Andrea-Petkovic-Kolumne

Der feine Unterschied - Tennis-Star Andrea Petkovic über die Statistiken im Sport

Andrea Petkovic erklärt in ihrer Sports-Illustrated-Kolumne, dass Statistiken im Sport wichtig, aber nicht alles sind. Neben den statistischen Werten gibt es einen kleinen, feinen Unterschied, der zwischen Sieg und Niederlage entscheiden kann. 

Andrea Petkovic
Credit: Getty Images
Sports Illustrated 02/22
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Inhalt

  • Andrea Petkovic: "Wahrscheinlichkeit ist gering, aber nicht null"
  • Tennis-Star Petkovic über den Wert von Statistiken im Sport
  • Andrea-Petkovic-Kolumne bei Sports Illustrated

ENDE DER 1970ER-JAHRE kündigt Darby Crash, Sänger der Punkband The Germs, während einer Liveshow seinen Selbstmord an. Bandmitglieder und Freunde sagen, er hätte sich damit in einem Akt der Selbstmythologisierung zu einer Art Punk-Jesus-Christus oder Charles Manson stilisieren wollen. Am 7. Dezember 1980 macht er seine Worte wahr und nimmt sich das Leben mit einer Überdosis Heroin. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass 23 Stunden später John Lennon erschossen werden würde. Lennons Tod überschattete alle anderen Nachrichten der Musikwelt für Wochen, und das ist der Grund, warum Sie wahrscheinlich noch nie von Darby Crash gehört haben (vielleicht mögen Sie auch einfach keinen Punk).

Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passieren könnte, war verschwindend gering, aber eben nicht null. Womit wir zu Statistiken im Sport kommen. Spätestens seit dem Film "Moneyball", in dem Brad Pitts Charakter mithilfe eines Computernerds ein grottenschlechtes Baseballteam zu einem passablen macht – basierend auf einer wahren Geschichte –, weiß auch der Allerletzte unter uns, dass große Teams ihre Talentscouts immer mehr an die Datenbanken schicken statt raus und an die abgelegenen Sportplätze dieser Welt.

Andrea Petkovic: Statistiken sind nicht gleich Statistiken

Was Sportstatistiken im Grunde genommen machen: Wahrscheinlichkeiten wiedergeben. Wenn eine Sache laut Computer acht von zehn Mal eintritt und die entsprechende Mannschaft zehn Mal diese Sache ausführt, wird sie am Ende acht von zehn Spielen gewinnen – würde jeder Trainer einer durchschnittlichen Bundesligamannschaft vor der Saison unterschreiben. Es ergibt also Sinn im Mannschaftssport, dessen Spiele zeitlich begrenzt sind, sich an Statistiken zu orientieren. Es erklärt auch, warum Trainer immer wichtiger werden. Pep Guardiola hat ein Spielsystem im Kopf, für das er Spieler aufkauft, die in dieses System hineinpassen. Wie ein Schachspieler, der mit lebenden Figuren hantiert. Oder ein Gamer, der am Joystick sitzt.

Aber gewinnen diese Teams wirklich Meisterschaften? Ich rede nicht vom FC Bayern, der auch mit der B-Mannschaft noch besser ist als die meisten anderen Teams. In einer ausgeglichenen Liga – welches Team gewinnt die Titel? Hier kommt nämlich der It-Faktor hinzu, besser bekannt als von Sportkommentatoren gebrüllte GENIALE INSPIRATION VON XY. Tom Brady, der den Ball läuft, statt ihn zu passen. Mo Salah, der einen anderen Laufweg einschlägt als den, den die Verteidiger absichern. Steph Curry, der Half-Court-Shots macht, die nicht nur der Statistik widersprechen, sondern scheinbar physikalischen Naturgesetzen. Der feine, statistisch nicht erfassbare Unterschied.

In einem Einzelsport wie Tennis, der nicht zeitlich begrenzt ist, sondern bis zum letzten Punkt ausgespielt wird, können Statistiken gar zur Farce verkommen. Paul Annacone, einst Trainer von Pete Sampras, erzählte mir einmal, dass Pete, der immer über seine schwächere Seite, die Rückhand, angegriffen wurde, Spiel um Spiel versuchte, den Netzangreifer crosscourt zu passieren. Kam es zum Breakball für Pete, ging der gegnerische Netzspieler automatisch in Richtung cross – Sampras musste den Ball nur noch entlang der Linie platzieren. In der Statistik wäre aufgetaucht, dass Pete Sampras neun von zehn Mal cross passiert, und jeder vernünftige Trainer müsste seinen Schützling dazu anhalten, den Cross-Passierball zuzumachen.

Eine andere Zahl besagt, dass an die 70 Prozent der Ballwechsel unter vier Schlägen entschieden werden. Wenn deswegen jemand Ausdauereinheiten aus seinem Trainingsprogramm verbannt, wird er trotzdem nicht weit kommen. Denn die Big Points gehen meistens über vier Schläge hinaus. Man fokussiert sich, drückt noch ein bisschen explosiver aus den Beinen raus. Statistiken sind also nicht gleich Statistiken. Es braucht immer jemanden, der sie lesen kann. Gegen den schwarzen Humor der Natur allerdings kommen nur wenige Experten an.


Unsere Kolumnistin Andrea Petkovic ist Tennisspielerin, Schriftstellerin und TV-Moderatorin.

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