Eishockey-WM

0:17-Klatschen gibt's nicht mehr! So wurde Deutschland zur starken Eishockey-Nation

Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft war vor vielen Jahren bei großen Turnieren chancenlos. Das hat sich geändert. Bei der Eishockey-WM 2023 zählt das DEB-Team zu den aussichtsreicheren Mannschaften. So wurde Deutschland zur Eishockey-Nation.

Deutsche Eishockey-Nationalmannschaft
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  • Eishockey-Nationalmannschaft: Von Alois Schloder bis Hans Zach
  • Eishockey-WM 2023: Deutschland mit Top-Teams auf Augenhöhe
  • Deutsche Eishockey-Nationalmannschaft: "Mehr Breite gab es nie"

Alois Schloder, der frühere Eishockeystar aus Landshut, ist ein lebendes Archiv. Er kann sich exakt daran erinnern, wie es vor 50 Jahren war: Umstände, Details, Gefühlslage. Weltmeisterschaft 1973 in Moskau, "ich denke mit Grausen an das Eröffnungsspiel", sagt er. "Alles grau in grau, und Breschnew war im Luschniki-Stadion." Das damalige Staatsoberhaupt der UdSSR, von dem die Welt nur den einen, starren Gesichtsausdruck kannte.

Das frühere deutsche Eishockey: Frust, Abstieg, Klatschen

"Ich habe das 1:0 geschossen", blickt Alois Schloder zurück, "dadurch haben wir den Bären gereizt." Die deutsche Nationalmannschaft unterlag der sowjetischen am Ende 1:17. Gut eine Woche später gab es ein zweites Spiel: 2:18. Eine weitere zweistellige Niederlage war ein 1:12 gegen Schweden, mit 19:82 Toren aus zehn Spielen und als Absteiger aus der A-Gruppe des Welteishockeys reiste Deutschland nach Hause.

Heute ist Schloder 75, und wenn er über die Nationalmannschaft spricht, tut er das immer noch im Wir-Modus. "Die Zeiten, wie ich sie als Spieler erlebt habe, sind für uns vorbei", ist er sich sicher – und einig mit Franz Reindl, 68, der das deutsche Eishockey in allen denkbaren Positionen mitgestaltet hat: Nationalspieler, Co-Trainer, Sportdirektor, Verbandspräsident. Wenn er sich die vergangenen fünf Jahrzehnte als Kurve vorstellt, sieht er "den Chart einer Aktie mit Ausschlägen nach oben und unten, doch sie ist beständig gestiegen".

Eishockey: Deutsche "Mannschaft fährt zu WM, um zu gewinnen"

Harold Kreis, 64, der neue Bundestrainer, erkennt ebenfalls einen grundsätzlichen Wandel: "Die Mannschaft fährt nicht mehr zu einer WM, um knapp zu verlieren, sondern um zu gewinnen."

Es war keineswegs so, dass das deutsche Eishockey früher keine Stars und keine Köpfe gehabt hätte. Im Gegenteil: Es produzierte Helden, sie waren Kinder einer funktionierenden Bundesliga. "Die Liga war super", sagt Franz Reindl, "es kamen superviele Zuschauer, es gab genügend Derbys." Im Süden konkurrierten EV Füssen, EV Landshut, SC Riessersee und EC Bad Tölz miteinander, im Westen brachten Düsseldorf, Köln und Krefeld die Puckjagd einem Großstadtpublikum nahe, und Westberlin mit seinem Schlittschuhclub war ein weiterer großer Player.

In den 1960er-Jahren kam es zu ersten Verwerfungen, weil die Klubs aus dem Westen den Bayern einige ihrer besten Spieler abwarben. Trotz aufziehender Kommerzialität: Von einem flächendeckenden Profitum konnte im deutschen Eishockey keine Rede sein.

Blick in die Vergangenheit: Eishockeyspieler – und Metzger

Hans Zach, inzwischen 74, war einer der Besten der damaligen Zeit, ein Mittelstürmer voller Hingabe – eine Haltung, die er später als Trainer in der Liga und bei der Nationalmannschaft lehrte. Er war auch bereit, den Verein zu wechseln, und verließ seine Heimat Bad Tölz, um für Riessersee, Berlin, Landshut und Rosenheim zu spielen. "Doch Profi", erzählt er, "bin ich eigentlich erst mit 31 geworden." Bis dahin hatte er immer auch in einem bürgerlichen Beruf gearbeitet: als Metzger, da hieß es "von 5 bis 15 Uhr im Betrieb zu sein, abends waren Training und Spiele".

Zach ging neben dem Eishockey auf die Meisterschule, anschließend machte er eine Ausbildung zum Masseur und medizinischen Bademeister, "da musste ich zu den Hydroanwendungen in Badehose mit ins Becken, war nach drei Stunden ganz aufgeweicht und bin mit Gummifüßen ins Training". 

Alois Schloder leitete in Landshut das Sportamt der Stadt, "auch für andere fing der Tag im Büro und in der Werkstatt an. Trotzdem sind wir auf bis zu 80 Spiele pro Saison gekommen". Franz Reindl arbeitete sich ans Unternehmertum heran und eröffnete in Garmisch-Partenkirchen einen Baumarkt.

Eishockey-Bundesliga: Schöne und trügerische Welt

Die Bundesliga war zwar eine schöne Welt mit ihren schillernden Figuren, doch auch eine trügerische. Die Realität zeigte
sich, wenn es zum internationalen Vergleich kam. Franz Reindl sah als Junior Anfang der 1970er-Jahre ein Länderspiel zwischen Deutschland und der UdSSR in Garmisch-Partenkirchen: "0:17, da hat’s mich durchgeschüttelt. Die Russen haben mit uns gespielt, das war einfach unglaublich. Da habe ich gesehen, wie Eishockey wirklich geht."

Trotz der erwartbaren Lehrstunden wurde nicht gekniffen. "Ich bin immer gerne zur WM gefahren", versichert Alois Schloder, "der Adler auf der Brust hat mir viel bedeutet." Er selbst, sein Landshuter Kompagnon Erich Kühnhackl, der Bad Nauheimer Rainer Philipp, der Tölzer Lorenz Funk und ein paar andere, "wir konnten schon mithalten, hätten auch bei anderen Nationen mitspielen können – aber es waren halt nur sieben, acht Spieler, die das Niveau gehabt haben".

Das Duo Schloder/Kühnhackl bekam sogar eine Einladung ins Trainingscamp des amerikanischen Profi-Teams Phoenix Roadrunners – mit der Androhung von Sperren untersagte der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) die Teilnahme.

Olympia 1976: Beginn der Wende für Eishockey-Deutschland

1976 schließlich setzte die deutsche Nationalmannschaft zwei Punkte, die einen nachhaltigen Aufwärtstrend einleiteten. Bei den Olympischen Spielen in Innsbruck gewann sie sensationell und letztlich dank des besseren Torquotienten hinter UdSSR und CSSR (der damaligen Tschechoslowakei) Bronze, sie platzierte sich vor den USA und Finnland.

Erster Erfolg: Bei Olympia 1976 in Innsbruck holt Deutschland Bronze
Erster Erfolg: Bei Olympia 1976 in Innsbruck holt Deutschland Bronze
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Franz Reindl und sein Riessersee-Mitspieler Ignaz Berndaner brachten ihre Medaillen schnell ins nahe Garmisch- Partenkirchen, weil sie es nicht glauben konnten und fürchteten, die Plaketten zurückgeben zu müssen. Dass Schweden auf die Teilnahme verzichtet und das Mutterland Kanada aufgrund des strikten Amateur-Statuts, das damals noch bei Olympia herrschte, keine Mannschaft geschickt hatte, entspannte die Konkurrenzsituation.

Wenige Wochen nach dem Bronze-Glück musste die deutsche Mannschaft jedoch um ihre Position in der Weltmeisterschafts-A-Gruppe kämpfen, aus der es einen zusätzlichen Absteiger geben sollte, um Platz zu schaffen für Kanadas Rückkehr 1977 mit den Profis aus der National Hockey League (NHL).

Eishockey-WM 1977: "In der Halle wurden 10.000 Leute totenstill"

Die sollten nun endlich zugelassen werden, Kanada glaubte, es so mit den Staatsamateuren aus UdSSR und CSSR aufnehmen zu können. Im letzten WM-Spiel 1976 in Kattowitz mussten die Deutschen gegen Polen, das Heimteam, gewinnen. Das Siegtor gelang ihnen 21 Sekunden vor der Schlusssirene durch Rainer Philipp. Archiv Schloder: "Wenn 'Flipper' den Puck nicht abgefälscht hätte, wären wir abgestiegen. In der Halle wurden 10.000 Leute totenstill."

Beginn einer Ära für Deutschlands Eishockeyteam

Für die deutsche Mannschaft begann eine Ära: 22 Jahre blieb sie in der höchsten WM-Klasse. "Vom Potenzial sind wir immer stärker geworden", erinnert sich Franz Reindl. Es kam eine neue Generation von Spielern: Gerd Truntschka, Didi Hegen, Ernst Höfner, Udo Kießling, der Torhüter Helmut de Raaf, dazu die Deutschkanadier.

1978 war Heinz Weisenbach, der den Mannheimer ERC trainierte, in Kanada auf Suche nach deutsch-stämmigen Eishockeyspielern gegangen, er schaltete Zeitungsannoncen. Harold Kreis meldete sich daraufhin – nicht wissend, was ihn erwarten würde. "Ich hatte keinen Plan, war ignorant gegenüber dem deutschen Eishockey. Von den Skandinaviern hatte ich gehört, von der UdSSR, der Tschechoslowakei."

Kreis ließ sich auf das Spiel in Deutschland, das auf einer größeren Eisfläche stattfand, als er es aus Kanada kannte, ein, mit ihm fanden Roy Roedger, Manfred Wolf, Ralph Krueger, Peter Ascherl, Ron Andruff, der stoische Tormann Karl Friesen, ein Mennoniten-Prediger, den Weg in die Bundesliga. Sie wurden schnell Nationalspieler.

Der Bayer Axel Kammerer, 58, der mit dieser Generation spielte, meint: "Zu dieser Zeit waren pro Klub nur zwei ausländische Spieler erlaubt, die Deutschkanadier haben das Niveau in der Liga gehoben. In der Nationalmannschaft waren aber schon die hier Geborenen tonangebend."

Deutschkanadier: "Andere Mentalität" – und Überraschungen

Helmut de Raaf, 61, würdigt: "Mit den Spielern aus Kanada ist eine andere Mentalität reingekommen, die wir nicht kannten. Das deutsche Eishockey war bis dahin von tschechischen Lehrmeistern geprägt. Die Deutschkanadier waren nicht unbedingt in der Vorbereitung immer professionell, aber wenn es losging, waren sie voll da." Der neue Mix im Nationalteam ermöglichte respektablere Ergebnisse – und manche Überraschung.

1985 gelang in einem Testspiel in München ein 3:3 gegen die UdSSR – die erste Nicht-Niederlage. "Das war ein Spiel, bei dem passierte, was es eigentlich gar nicht gibt. In der ersten Minute fielen drei Tore, es stand 2:1 für die Russen", weiß Axel Kammerer noch. Torhüter Beppo Schlickenrieder machte das Spiel seines Lebens, ließ die Russen verzweifeln. Allerdings ging die Geschichte weiter – mit der Strafe kurz darauf: Bei der WM in Prag traf man auf die Sowjets. Stand nach dem ersten Drittel: 0:7.

"Die Russen hatten uns gegenüber Sympathie"

Helmut de Raaf erinnert an den legendären Spruch von Trainer Xaver Unsinn, an den flehentlichen Tadel des Allgäuers: "Buaba, Buaba, drei mol sieba is oisazwanzg." Zum hochgerechneten 0:21 kam es freilich nicht, die UdSSR beließ es bei einem 10:2. Kammerer: "Das war öfter so: Die Russen haben im ersten Drittel für klare Verhältnisse gesorgt und uns den Rest erträglich gestalten lassen. Sie hatten uns gegenüber Sympathie."

Es hatte sich über die Jahre und das gegenseitige Kennenlernen ein stilles Netzwerk gebildet. "Die älteren Spieler tauschten ihre Trainingsanzüge", sagt Kammerer. Weil ZSKA Moskau, fast identisch mit dem UdSSR-Nationalteam, in der Schweiz beim Spengler Cup gespielt hatte, konnten die Stars der "Sbornaja" über Devisen verfügen, die sie im Westen deponierten. Es gab gemeinsame Feiern und einen regen Handel: Die Russen brachten Kaviar und nahmen Elektronik-Artikel mit; und wenn die Deutschen in Moskau spielten, erhielten sie Adressen für den günstigen Kauf von Ikonen (Heiligenbilder – die sie dann nur noch bei der Ausreise durch die Passkontrolle schmuggeln mussten).

Eishockey-WM 1987: "Plötzlich stellst du mit solchen Spielern auf dem Eis"

Bei der WM 1987 besiegten die Deutschen erstmals Kanada mit den Profis aus der NHL. "Meine Güte, plötzlich stehst du mit solchen Spielern auf dem Eis", dachte sich Harold Kreis beim Anblick von Größen wie Dino Ciccarelli, Kevin Dineen, Brian Bellows und Tony Tanti. Verteidiger Kreis erzielte das Tor zum 5:3-Endstand, es trafen außerdem die in Übersee geborenen Roy Roedger und Daniel Held.

Kanadische Medien reagierten irritiert, die Schlagzeile lautete: "Einige Kanadier schlagen einige andere Kanadier." Axel Kammerer hat noch die "sensationelle Stimmung in der Wiener Stadthalle" parat, "die Stimmung hat uns getragen, der Spielverlauf war günstig, wir sind über uns hinausgewachsen. 1987 hätten wir in die Top vier kommen können." Verhindert wurde das auf sportpolitischem Weg: Der Weltverband IIHF revidierte die Spielgenehmigung, die er dem in Polen geborenen Miro Sikora für die deutsche Nationalmannschaft erteilt hatte, gewonnene Punkte wurden wieder aberkannt.

De Raaf: "Physios waren erstaunt, dass ich Spiel beenden konnte"

Das nächste Mal kam Deutschland einer Top-Platzierung 1992 nahe: Bei der WM in Prag gewann es als einzige Mannschaft gegen den späteren Weltmeister Schweden. Beim 5:2 lieferte Torhüter de Raaf vor 8.000 deutschen Fans eine Heldenpartie: "Die Physios waren erstaunt, dass ich das Spiel überhaupt beenden konnte. Vor der WM hatte ich mir in der Meisterschaft einen Adduktorenabriss zugezogen." 1994 bei den Olympischen Spielen in Lillehammer hielt Torhüter-Kollege Klaus Merk ein 4:2 gegen Russland fest; der erste Turniersieg gegen den Dominator des Welteishockeys. Franz Reindl war Assistent des Bundestrainers Dr. Ludek Bukac, eines Tschechen: "Ludek hat geweint. Für mich tilgte solch ein Ergebnis die Schmach von Jahrzehnten."

"Unser Jahrhundertspiel, den maximalen Ausschlag" nennt Reindl ein 7:1 gegen Tschechien 1996 beim World Cup of Hockey, einem Einladungsturnier der NHL. "So ungefährdet und in einer Manier, dass die Leute in Garmisch-Partenkirchen noch heute davon sprechen."

Bei den Olympischen Spielen 1994 gelingt der erste Turniersieg gegen Russland
Bei den Olympischen Spielen 1994 gelingt der erste Turniersieg gegen Russland
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Mit diesem Erfolg über die Tschechen qualifizierten sich die Deutschen für die Endrunde in Kanada. "Abflug nach Montreal", so Reindl, damals der General Manager des DEB-Teams, "war am Tag danach; die Tickets hatte die NHL auf die tschechischen Spieler ausgestellt. Wir waren stocksauer."

Auch heute würde man noch behaupten, dass Tschechien mehr eine Eishockeynation ist als Deutschland – dennoch hat sich die Welt verändert. Alois Schloder formuliert es so: "Wir haben noch gegen die echten Russen und Tschechen gespielt. Heute ist das zerfleddert."

Fall des Eisernen Vorhangs: "Zeit der 'Transition'"

Harold Kreis nennt es "die Zeit der 'Transition', als die Satellitenländer sich von UdSSR und CSSR gelöst haben". Es gab neue Mitspieler – Lettland, Belarus, Kasachstan, Slowakei –, und als der Eiserne Vorhang sich ab 1989 hob, erlebten Russland und Tschechische Republik die Auswanderung ihrer Stars zu kanadischen und amerikanischen Klubs. Das erschwerte den Nationalmannschaften den Zugriff. Das WM-Teilnehmerfeld wurde immer größer. Von sechs Nationen der Schloder-Zeit über acht und zwölf auf sechzehn.

Olympia-Spektakel 2018: Erst im Finale ist für die sensationell spielende deutsche Mannschaft Schluss
Olympia-Spektakel 2018: Erst im Finale ist für die sensationell spielende deutsche Mannschaft Schluss
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"Es gibt jetzt viele Spiele auf Augenhöhe", freut sich Franz Reindl, "und der Modus ist fair." Früher musste eine Mannschaft wie die deutsche erst gegen die Top-Gegner ran, das entscheidende Spiel um den Klassenerhalt kam erst zum Schluss, als man das Prädikat "Prügelknaben" längst angeheftet bekommen hatte. Mittlerweile hat das DEB- Team die Perspektive, sich für das Viertelfinale zu qualifizieren.

Die Wandlung der NHL

Eine große Rolle im deutschen Eishockey spielt auch die NHL. Vor fünfzig Jahren war sie ein Mythos. Franz Reindl hatte Videokassetten, die er als Spieler in der Nationalmannschaft vorführte – sonst gab es kaum Infos. "Auch für mich war die NHL vor allem Hörensagen", sagt Helmut de Raaf, der Torhüter der 1980er- und frühen 1990er-Jahre. Er wusste noch ein bisschen mehr, weil zwei Mitspieler, Uli Hiemer und Uwe Krupp, Angebote von drüben annahmen. Wie hoch der Kenntnisstand heutzutage ist, spürt de Raaf, "wenn ich Spieler rekrutiere und nach Zielen frage. Jeder nennt die NHL. Und Connor McDavid ist noch mehr der Superstar als unser Leon Draisaitl."

De Raaf ist der beste Nachwuchskenner im deutschen Eishockey. Er ist Direktor der Red-Bull-Akademie bei Salzburg, zuvor arbeitete er für das erste Projekt dieser Art, die Jungadler Mannheim. 1999 hatte Dietmar Hopp diese Eliteschmiede gegründet, für de Raaf "die Zeitenwende im deutschen Eishockey, zuvor war der Nachwuchs tot". Draisaitl, Moritz Seider, Tim Stützle – für aktuelle NHL-Karrieren wurde im Mannheimer Internat der Grundstein gelegt.

Schulterschluss zwischen deutschen Eishockey-Verband und DEL

Dass man gute Rahmenbedingungen schaffen muss, bestätigt Franz Reindl. Aus seiner Sicht waren WM-Turniere, die in Deutschland ausgetragen wurden (1975, 1983, 1993, 2001, 2010, 2017), immer Treiber einer sportlichen Entwicklung. 2014 erfolgte ein Schulterschluss zwischen den lange zerstrittenen Parteien Verband und Profiliga DEL. Eine starke Liga ermöglichte die Olympia-Silbermedaille von 2018, die Erleuchtung des deutschen Eishockeys.

Ein wenig Vorsicht schimmert immer noch durch. "Bei der nachfolgenden WM 2018 waren wir Elfter", erinnert Franz Reindl mahnend. Oder: Zwei Jahre nach WM-Platz vier 2010 hatte die Nationalmannschaft ein 4:12-Desaster gegen das kleinere Norwegen erlebt, 0:9 stand es nach einer halben Stunde – unerklärlich. Harold Kreis stand als Assistent an der Bande, "das Spiel war eine Anomalie", sagt er. Sollte nie wieder vorkommen.

Deutsche Eishockey-Nationalmannschaft: Mehr Breite gab es nie

"Wenn die Spieler gesund zur WM kommen, haben wir eine sehr stabile Mannschaft." 50 bis 60 Spieler gelten als nationalmannschafstauglich, mehr Breite gab es nie. Kreis ist angetan davon, "wie die Spieler mit der hohen mentalen Belastung umgehen, welches Commitment sie haben. Und ihr konditioneller Zustand ist unglaublich gut." Er war früher selbst ein
Fitnesswunder, erlebte um sich herum allerdings auch Mitspieler, die sich "mit Fluppe aufs Klo" verzogen. Legendär auch der Spruch des hochbegabten Kaufbeurers Didi Hegen, als ihm 1986 sein neuer Verein Köln den Kraftraum zeigte: "Brauche ich nicht. Ich bin ein Instinktspieler."

Auf Talent allein könnte sich heute niemand mehr verlassen. Die neue Leistungswelt ist bei de Raaf und Red Bull in Salzburg zu besichtigen: Es gibt zwei Eisflächen mit ganzjähriger Betriebszeit, Geräte für die Fitness und zum Trainieren spezifischer Fertigkeiten. "Wenn ein Spieler drei Stunden extra aufs Eis will, kann er das tun. Wir versuchen, den Tag mit Schule so zu organisieren, dass alles machbar ist", sagt Helmut de Raaf.

Die fünf Teams der Akademie werden in den internationalen Spielbetrieb geschickt, sie lernen früh, "dass es immer welche geben kann, die besser sind". Die Ausbildung einer absoluten Spitze ist die Mission, sie hat ihren Preis: "Es kommt mehr Egoismus rein, der Spaß am Miteinander in der Kabine geht ein wenig verloren." Niemand wird mehr 1:17 verlieren, aber die Rückblicke in fünfzig Jahren werden auch keine so saftigen Erzählungen sein.

 

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