeiten, ganz sicher kein Fast Food, ein, höchstens zwei Kaffee am Tag, grüne Smoothies, Proteine, Kohlenhydrate, Entsäuerung, Entgiftung, Entspaßung – unsere Vorväter und -mütter mögen es verzeihen. 

Ich bin inzwischen 34 Jahre alt. Meine erste Tat in meinem Urlaub war, mal so richtig bis 7.30 Uhr auszuschlafen, Yoga zu machen, damit ich keine Rückenschmerzen bekomme, und einen glutenfreien, mit Olivenöl beträufelten Brownie zu backen. Keine Sorge, das wird kein Text über "Ich bin so alt geworden, ich trinke Rotwein und geh um 20.30 Uhr ins Bett, sonntags gucken wir noch ,Tatort‘". Auch wenn das mitschwingt. Nein, dies soll ein Text sein über das Älterwerden im Profi-Sport und die Frage, in welcher anderen Welt man mit 34 von Fernsehkommentatoren bereits als "erfahrener als ihre jungen Kolleginnen" bezeichnet wird (okay, in welcher anderen Welt wird man von Fernsehkommentatoren begleitet, I get it) und in jeder Pressekonferenz gefragt wird, wann man in Rente geht ("Nie, lasst mich in Ruhe!"). Natürlich merke ich die Unterschiede. Ich kuriere eine Zerrung in der Leiste aus, die ich mir im April (!!!) zugezogen habe, und eine Entzündung im Handgelenk, die inzwischen mein Leben zu sein scheint. Meine Knieschmerzen sind sowieso chronisch. 

Ich sehe die jungen Frauen um mich herum, die ihre Augenbrauen nach oben kämmen (scheint ein Trend) und beneidenswert souverän mit sozialen Medien umgehen. Ich sehe, wie sie selbstbewusster sind, als wir es damals waren, mit mehr Wissen ausgestattet und Regeln als Empfehlungen ansehen. Naomi Osaka, 23, die zu Pressekonferenzen gar nicht erst geht. Coco Gauff, 17, die das Mantra „Sport und Politik gehören nicht zusammen“ schon mit 16 über Bord geworfen hat. Emma Raducanu, 18, die noch nie zuvor ein Match auf der WTA-Tour gewonnen hatte, aber dafür direkt einen Grand-Slam-Titel. Und ja, ich beneide sogar die akkurat nach oben gekämmten Augenbrauen ein bisschen. Etwas gegen die Wuchsrichtung zu bändigen kommt einer Revolution in heutigen Zeiten doch verdammt nahe. 

Aber sosehr ich es auch an dieser jugendlichen Energie vermissen lasse, so sehe ich trotzdem eine ehrenvolle Demut in all den Präventionsübungen, die ich machen muss, um zu überleben. Ich trotze dem Zahn der Zeit, indem ich regelmäßig Zähne putze und Zahnseide benutze. Ich meditiere jeden Tag und gehe wirklich JEDEN. EINZELNEN. SCHRITT. DER. REGENERATIONSVORBEREITUNG. NACH. MATCHES. DURCH. Wie der alte Mann bei Hemingway, der an seinem Fischskelett festhält, das längst von Haien abgenagt wurde. Ich mache einfach weiter. Denn darin liegt das wahre Glück verborgen. Und wer weiß, vielleicht kämme ich mir demnächst meine Augenbrauen nach oben. Die sprießen nämlich immer noch unbeeindruckt. Die alte Frau und der Tennisschläger. Wenigstens Hemingway wäre stolz auf mich. 


Unsere Kolumnistin Andrea Petkovic ist Tennisspielerin, Schriftstellerin und TV-Moderatorin

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