SI Legends

Mike Tyson: So verprasste der Box-Star mehr als eine halbe Milliarde Dollar

In der Serie "SI Legends" blicken wir zurück auf die ganz großen Menschen und Momente des Sports – und präsentieren in je­der Ausgabe einen legendären Athleten. Diesmal: Boxer Mike Tyson, der 2002 sein nächstes Comeback gegen Lennox Lewis wagt.

Box-Star Mike Tyson im Jahr 1989
Credit: Getty Images

Vor dem Showdown gegen Lennox Lewis im Sommer 2002 fragte sich die Sportwelt: Ist MIKE TYSON ein durchgeknallter Star, der kurz vor dem Zusammenbruch steht – oder ist er der schlaueste Selbstdarsteller in der Geschichte des Boxens?

Mike Tyson befindet sich gerade in seiner Strandhütte auf Maui, hat einen Sechs-Meilen-Lauf auf Sand hinter sich, ist hervorragend in Form und strahlt eine seltsame Ruhe aus – insbesondere in Anbetracht seiner intensiven Vorbereitungen, des desolaten Zustands seiner Sportkarriere und der Tatsache, dass seine geschäftlichen Angelegenheiten der reinste Scherbenhaufen sind.

Zusammen mit einem seiner Assistenztrainer kauert er vor seinem Laptop und brütet über einer Webseite, auf der man online Tauben kaufen kann (Tyson besitzt bereits Tausende). Hinter Tyson stapeln sich Bücher – "Machiavelli in Hell" von Sebastian de Grazia und "The Ultimate Encyclopedia of Mythology". Draußen hört man das sanfte Rauschen der Brandung. Da kommt eine ganze Parade an Magazinjournalisten anmarschiert. Tyson blickt auf.

Mike Tyson: "Normalerweise gebe ich Frauen keine Interviews"

Paradies hin, Paradies her: Auf einmal ist da ein spitzer Stachel aus Bitterkeit in seinem Kopf. "Meine versammelten Antagonisten", sagt er zur Begrüßung. Dann: eine Idee! "Ich könnte einfach das Tor schließen und die Scheiße aus euch rausprügeln, bis ihr heult wie die Weiber. Einfach nur das Tor zumachen und euch in eure verschissenen Ärsche treten."

Er meint das nicht ernst – natürlich nicht. Er würde doch nie die Scheiße aus jemandem rausprügeln! Aber er will demons­trieren, wie leicht es ihm fällt, vor aller Augen den Mantel der Zivilisiertheit abzustreifen. Mit Mike Tyson ist nicht zu spaßen. Als er sich einen Tag später mit einer Reihe von Fernsehjournalisten trifft (ebenso wie die Magazinreporter handverlesen und von einem nervös grinsenden New Yorker PR­-Typen so detailreich gebrieft, dass es ans Komische grenzt), erklärt er einer jungen Reporterin: "Normalerweise gebe ich Frauen keine Interviews, außer ich hure mit ihnen rum. Sie sollten jetzt also besser nichts mehr sagen, außer Sie wollen... Sie wissen schon." Er meint das nicht ernst – natürlich nicht.

Mike Tyson
Mike Tyson
Credit: Sports Illustrated
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Genau wegen solcher Äußerungen sind wir doch alle gekommen. Und wir werden nicht enttäuscht. Seine Wut bricht wie auf Knopfdruck aus ihm hervor, sodass sie fast schon einstudiert wirkt. Als sei der Hass in­zwischen zum Ritual geworden. Ist das rei­ne Masche? Oder doch der schaurige Anfang vom Ende des Mike Tyson? Alles Fragen, auf die es Antworten zu finden gilt. Ebenso wie die, ob die Antworten überhaupt von Be­deutung sind.

Schon eine ganze Weile lang lässt sich Tyson von den Wogen seiner Wut mittragen. Als sei sie alles, was er noch hat. Als sei sie alles, was wir wollen. Er hat den Boxsport längst hinter sich gelassen und stattdessen das Reich des Showbiz betreten, in dem sein Unterhaltungswert nicht mehr in seiner Leis­tung im Ring besteht, sondern in seiner Un­fähigkeit, sich in normale gesellschaftliche Verhältnisse einzufügen.

Mike Tyson beißt Lennox Lewis ins Bein

Seit Jahren schon gibt er sich damit zufrieden, anstelle von athletischen Leistungen mit regelwidrigem Verhalten aufzuwarten. Und wer könnte ihm einen Vorwurf machen? Sein Verhalten hat­te keinerlei Nachteile, außer vielleicht künst­lerische und historische – er hätte nämlich durchaus einer der ganz Großen der Sport­geschichte werden können. In finanzieller Hinsicht war es eine Goldgrube. Abgesehen von seinen gelegentlichen Ab­stechern hinter Gitter, die bei dieser Art von Karriere zu den akzeptablen, vielleicht sogar notwendigen Nebenwirkungen zählen, hat sich sein Eigensinn in sensationellem Ausmaß bezahlt gemacht.

Verdient Mike Tyson mit seinem nächsten Kampf ein Minimum von 17,5 Millionen US­ Dollar wegen seines Knock­outs gegen Brian ("The Danish Pastry") Nielsen? Oder weil er Lennox Lewis bei der letzten gemeinsamen Pressekonferenz ins Bein gebissen hat? Dieser Tage ist abnormes Verhalten Trumpf. 

Mike Tyson und Manager Don King
Mike Tyson und Manager Don King
Credit: Sports Illustrated
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Wir leben schon seit einer ganzen Weile in einer Streberkul­tur, und es wäre Heuchelei, Tyson und seine nervös grinsenden Dompteure dafür verantwortlich zu machen, dass ihr Business­plan aufgeht, der auf unsere niedrigen Ansprüche an gelunge­nes Entertainment baut. Tyson liefert. Nach bestem Wissen und Gewissen. Lewis, der für den Kampf am 8. Juni 2002 in Mem­phis ebenfalls 17,5 Millionen US­-Dollar erhält, hat sich jedenfalls mit keinem Wort über die anschließend fällige Tetanusimpfung beschwert. (Er spricht das Thema nicht mal an, solche Angst hat er, dass der Kampf abgesagt werden könnte.)

Mike Tyson ist nicht komplett irre

Showtime und HBO sind ebenfalls deutlich weniger entsetzt, als man meinen möchte. Stattdessen lecken sie sich die Lippen, während die Pay-per-View-Käufe in die Höhe schnellen. Und auch wir, die Zuschauer, beschweren uns nicht über die 54,95 Dollar, die wir für diese nächste drohende Katastrophe berappen müssen. Weil auch das Heuchelei wäre. Ist es nicht vielmehr so, dass wir uns darauf freuen? Auf dieses sündhafte Vergnügen par excellence – die Chance, praktisch live dabei zu sein, wenn Tyson den nächsten Schritt in Richtung Abgrund geht?

Und so läuft es es mit Tyson, seit er 1995 aus dem Indiana State Prison entlassen wurde, wo er drei Jahre lang für die Vergewaltigung von Desiree Washington eingesessen hatte. Seine Box-Karriere hatte einen glänzenden Anfang und ihre ganz eigene Theatralik, wurde aber rasch zum Nebenschauplatz. Seine Anhänger wurden von Fans zu Voyeuren, die die Hälse recken für die Chance, einen kurzen Blick auf die explosive Persönlichkeit zu erhaschen, die wieder und wieder aus den falschen Gründen in den Schlagzeilen landet.

Mike Tyson gegen Michael Spinks 1988
Mike Tyson gegen Michael Spinks 1988
Credit: Sports Illustrated
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Aber er ist nicht komplett irre. Vielmehr ist er verwirrend menschlich. Selbst während seiner Ausbrüche entspannt er sich rasch wieder, und seine Tiraden werden weniger bedrohlich, teilweise sogar interessant, witzig, mitfühlend, hochdramatisch, aber stets vulgär. Es scheint, als müsse er inzwischen Hassreden schwingen, um authentisch zu wirken. Das ist die traurige Konsequenz seiner Karriere. Seit Jahren hat er kaum etwas anderes getan, als zu reden. Und er weiß das. Seit dem Kampf gegen Nielsen vor sieben Monaten sagte er zunächst, er würde zwei weitere Kämpfe brauchen, um in Stimmung zu kommen, ehe er bei der Meisterschaft gegen Lewis antreten könne. Was einigermaßen realistisch klang.

Mike Tyson führt sich wie tiefengestörter Brutalo auf

Wirtschaftliche und altersbedingte Gründe (Tyson wird diesen Sommer 36, Lewis ist es bereits), gar nicht zu reden von der höchst unwahrscheinlichen temporären Allianz zwischen den Rivalen HBO und Showtime, die jeweils einen der Sportler kontrollieren, führten letztlich dazu, dass er es sich anders überlegte. Tyson hat turmhohe Schulden und kann es sich nicht leisten, sich eine finanzielle Gelegenheit wie diese entgehen zu lassen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass sich sein Verhalten in Anwesenheit von Frauen und älteren Herren (Gewalt im Straßenverkehr, vier Monate im Gefängnis) als höchst unkontrolliert erwiesen hat und Frauen und ältere Herren dieser Tage einfach überall anzutreffen sind – selbst bei Pressekonferenzen!–, wäre es wenig ratsam, die Sache weiter hinauszuzögern.

Da aktuell nicht viel für ihn spricht, spielt Tyson weiter die einzige Rolle, die er kennt. "Ich wünschte, ihr hättet Kinder, Leute", teilt er den Fernsehreportern mit. "Dann könnte ich ihnen ihre hässlichen Köpfe eintreten oder ihnen in die Eier kicken, damit ihr denselben Schmerz spürt wie ich." Oh, Kinder gehören jetzt also auch noch zur Liste der gefährdeten Arten. Ältere Herren, Frauen und Kinder – hütet euch!

Tyson, der sich kaum eine Gelegenheit entgehen lässt, sich als eine Art tiefengestörter Brutalo aufzuführen, hat dieses Image bewusst gepflegt. Nur dass es inzwischen noch schlimmer ist. In den drei Jahren nach seinem Gefängnisaufenthalt, in denen er von Don King promotet wurde, hat er sein Image des unkontrollierbar wilden und gleichzeitig verstörend verletzlichen Kämpfers perfektioniert. Es bildete einen zentralen Bestandteil seines Comebacks, das im August 1995 begann und ihm mit nur sechs Kämpfen 112 Millionen US-Dollar einbrachte (fast so viel, wie laut Tysons Anwälten King verdiente), bis hin zu seinem Ohr-Biss und der Disqualifizierung beim zweiten Holyfield-Kampf im Juni 1997.

Mike Tyson: "Werde Lewis’ (ungeborene) Kinder zu fressen"

Sein zweites Comeback, das begann, nachdem ihm die Nevada Athletic Commission nach dem Ohrendebakel eine Art "Bewährung" zugestanden hatte, bildet inzwischen das Zentrum eines Gerichtsprozesses zwischen Tyson und seinem ehemaligen Promoter. Abgesehen davon aber fehlte es dem Comeback an der dramaturgischen Gerissenheit, von der Kings Box-Promo geprägt ist. Im Ergebnis läuft Tysons Karrierestart nach den Sanktionen eher holprig an. Keine Titel, kein Vermächtnis, keine Ersparnisse haben sich in den vergangenen drei Jahren angesammelt. Allein die Aussicht auf den Kampf mit Lewis hat dafür gesorgt, dass Tyson überhaupt noch von Interesse war.

Entsprechend mangelt es seiner neuesten Kampagne komplett an Raffinesse. Sei es Berechnung, sei es irgendeine lose Schraube in seiner Persönlichkeit – Tyson gilt inzwischen als eine Art Katastrophe im Fertigpack: Einfach aufmachen und Gelegenheit hinzufügen, fertig ist das Desaster! Reicht für sechs Personen! Francois Botha versuchte er, einen Arm zu brechen. Im Kampf gegen Savarese ging er auf den Schiedsrichter los. Zwei weitere Fights seit der Holyfield-Disqualifizierung endeten ohne Wertung. Und dann war da natürlich noch die Pressekonferenz im Januar mit Lewis, bei der ein Teammitglied von Lewis im Wirrwarr eines Fotoshootings Tyson schubste, der den Champion bedroht hatte, woraufhin Fäuste flogen und in Beine (na ja, genau genommen nur in eins) gebissen wurde, was zu einer dauerhaften Verbannung aus Las Vegas und einer Einladung nach Memphis führte.

Mike Tyson mit seinen Tauben
Mike Tyson mit seinen Tauben
Credit: Sports Illustrated
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Tyson, der seine Kommentare noch nie gern als traditionelle Sportzitate verpackt hat, passte sein Vokabular entsprechend an. Wenn er nicht gerade älteren Männern, Frauen und Kindern droht, hackt er auf Lewis herum, beispielsweise indem er ihm anbietet, "sein aufgeblasenes Hirn im ganzen Ring zu verteilen"– ein theatralisches Upgrade früherer Angebote, in denen er unter anderem ankündigte, Lewis’ (ungeborene) Kinder zu fressen.

Mike Tyson zeigt sich verspielt und nachdenklich

Fantastisches Material für die Promotion ihres Kampfes, der in der ausverkauften Pyramid-Halle in Memphis stattfinden soll. Über eine Million Pay-per-View-Käufe sind dem Kampf sicher. Die Pressekonferenz in New York hat den Bekanntheitsgrad des Kampfes laut Showtime-Boxing-Chef Jay Larkin bereits um ein Drittel erhöht. Die eigentliche Frage lautet: Wie sehr promotet Tyson den Kampf und wie sehr ist er drauf und dran, durchzudrehen?

Tyson macht es Spaß, die Öffentlichkeit in diesem Punkt zu verwirren. Immer wieder zeigt er sich verspielt und nachdenklich, ein Typ, mit dem man gern abhängen würde, wenn er nicht regelmäßig ankündigen würde, einen fertigzumachen. Sag mal, Mike, die Bücher da hinter dir – hast du die gelesen? "Glaubst du etwa, die sind nur Deko?", fragt er lachend.

Und dann macht er sich daran, die Bücher zu diskutieren, wobei er sich bewusst über seine eigene Ahnungslosigkeit lustig macht, dabei aber gleichzeitig sein Image des unwissenden Brutalos infrage stellt. Auch wenn er vielleicht nicht ganz so viele Bücher gelesen hat, wie er suggeriert, ist klar, dass er eine überraschende Neugierde hegt und weitaus aufnahmefähiger ist, als man von einem testikelzerstampfenden Wilden erwarten würde. Und so liefert er eine höchst unterhaltsame und sachkundige Zusammenfassung erst über John Brown, dann über Machiavelli. "Ein Narr", sagt er, "aber kein verdammter Narr."

Die Parade der internationalen Medien genießt diese Ausflüge in eine vorgetäuschte Normalität und spielt bereitwillig mit. Als Tyson de Grazia anpreist als "den kultiviertesten Schriftsteller seit diesem Hochstapler da, wie hieß der noch mal?", antwortet die Meute korrekt mit "Shakespeare!". "Ich mag diese ganzen Typen, den Gatsby-Kerl [F. Scott Fitzgerald], und den, der sich erschossen hat, auch [Hemingway]", fährt Tyson fort. "Die waren cool. Ausgestoßene. Säufer. Die waren hip. Die waren cool."

Mike Tyson: "Er hat mich niedergestarrt wie einen verfluchten Hund"

Am Ende ist er eben doch mehr als eine Packung Tüten-Hass. In Wahrheit ist er Ausschussware. Beschädigt, verwickelt in einen ständigen Kampf um Erlösung und Wissen. Genauso wie wir alle. Seine Ausrede in der Kurzzusammenfassung: "Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich stamme aus dem Getto. Ich habe keine Ahnung, wie ich mich benehmen soll. Den einen Tag raube ich irgendein cooles Haus aus, am nächsten bin ich Schwergewichtsweltmeister."

Was weitaus anrührender wäre, wenn es der Wahrheit entspräche. Natürlich gab es da seine frühen Jahre in Brownsville. Aber einen Großteil seiner prägenden Zeit verbrachte er in den Catskill Mountains im Refugium seines Ziehvaters Cus D’Amato, zu dem er bereits mit 13 zog. Nicht vielen seiner Gegner war ein so großzügiges Sponsoring vergönnt.

Mike Tyson muss 1992 ins Gefängnis
Mike Tyson muss 1992 ins Gefängnis
Credit: Sports Illustrated
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Seine Vorstöße ins bürgerliche Leben waren teilweise zwar recht halbherzig, aber immerhin hat er sich bemüht. Er ist sich der Tatsache bewusst, dass er die Chance hatte, eine beliebte und geachtete Persönlichkeit zu werden. "Ich wäre gern wie Tiger Woods, Michael Jordan oder Will Smith", sagt er. Aber sein Temperament stand seinen Plänen im Weg.

Und trotzdem versucht er es weiter. Vor gar nicht allzu langer Zeit lief Tyson im "Crustacean", einem Restaurant in Beverly Hills, Lewis über den Weg. Tysons Frau Monica (sie sind gerade im Begriff, sich scheiden zu lassen) schlug vor, er solle ihm Hallo sagen. Tyson begriff, dass es normale Leute wohl so handhaben würden, und wollte Teil des Gesellschaftsvertrags sein. Ein Vater. Ein Nachbar. Ein Moslem. Ein guter Bürger und geselliger Kämpfer. Jemand, der geliebt und geachtet wird. Doch selbst bei dem Versuch, diesen minimalen Akt der Zivilisiertheit zu vollbringen, ließ man ihn abblitzen. "Er hat mich niedergestarrt wie einen verfluchten Hund", sagt er. "Hat mich dumm dastehen lassen. Wisst ihr, ich will ja ein netter Kerl sein, aber meine Frau hat ihm einfach meine Eier in die Hand gedrückt. Mir die Eier weggenommen." Ja, sie ist schon kompliziert für Tyson, diese Sache mit der Männlichkeit.

Mike Tyson mit 20 Jahren Millionär und Champion

Er hat sich immer schon verzweifelt nach Anerkennung gesehnt und sich leicht davon verführen lassen, dass jemand Interesse an ihm zeigte. Entsprechend ist es auch für die Journalisten, denen er mit Arschtritten droht, nicht allzu schwer, eine Beziehung zu ihm aufzubauen, so kurz und eigennützig sie auch sein mag. Man muss einfach nur den Eindruck erwecken, ihn ernst zu nehmen. "Mike", fragt einer der Männer, "würdest du sagen, dass Tauben die Nigger der Vogelwelt sind?" Die Frage mag verblüffend und sinnlos sein – aber auf Tyson wirkt sie auch schmeichelhaft. Weil sie Respekt vor seinen Interessen, seinem Wissen über Tierwelt und -rassen und damit letztlich auch vor seiner Autorität suggeriert. Er antwortet dem Journalisten ausführlich, fortan sind sie Freunde fürs Leben.

Er will ein netter Typ sein, will geliebt werden. Wer will das nicht? Doch Tyson, mit 20 Millionär und Champion, ist zu der Überzeugung gelangt, dass Liebe stets ihren Preis hat. Seine beiden Ehen – die erste, geschlossen 1988 mit der Schauspielerin Robin Givens, war reiner Hollywood-Opportunismus, die zweite das Ergebnis von Gefängnisbesuchen – kamen ihn sicherlich teuer zu stehen.

Da ist es doch weitaus verlässlicher, sich mit "Stripperinnen und Schlampen"einzulassen, um sich verhältnismäßig günstige Gesellschaft zu erkaufen. "Hier gibt’s keine Stripclubs", sagt er und lacht dabei über sich selbst. "Das wusste ich nicht, als ich herkam."

Ist sein ungezügelter Appetit das Problem? "Meine Lüsternheit ist nicht kriminell, wenn du verstehst, was ich meine", sagt er. "Aber ich treibe vermutlich lieber Unzucht als andere, so bin ich eben. Ich opfere so viel von meinem Leben – kann ich da nicht zumindest jemanden flachlegen? Ich meine, die haben mir fast mein ganzes Geld abgeknöpft. Da kann ich mir doch wenigstens den Schwanz lutschen lassen." Oder sieht die Wahrheit doch ein wenig trauriger aus? "Zu einer Hure sag ich, hier hast du ein bisschen was extra, gib mir das Gefühl, du liebst mich." Er lacht.

Manager Don King verdient mehr als Mike Tyson

Selbstmitleid war immer schon der große ausgleichende Faktor in Tysons Leben. Als würde es das Gegengewicht zu seinem ständig aufflammenden gewaltsamen Hass auf andere bilden. "Manchmal hasse ich mich", sagt er und gleitet damit über in den melodramatischen Modus. "Was?", fragt ein überraschter Journalist. "Sie hassen sich?" Tyson kalkuliert die Wirkung seiner Worte. "Jeden einzelnen Tag meines Lebens", antwortet er.

Mike Tyson ist ein Franchise, das ständiges Tuning erfordert, eine andauernde Kalibrierung seiner Männlichkeit. Ein Franchise, das eine Menge Zeit in der Werkstatt verbringt. Ob er Lennox Lewis hasst? "Ich liebe Lennox Lewis", sagt er."Natürlich liebe ich ihn. Er hat die Würde eines jeden Kämpfers." Oder hasst er ihn doch? "Hätte ich bei der Pressekonferenz die richtige Crew dabeigehabt, hätte er die Nacht nicht überlebt."

Aber es ist ein Franchise, das nach Meinung vieler Beteiligter weiter in Betrieb bleiben sollte. Showtime soll an die 30 Millionen US-Dollar in sein Comeback investiert haben und ist weit davon entfernt, sein Geld wieder eingespielt zu haben. America Presents, die Tyson eine Weile lang promotet haben, stecken finanziell in der Klemme und versuchen bis heute, über eine Million Dollar des Betrags, den sie Tyson geliehen haben, zurückzubekommen. Und es dürften noch andere ehemalige Geldgeber Schlange stehen.

Mike Tyson und seine Ex-Frau Robin Givens
Mike Tyson und seine Ex-Frau Robin Givens
Credit: Sports Illustrated
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Wenn man aus seiner finanziellen Vergangenheit irgendwelche Schlüsse ziehen kann, dann ist es auch für Tyson wichtig, dass seine aktuelle Promotion funktioniert. Er ist pleite. "Ich hab eine halbe Milliarde verprasst", sagt er. "Geld ist kein großes Thema für mich. Ich habe lieber Spaß als Geld."

Und Spaß haben kostet offenbar Geld. Laut Gerichtsdokumenten aus Tysons Prozess gegen King, in dem er behauptet, sein ehemaliger Promoter habe auf betrügerische Weise 40 Millionen US-Dollar von ihm abgezweigt, ist es nicht billig, Schwergewichtsweltmeister zu sein. Oder auch nur ein des Amtes enthobener Herausforderer. Die Dokumente deuten darauf hin, dass dem Kämpfer ein Knebelvertrag aufgezwungen wurde, laut dem satte 50 Prozent seines Einkommens an King und die "Co-Manager" John Horne und Rory Holloway gingen. King, der 30 Prozent kassieren sollte (plus jeweils 10 Prozent an Horne und Holloway), sackte laut Tysons Anwälten am Ende auf undurchsichtigen Kanälen 113 Millionen Dollar ein, während bei Tyson 112 Millionen blieben. Kings Anwälte bezeichnen Tysons Behauptung als "albern und irreführend" und haben Gegenklage eingereicht.

Mike Tyson zahlt über 300.000 Dollar für Rasenpflege 

Ganz gleich, wo die Wahrheit liegt – es lässt sich praktisch kein finanzielles Arrangement vorstellen, bei dem am Ende ein finanzielles Polster für Tyson übrig geblieben wäre. In den drei Jahren vor seiner Trennung von King – also zwischen 1995 und 1997 – hat Tyson Unmengen an Geld verprasst. Laut Gerichtsdokumenten hat Buchhalter Mohammed Khan ihm bereits damals mitgeteilt, seine Ausgaben würden sich aus buchhalterischer Sicht im Minusbereich bewegen. "Moe", teilte ihm Tyson daraufhin mit, "ich kann es nicht haben, ohne es auszugeben." Woraufhin Khan erklärte: "Mr. Tyson verdient sein Geld und gibt es wieder aus, niemand kann ihm das verbieten."

Und so schafft man es, mit 112 Millionen Dollar auf dem Konto pleitezugehen: Man gibt 115 Millionen aus. Während der 33 Monate seines ersten Comebacks verprasste Tyson laut Khans Buchhaltungsunterlagen 4.477.498 US-Dollar für Autos und Motorräder. Unter dem Posten "Bargeld und persönliche Ausgaben" listete er monatlich durchschnittlich 236.184 US-Dollar auf. Schmuck und Kleidung: 94.555 Dollar im Monat. Er kaufte Tauben und Katzen für 411.777 Dollar. (Er besaß einen Löwen, mit dem er ins Sparring ging). 1996 schmiss er eine GeburtsHäuser waren natürlich auch teuer. Allein die Rasenpflege seines Anwesens in Las Vegas belief sich während dieses Zeitraums auf 309.133 Dollar.

Mike Tyson 1997 gegen Evander Holyfield
Mike Tyson 1997 gegen Evander Holyfield
Credit: Sports Illustrated
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Trotzdem ist Tyson weit davon entfernt, in seinen Gärten Gemüse zur Selbstversorgung anzubauen. In gewissen Hinsichten wird es stets teuer sein, Mike Tyson zu sein. "Ich brauche die tollen Karren", erklärt er, "um die tollen Frauen zu bekommen." In dem Bereich kommen Einsparungen also schon mal nicht infrage. "Oder soll ich mein Leben etwa nicht genießen?" Das war immer schon das Vorrecht der Champions. Nur dass Tyson schon seit geraumer Zeit kein Champion mehr ist. Seine Leute und er geben sich, als würde ihm der Titel zustehen. Als sei der Kampf selbst reine Formsache.

Allerdings ist Lewis ein merkwürdig zuversichtlicher, wenn auch vergleichsweise stiller Athlet, der erst bei großen Kämpfen aus einer Art Schlummer zu erwachen scheint. Mit seiner Geraden könnte er sich Tyson vom Leib halten, mit seiner Größe (1,96 Meter gegen Tysons 1,78 Meter) und seiner überlegenen Kraft gelingt es ihm womöglich, Tyson die Luft abzudrücken, während der versucht, ihm auf die Pelle zu rücken, was zu einem wenig aufregenden, ziemlich vorhersehbaren Ergebnis führen könnte.

Mike Tyson schaltet Impulskontrolle aus

Der Punkt ist, dass praktisch niemand mit der Erwartung eines herausragenden athletischen Ereignisses an diesen Fight herangeht. Interessiert es überhaupt jemanden, wer der bessere Schwergewichtskämpfer ist? Irgendwo schon, aber nicht genug, um das gewaltige Interesse an dem Kampf zu rechtfertigen. Vor sechs Jahren, als es in Tysons Lebenslauf durchaus noch ein paar sportliche Höhepunkte gab, hätte der Kampf an sich den ganzen Rummel vielleicht noch verdient. Aber jetzt, wo Tyson längst in die Tiefen der Psychopromi-Kultur abgetaucht ist, bei der es letztlich immer um den finalen Komplettabsturz geht, dient Lewis nur noch als Rechtfertigung, um jemanden mit dem desaströsen Ruf seines Gegners in den Ring zu holen. Solange Lewis dabei ist, fühlt sich das Vergnügen nicht ganz so sündhaft an. Man kann sich ungehemmt den Launen der Hirnchemie hingeben, ohne sich allzu ausgiebig dafür verabscheuen zu müssen.

Evander Holyfield fehlt ein Stück seines Ohres
Evander Holyfield fehlt ein Stück seines Ohres
Credit: Sports Illustrated
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Abgeschreckt? Vielleicht ist es besser so. Tyson hat recht damit, dass wir alle ihn ausgebeutet haben – wegen des Kitzels, den er in uns weckt, des Blicks auf eine alternative Menschheit, den er uns gewährt. Schämen sollten wir uns, zumindest ein bisschen. Welch Heuchelei, dass wir ihn verurteilen und gleichzeitig Karten für den Kampf besorgen. Er ist ein Rüpel, der verantwortungslos mit seinem Talent umgeht – ein trauriger Fall, der sich nicht entscheiden kann, ob er gehasst oder geliebt werden will, der womöglich nicht einmal mehr einen Unterschied zwischen beidem ausmachen kann. Und doch ist er unwiderstehlich.

Aber zu unserer Verteidigung: Das Vorbild eines Mannes, der sich entscheidet, seine Impulskontrolle auszuschalten, mag zwar nicht immer angenehm sein. Doch es ist lehrreich, manchmal sogar berauschend, mitanzusehen, wohin eine derart übertriebene Unabhängigkeit führt. Als würden wir, die Tauben, die den Hahn umkreisen, es nicht längst wissen.

 

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