Martin Schmitt: "Wenn Geiger am Maximum springt, kann ihn keiner schlagen"
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Sports Illustrated: Sie haben vier Mal an Olympischen Winterspielen teilgenommen und sind 2002 Olympiasieger mit dem Team in Salt Lake City geworden. Was macht den besonderen Reiz von Olympia aus?
Martin Schmitt: Für mich waren Olympische Spiele schon als Kind das absolute Highlight. Ich war immer schon sehr sportbegeistert. Als ich klein war, bin ich vor unserem Haus hin- und hergesprintet. Oder wir haben uns einen großen Stein geschnappt und Kugelstoßen nachgemacht. Ich kann mich auch noch gut erinnern ans Speerwerfen in unserem Garten. Im Winter ging’s dann als Kind beim Skifahren oder mit dem Schlitten zur Sache. Irgendwann habe ich dann auch mit dem Skispringen im Garten angefangen. Dann will man natürlich irgendwann dabei sein, denn Olympia ist etwas ganz Großes.
Sports Illustrated: Gab’s in Ihrer Kindheit den einen Moment, wo sie sich gesagt haben, ich möchte unbedingt Olympiasieger werden?
Schmitt: Wenn Schnee lag, habe ich bei uns im Garten eine Schanze gebaut und bin mit Langlauf-Skiern drübergesprungen. Da habe ich die Olympischen Spiele nachgespielt. In diesem Moment hat sich bei mir wohl das Olympische Feuer entzündet, denn schon damals wollte ich unbedingt ganz oben stehen. Als Kind war ich in meinem Kopf schon viel früher Olympiasieger, nicht erst 2002 (lacht…).
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Sports Illustrated: Gab es ein besonderes Idol in Ihrer Kindheit, dem sie nachgeeifert haben?
Schmitt: Ich kann mich noch an die Olympischen Winterspiele 1984 in Sarajevo erinnern, als Jens Weißflog von der Normalschanze gewonnen hat und Matti Nykänen damals auf der Großschanze triumphierte. Und ich muss ehrlich sagen, dass Matti Nykänen in den 1980er Jahren das große Idol für mich war. Der Finne war einfach überragend. In Calgary 1988 hat er drei olympische Goldmedaillen gewonnen. 1994 ist Jens Weißflog nochmal Olympiasieger geworden, dann kam auch Dieter Thoma. Das hat einen schon geprägt.
Sports Illustrated: Bei den Winterspielen in Peking gelten strenge Corona-Regel. Kann man sich in Zeiten der Pandemie überhaupt auf die Wettkämpfe freuen?
Schmitt: Das sind natürlich keine Olympischen Spiele, wie man es normalerweise gewohnt ist. Das ist schade. Wenn ich mich an meine ersten Olympischen Spiele 1998 in Nagano vor tausenden von Zuschauern erinnere, bekomme ich heute noch Gänsehaut. Die Begeisterung war fantastisch. Die Siegerehrung so zu erleben wie damals, bleibt den Sportlern in Peking leider verwehrt. Trotzdem bleiben es Olympische Spiele. Viele Sportler kennen die Situation bereits, dass sie zuletzt meist ohne Zuschauer angetreten sind.
Sports Illustrated: Viele Athleten haben vier Jahre ihres Lebens für Olympia investiert. Wie beeinflussen die Fragen zu den politischen Themen und die Kritik an Gastgeber China die Athleten?
Schmitt: Auf diesem sportlichen Niveau entscheiden Kleinigkeiten über den Sieg. Da muss jeder Sportler entscheiden, wie weit er den Fokus vom eigentlich Wettkampf wegbewegen kann. Kritik äußern ist gut und muss sein. Aber dann muss man auch damit rechnen, dass kritische Aussagen weitere Nachfragen oder größere Aufmerksamkeit erregen, auf die man reagieren muss. Außerdem hilft es einem Sportler nicht dabei, seine Bestleistung abzurufen, wenn er von vornherein mit einer Abwehrhaltung gegen den Ort oder den Wettkampf startet.
Sports Illustrated: Olympiasieger Andreas Wellinger ist nicht für Peking nominiert worden. Wie sehr hat ihn diese Entscheidung von Bundestrainer Stefan Horngacher getroffen?
Schmitt: Andreas Wellinger wäre gerne dabei gewesen. Ich denke, er hat sich Chancen ausgerechnet. Es ist schade für ihn, dass er als Titelverteidiger nicht dabei ist. Ich hätte es spannend gefunden, ihn von der kleinen Schanze zu sehen. Er ist ein Typ, der sich auf ein Großereignis vorbereiten kann. Aber im Skispringen geht es manchmal schnell in beide Richtungen.
Sports Illustrated: Dafür sind die beiden deutschen Topspringer Karl Geiger und Markus Eisenbichler bei Olympia am Start. Welche Chancen haben sie auf eine Medaille?
Schmitt: Markus Eisenbichler hat auf der großen Schanze bessere Chancen. Karl Geiger ist auf beiden Schanzen stark. Für Karl ist es gut, dass es auf der kleinen Schanze losgeht, auch wenn er Skiflug-Weltmeister im vergangenen Jahr geworden ist. Er hat alles, was man auf der kleinen Schanze braucht. Seine Absprungdynamik ist fantastisch. Auf der kleinen Schanze ist Karl Geiger vom Potenzial her der Beste. Wenn er am Maximum springt, kann ihn auf der Normalschanze fast keiner schlagen.
Sports Illustrated: Wie schwer sind die Schanzen bei Olympia zu springen?
Schmitt: Vor Olympia konnte fast keiner die Schanzen testen. Die beiden Schanzen sind für die meisten Athleten Neuland. Es sind schöne und moderne Anlagen. Ich denke, dass sich die Skispringer darauf einstellen. Alle Springer haben genügend Zeit vor Ort, sich an die Schanzen zu gewöhnen.
Sports Illustrated: Wie beurteilen Sie die Arbeit von Bundestrainer Stefan Horngacher. Macht er einen guten Job?
Schmitt: Er macht einen herausragenden Job. Das gesamte Trainerteam arbeitet sehr gut. Ich habe lange mit Stefan Horngacher trainiert. Er war sowohl als Heimtrainer als auch als Trainer bei der Mannschaft immer klasse. Ich kenne ihn sehr gut, auch noch als Athlet. Er lebt einfach fürs Skispringen. Als Bundestrainer gibt er mehr als 100 Prozent. Er ist immer für die Jungs da und hat einen guten Draht zu ihnen. Ich bin mir sicher, dass wir eine starke deutsche Mannschaft sehen werden.
Sports Illustrated: Wer zählt neben Karl Geiger zu den großen Favoriten auf Olympia-Gold?
Schmitt: Ryōyū Kobayashi wird eine Rolle spielen, wenn es um die Vergabe der Medaillen geht. Sein Ziel sind die Erfolge bei den Großereignissen. Der Weltcup ist wichtig für ihn, aber er wird sich mit Blick auf Olympia sicher noch einmal extra pushen. Ihn schätze ich sehr stark ein. Wenn Karl Geiger auf der kleinen Schanze ins Fliegen kommt, wird er hoffentlich auch auf der Großchance um die Medaillen kämpfen. Wenn Markus Eisenbichler einen guten Tag hat, muss man ihn ebenfalls auf dem Zettel haben. Hinzu kommen die starken Norweger.
Sports Illustrated: Welche Rolle werden Sie als Eurosport-Experte haben?
Schmitt: Ich werde die Springen begleiten und vor der Kamera analysieren. Werner Schuster wird die Springen mitkommentieren. Wir werden die Trainings verfolgen und Hintergrundstücke produzieren. Vielleicht werde ich auch ein bisschen was drumherum machen. Darauf freue ich mich sehr.
Sports Illustrated: Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Sind Sie nach ihrem Karriereende noch einmal von der Schanze gesprungen?
Schmitt: Nach meinem Karriereende habe ich tatsächlich noch einmal die Sprungski angezogen. Das war aber nicht auf der Schanze, sondern im Windkanal. Ansonsten bin ich mit Sprungski nicht mehr von einer Schanze gesprungen. Manchmal kribbelt es zwar noch, bisher konnte ich mich jedoch nicht überwinden. Aber wenn irgendwo ein Hügel ist, dann springe ich mit meinen Alpin-Ski drüber.
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