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Eishockey-Profi Moritz Seider: Vom "Hosenscheißer" zum Superstar in der NHL

Ganz Detroit liebt Moritz Seider. Der Mannheimer scheint aktuell die Eishockey-Version des "American Dream" zu leben, ist für die Red Wings in der NHL absoluter Leistungsträger. Von den Lorbeeren lässt sich der erst 21-Jährige allerdings nicht blenden. Seider bleibt cool.

Moritz Seider
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Sports Illustrated 05/22
Manuel Neuer und Leon Goretzka im Exklusiv-Interview
Die neue Ausgabe von Sports Illustrated mit Manuel Neuer und Leon Goretzka im Exklusiv-Interview
Sports Illustrated 05/22
Manuel Neuer und Leon Goretzka im Exklusiv-Interview

Inhalt

  • NHL-Star Moritz Seider im Porträt
  • Moritz Seider: Familienmensch, Kumpeltyp, Spitzensportler
  • Red Wings-Verteidiger Seider über Familie, Geld und sportliche Ambitionen

Wer ist der Typ? Wer. Ist. Dieser. Typ? Das fragten sich nicht wenige Fans der Detroit Red Wings am 21. Juni 2019, als ihr NHL-Team, das seit 2016 nicht mehr in den Playoffs gestanden hatte, seinen Nummer-6-Draft-Pick nutzte, um einen 18-jährigen Deutschen aus Mannheim zu verpflichten. Moritz Seider. Die Top-Namen für diesen Teil des Abends waren andere: Cozens, Zegras, Podkolzine. Aber Seider? Who?

Nun sagen Fans in den wenigstens Fällen einfach nur "Who?" – "Wer?". Auf der Youtube-Seite der Red Wings gibt es ein Video, in dem Seider selbst einige Kommentare vorliest, die am Tag seines ersten großen Aufschlags in der NHL so durch das Twitter-Universum geisterten. Das Spektrum reicht von: "Wow. A waste of a #6 Pick ..." ("Wow. Ein Nummer-6-Pick verschwendet ...") bis zu „What the F***".

 

Steve Yzerman stärkteMoritz Seider: "Google him, watch him!"

Steve Yzerman, dreifacher Stanley-Cup-Sieger und Red-Wings-Ikone, hatte sich als General Manager des Teams für Seider entschieden. Die Fans waren aufgebracht, Yzerman riet ihnen schlicht: "Google him, watch him!" Moritz Seider ließ diese kleine „Outrage“ in den sozialen Medien ohnehin kalt. "Und wenn, dann motiviert mich so was nur“, sagt der mittlerweile 21-Jährige im Interview mit Sports Illustrated. "Ich glaube, dass es für Hochleistungssportler immer eine Motivation ist, den Kritikern zu beweisen, dass man eine Daseinsberechtigung hat und dass man nicht zu früh über jemanden urteilen sollte."

Apropos "jemanden zu früh beurteilen": Seider stand in dem Video, in dem er die unfreundlichen Tweets unwissender Red-Wings-Anhänger verlas, in einem Hotelzimmer in Tampa. Den Smoking trug er dabei schon am Leibe, denn am selben Tag, im Juni dieses Jahres, wurde ihm die Calder Memorial Trophy verliehen: die Auszeichnung, die der beste Rookie einer NHL-Saison – in Seiders Fall für die Spielzeit 2021/22 – bekommt. Seine Dankesrede hielt Seider dann aus dem Stegreif. "Die Rede kam einfach aus dem Bauch heraus, drückte aus, was ich in dem Moment gefühlt habe."

Er sagte: "I didn’t prepare a speech. So,just go with the flow and don’t mess it up." Dann rügte er spaßeshalber seine Eltern, die nicht in Tampa waren, weil sie gerade erst aus dem Kroatien-Urlaub zurückgekommen waren und den Urlaub wohl – so scherzte Seider – für wichtiger hielten. Ein Lacher. Und ein Auftritt, der typisch ist für den Mannheimer. Er sagt, was er denkt. "Aber sonst bin ich ein wirklich gelassener, tiefen- entspannter Mensch, der sehr schwer aus der Ruhe zu bringen ist." Seider bringt die Menschen gerne zum Lachen, weiß aber zu jeder Zeit, wem er zu danken hat. An diesem Abend explizit dem Bruder, der Freundin, seinem Manager und all seinen Freunden. Vor allem aber – und das spürte man auch im Gespräch mit ihm – gebührt Moritz’ Dank seinen Eltern, die ihm seinen Erfolgsweg in diesem Sport erst geebnet haben.

Ein Weg, der am 6. April 2001 in Zell an der Mosel in Rheinland-Pfalz begann, dann aber schnell nach Erfurt führte, wo Seider als Vierjähriger über einen Schnupperkurs zum Eishockey kam und dann zehn Jahre lang für die Jugendteams des EHC Erfurt – die "Young Dragons" – spielte.

Als Teenager durfte er schließlich hin und wieder als Gastspieler mit den Jungadlern Mannheim aufs Eis. "Ausschlaggebend", sagt Seider, "war damals ein Turnier in Karlsbad, das ich für die Jungadler spielen durfte. Da kam die Frage auf: ‚Moritz, hast du denn nicht Lust, in der kommenden Saison für uns zu spielen?‘ Dann sind die Jungs wieder nach Mannheim gefahren – und ich zusammen mit meinen Eltern nach Erfurt."

Moritz Seider: Mit 16 DEL, mit 18 Deutscher Meister und ab nach Übersee

Seider erinnert sich an den Real-Talk mit seinen Eltern nach dem Turnier: "Sie fragten mich: ‚Moritz, wie hättest du es denn gerne?‘ Darauf habe ich geantwortet: ‚So wie in Erfurt – nur in Mannheim.‘ Zu dem Zeitpunkt war ich ein Hosenscheißer, konnte mir nicht vorstellen, in einem Internat, geschweige denn in einer Gastfamilie zu leben." Musste er auch nicht. Denn die Familie ging 2015 zusammen nach Mannheim. "Für mich war es in dem Moment gar nicht realisierbar, was meine Eltern da eigentlich für mich gemacht haben." Wobei es in der Welt des Eishockeys natürlich noch ein paar andere gäbe, die sich durchaus an eine Dankeskarte für Mama und Papa Seider setzen dürften, denn mit dem Wechsel nach Mannheim kam der ambitionierte Verteidiger so richtig in Fahrt.

Er debütierte 2017, mit gerade einmal 16 Jahren, in der DEL (nur Marcel Goc war bei seinem DEL-Debüt 1999 noch jünger), führte die U20-Nationalmannschaft Ende 2018 bei der B-WM in Füssen als jüngster Spieler des Teams als Kapitän aufs Eis und gewann im April 2019 mit den Adlern Mannheim die Deutsche Meisterschaft.

Als Rookie of the Year der DEL reiste er daraufhin zum Draft nach Vancouver. Und als Steve Yzerman seinen Namen nannte – an Nummer 6 "overall" –, konnte es Seider, wie so viele, nicht fassen. Der Kommentator des kanadischen Senders Sportsnet sagte: "We have our first shock of the draft" – den ersten Schocker des Abends. Seider schien selbst kurz geschockt. Doch dann fasste er sich, zog sein Sakko aus, ging auf die Bühne und streifte sein neues Trikot über – in dem er jedoch noch eine ganze Weile nicht spielen sollte.

Die Red Wings strichen ihn nach absolvierter Vorbereitung auf die Saison 2019/20 aus dem NHL-Kader. Ein Moment in seiner Karriere, den Seider "natürlich frustrierend" nennt, allerdings auch "superwertvoll". Denn: "Am Ende des Tages brauchen manche Spieler einfach länger. Ich war einer davon. Ich glaube, das waren genau die entscheidenden zwei Jahre, die ich für mich gebraucht habe. Auch um mich mental auf die NHL vorzubereiten."

Und wie er sich auf die NHL vorbereitete: Seider glänzte 2019/20 in der AHL bei den Grand Rapids Griffins, dem Farmteam der Red Wings, sammelte in 49 Spielen viel Eiszeit und hatte mit 22 Scorerpunkten großen Anteil am Erfolg des Teams, das die Playoffs fest im Visier hatte, doch wegen der Corona-Pause im Frühjahr 2020 nicht spielen konnte. AHL und NHL pausierten den Spielbetrieb.

Seider wurde kurz nach Mannheim verliehen (blieb wegen des verschobenen Saisonstarts allerdings ohne DEL-Einsatz) und ging zur Saison 2020/21 nach Schweden zu Rögle BK, wo er nicht nur Vizemeister wurde, sondern mit 28 Scorerpunkten aus 41 Partien auch Rookie des Jahres und Verteidiger der Saison. Hinzu kam seine Leistung bei der WM 2021 in Lettland (Verteidiger des Turniers und Nominierung für das All-Star-Team), wo er mit Deutschland erst im Halbfinale scheiterte.

Moritz Seider: Über Rögle BK und den DEB kehrte er durch die Vordertür zu den Red Wings zurück

Vor der Saison 2021/22 kehrte Moritz Seider also unter neuen Vorzeichen nach Detroit zurück: nun nicht mehr als der Geheimtipp aus Mannheim, sondern als eines der heißesten Eisen unter den jungen Verteidigern. Er war für die neue NHL-Saison gesetzt. Und er lieferte, überzeugte durch körperliche Robustheit und eine Routine, die man ihm seit jeher zuschreibt, sich aber auch seit jeher fragt, woher er sie in seinen jungen Jahren denn schon habe.

Bundestrainer Toni Söderholm attestierte ihm zur WM 2019 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", „vom Kopf her weiter entwickelt als viele andere in seinem Alter“ zu sein. Der "Münchner Merkur" schrieb damals, Seider sei "mit 18 abgezockt wie ein 35-Jähriger". Er selbst beschreibt seinen Spielstil als "abgeklärt, nicht arrogant" und sagt, man verwechsle das immer gerne. "Ich glaube, ich habe eine relativ abgeklärte Art, auf dem Eis Spielzüge vorauszuahnen und darauf eine passende Antwort parat zu haben. Und dann bin ich auch wirklich nicht abgeneigt, einfach den Körper zu spielen." Seider tacklet hart, die Amerikaner lieben das, diese Attitüde: "Ich bin unheimlich heiß darauf, jeden Abend Eishockey spielen zu dürfen", sagt Seider. "Wir dürfen einen Job ausüben, den wir lieben" und der darüber hinaus auch sehr gut bezahlt ist.

Moritz Seider
Moritz Seider bei der WM im Mai 2022 im Trikot der Deutschen Nationalmannschaft
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Auch aus letzterem macht Moritz Seider keinen Hehl. Das Grundgehalt für Rookies in der NHL ist mit maximal 925.000 Dollar dotiert. Hinzu kommen,leistungsabhängig, nicht unerhebliche Boni. "Gerade im Investmentbereich ist es wichtig, dass man gut beraten ist und einen langfristigen Plan und eine Strategie hat, an der man sich orientiert", sagt Seider. Online-Trading und Kryptowährungen sind nicht seins. Er setzt auf Immobilien ("Ich denke langfristig und möchte Risiken ausschließen, gerade in dieser komplizierten Wirtschaftslage"), und wird beim Thema Kapitalanlagen vom Immobilienunternehmen Accentro Real Estate aus Berlin unterstützt und beraten. Immobilien, sagt Seider, habe er auch daher erwogen, "weil man natürlich den Eltern etwas zurückgeben will, die, seitdem ich auf der Welt bin, zur Miete wohnen".

Moritz Seider liebt Familie, die Heimat und mag sein Steak perfekt gegart

Es verwundert nicht, dass sich Moritz Seider als "familien- und heimatverbunden" beschreibt. Mit seiner Abreise nach Detroit wartete er Anfang September noch bis nach dem 70. Geburtstag seiner Großmutter. Und wenn er in Deutschland ist, trifft er seine Grundschulfreunde aus Erfurt mindestens zweimal ("Einmal fahre ich nach Erfurt, einmal kommen sie nach Mannheim"). Groß auf der Agenda steht, dass ihn seine Kumpels auch bald in Detroit besuchen kommen („Bislang hat es nur einer geschafft, mal hierherzukommen“), wo er etwas außerhalb der Stadt und in nächster Nähe zu vielen seiner Teamkollegen wohnt.

Mit Buddys wie den langjährigen NHL-Spielern Jordan Oesterle, Dylan Larkin und Tyler Bertuzzi oder dem schwedischen Newcomer Lucas Raymond geht Seider gerne golfen. „Bei den Jungs steht Golf an erster Stelle. Ich versuche, mich da gerade reinzufuchsen.“ Oder Tennis spielen und neuerdings zum Pickleball ("Man muss sich nicht so viel bewegen und hat auch mal Zeit für ein Schwätzchen"). Und: Seider kocht gerne für seine Teamkollegen. Am liebsten Steak mit Ofenkartoffeln und Gemüse. Das Spiel mit dem Garpunkt passe zu ihm, der sich als detailverliebt bezeichnet. Zu spät sollte es mit dem Essen aber nicht werden: "Ich bin ein Freund davon, zeitig zu Abend zu essen, so um 18.30 Uhr. Da stutzen die meisten schon. Deswegen kläre ich das gerne vorneweg ab, damit es am Ende keine heftigen Diskussionen gibt."

Konfliktvermeidung also. Fragt sich, wie das zu einem passt, der auf dem Eis als knallharter Verteidiger auch für seine Bodychecks bekannt ist und Sätze sagt wie: "Auf dem Eis gibt’s eigentlich keine Freundschaft." Seider legt erst im letzten Moment – „eigentlich erst beim ersten Schritt auf das Eis“ – den Schalter um. „Wenn man davor schon zu zeitig in diesen Tunnel kommt, raubt mir das einfach viel zu viel Kraft.“ Deswegen: "Wenn die Nebelmaschine rot blinkt, der erste Nebel rauskommt und wir durch diesen Gang laufen dürfen, dann geht’s wirklich los, dann ist man heiß drauf."

Auf dem Eis wird der sonst so höfliche Moritz Seider zum kompromisslosen Defenceman

Und dann wird aus dem höflichen, humorvollen jungen Mann Moritz Seider der NHL-Verteidiger, der in seiner ersten Saison in der besten Liga der Welt so routiniert spielte, wie man es von ihm kennt, aber in diesem Setting kaum erwarten hätte können; jener Defenceman, der in der vergangenen Saison die NHL zum Staunen brachte, 50 Punkte erzielte, 43 Vorlagen gab und als erster Deutscher die renommierte Calder Memorial Trophy gewann.

Wie sagte Steve Yzerman nach dem Draft 2019 nochmal? Ach ja: "Google him, watch him." Drei Jahre später braucht man auch in den USA kein Suchmaschinen-Guru mehr zu sein, um Videomaterial zum Eishockeyspieler Moritz Seider zu finden. Alle wollen ihn spielen sehen. "What the F***, ist der gut", müssten Tweets jetzt lauten.

 

Auf der Euphoriewelle surft der Rookie of the Year trotzdem nicht davon. Warum eigentlich nicht? Seider: "Ich durfte eine ganz tolle Erziehung genießen. Man hebt nicht irgendwohin ab, nur weil man auf einmal ein bisschen mehr Geld verdient oder mal im Fernsehen ist."

Für die neue Saison unter dem neuen Red-Wings-Coach Derek Lalonde hat Seider ambitionierte Ziele: „In der Kabine sind die Playoffs auf jeden Fall das klar formulierte Ziel."

Und auch mit der Nationalmannschaft – in der ja noch einige andere NHL-Stars wie Leon Draisaitl oder Tim Stützle spielen – hat Seider noch viel vor. Er ist sich sicher: "Die Reise ist auf jeden Fall noch nicht zu Ende."

 

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