Benedikt Doll sieht Olympia in Peking kritisch - will aber um Medaillen kämpfen
Sports Illustrated: Herr Doll, was genießen Sie am Ausdauersport, der ja zweifelsfrei auch eine Schinderei ist?
Benedikt Doll: Stimmt schon. Ich würde sagen, es hält sich die Waage: 50 Prozent der Trainingseinheiten machen richtig Spaß, 50 Prozent dagegen weniger. Es kommt natürlich drauf an: Wenn es sozusagen Katzen hagelt, regnet oder kein Schnee liegt und man langlaufen soll, dann ist es eher eine Qual. Aber grundsätzlich genieße ich es, in der Natur und draußen zu sein, und das als meinen Beruf bezeichnen zu dürfen.
Sports Illustrated: Wenn man ihnen im Fernsehen zusieht, mit offenen Mündern und schwer atmend, fragt man sich: Macht das Spaß?
Doll: Nein, der Wettkampf ist eigentlich kein Spaß. Es gibt sicherlich Tage, an denen es einfacher läuft und solche, an denen es schwerer geht. Aber klar: Wettkampf ist Vollgas. Da geht’s um jede Zehntelsekunde und man will natürlich nichts verschenken. Am letzten Anstieg bevor es ins Ziel geht, schießt dann das Laktat ein, das sind die schmerzhaften Momente. Aber bei uns im Ausdauersport ist es ja nicht wie im Fußball oder einem anderen Sport, in dem man über das Spiel an sich viel trainiert. Bei uns gibt es eine knallharte Trennung zwischen Trainings- und Wettkampfphase. Wir trainieren den ganzen Sommer und haben im Winter unsere Wettkämpfe. Im Frühjahr kann man den Schnee nicht mehr sehen, da freut man sich dann auf das Sommertraining. Im Herbst ist es umgekehrt, da braucht man den Schnee, will Wettkämpfe laufen. Wir sagen spaßeshalber immer: Entweder man hat die Schmerzen im Sommer oder im Winter. Wenn man also im Sommer nicht anständig trainiert, tut’s im Winter umso mehr weh.
Sports Illustrated: Sie sind in Breitnau im Schwarzwald aufgewachsen, ganz in der Nähe der Skisprung-Arena in Hinterzarten. Bei Minus 20 Grad beim Weltcup im westsibirischen Tjumen, haben Sie sich da schon mal gewünscht, sie wären doch Skispringer geworden?
Doll: Nein, eigentlich nicht. Wenn man da mal oben auf der Schanze gesessen hat, auf diesem Balken, bekommt man schon richtig Respekt. Und meine Eltern waren schon immer dem Ausdauersport verbunden. So bin ich zum Biathlon gekommen. Aber stimmt, Skisprung war auch nicht weit weg. Das wäre für mich aber nichts gewesen. Da bin ich ein zu großer Schisser (lacht).
Sports Illustrated: Also haben Sie Skispringen nie ausprobiert?
Doll: Doch, doch, wir sind früher viel gesprungen, aber wohl habe ich mich dabei ehrlich gesagt nie gefühlt.
Sports Illustrated: Was Sie ja auch hätten werden können, ist Koch. Ihr Vater Karl-Heinz, genannt Charly, ist ein sehr guter Koch, war 2002 unter anderem Teamkoch des deutschen Skisprung-Teams bei Olympia in Salt Lake City. Wäre diese Option, das Kochen, für Sie nicht auch eine naheliegende gewesen?
Doll: Das Kochen war mir schon immer sehr nahe. Ich bin in der Küche aufgewachsen. Wenn die anderen nach dem Kindergarten spielen gegangen sind, habe ich mich bei meinem Vater an den Herd gesetzt und umgerührt, oder so. Wenn viele Gäste da waren, habe ich auch oft geholfen. Die Frage, das beruflich zu machen, hat sich aber eigentlich nie gestellt, weil ich im Sport doch recht erfolgreich war und das dann immer Priorität hatte. Meine Eltern haben mich dabei immer unterstützt.
Sports Illustrated: Ihre Familie führte bis vor Kurzem das Hotel Sonnenhof in Hinterzarten, das unter anderem für die gute Küche Ihres Vaters bekannt war. Zugleich sind ihr Vater, ihre Mutter Friederike und auch Ihre Schwester Stefanie allesamt herausragende Ausdauersportler. Wie geht das zusammen – der Genuss, die Liebe zu gutem Essen und der Ausdauersport?
Doll: Das geht gut zusammen. Die Küche meines Vaters war berühmt für ihren ernährungstechnischen Hintergrund. Es war nicht einfach nur Fett, was ja oft schmeckt, sondern immer der Versuch, Geschmack ins Essen zu bringen, ohne groß fett zu kochen und ohne eine Menge künstlicher Zutaten, dabei aber trotzdem diesen Mix aus Makro- und Mikronährstoffen herzustellen. Ausgewogene Küche bedeutet ja, dem Körper das komplette Set anzubieten. Der Körper ist intelligent genug, sich zu nehmen, was er braucht. Nach diesem Prinzip hat mein Vater immer gekocht. Und dabei konnte ich sehr viel für meinen eigenen Sport lernen. Denn irgendwie gehört das Kochen und die Ernährung ja doch zu meinem Beruf: Ich muss schnell in der Loipe sein und die richtige Ernährung ist ein elementarer Bestandteil meiner Leistungsfähigkeit.
Sports Illustrated: Stichwort: "dem Körper etwas anbieten". Sie und ihr Vater haben 2019 ein Kochbuch mit dem Titel "Doll’s Schwarzwaldlust – das sportliche Genießerkochbuch" herausgebracht, schreiben außerdem einen Blog zum Thema Ernährung. Wer sich da umschaut, findet unter anderem Rezepte für Schwarzwälder-Schinken Quiche, Semmelknödel mit frischen Pilzen und Cashew Panna cotta. Alles nicht gerade dieses "Schrot und Korn", von dem Ausdauersportler ja landläufig leben sollen. Für all jene von uns, die ihre Neujahrsvorsätze noch aufrechterhalten: Haben sie ein paar Tipps, wie man einen sportlichen Lebensstil und das gute Essen unter einen Hut bringt? Geht der Semmelknödel vor dem Sport?
Doll: Vor dem Wettkampf geht der nicht. Wenn man da eine schwere Rahmsoße dazu kocht, isst man die sozusagen zweimal. Aber wie gesagt: Ich bin ein großer Verfechter davon, nicht irgendwelche Extreme zu suchen, sondern dem Körper einen gesunden Mix anzubieten. "No carb" ist für den Ausdauersport eigentlich tödlich. Da nimmt man sich Nährstoffe die der Körper braucht, um Leistung zu erzeugen. Aber ganz lange Einheiten kann ich auch nicht nur mit Kohlenhydraten bestreiten. Ich brauche die richtigen Nährstoffe für mein Training und darum darf’s auch mal fett sein. Es müssen halt gute Fette – pflanzliche Fette und ungesättigte Fettsäuren – sein. Und grundsätzlich versuche ich über meine Ernährung alle wichtigen Nährstoffe aufzunehmen. Da es für mich als Leistungssportler allerdings schwierig ist, im Ziel mal schnell ein Marmeladenbrötchen rauszuholen, bin ich meinem Sponsor Vitamin Well sehr dankbar, dass er mich während meiner Trainingseinheiten und rund um die Wettkämpfe so gut mit Elektrolyten versorgt. Aber für mich ist es nach wie vor wichtig, dass der Genuss mit dabei ist, sonst macht einem das Essen ja auch keinen Spaß mehr. Der Leistungssport ist mir schon sehr wichtig. Aber das Leben zu genießen, ist mir am wichtigsten. Ich gehe auch gerne mal in ein Sternelokal und lasse es mir da gut gehen ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben.
Sports Illustrated: Um jetzt mal den Bogen zum Sport zu spannen: Auf Ihrem Blog betonen Sie (und ihr Vater) den Aspekt der Regionalität und der Schonung der Umwelt. Wie fühlen Sie – dem solche Attribute offenbar wichtig sind – sich dabei, in wenigen Wochen bei den Winterspielen in Peking zu starten? Einer Region, die ja nicht gerade für ihre Tradition im Wintersport und auch nicht für große Bemühungen um Nachhaltigkeit und den Umweltschutz bekannt ist.
Doll: Grundsätzlich mache ich mir darüber sehr viele Gedanken. Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, zu sagen: Ich mache den Sport, den ich liebe, weiß aber, dass der Sport an sich nicht nachhaltig ist. Man versucht ihn nachhaltig zu gestalten – von Seiten der IBU gibt es da einige Bestrebungen –, aber ich weiß, dass wir viel reisen, viel fliegen; und ich weiß, dass das nicht gut für die Umwelt ist. Aber es gibt Bereiche in meinem Leben, wo ich etwas tun kann: Wohnen und Ernährung zum Beispiel, das kann ich wirklich beeinflussen. Das Reisen aber, kann ich nicht beeinflussen.
Und um auf Peking zu sprechen zu kommen: Es stellt sich die Frage, ob man für Olympische Spiele immer alles neu bauen muss. Klar, in manchen Ländern ist die Infrastruktur nicht da, aber es gibt andere Länder, wo schon alle Anlagen zur Verfügung stehen. Das wäre wesentlich nachhaltiger. Diese Diskussion muss geführt werden, weil auch der Sport nicht drum herum kommt, nachhaltiger zu werden. Aber für mich als Sportler sind das jetzt Olympische Spiele, und an denen möchte ich teilnehmen. Dafür habe ich vier Jahre trainiert, vier Jahre meines Lebens investiert.
Sports Illustrated: Neben der fehlenden Nachhaltigkeit muss man in Hinblick auf die Olympischen Spiele natürlich auch über die Menschenrechtssituation in China sprechen, den Umgang mit den Uiguren in Xinjiang zum Beispiel, oder der Demokratiebewegung in Hongkong. Man spricht bezogen auf Olympia ja immer vom "Weltfest des Sports" und von der "einenden Kraft des Sports". Aber ist das die richtige Rolle des Sports, mit seinen Großveranstaltungen von einem politischen Krisenherd zum nächsten zu ziehen?
Doll: Ich habe dazu zwei Punkte: Punkt eins ist der: Ich bin kein Fan davon, Spiele in ein Land zu vergeben, in dem solche Problematiken aufkommen. Das ist Sache des Komitees, des IOC, und wurde vor acht Jahren entschieden. Und ich finde es nicht in Ordnung, was in China abgeht. Aber wiederum sage ich: Ich habe jetzt vier Jahre meines Lebens für diese Spiele geopfert, und wenn ich da nicht hingehe, dann holt jemand Anderes die Medaille. Aber ich will um die Medaillen kämpfen, ich will da mitmachen. Das ist das Highlight eines jeden Sportlers. Und da sollte nicht der Sportler jetzt diese Signale senden müssen. Und der zweite Punkt ist: Wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen. Es gab Volksentscheide darüber, ob man Olympische Spiele in Deutschland ausrichtet, aber eine Mehrheit wollte es nicht.
Sports Illustrated: Kommen wir ganz konkret zu Ihrer Planung für Peking: Der erste Biathlon-Wettkampf ist das Mixed am 5. Februar. Die Situation mit der "Bubble" ist bekannt: Sie sind mehr oder weniger von der Außenwelt, den Zuschauern, abgeschnitten. Haben Sie sich einen Zeitplan zurechtgelegt? Wann werden Sie anreisen und wie verbringen Sie die Tage zwischen den Wettkämpfen?
Doll: Ich habe aktuell keine Ahnung wie es vor Ort aussieht. Klar, unsere sportliche Leitung weiß das, aber die sagten uns: Macht jetzt erstmal eure Weltcups und dann bekommt ihr die Infos rechtzeitig, weil sich sowieso täglich etwas ändert. Wir reisen am 31. Januar an, das kann ich sagen. Zuvor absolvieren wir die Vorbereitung in Antholz, um uns an die Höhe anzupassen. Und was dann kommt, ist die große Frage. Wer in der Mixed-Staffel läuft, ist noch nicht bekannt. Und klar, man versucht sich dann auf die jeweiligen Rennen vor Ort vorzubereiten. Wir wissen, dass es kalt wird, alles andere wird sich zeigen.
Sports Illustrated: 2018 konnten Sie im Weltcup keine Podestplatzierung erreichen, gewannen dann bei Olympia in Pyeongchang zweimal Bronze. Inwiefern geht es im Biathlon auch um das "Momentum"?
Doll: Ich glaube, eine Laufform entwickelt sich. Die ist nicht von heute auf morgen gut oder schlecht. Und beim Schießen läuft’s oder es läuft nicht. Das hängt viel mit dem Selbstbewusstsein zusammen. Und das kann man einmal durch gute Erfahrungen im Wettkampf sammeln, man kann sich aber auch speziell darauf vorbereiten. Ich mache mir Gedanken wie: Was, wenn ich treffe? Was, wenn ich nicht treffe? Was sind die Konsequenzen? Ich beschäftige mich mit dem Thema und baue mir meine Wege, lenke meine Gedanken, um so eine positive Einstellung für den Wettkampf zu erhalten.
Sports Illustrated: Sie sind 31 Jahre alt. Die Olympischen Spiele 2026 finden in Mailand und Cortina d’Ampezzo statt. Es wären Ihre ersten an einem Ort mit tatsächlicher Wintersport-Tradition. Haben Sie vor, noch bis dahin zu laufen und daran teilzunehmen?
Doll: Ich werde dabei sein, aber wahrscheinlich als Zuschauer. Für mich ist es ziemlich wahrscheinlich, dass ich bis dahin kein Biathlon mehr mache. Aber nicht, weil Biathlon mir keinen Spaß mehr macht, sondern, weil es auch noch andere Dinge im Leben gibt, die ich angehen möchte. Darum glaube ich nicht, dass ich dort dabei bin. Schade natürlich, solche Winterspiele im Alpenraum, wo der Wintersport wirklich zuhause ist, hätte ich schon gerne mal erlebt. Aber naja, dieses Privileg habe ich dann in meiner sportlichen Karriere eben nicht gehabt.
Sports Illustrated: Aber einen konkreten Plan – zum Beispiel: Zwei Jahre noch und dann ist Schluss – gibt es nicht? Sie haben Marketing und Vertrieb studiert.
Doll: Nächstes Jahr ist die WM in Oberhof. Wenn ich da dabei sein könnte, wäre das schon cool. Was danach ist, lasse ich mir offen. Es kommt darauf an, wie viel Spaß es mir macht und wie die Situation in zwei Jahren ist – oder in einem, oder eineinhalb Jahren. Und ja, ich habe ein abgeschlossenes Studium und eine fertige Berufsausbildung, das war mir wichtig. Ob ich dann genau in den Beruf einsteige, ist die Frage. Aber das gibt einem ein bisschen Ruhe, einen Rückhalt. Ich kann sagen, ich falle nicht ins Leere, wenn ich mit dem Sport aufhöre.
Sports Illustrated: Herr Doll, was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihres Sports?
Doll: Für die Zukunft des Biathlons wünsche ich mir, dass sich mehr Menschen für den Sport begeistern. Nicht nur Zuschauer, auch Nachwuchssportler. Dass der Sport in Deutschland wieder einen höheren Stellenwert erhält. Und, dass mehr Eltern sehen, dass es sich lohnt, etwas in den Sport ihrer Kinder zu investieren, weil die Kinder sehr viel daraus ziehen können. Das ist mein Wunsch – für den Biathlon-Sport, aber auch ganz grundsätzlich für den Sport.
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