Olympische Winterspiele

Anni Friesinger-Postma: "Hätte mir gewünscht, dass Olympia vor Winterkulisse stattfindet"

Mit drei olympischen Goldmedaillen gehört Anni Friesinger-Postma zu den besten deutschen Eisschnellläuferinnen aller Zeiten. Im Interview mit Sports Illustrated spricht die 45-Jährige über die Winterspiele in Peking, die deutschen Starter und die Kritik an China.

Credit: Eurosport

Sports Illustrated: Wie groß ist die Vorfreude auf die Olympischen Winterspiele in Peking?

Anni Friesinger-Postma: Mein Herz schlägt immer noch für den Sport und ich freue mich riesig, dass es jetzt losgeht. Natürlich gilt mein Interesse vor allem dem Eisschnelllaufen. Wie vor vier Jahren werde ich wieder als Expertin am Eurosport-Mikrofon sitzen.

Sports Illustrated: Beim Eisschnelllaufen kommt es besonders auf schnelle Kufen an. Wie wichtig sind die Kufen und was kosten sie?

Friesinger-Postma: Neben der Physis sind die Kufen natürlich entscheidend. Diese Kufen sind vom Sprint bis zu den Langstrecken sehr individuell. Hierfür benötigt man einen sehr hochwertigen Stahl. Die Sprinter nehmen den härteren Stahl. Damit wird die Kraft besser aufs Eis übertragen. Bei den Langstrecken greifen die Eisschnellläufer auf einen weicheren Stahl zurück, um den Untergrund besser zu spüren. Außerdem gibt es verschiedene Längen der Kufen, die jeder Sportler bevorzugt. Meistens sind die Kufen um die 42 Zentimeter lang. Interessant ist auch, dass die Kufen bei manchen Athleten verschieden gebogen sind, damit man besser um die Kurve kommt. Die Kufe ist in Carbon-, Stahl-, Titan- oder Aluminium-Torpedos eingefasst. Wenn die Kufe maßangefertigt wurde, kostet sie mindestens 1000 Euro.

Sports Illustrated: Bei den Bobfahrern werden die Kufen wie ein Schatz aufbewahrt und behandelt. Ist das bei den Eischnellläufern genauso?

Friesinger-Postma: (lacht…). Ja. Ich habe von den Bobfahrern damals ein ganz spezielles Schleifpapier bekommen, das ich mir aufgehoben habe. Das habe ich noch daheim. Ich habe meine Skates damals immer selbst geschliffen. Das Polieren war mir wichtig, das habe ich vor den Rennen immer gemacht, um schnell zu sein.

Sports Illustrated: Wenn man es prozentual ausdrückt, welchen Anteil am Erfolg haben die Physis und welchen Anteil die Kufen?

Friesinger-Postma: Ich denke, dass 60 Prozent die Physis, knapp 30 Prozent die Kufen und den Rest der Rennanzug und die Wettkampfbedingungen ausmachen. Welche Beschaffenheit hat das Eis, wie viele Ersatzkufen hat man dabei und solche Dinge sind mitentscheidend.

Sports Illustrated: Welche Disziplin im Eisschnelllaufen ist für Sie die beste?

Friesinger-Postma: Ich finde alle Disziplinen schön, denn ich war auf allen Distanzen erfolgreich. Es gibt den Sprint über 500 und 1000 Meter. Da geht es um eine schnelle Reaktion. Da ist Schnellkraft wichtig. Aus diesem Grund sind die Sprinter meistens athletischer. Dann haben wir die Mittelstrecke über 1500 Meter und es gibt noch die Langstrecke, die bei den Männern aus den 5000 und 10.000 Metern besteht. Athleten für diese Strecke sind fragiler gebaut als die Edelsprinter. Bei den Damen beträgt die Langstrecke 3000 und 5000 Meter.

Sports Illustrated: Sie haben drei Mal Olympiagold gewonnen. Welche Goldmedaille besitzt für Sie den größten Wert?

Friesinger-Postma: Das war die Goldmedaille von 2002 in Salt Lake City über die 1500 Meter. Im Vorfeld war ich ungeschlagen und hatte mir den EM-Titel gesichert. Bei den 3000 und den 1000 Metern hatte ich zuvor eine Medaille verpasst. Der Druck auf meinen Schultern war riesig. Diesem Druck entgegenzuwirken und Gold zu holen, das war ein ganz besonderer Moment. 

Sports Illustrated: Hat diese Medaille einen speziellen Platz bekommen?

Friesinger-Postma: Die Medaille hängt bei mir im Büro. Meine Kinder schauen sie sich immer wieder an. Diese Medaille ist schon etwas Besonderes. Da hängen Blut, Schweiß und Tränen dran. Die anderen Medaillen habe ich alle in einer Sporttasche.

Anni Friesinger-Postma
Credit: Eurosport
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Sports Illustrated: Welche deutschen Athleten können sich in Peking Hoffnungen auf eine Olympiamedaille beim Eisschnelllaufen machen?

Friesinger-Postma: Dieses Mal können wir uns bei den Olympischen Spielen auf Felix Rijhnen freuen, der vom Inline-Skaten kommt und 2019 als erster deutscher Mann den Berlin-Marathon gewonnen hat. Er ist ein hervorragender Eisschnellläufer und wird im Massenstart antreten. Das ist ein Event, wo man auch taktisch gut laufen muss. Rijhnen geht auch über die 5000 Meter an den Start. Außerdem haben wir mit Patrick Beckert einen erfahrenen Athleten am Start, der schon mit mir in Vancouver dabei war. Wenn beide in guter Form sind und den Lauf ihres Lebens haben, könnten sie eine Medaille gewinnen. Joel Dufter hatte vor seiner Abreise leider Corona. Da wird man nicht schneller nach dieser Krankheit. Da tut mir sehr leid für ihn. Für Claudia Pechstein sind es die achten Olympischen Spiele. Sie hat keinen Stress, sie kann Olympia einfach nur genießen. Sie wird nicht für eine Medaille in Frage kommen. Mit Michelle Uhrig haben wir eine richtige Löwin im Team. Sie hatte einen schweren Fahrradunfall mit einer doppelten Knie-Operation und sich wieder zurückgekämpft. Allein das verdient eine Menge Respekt.

Sports Illustrated: Wie groß ist die Angst bei den Athleten sich mit Corona anzustecken?

Friesinger-Postma: Ich denke, dass die Angst vor eine Ansteckung nicht mehr ganz so groß ist, denn die Athleten werden die ganze Zeit getestet und befinden sich bei Olympia in einer Art Blase. Mehr Corona-Kontrollen und -Regeln gibt’s nicht. Wenn man sieht, wie die Sportler in der Mensa in ihren Boxen essen, dann wird alles dafür getan, dass sie sich nicht anstecken. Wenn man als  Athlet vor Ort ist, dann bewegt man sich meist nur zwischen seiner Unterkunft und der Wettkampfstätte. Da passiert so viel drum herum nicht.

Sports Illustrated: China steht immer wieder in der Kritik aufgrund der Missachtung von Menschenrechten. Können Sie Sportler verstehen, die sich kritisch dazu äußern?

Friesinger-Postma: Das ist in erster Linie eine Sache der Politik. Die Sportler sollen sich auf ihre Wettkämpfe konzentrieren. Natürlich hätte ich mir auch lieber gewünscht, dass die Olympischen Spiele vor einer winterlichen Kulisse wie in Norwegen stattfinden. Jetzt ist es Peking und die Chinesen versuchen es auf ihre Art und Weise, dass es nachhaltige Spiele werden. Viele Stadien wie beim Eissport sind zuvor bereits benutzt worden oder werden danach als Sportkomplexe genutzt.

Sports Illustrated: Warum schafft es Deutschland nicht, die Olympischen Winterspiele ins eigene Land zu holen?

Friesinger-Postma: Ich sehe es an meinen eigenen Kindern. Es gibt so viele neue Sachen wie E-Sports, Handys und Social Media, die früher nicht da waren. Da spielen andere Interessen eine Rolle – auch bei den Menschen in Deutschland, die sich gegen Olympische Winterspiele im eigenen Land aussprechen. Der Sport hat Konkurrenz bekommen. Natürlich spielen auch Themen wie die Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle. Aber Olympische Spiele bieten auch eine Chance. Es werden Straßen und Wohnungen gebaut. Olympia hat nicht nur Nachteile. Aber da müssen sich die Veranstalter Gedanken über gute Konzepte machen.

Sports Illustrated: Spüren Sie den olympischen Geist immer noch zu 100 Prozent?

Friesinger-Postma: Als Kind war Olympia das Größte für mich. Mit jeder gewonnen Medaille, wurde mir die Bedeutung bewusster. Wenn man dann vor Ort ist, ins Olympische Dorf einzieht, an den Wettkämpfen teilnimmt und die Hymne des eigenen Landes hört, dann ist das etwas ganz Besonderes. Jetzt bin ich zwar nicht mehr aktiv, aber durch meine Rolle als Expertin bei Eurosport erlebe ich das wieder. Ich bin immer noch sehr sportverbunden und ich muss sagen, dass der Sport die erste große Liebe meines Lebens war.

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