Keine bösen Geister wecken! Andrea Petkovic über den perfekten Flow im Sport
- Andrea Petkovic über Leiden mit Eintracht Frankfurt
- Ex-Tennis-Ass Petkovic: "Schlimmsten 25 Minuten als Fan"
- Andrea Petkovic rügt DAZN-Kommentator
Eintracht Frankfurt ist Europapokalsieger. Ich finde, das kann man nach einer Sommerpause und etlichen Geschehnissen im Großen und Kleinen, Love-Island-Episoden und Wimbledon schon noch mal erwähnen. Bevor Eintracht mit einer vogelwilden Saison alles wieder vergessen macht. So kennen und lieben wir sie. Ein heißes Chaos an Mannschaft. Jetzt wollte ich aber gar nicht davon reden, wie ich so laut schrie, dass die Hotelrezeption bei mir im Zimmer anrief, um zu fragen, ob alles okay ist, als Frankfurt Europapokalsieger wurde.
Andrea Petkovic: Eintracht Frankfurt im Flow
Ich wollte eigentlich auf das traumatische Halbfinale gegen Barcelona zu sprechen kommen. Traumatisch vor allem für den FC Barcelona und dessen Fans, denen die weiß gekleideten Eintracht-Fans wahrscheinlich bis heute im Kopf herumspuken. Aber auch traumatisch für mich. In der 76. Minute – Frankfurt führte mit 3:0 – sagte der Kommentator bei DAZN diese Worte: "Der FC Barcelona hat noch nie den Europapokal gewonnen, und auch dieses Jahr wird es nichts werden."
In diesem Moment begannen für mich die schlimmsten 25 Minuten als Fan, die ich je hatte (ja, es gab elf Minuten Nachspielzeit). Jede Sportlerin hat schon mal den Flow-Zustand erlebt. Wenn Athleten alles zu gelingen scheint, sie keine Vergangenheit und keine Zukunft zu haben scheinen, sondern nur im allumfassenden, gegenwärtigen Moment weilen, dann sind sie im Flow oder der Zone oder im Tunnel.
Petkovic: Malen nach Zahlen mit Schläger und Ball
Es ist der beste Geisteszustand, den ich kenne. Alle Teile, an denen man sein Leben lang gearbeitet hat, fügen sich magisch in einem lebensgroßen Puzzle an den richtigen Ort. Man ist gleichzeitig in Kontrolle und hat die Kontrolle abgegeben. Alles, was man sich vor dem inneren Auge vorstellt, geschieht im nächsten Moment auf dem Platz. Malen nach Zahlen mit Schläger und Ball. Es ist, als hätte eine göttliche Hand übernommen, und das ganze Leben ergibt endlich Sinn.
Leider ist der Zustand vergänglich, und wenn er uns verlassen hat, bleiben nur Jammern und Warten. Warten auf den nächsten Flow. Eine Sache, die Menschen zuverlässig aus diesem Flow bringt, ist die Einschiebung von allem, was nicht der aktuelle Moment ist. Gedanken wie: Wie zelebriere ich, wenn ich gewinne? Dafür, dass ich so schlecht angefangen habe, läuft’s gerade aber ziemlich gut. Wenn ich das gewinne, bin ich Wimbledon-Sieger. Alles, was den Spieler aus der Gegenwart heraus in die Vergangenheit oder Zukunft katapultiert. Puff, wie eine Seifenblase ist der Flow-Zustand zerplatzt.
Ex-Tennis-Spielerin über den Kommentator-Fehler
Was der DAZN-Kommentator sagte, war nicht nur aus dieser Sicht verantwortungslos, sondern auch noch aufgrund einer anderen Sportlerregel inakzeptabel: der des Aberglaubens. Wenn man als Sportlerin eine Sache weiß, dann, dass Aberglauben, die Konstellation bestimmter Sterne, die rote Socke beim Einspielen, das Armband der Schwester, der Ring des Freundes und ob man die rechte oder linke Bank wählt, ALLES ENTSCHEIDEND IST.
Und 25 Minuten vor Schluss zu sagen, dass jemand etwas nicht schaffen wird, ist die schlimmstmögliche Herausforderung böser Geister, die natürlich alle rechtzeitig zur Stelle waren. Barcelona schoss in der Nachspielzeit nicht einen, sondern zwei (!!) Anschlusstreffer.
Rafael Nadal macht's vor
Wenn Menschen Notsituationen überleben, ist die Vermutung oft, dass Optimisten es besonders häufig herausschaffen. Die Realität ist aber, dass diejenigen rauskommen, die Schritt für Schritt denken. Die verlorenen Wanderer, die sich nur zur nächsten Ecke schleppen – und zur nächsten, bis sie schließlich entdeckt werden.
So wie Rafael Nadal es in Indian Wells beschrieb, als er einen 2:5-Rückstand mit angebrochener Rippe im dritten Satz drehte. Man fragte ihn, ob er wirklich immer an den Sieg glaubt. Rafael sagte: Nein. Er wusste, die Situation ist höchstwahrscheinlich aussichtslos, aber er ist noch im Turnier, solange er nur den nächsten Punkt gewinnt. Und den nächsten. Und den nächsten. Solange es den nächsten Punkt gibt, sind wir alle noch im Turnier. Manche werden sogar Europapokalsieger.
Unsere Kolumnistin Andrea Petkovic war Profi-Tennisspielerin, Schriftstellerin und TV-Moderatorin
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