Olympische Winterspiele

Rick Goldmann: "Eine Katastrophe, dass die NHL-Spieler bei Olympia nicht dabei sind"

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft versetzte 2018 mit dem Gewinn von Olympia-Silber ein ganzes Land in Ekstase. Kann das DEB-Team dieses Kunststück in Peking wiederholen? Sports Illustrated spricht mit Eishockey-Experte Rick Goldmann. 

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Sports Illustrated: Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft hat 2018 mit Olympia-Silber für eine absolute Überraschung gesorgt. Gelingt dieses Kunststück auch in Peking?

Rick Goldmann: Es ist zwar schade, dass die NHL-Spieler nicht bei Olympia dabei sind. Aber das ist die Chance für kleinere Nationen, weil Qualität in der Spitze fehlt. Somit haben wir viele Nationen, die vom Leistungsniveau ähnlich sind. Ob’s für Deutschland mit einer Medaille klappt, ist schwer zu sagen. Aber das Viertelfinale ist Pflicht mit diesem Kader. Wenn’s gut läuft, kommt Deutschland ins Halbfinale.

Sports Illustrated: Die Silbermedaille 2018 hat in Deutschland einen regelrechten Puck-Wahn ausgelöst. Welchen Schub hat diese Leistung dem deutschen Eishockey gegeben?

Goldmann: In den vergangenen vier Jahren ist die Ausbildung besser geworden. Es sind mehr Spieler in die deutsche Eishockey-Liga gekommen. Wir haben mit Moritz Seider und Tim Stützle junge Spieler in der NHL, die absolute Toptalente sind. Leider sind beide bei Olympia nicht dabei. Insgesamt ist Eishockey in den Medien deutlich prominenter vertreten. 2018 war der Startschuss mit Olympiasilber. Im vergangenen Jahr hat sich der Erfolg mit dem Einzug ins WM-Halbfinale fortgesetzt.

Sports Illustrated: Den Stamm fürs Turnier bildet die Mannschaft, die im vergangenen Jahr bei der WM spielte. Ist das ein Vorteil?

 

Goldmann: Wenn man sich den ganzen Kader anschaut, sind 19 Spieler dabei, die bei der WM am Start waren, und zehn Spieler von Olympia 2018. Bundestrainer Toni Söderholm hat wieder Spieler ausgesucht, die K.o.-Spiele auf internationalem Parkett erfolgreich bestreiten können. Er hat einen sehr erfahrenen Kader zur Verfügung, der weiß wie sich Erfolg anfühlt.

Sports Illustrated: Deutschland trifft in Gruppe A auf Kanada, die USA und China. Wir stark sind Kanada und die Vereinigten Staaten?

Goldmann: Kanada hat eine gute Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern. Auch wenn Eric Staal in diesem Jahr kaum gespielt hat, hat Kanada mit ihm eine absolute Führungspersönlichkeit in seinen Reihen. Kanada ist wirklich stark einzuschätzen. Die USA hingegen haben ein Team zusammengestellt, das aus den besten College-Spielern besteht. Von 25 Spielern sind 15 aus dem College dabei. Das erinnert ein bisschen daran, das "Miracle on Ice" von 1980 nachzustellen. Ich denke nicht, dass die Qualität der Amerikaner genügt.

Sports Illustrated: Wie beurteilen Sie die Arbeit von Bundestrainer Toni Söderholm?

Goldmann: Toni Söderholm macht einen hervorragenden Job. Zu Beginn war es schwierig, die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft nach so einem großen Erfolg wie bei Olympia 2018 zu übernehmen. Söderholm hat viele richtige und wichtige Dinge, die Marco Sturm in die Wege geleitet hat, übernommen. Das Team fährt nicht mehr zu einem Turnier und sagt, wie sind die kleinen Deutschen und lasst uns mal schauen, wie wir spielen. Im Gegenteil. Die fahren dahin, um jedes Spiel zu gewinnen. Neben diesem Mindset haben sich auch die Taktik und die Ansprache verbessert. Söderholm hat einen neuen Ton reingebracht.

Rick Goldmann und Basti Schwele
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Sports Illustrated: Neben Moritz Seider und Tim Stützle fehlen auch die beiden NHL-Profis Leon Draisaitl und Philipp Grubauer. Wie schwer wirkt der Ausfall?

Goldmann: Es ist eine Katastrophe, dass die NHL-Spieler nicht dabei sind. Unsere Sportart kann ihre besten Spieler nicht bei Olympia präsentieren. Eishockey ist so dynamisch geworden und hat sich so geändert. Deshalb ist es schade, dass die besten Spieler das nicht zeigen können. Ich hätte gerne gesehen, wie Deutschland mit seinen NHL-Profis im Vergleich zu den anderen Mannschaften abgeschnitten hätte. Das wäre spannend gewesen. Natürlich fehlen Leon Draisaitl, der in der NHL zu den besten Scorern zählt, und Philipp Grubauer im Tor. Das ist überhaupt keine Frage. Aber am meisten fehlt vielleicht Moritz Seider, der an der blauen Linie eine Position inne hat, wo er von seiner Spielweise her schon sehr weit ist. Das ist eine Position im deutschen Kader, die momentan nicht so stark besetzt ist.

Sports Illustrated: Wie groß ist die Gefahr einer Ansteckung mit Covid-19 für alle Mannschaften?

Goldmann: Das ist das große Fragezeichen. Das kann keiner beantworten, wie sicher die Spieler in ihrer Bubble sind. Für die Spieler gilt, mental so stark zu bleiben wie’s geht. Sie müssen sich auf das konzentrieren, was sie beeinflussen können. Man darf sich nicht von der Angst leiten lassen. Ich hoffe nicht, dass am Ende das Team gewinnt, das die wenigsten Infizierten hat.

Sports Illustrated: Welche Spieler stechen aus dem deutschen Kader heraus?

Goldmann: Wenn Du im Eishockey erfolgreich sein möchtest, braucht man immer einen überragenden Torhüter. Wenn man zwei davon hat, umso besser. Im vergangenen Jahr war das die Rolle von Mathias Niederberger, der eine überragende WM gespielt hat. Im Sturm bin ich gespannt. Da haben wir eine sehr gute Mischung. Mit Marcel Noebels und Leonhard Pföderl haben wir zwei Spieler, die seit Jahren in der deutschen Liga punkten. Hinzu kommt Tobias Rieder. Diese Spieler haben beim Deutschland-Cup erfolgreich zusammengespielt. Die Abwehr muss ihren Job machen und der Teamgeist muss stimmen, um Erfolg zu haben.

Sports Illustrated: Die Spieler haben sich beschwert, dass das Eis beim Training schlecht war. Welche Auswirkungen hat das auf die Vorbereitung?

Goldmann: Bei den Olympischen Spielen wird auf NHL-Eis gespielt. Die Spielfläche ist etwas kleiner. Dafür sind die Angriffszonen im Vergleich zum DEL-Eis ein bisschen größer. Daran müssen sich die Spieler gewöhnen. Man hat ein bisschen mehr Platz in der Überzahl. Das bedeutet natürlich auch für die Verteidiger, dass die Angreifer etwas mehr Raum zum Ausweichen haben. Die Qualität des Eises im Training könnte eine Momentaufnahme gewesen sein. Das müssen wir im Turnierverlauf verfolgen.

Sports Illustrated: Welche Mannschaft ist Favorit auf Olympia-Gold?

Goldmann: Russland hat von den Namen und vom Kader her wohl das stärkste Team. Kanada sieht ebenfalls nicht schlecht aus, aber das Team hat noch nie zusammengespielt. In der Vorrunde haben sie aber drei Spiele Zeit, um sich zu finden. Die Schweiz hat auch einen überragenden Kader. Da ist das Halbfinale eigentlich Pflicht. Das Team hat in der Vergangenheit bei wichtigen Spielen aber auch schon verloren. Deshalb wird es spannend, wie sich die Schweiz bei Olympia schlägt. Außerdem muss man die Tschechische Republik auf dem Zettel haben. Finnland ist mir insgesamt zu destruktiv in seiner Spielweise.

Sports Illustrated: Olympia in Peking steht in der Kritik, weil China die Menschenrechte missachtet. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?

 

Goldmann: Das kann ich natürlich nachvollziehen, allerdings finde ich es schwierig, wenn immer nur die Sportler dazu befragt werden. Die haben das Austragungsland ja nicht entschieden. Eigentlich sollten die gefragt werden, die die Olympischen Winterspiele dahin vergeben haben. Das sind die, die genervt werden müssen. Außerdem ist es schwierig, wenn andere Orte als Alternativen fehlen. Olympia 2018 wollte München zum Beispiel nicht haben. Damit sind wir Teil des Problems. Aber es ist natürlich auch grundsätzlich ein Problem, wohin sich das IOC entwickelt hat. Für die Sportler, die sich vier Jahre auf Olympia vorbereitet haben, ist es existenziell, dass sie an Olympia teilnehmen können. Von außen einen Boykott der Sportler zu fordern, sehe ich als etwas heuchlerisch. Man sollte sich selbst mal hinterfragen, wie oft man im eigenen Leben China boykottiert. Angefangen von den Schuhen über die Kleidung bis zu Computern und Handys. Ich finde dieses Schwarz-Weiß-Denken problematisch. Es gibt auch Grautöne und diese Grautöne können schön sein.

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