Wintersport

Felix Neureuther über Klimawandel und Skisport: "Wir sind Teil des Problems"

Ski-Ass Felix Neureuther spricht im Interview mit Sports Illustrated über den Klimawandel. Der 37-Jährige erklärt, wie sich der Skisports in Zukunft verändern muss und findet deutliche Worte zur Vergabe der Olympischen Winterspiele nach Peking.

Felix Neureuther
Credit: Getty Images

Sports Illustrated: Herr Neureuther, während Ihrer Karrie­re haben wir oft über Ihren kaputten Rücken oder eine der 15 Operationen reden müssen. Seit fast drei Jahren sind Sie raus aus dem Skirennsport – wie kom­men Sie morgens aus dem Bett? 

Felix Neureuther: "Ganz gut eigentlich. Ich kann durchschlafen, ohne dass mein Rücken schmerzt – das ist für mich ein großer Schritt." 

Sports Illustrated: Sie haben jetzt andere Themen: eine Frau, zwei kleine Kinder, aber auch Um­welt, Klimawandel und Nachhaltigkeit treiben Sie immer mehr um. Wie man Ihrem Buch "Unsere Alpen – ein einzig­artiges Paradies und wie wir es erhalten können" entnehmen kann, hat Ihre Frau Miriam daran großen Anteil. 

Neureuther: "Man muss wissen, dass unsere Familien vorbelastet sind, was das Thema Berge betrifft. Meine Vorfahren, die Gebrüder Schlagintweit, haben Mitte des 19. Jahrhunderts als Glaziologen die Alpen und den Himalaja vermessen. Das waren ganz wilde Typen. Auch meine Großväter und die Eltern waren immer in den Bergen unterwegs. Bei Miris Eltern ist die Mutter Norwegerin, der Papa Bergführer und Skilehrer, sie selbst war gefühlt schon überall oben. Das prägt einen. Aber die Miri, die am liebsten jeden Tag auf einen Berg laufen würde, hat mich nicht nur auf den Berg, sondern auch auf einen Gesundheits-Trip mitgenommen. Das hat sie sogar studiert. Sie kauft Bio-Produkte, verzichtet auf Plastik, meidet Verpackungen und unnötige Autofahrten – und ist uns damit allen ein Vorbild. Und klar: Die Kinder, die dann gekommen sind, verändern einen schon in der Denke."

Sports Illustrated: Sie haben 25 Jahre lang im Sommer auf Gletschern trainiert. Wie bewusst war Ihnen, was da mit Ihren geliebten Bergen in Sachen Profitgier, Erschließungswahn und Klimakrise alles so angestellt wurde? 

Neureuther: "Am Anfang nimmt man die Dinge noch anders wahr, sieht vieles als selbstverständlich. Du trainierst, das ist dein Job, dein Traum, den du lebst. Aber je näher du den Klimawandel erlebst, desto mehr Gedanken machst du dir. Wenn man sieht, wie die Gletscher Jahr für Jahr schmelzen: Das macht was mit einem. Alles immer größer, immer mehr, mehr, mehr – das kann es nicht sein. Es muss immer erst eine Katastrophe kommen, bevor etwas geändert wird. Es ist ein schleichender Prozess und dauert, bis man solche Dinge auch wahrnimmt."

Sports Illustrated: Wie viel Zukunft sehen Sie noch im alpi­nen Rennsport? 

Neureuther: "Den wird es immer geben – die Frage ist nur, wie und in welcher Form. Dass diese Zukunft in den höher gelegenen Gebieten liegt, ist klar. Der Skisport auf dem Gletscher trägt sogar etwas Positives dazu bei, dass der Gletscher länger erhalten bleibt, weil beschneit, präpariert und zusammengepresst wird, wodurch das Eis deutlich langsamer schmilzt. Es ist die große Aufgabe des Skisports, sich in Zukunft so aufzustellen, dass die Energie, die dazu benötigt wird, Schnee zu produzieren und Liftanlagen zu betreiben, eine saubere Energie ist."

Sports Illustrated: Wie optimistisch sind Sie da? 

Neureuther: "In manchen Gegenden passiert ziemlich viel. Im Pitztal haben sie eine gigantische Photovoltaikanlage gebaut, auch in Kitzbühel machen sich die Verantwortlichen viele Gedanken. Es findet schon ein Umdenken statt. Das ist ein Prozess, der jetzt im Gange ist. Es müssen aber wirklich alle mitziehen. Bewe­gungen entstehen, wenn sich viele einer Idee anschließen. Der Skisport darf sich aber nicht mehr angreifbar machen – was er leider ist. Die Menschen müssen ja raus in die Natur – um sie schätzen zu lernen. Sie müssen emotionalisiert werden, damit sie wissen, wofür es sich lohnt, ihr Leben nachhaltiger zu leben. Jeder kann einen Beitrag leisten. Der Mensch ist Teil des Prob­lems, aber auch Teil der Lösung. Ich weiß sicher nicht alles besser, aber ich setze mich dafür ein, dass vieles besser wird."

Sports Illustrated: Zum Sport: Bei der letzten WM hat der Deutsche Skiverband schöne Erfolge erzielt, aber man ist sich einig: Hinter den Me­daillengewinnern kommt nicht mehr viel. Wie lässt sich die Lücke hinter den Dreßens, Sanders und Weidles schließen? 

Neureuther: "Das wird sehr schwer. Weil wir in Deutschland den Nachteil haben, dass hier keine Rahmenbedingungen herrschen wie in Österreich, der Schweiz, Italien, Frankreich und Norwegen mit ihren Gletschergebieten. Für einen Deutschen ist Skisport mas­siv aufwendig. Wir werden nie diese Masse an Skifahrern pro­duzieren wie die anderen Nationen. Wir sind sehr auf Eltern angewiesen, die bereit sind, diesen Aufwand zu betreiben, um dem Kind einen solchen Sport zu ermöglichen. Ich fürchte, das werden künftig nur noch ganz, ganz wenige sein. Eine riesengroße Aufgabe für den DSV. Man muss sich nur anschauen, wie unsere Helden zum Rennlauf gekommen sind: Thomas Dreßen war in Österreich auf der Schule, Linus Straßers Familie hat ein Haus in Kitzbühel, Andreas Sanders Eltern sind aus NRW extra ins Allgäu gezogen, bei Stefan Luitz war extrem der Vater da­ hinter, sogar als Servicemann. Oder international: Shiffrin, Hirscher, Kristoffersen – bei allen war massiver Support der Eltern dahinter, bei mir ja auch. Und ohne den wird man das in Deutschland noch extremer als in anderen Nationen gar nicht schaffen, keine Chance." 

Sports Illustrated: Wer es dennoch in die Weltspitze schafft, darf irgendwann mal zu Olympischen Spielen – und muss dann nach Peking oder Pyeongchang. Was läuft da alles falsch? 

Neureuther: "Für die Sportler ist das extrem bitter. Die sehen das ja auch, aber du willst dir diesen Traum erfüllen. Olympiasieger ist immer noch das Größte, was du im Sport erreichen kannst. Das ist einzigartig. Es ist nur total schade, dass diese tolle olympische Bewegung sich durch solche Dinge angreifbar machen lässt. Letzten Endes bist du 'part of the game' und kannst nur macht­los zuschauen. Jeder würde sich doch wünschen, dass Olympi­sche Spiele ein friedliches Zusammenkommen von Sportlern aus aller Welt sind, bei denen es um die grundlegenden Werte des Sports geht: Fairness, Miteinander, Emotionen, Sieg und Niederlage. Diese Geschichte gibt es ja nach wie vor: die beiden Hochspringer in Tokio – Wahnsinn! Ich saß vorm Fernseher und hab fast geheult, so schön war das. Aber so finden die Spiele nun in Ländern statt, die nicht demokratisch sind und wo sich abseits der Spiele Dinge ereignen, die so nicht in Ord­nung sind. Der Gigantismus ist nicht mehr zeitgemäß." 

Sports Illustrated: Die Entscheidung über die Vergabe trifft das in vielerlei Hinsicht schmerzfreie IOC. Wie kann man dem beikommen? 

Neureuther: "Letzten Endes ist die Politik gefragt. Sonst wird sich da über­haupt nichts ändern." 

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