Mehr Sport

Breakdance bei Olympia: Breaking-Szene fürchtet Ende der Kunstform ihres Tanzes

Breakdance entstand 1973 in New York mit dem Hip-Hop in der Bronx. 50 Jahre später ist aus dem Tanz einer Subkultur eine olympische Sportart geworden. Kann das funktionieren? Die Breaking-Szene fürchtet das Ende ihrer Kunstform ihres Tanzes.

Breaker Chau-Lin in Aktion
Credit: Sports Illustrated

In einem Haus aus braunem Klinkerstein, 1520 Sedgwick Avenue, Bronx, fing alles an. Genau hier, in einer Art Jugendklub, legte DJ Kool Herc 1973 die ersten Hip-Hop-Songs auf. Es war die erste Hip-Hop-Party der Welt. Seitdem ist New York City das Mekka für Hip-Hop – und Breakdance, den Tanzstil, der daraus entstand.

Fast 50 Jahre später kehren wir an diesen Ort zurück. Hip-Hop ist längst Mainstream – und Breakdance nicht mehr nur Subkultur, sondern ab Paris 2024 sogar olympische Disziplin. Das Red Bull BC One World Final im Big Apple gibt einen Vorgeschmack darauf und zeigt, wie professionell Breaking (so der korrekte Name) mittlerweile organisiert ist.

Bronx in New York
Bronx in New York
Credit: Sports Illustrated
x/x

Die Geschichte des Breaking

Alles begann mit DJ Kool Herc. Es war der 11. August 1973, der Geburtstag von Hercs Schwester. Das Setting: wohl ein bisschen wie in den meisten Jugendzentren. Die Möbel aus Plastik und Resopal, der Boden Laminat und hinten in der Mini-Küche schiebt sich sicher irgendjemand eine Pizza rein.

Es sind immer die Menschen, nie nur die Umgebung, die besondere Momente kreieren. Und an diesem Abend war es DJ Kool Herc, 18-jährig, sechs Jahre zuvor aus Jamaika in die Bronx gekommen, der immer zwei Platten nebeneinander spielte – Funk, Soul, Rock, R’n’B –, die Instrumentalteile ausließ und nur die Beat- und Percussion-Parts, "Breaks" genannt, aneinanderreihte – ultratanzbar.

Das Unterdrücken beziehungsweise Weglassen der Musik "hinterlässt im Körper einen Hunger, der nur dadurch gestillt werden kann, dass die Stille mit Bewegung gefüllt wird", sollte die amerikanische Kulturkritikerin und Tänzerin Barbara Browning Jahre später in ihrem Buch "Samba – Resistance in Motion" schreiben. Anderer Tanz, selbes Prinzip. Kool Herc wandte es im braunen Klinkersteinhaus in der 1520 Sedgwick Avenue erstmals an und schmiss so nicht nur, was fortan "Blockparty" heißen sollte, sondern trat auch eine Dynamik los, die sich durch nichts mehr aufhalten ließ.

Der Hip-Hop war geboren – eine Vierfaltigkeit aus Deejaying, Rap, Graffiti und eben Breaking. Es waren nun nicht mehr nur die Bands, die ihre Geschichten in Musik verpackten. DJs wie Kool Herc, Grandmaster Flash oder Afrika Bambaataa kreierten Beats, auf die die B-Girls und B-Boys der Bronx auf den Blockpartys oder im berüchtigten Poe Park ihre Storys in Tanz verpackten.

DJ Kool Herc
DJ Kool Herc
Credit: Sports Illustrated
x/x

Die Dynamik dieser Zeit beschrieb Alien Ness, Szene-Legende und ehemaliger Präsident der Crew Mighty ZuluKingz, in einem Interview. Er sagte: "The DJs brought the partys. The partys gave people an escape from the madness of the Bronx. If it was a good DJ, it would attract B-Boys." Die Bronx in den 1970ern und 1980ern also: Verdruss – Eskapismus– Party – B-Boys.

Befeuert wurde der Breaking-Hype in den 1980ern durch Filme wie "Wild Style!" (1983), "Beat Street" (1984) und "Breakin" 1984). Und so wurde "Breakdance" – eine Begrifflichkeit, die übrigens aus den Medien kommt, die Szene spricht von "Breaking" – zum globalen Phänomen.

Die bekanntesten Hip-Hop-Botschafter hießen Public Enemy, Run-DMC und Busta Rhymes. Mitte der 1980er-Jahre schwappte die Hip-Hop-Welle auch nach Deutschland. 1984 wurde die erste Breakdance-WM in München ausgetragen. Die Zeitschrift "Bravo" veröffentlichte im selben Jahr einen Artikel mit Tipps und Tricks zum Thema. Im Sommer 1985 wurde eine der ersten deutschen Breaker-Gruppen in Dessau gegründet.

Mittlerweile ist Breaking für viele Tänzer nicht mehr nur Kunstform und Lebenseinstellung, sondern auch Beruf. Aus den Straßen-Battles sind professionelle Wettkämpfe geworden. Der größte von allen ist das Red Bull BC One World Final. Es wird seit 20 Jahren ausgetragen. Zuletzt im November vergangenen Jahres im New Yorker Hammerstein Ballroom, einem Opernsaal gegenüber dem Madison Square Garden.

Hier sind bereits Stars wie David Bowie, Rammstein oder Bob Dylan aufgetreten. Die allerdings wussten im Gegensatz zu den Tänzern beim BC One World Final schon vorher, welche Songs gespielt werden. Breaker hingegen improvisieren, lassen sich komplett auf Beat und Rhythmus ein. Die Zuschauer sitzen nicht etwa vor der Bühne, sondern rund um die kreisförmige Tanzfläche. So können Fans und Tänzer interagieren. Und nur so entsteht das einzigartige Battle-Feeling. Ein Hauch Bronx im altehrwürdigen Hammerstein Ballroom von Manhattan.

Die Sedgwick Avenue im Nordosten der Stadt – dort, wo alles anfing – trägt mittlerweile den Beinamen "Hip-Hop- Boulevard". Ganz offiziell. Und der US-Senat beschloss 2021, den 11. August, den Geburtstag von DJ Kool Hercs Schwester, offiziell zum "Hip Hop Celebration Day" zu ernennen.

Breaking bei Olympia – Funktioniert das?

Bei Olympia 2024 in Paris wird Breaking seine Premiere auf der Place de la Concorde feiern. Die Idee zur Aufnahme ins olympische Programm hatte das französische Organisationskomitee, das den Sommerspielen damit eine "urbanere Dimension" verleihen möchte.

Allerdings gibt Olympia dem Breaking im Umkehrschluss auch einen Anstrich von "Establishment". Breaker werden bei Olympia zu Athleten, und solche wollen viele von ihnen gar nicht sein. Das Problem: Breaking in seiner ursprünglichen Art und Weise wird als Kunstform betrachtet. Breaker sehen sich in erster Linie als Künstler und Tänzer.
Ergibt es also Sinn, die ursprüngliche Kunstform Breaking zu transformieren, in die Formalien des IOC zu pressen? Wie weit werden die Tänzer diesen Weg mitgehen?

Viele Protagonisten in der Breaking-Szene befürchten durch das Einwirken szenefremder IOC-Funktionäre eine Entfremdung vom Kern der ursprünglichen DNA. Heißt: Nur wenn es IOC und Breakern gelingt, sich an einen Tisch zu setzen und das Event gemeinsam zu gestalten, werden wir authentische Wettkämpfe, die der Kunstform des Breaking Rechnung tragen, auf dem Place de la Concorde sehen. Nur dann wird die Aufnahme des Breaking in den Kanon der olympischen Wettbewerbe den Effekt haben, den sich das IOC wünscht: nämlich ein jüngeres Publikum an Olympia zu binden.

Breakdancer in den 1980er Jahren
Breakdancer in den 1980er Jahren
Credit: Sports Illustrated
x/x

Um sich als B-Boy oder B-Girl für Olympia zu qualifizieren, gibt es mit der WM 2023, den Kontinental-Meisterschaften und der olympischen Qualifikationsserie drei Möglichkeiten. So sind die beiden Weltmeister direkt qualifiziert. Hinzu kommen jeweils fünf Gewinner und Gewinnerinnen der Kontinental-Meisterschaften. Weitere 14 Startplätze werden bei der olympischen Qualifikationsserie von März bis Juni 2024 vergeben. Von den restlichen sechs Plätzen bekommt Frankreich als Gastgeber zwei. Vier weitere Olympiatickets (jeweils zwei für den Männer- und Frauen-Wettbewerb) werden von einer Kommission vergeben. Dafür müssen die Tänzer unter die besten 32 des olympischen Qualifikationswettbewerbs kommen.

Für Paris 2024 sind zwei Medaillenentscheidungen geplant– eine bei den Männern und eine bei den Frauen. Die Sieger werden in Eins-gegen-eins-Battles ermittelt. Dabei treten insgesamt 16 B-Boys und 16 B-Girls in Solo-Battles an. Bei den Battles wechseln sich die Tänzer in jeweils etwa 60-sekündigen "Throw Downs" ab. In dieser Zeit müssen die Breaker die Jury mit ihren spektakulären Tanzeinlagen überzeugen. Die Jury vergibt bei den Battles prozentuale Bewertungen per Fader und entscheidet, wer gewonnen hat. Dabei spielen sechs Kriterien eine Rolle: Technik, Vielseitigkeit, Kreativität, Persönlichkeit, Darstellungskraft und Musikalität.

Besondere Beachtung legt die Jury auf Style und Schwierigkeit des Tanzes. Dabei setzen die Breaker verschiedene Elemente aus den Kategorien Toprock (Tanzen im Stehen), Downrock (schnelle Schrittkombinationen mit Händen und Füßen am Boden), Freezes (lange gehaltene, kräftezehrende Positionen) und Power Moves (schwierige Akrobatik wie "Headspins" oder "Windmills") ein.

Wer sind die besten deutschen Breaker?

Seit klar ist, dass Breaking olympisch wird, fügen sich auch die sonst so individualistischen Tänzer Verbandsstrukturen. Federführend ist der Deutsche Tanzsportverband, Bundestrainer Marco Baaden betreut die talentiertesten deutschen Breaker und Breakerinnen im Bundeskader. Alle drei Monate ruft er seine Besten zum Kaderlehrgang zusammen.

Zu den bekanntesten Breakerinnen gehört neben Jilou Rasul aus Berlin und Pauline Nettersheim aus Düsseldorf auch das Freiburger B-Girl Jojo. Sie war 2022 beim Red Bull BC One World Final in New York dabei, schied allerdings in der Vorrunde aus. In der Männerkonkurrenz trat B-Boy Chau-Lin aus Karlsruhe an, auch er schaffte es aber nicht in die Schlussrunde. Beide träumen von einer Olympia-Teilnahme im nächsten Jahr.

"Das Breaken hat sich komplett verändert. Es ist viel professioneller geworden", sagt B-Girl Jojo in New York. "Ich trainiere jeden Tag bis zu zwei Stunden, um noch besser zu werden." Ihr frühes Ausscheiden schmerzt sie. "Wenn man sich einen Fehler erlaubt, ist man schon raus. Man plant mehr. Es ist nicht mehr so viel Freestyle wie früher."

B-Girl Jojo in New York
B-Girl Jojo in New York
Credit: Sports Illustrated
x/x

Die Bewertung der Jury beim Breaking ist immer subjektiv, auch wenn Breaken jetzt olympisch ist. "Vieles hängt davon ab, wer dich bewertet. Das haben alle Breaker schon mal erlebt", sagt Jojo, die bei den German Breaking Championships 2022 in Dessau Dritte wurde und vom ehemaligen Breakdance-Weltmeister "Lil Amok" betreut wird.

Bei den B-Boys gehört Chau-Lin neben Dennis Dressel aus Fürth zur Crème de la Crème in Deutschland. Zusammen mit Jojo triumphierte er im vergangenen Jahr beim Red Bull BC One Cypher Germany in Dresden und ertanzte sich die Teilnahme fürs World Final in New York.

"In New York ist der Hip-Hop erfunden worden", sagt Chau-Lin. "Hier zu tanzen ist für jeden Breaker und für jede Breakerin etwas ganz Besonderes. Diese Stadt ist eine unfassbare Inspiration für alle Tänzer." Beim nächsten BC One World Final im Oktober in Paris will er wieder dabei sein – wenn er sich dafür qualifiziert. Chau-Lins ganz großer Traum ist aber Olympia 2024: "Wenn ich alles gebe, kann ich dieses Ziel hoffentlich erreichen", sagt der 30-Jährige. Mindestens genauso wichtig: "Ich finde es gut, dass unser Sport bei Olympia ist. Solange die Breaking-Kultur erhalten bleibt."

 

Mehr Sport-News

Patrick "Coach" Esume und Björn Werner sprechen erstmals konkret über ihre Verhandlungen mit RTL - dem neuen NFL-Sender im Free-TV in Deutschland. Wie es aussieht, können sich die Football-Fans in Deutschland auf positive Nachrichten freuen.

Die NFL wird 2023 zwei Spiele in Deutschland austragen. Eine Begegnung wird sicher in Frankfurt/Main stattfinden. Mit dabei sind die Kansas City Chiefs und die New England Patriots. So kommt Ihr an Tickets für beide Spiele ran.

Alica Schmidt ist eine der attraktivsten Sportlerinnen der Welt: Die "New York Times" kürt sie zur "Sexiest Athletin der Welt". "The Sun" und "Maxim" betiteln sie als weltweit "schönste Leichtathletin". Aber Alica Schmidt will sportlich überzeugen. Darum lieben sie alle.