Sports-Illustrated-Interview

Julia Görges im Interview: "Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich Tennis nicht"

Julia Görges zählte 15 Jahre zu den besten deutschen Tennisspielerinnen. Vor drei Jahren trat sie überraschend zurück und legte den Schläger aus der Hand. Jetzt führt sie ein komplett anderes Leben und engagiert sich für eine spannende Kampagne.

Julia Görges im Jahr 2020
Credit: Imago

Sports Illustrated: Im Oktober 2020 gaben Sie Ihr Karriereende bekannt. Wie geht es Ihnen heute? Was machen Sie? 

Julia Görges: Mein Leben ohne Tennis ist komplett anders, aber sehr angenehm. Ich fühle mich sehr wohl und habe seit einem Jahr kein Tennis mehr gespielt. Ich beschäftige mich mit vielen anderen Dingen. Deshalb bin ich sehr glücklich über meine Entscheidung, dass ich mit dem Tennis aufgehört habe.

Sports Illustrated: Schauen Sie sich noch Tennisturniere im Fernsehen oder live vor Ort im Tennisstadion an?

Görges: Tennis schaue ich mir nur an, wenn mein Freund spielt. Ansonsten war ich einmal in Melbourne, um das Land aus einer anderen Perspektive zu sehen. Ich war relativ wenig auf dem Platz, um ehrlich zu sein. Also nur, wenn mein Freund gespielt hat. Ansonsten habe ich mich mit Freunden getroffen oder andere Dinge in der Stadt gemacht. Als Zuschauerin habe ich mich bei den Australian Open schnell verabschiedet. Ich durfte das Turnier als Touristin sehen. Das war schön für mich, denn Australien war für mich als Spielerin immer mein Lieblingsland.

Sports Illustrated: Hand aufs Herz. Vermissen Sie Tennis überhaupt nicht mehr?

Görges: Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich Tennis nicht. Ich hatte eine sehr lange und intensive Karriere. Irgendwann war das Kapitel für mich abgeschlossen. Ich bin auch niemand, der ewig zurückblickt. Ich trage meine Erinnerungen in meinem Herzen, dort sind sie gut aufgehoben.

Sports Illustrated: Mit dem Halbfinale 2018 in Wimbledon, mehreren Grand-Slam-Achtelfinalteilnahmen und sieben WTA-Titeln haben Sie sich viele sportliche Träume erfüllt. Wie zufrieden blicken Sie auf ihre Karriere zurück?

Görges: Ich blicke sehr zufrieden auf meine Karriere zurück. Vor allem, wenn ich mir anschaue, wo ich angefangen habe, wo ich herkomme und dass ich wirklich keine gute Jugendspielerin war und relativ spät angefangen habe. Damals hatte ich noch nicht so viele Möglichkeiten neben der Schule zu trainieren. In der Jugend hat am Anfang auch nicht wirklich jemand auf mich gesetzt. Aber ich wollte immer Tennisprofi werden, und dass ich es so weit geschafft habe, so viele Trophäen gewinnen und so viele tolle Momente erleben durfte, ist wunderbar.

Sports Illustrated: Über viele Jahre gehörten Sie zu den besten deutschen Tennisspielerinnen. Wie groß war der mentale Druck in dieser Zeit? 

Görges: Der Druck war sehr groß, weil wir die Generation nach Steffi Graf und Boris Becker waren. Die Erwartungen waren schon sehr, sehr hoch. Aber wir haben die Erwartungen mehr als erfüllt. Es ist immer die Frage, wie hoch man die Messlatte legt. Ich hatte aber immer das Gefühl, dass es nie gut genug war. Ich glaube, man muss die Kirche im Dorf lassen. Auch wenn es zwischendurch immer wieder Kritik gegeben hat, muss ich sagen, dass man unsere Leistungen respektieren und würdigen sollte. Heute blicken manche, die damals zu den Kritikern gehörten, mit Wehmut auf unsere Zeit zurück.

Sports Illustrated: Um sich die Erfolge zu erarbeiten, mussten Sie hart trainieren. Wie sah Ihr tägliches Training als Profisportlerin aus?

Görges: Das war immer unterschiedlich und hing davon ab, ob man ein größeres Turnier hatte oder nicht.  Dementsprechend musste man schauen, wie sich der Körper anfühlt. In normalen Trainingswochen haben wir drei Stunden am Stück trainiert, weil man auch über einen längeren Zeitraum eine hohe Leistung wie in einem Match bringen muss. Am Nachmittag standen meist noch Konditionstraining und Physiotherapie auf dem Programm.

Julia Görges macht sich für neue Asics-Kampagne stark
Julia Görges macht sich für neue Asics-Kampagne stark
Credit: Asics
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Sports Illustrated: Die neue ASICS-Kampagne "New Personal Best", die Sie als Protagonistin unterstützen, will weg vom reinen Leistungsdruck. Vielmehr soll das mentale Wohlbefinden im Vordergrund stehen. Warum unterstützen Sie diese Kampagne?

Görges: Ich finde es total schön, weil es genau der Ansatz ist, den ich jetzt leben kann, nämlich so auf meinen Körper und auf mein Gefühl zu hören, auf meinen Körper zu achten und zu verstehen, welche Signale mir mein Körper sendet. Als aktive Tennisspielerin war dafür kein Platz, weil man nicht den Raum hatte, sich vielleicht ein, zwei Tage Pause zu gönnen. Deshalb habe ich jetzt das Gefühl, meinen Körper wirklich zu verstehen, welche Signale er mir jeden Tag gibt. Es ist wichtig, auf seinen Körper zu hören. Wenn man Schmerzen hat, hat das einen Grund.

Sports Illustrated: Wie setzen Sie das Konzept von "New Personal Best" im Zusammenhang mit Fitness und Bewegung in Ihrem persönlichen Training um? 

Görges: Mein Trainingsplan ist nicht mehr derselbe wie vor ein paar Jahren. Seit Ende März 2023 habe ich mein Trainingspensum deutlich reduziert, weil ich gemerkt habe, dass mein Körper gut abtrainiert ist. Seitdem mache ich viel Yoga und Meditation. Es ist wichtig, den Geist und das ganze Nervenkostüm zu trainieren. Ich merke, wie sich mein Körper entwickelt und verändert. Mein Körper sieht anders aus und fühlt sich anders an, als wenn man nur Muskelmasse aufbaut. Es ist ein neues Wohlgefühl. Ich fühle mich fit. Aber es ist eine andere Fitness. Ich bin auch mental fit.

Sports Illustrated: In der Gesellschaft wird der Leistungsdruck immer größer. Kann die Asics-Kampagne dazu beitragen, den Fokus mehr auf das persönliche Wohlbefinden zu legen?

Görges: Jede Botschaft bleibt irgendwo in den Köpfen der Menschen hängen. Was die Menschen am Ende daraus machen, ist ihre Sache. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, aber jeder hat jeden Tag die Möglichkeit etwas zu verändern. Heutzutage geht es häufig um "höher, besser, schneller". Deshalb ist die Kampagne von Asics so wichtig, um über sich und die eigene Situation nachzudenken und darauf aufmerksam zu machen.

Sports Illustrated: Sehen Sie die Gefahr, dass durch einen fehlenden Leistungsgedanke im Sport immer weniger Talente an die Weltspitze kommen? 

Görges: Nein, eigentlich nicht. Das neue Konzept der "Personal Best", so wie es die Idee von Ascis ist, bedeutet nicht, dass wir nicht an unsere Grenzen gehen. Aber die Herangehensweise ist eine andere. Der mentale Aspekt spielt eine große Rolle. Wenn man diesen Aspekt berücksichtigt, kann man ganz andere Leistungen bringen und viel leistungsfähiger sein. Diese Kraft kommt von innen, wenn wir auf unseren Körper und unseren Geist hören.

Sports Illustrated: Mit Noma Noha Akugue hat Deutschland wieder ein hoffnungsvolles Tennistalent. Hat Sie das Potenzial, um in die Top 10 der Welt zu kommen?

Görges: Die Top 10 sind ein bisschen hoch gegriffen. Ich denke, die Top 100 sind ein realistisches Ziel. Das wäre der nächste Schritt. Ihre Finalteilnahme in Hamburg war schon ein guter Anfang. Man hat gesehen, dass sie Talent hat. Als Linkshänderin kann sie den Ball sehr gut beschleunigen. Sie ist eine unglaublich gute Athletin. Das sind schon gute Voraussetzungen. Dann kommt der Kopf dazu. Ich würde sagen, da spielen sich fast 80 Prozent ab. Heutzutage wird viel über das Mentale entschieden, weil die finanziellen Möglichkeiten jeder Spielerin anders sind. Die Preisgelder sind gestiegen. Es gibt die Möglichkeit, noch professioneller zu arbeiten. Wenn sie sich in den Top 100 etabliert, kann sie oben Luft schnuppern und sich Schritt für Schritt verbessern.

Noma Noha Akugue
Noma Noha Akugue
Credit: Imago
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Sports Illustrated: In Ihrem neuen Leben spielen Meditation und Yoga eine große Rolle. Welche anderen Hobbys haben Sie noch?

Görges: Unser Hund ist ein großes Thema, der mich sehr weit gebracht hat. Wir haben einen Hund aus dem Tierschutz geholt, der sehr traumatisiert war. Er hat mich in den vergangenen zwei Jahren sehr viel gelehrt. Er hat mir gezeigt, was mein wirklicher Weg ist. Ich habe mich mit Tierkommunikation beschäftigt und meine Ausbildung zur Tierkommunikatorin abgeschlossen. Tiere spüren deine Aura. Es ist wie ein Spiegel deiner selbst. Ich finde das Thema sehr spannend, auch weil man den Tieren damit helfen kann.

Sports Illustrated: Sie leben etwa eine Stunde von Düsseldorf entfernt an der holländischen Grenze in einem Haus auf dem Land. Wie sehr genießen Sie Ihr Leben dort?

Görges: Das Leben auf dem Land ist fantastisch. Hier ist es super ruhig, wenn nicht gerade die Straße vor unserem Haus gebaut wird. Wir haben hier Kühe, Schafe und Lamas. Hier lässt es sich sehr gut leben. 

Sports Illustrated: Wie sehen Ihre Ziele für die Zukunft aus? Was ist Ihr größter Wunsch?

Görges: Ich lasse mich jetzt ein bisschen treiben. Mal sehen, wohin mich die Zukunft führt. Ich lasse alles ein bisschen offen. Ich mache ein paar Online-Kurse, in denen ich mein Wissen vertiefe und viele interessante Leute kennenlerne. Nebenbei arbeite ich noch als Expertin beim Tennis-Channel und bei Sky. Das macht mir Spaß.

"New Personal Best" von ASICS:

Zum diesjährigen World Mental Health Day ruft Asics dazu auf, die vorherrschende leistungsorientierte Sportkultur zu überdenken, die Menschen davon abhält,
Sport zu treiben und die sich negativ auf die psychische und physische Gesundheit auswirken kann. Ascics hofft mehr Menschen zu motivieren, ihre "persönliche Bestleistung" neu zu definieren und sich darauf zu konzentrieren, wie Sport unsere Emotionen beeinflusst und unser mentales Wohlbefinden steigert.

Dieses Projekt definiert den Begriff "Personal Best" neu, indem es den Fokus weg von Zahlen und Statistiken auf das individuelle Wohlbefinden und eine positive mentale Gesundheit lenkt. In Deutschland unterstützen Julia Görges, Sängerin und Songwriterin Mandy Capristo sowie Fitness-Influencerin Erika Rischko die Kampagne.



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