Hooligan und Gangster-Boss: Mr Big fürchtete nichts und starb im Kugelhagel
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Am 26. Juli 2015 Stellte Paul Massey um 19.23 Uhr seinen silbernen 5er BMW vor dem Bargain Booze am Stadtrand von Manchester ab. In dem Spirituosengeschäft kaufte er das Gleiche wie immer: eine Flasche Bacardi und zwei Liter Cola. Er ließ das Wechselgeld auf dem Tresen liegen und war keine Minute später wieder draußen. Siebzehn Sekunden nach ihm verließ ein Unbekannter das Geschäft und folgte ihm.
Selbst für einen Mann wie Massey, für den lange Tage nichts Besonderes sind, war das Pensum an diesem 26. Juli heftig gewesen. Massey, damals 55 Jahre alt, war einer der bekanntesten Bandenchefs Europas. Er hatte die Hälfte seines Erwachsenenlebens hinter Gittern verbracht, war bereits wegen der ganzen Palette von Tankbetrug bis hin zur Messerstecherei mit lebensbedrohlichem Ausgang verurteilt worden. Auf den Straßen von Salford, einem 100.000-Einwohner-Fleckchen, das sich in nächster Nähe von Manchester und direkt gegenüber dem Old-Trafford-Stadion von Manchester United in eine Flussbiegung des Irwell schmiegt, kannte man ihn als Mr Big.
Dass man sich besser nicht mit ihm anlegte, hatte sich bereits herumgesprochen, als er noch Fußball-Hooligan in der Red Army von United war. Als Anführer seiner eigenen Crew wurde sein Ruf kaum besser. Seine Salford Lads waren keine streng hierarchische Organisation wie die italienische Mafia, sondern ein loses Bündnis junger Krimineller.
Die Einheimischen kannten Massey als einen Mann, der seine Prinzipien hatte. Klar hatte er jahrelang mit Partydrogen gehandelt – aber bei Heroin zog er eine Grenze. Und ja, er war zwar der Mann, an den man sich wenden konnte, wenn man auf der Suche nach einer vom Laster gefallenen Waschmaschine war. Aber er war auch der Mann, der Geld für die Oma auftrieb, deren Wohnung bei einem Einbruch leer geräumt worden war. Wenn sich rivalisierende Gangs bekriegten, war es häufig Massey, der den Frieden wiederherstellte. Die Polizei jedenfalls war es nie.
Der Mord an Salfords Gangster-König
An jenem Sommerabend im Jahr 2015 war Massey gerade aus den Winkups Holiday Parks in Nordwales zurückgekehrt. Die Auszeit war nicht so entspannend gewesen wie erhofft. Kelly, eine seiner Töchter, telefonierte während seines Urlaubs mit ihm und erinnert sich, dass er „etwas distanziert, erschöpft und gestresst“ geklungen habe. Massey trug stets zwei Telefone bei sich, die ununterbrochen summten. In der Regel wollten ihn die Anrufer um einen Gefallen bitten. In Salford braute sich gerade ein Bandenkrieg zusammen, und einige Partner von Massey besuchten ihn in Winkups, um ihr Vorgehen zu besprechen. Wie Louise Lydiate, Mutter von zwei seiner fünf Kinder und dreißig Jahre lang seine Lebenspartnerin, es ausdrückte: „Die Krone von Salford wog schwer.“
Am Tag seiner Rückkehr aus dem Urlaub verbrachte Massey den Nachmittag mit zwei Bandenmitgliedern, besuchte einen Buchhalter, kaufte den Bacardi und die Cola, fuhr den knappen Kilometer nach Hause und hielt vor dem schmiedeeisernen Tor vor seiner Rotklinkervilla im Kolonialstil. Ganz in der Nähe lag ein Angreifer auf der Lauer, der von dem Unbekannten, der Massey verfolgt hatte, informiert worden war.
Der Mörder kam auf dem Mountainbike
Um 19.27 Uhr stieg Massey aus seinem Wagen. Ein großer, durchtrainierter Mann – laut Zeugenaussagen mit einem falschen Bart und Kampfanzug bekleidet, in dem er aussah wie ein Soldat aus „Call of Duty“ – hastete über die Straße, zückte eine Uzi und eröffnete das Feuer. Es war der Beginn einer Situation, für die sich Mr Big innerlich schon lange gewappnet hatte. „Wenn es so kommen soll, soll es so kommen“, hatte er schon Ende der 1990er in einer BBC-Dokumentation gesagt. „Ich weiß, worauf ich mich einlasse.“
In der Auffahrt explodierte Masseys linkes Schienbein. Knochenfragmente spritzten auf den Kies. Massey ließ die Bacardi-Flasche fallen, die auf dem Boden zerschellte. Eine Kugel traf drei Finger seiner rechten Hand und riss ihm ein Fingerglied ab. Dennoch gelang es ihm, sich hinter ein paar Mülltonnen zu retten, in Deckung zu gehen und den Notruf zu alarmieren.
„Ich wurde angeschossen, macht schnell!“, rief er.
„Okay, bleiben Sie in der Leitung.“
„Macht schnell!“, flehte Massey erneut. „Er schießt auf ...“ Dann brach die Verbindung ab.
Der Schütze feuerte weiter. Von den 18 Kugeln, die er abgab, brachte Massey vermutlich diejenige den Tod, die seine fünfte linke Rippe durchschmetterte, in seine Brusthöhle eindrang, wo sie Herz und Lungen verletzte, und dann in seinem Rücken stecken blieb. Der Schütze rannte wieder zurück über die Straße und über den Friedhof der Pfarrkirche St. Anne bis zu einem Wäldchen, wo er auf ein Fahrrad sprang.
Und dann radelte Mr Bigs Mörder einfach davon.
DIE BOULEVARDPRESSE KONNTE nicht genug bekommen vom Massey-Mord, der direkt aus „The Sopranos“ entsprungen zu sein schien. Obwohl die Polizei über hundert Verdächtige identifizierte, blieb der Fall ungelöst. Wie eine derart bekannte Persönlichkeit derart kaltblütig am helllichten Tag ermordet werden konnte, ohne dass das Verbrechen aufgeklärt wird, lässt sich nur begreifen, wenn man den Salford-Kodex kennt, der sich mit zwei Worten zusammenfassen lässt: niemals singen.
Massey selbst hielt Verräter für den übelsten Abschaum. „Wenn ich einkassiert werde und was angestellt habe, gehe ich in den Knast“, äußerte Massey gegenüber der BBC. „Ich sitze meine Zeit ab. Ich würde mich eher aufhängen, als mit der Polizei zu reden.“ In der Welt, in der er sich bewegte, gab es nichts Unehrenhafteres, als mit der Polizei zu kooperieren. Und das galt insbesondere in Salford.
Salford, Stadt der Raufbolde und Werftarbeiter
Manchester war während der Industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts zu Wohlstand gelangt, da sich das Städtchen durch sein Klima und die Nähe zu den Kohleminen als perfekter Produktionsort für Baumwoll- und Wollbekleidung erwies. Schon bald wurde Manchester zum weltweiten Zentrum der Textilherstellung. Doch der Aufstieg hatte seinen Preis. Arbeiter strömten in die Stadt, die Bevölkerung verarmte. In den Behausungen der Textilarbeiter schliefen teils ein Dutzend Personen in einem Zimmer. Die industrielle Entwicklung schritt indes immer weiter, immer mehr Fabriken suchten den Zugang zur Irischen See, dem Atlantik, der Welt. 1894 wurde der 36 Meilen lange Manchester Ship Canal für den Schiffsverkehr geöffnet. Obwohl der Hafen 40 Meilen tief im Landesinneren lag, war er der drittgrößte Großbritanniens.
Das Ende des Kanals befand sich direkt westlich vom Kern des Countys Greater Manchester, in einer kleinen Hafenstadt voller Raufbolde und Werftarbeiter. Und im Großen und Ganzen ist Salford über die Jahrhunderte hinweg genau das geblieben. Es bildet einen grellen Kontrast zum Erstligisten-Glamour des nur wenige Fußminuten entfernten Old-Trafford-Stadions.
Straßenbanden haben in England eine lange Tradition. Ihr Einfluss reicht zurück bis zu den Zeiten der Industriellen Revolution. Und Salford ist die Art von Ort, wo solche Banden geboren werden: arm, voller Elendsviertel und heruntergekommener Reihenhaussiedlungen, getüpfelt mit winzigen Pubs. Dieses Fundament aus Armut, gepaart mit der rauen Kultur der Textilfabriken und Werften und der Wut über die Herablassung der reicheren Bewohner von Manchester und des Londoner Adels, brachte Salford den Ruf ein, Englands rauflustigste Stadt zu sein – und die Salforder sind stolz darauf. Wenn es etwas gibt, das ein echter Lad aus Salford mehr genießt als einen Pint Boddingtons, dann ist das eine ordentliche Prügelei. „Wenn die Lads aus Salford was trinken“, sagte Massey über seine Nachbarn, „dann wollen sie sich auch schlägern.“ In gewisser Weise war also programmiert, welchen Platz Salford in der Welt des Sports einst einnehmen würde.
IN DEN 1970ERN und 1980ern, als der junge Massey noch Bierkisten aus der Whitbread Brewery stahl und dafür in die Besserungsanstalt geschickt wurde, trudelte der englische Fußball durch das Hooligantum auf seinen absoluten Tiefpunkt zu. Unbeteiligte Zuschauer, die zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort waren, fanden sich plötzlich zwischen den verfeindeten Fraktionen wieder – beispielsweise der Red Army von Manchester und den Urchins von Liverpool – und wurden verprügelt, teils mit Baseballschlägern. Manchmal auch schlimmer. In London kam ein Fan bei einer Straßenschlacht nach einem Spiel ums Leben. In manchen Stadien blieben die Tore Besuchern verschlossen. Premierministerin Margaret Thatcher rief ein „Kriegskabinett“ ein, um das Problem zu beheben. Und im Zentrum dieser Gewaltepidemie stand Manchester. Nachdem United in die 2. Liga abgerutscht war, terrorisierten die Hooligan-Gruppierungen von ManU 1974 Fußballstadien im ganzen Land. Ihren Höhepunkt fand diese düstere Phase, als ein Blackpool-Fan erstochen wurde. Die Kapriolen der Red Army führten dazu, dass in britischen Stadien eine strenge Trennung der Fans verschiedener Mannschaften eingeführt wurde.
„Wenn soziologische Faktoren dabei überhaupt eine Rolle spielten“, sagt Bill Buford, der sich über einen Zeitraum von acht Jahren hinweg Hooligan-Gruppierungen anschloss, um für sein 1990 erschienenes Buch „Geil auf Gewalt: Unter Hooligans“ zu recherchieren, „dann höchstens der, dass sie es nur aus einem einzigen Grund taten: weil es Spaß machte.“
Der Anfang vom Ende dieses Spaßes setzte 1989 ein, im Halbfinale des FA Cups im Hillsborough Stadium in Sheffield, das so überfüllt war, dass im Gedränge fast 100 Personen totgetrampelt wurden. Die Polizei zeigte zunächst fälschlicherweise mit dem Finger auf die Hooligans, obwohl die eigentliche Ursache in Nachlässigkeiten der Security bestand, wie ein Gericht später befand. Dennoch diente die Katastrophe als Weckruf. Innerhalb weniger Jahre verschwand die englische Hooligan-Szene nahezu vollständig von der Bildfläche.
Was noch lange nicht bedeutete, dass die Hooligans verschwunden waren. Und in Salford schlossen sich Teile dieser Gruppierungen zu Straßenbanden zusammen. Jahrelang hatten diese Gangs brachliegende Grundstücke als inoffizielle Parkplätze für Besucher des Old-Trafford-Stadions betrieben. Nun begannen sie, sich lukrativeren Einnahmequellen zuzuwenden. Es blieb ihnen auch kaum etwas anderes übrig. Denn Greater Manchester ging es wirtschaftlich schlecht. Insbesondere Salford hatte zu leiden, da viele Fabriken schlossen, weil die Produktion nach Indien verlegt wurde. In der Schifffahrt setzten sich größere Container durch, für die im Kanal nicht genug Platz war. 1982 schlossen die Werften von Salford, in denen wenige Jahrzehnte zuvor noch 5.000 Personen beschäftigt gewesen waren. Manchester wurde zum Symbol des Verfalls der harten Industriestädte.
Wie Paul Massey "Mr Big" wurde
ES WAR DIESE MISCHUNG aus Hooliganismus und Überlebensängsten, die Paul Massey in Salford zum Aufstieg verhalf. Massey – ein charismatischer Bär von einem Mann mit stechenden braunen Augen und markanter Nase – hatte alles, was es brauchte, um der nächste Mr Big zu werden: die manchmal unreflektierte Zuversicht eines Straßenkämpfers, ein angeborenes Verständnis dafür, wie man sich in der Welt der Halbschatten zu verhalten hat, und einen Mittelfinger, der stets in Richtung Staatsgewalt zeigte. Nun brauchte er nur noch eine große Gelegenheit, um sein Potenzial zu beweisen.
Die bot sich ihm schließlich in der Werkstatt eines Jachtbauers direkt am Kanal. 1982 bauten die Manager von Joy Division und New Order, damals die beiden wichtigsten Bands aus Manchester, eine Rotklinkerlagerhalle in einen Nachtclub um. Von den Smiths über die Stone Roses bis zu Oasis traten alle Größen der Ära im „Haçienda“ auf. Aber das war nicht die Szene von Massey und seinen Hooligans.
Dann reiste New Order 1986 auf die spanische Partyinsel Ibiza, um ein Album aufzunehmen, und das war der Augenblick, in dem „die gesamte Clubszene explodierte, und mit ihr Ecstasy“, sagt New-Order-Bassist Peter Hook. „Wir haben es selbst gesehen. Haben Leute auf die Insel geholt, damit sie es auch sehen. Und haben es nach Manchester mitgebracht.“
Anfangs gab es sie nur einmal die Woche: eine „Hot Night“ im Ibiza-Style mit Palmen, Eis am Stiel und Pillen, alles untermalt vom Beat von Chicago House und Detroit Techno. Schon bald war das „Haçienda“ Stammclub von 100.000 Studenten der örtlichen Uni. Die Ibiza-Nacht wurde überall in der Stadt kopiert und Manchester zur Partymetropole Englands. Die Clubszene florierte und damit, erzählt Hook, „explodierte Ecstasy praktisch. Alles war voller Mittelschicht-Kids, die Drogen verkauften. Sie machten haufenweise Kohle. Da dauerte es nicht lang, bis auch die Unterwelt mitbekam, was da lief.“
Massey ging jedes Wochenende mit Lydiate ins „Haçienda“, die diese Zeit als eine Phase utopischen Partyglücks erinnert: neue Musik, neue Drogen, neue Leute. Tausende von Ravern in einen Club zu stopfen erwies sich allerdings nicht unbedingt als der genialste Geschäftsplan aller Zeiten. Partyvolk auf Ecstasy neigte dazu, Wasser statt Alkohol zu trinken, um nicht zu dehydrieren. Einer der berühmtesten Clubs der Welt wurde zum Fass ohne Boden. Das war die Chance für Mr Big. Es war Masseys angeborenes Charisma, das ihn so besonders machte. Er war einfach ein charmanter Typ, der – mehr Tony Soprano als Scarface – verschiedene Gesichter hatte. Auf seine ganz eigene Salford-Art war er Politiker. Niemand konnte Leute zusammentrommeln wie Massey, der laut Peter Walsh, Autor von „Gang War: The Inside Story of the Manchester Gangs“, an jedem beliebigen Abend problemlos 100 bis 200 Leute klarmachen konnte.
Paul Masseys Erfolgsformel: Ecstasy und Security
Und das ist das Geheimnis dahinter, wie Massey und seine Salford Lads die Kontrolle über die Türen des „Haçienda“ und anderer Clubs gewannen. Ein Pulk aus seinen Leuten überrumpelte die Security, drängte sich hinter die Bar und bediente sich bei den Drinks. Es ging um Einschüchterung: Der Laden hier gehört uns. Massey hielt die Clubs so lange Abend für Abend in Geiselhaft, bis die Betreiber die Tür schließlich seiner neugegründeten Firma PMS Security überließen.
Schritt zwei von Masseys Geschäftsplan: Reiße die Ecstasy-Versorgung an dich. Laut Walsh kauften Massey und seine Kumpane große Mengen der Partydroge direkt am Herstellungsort Amsterdam. Der Trick bestand darin, die Pillen am Zoll vorbeizuschmuggeln. Die Salford Lads suchten sich Fahrzeuge von britischen Reisenden, die in die Niederlande gefahren waren, knackten sie heimlich und versteckten ein paar Tüten voll Ecstasy darin – meist unter dem Ersatzreifen. Über einen Kontakt hatten sie Zugriff auf eine Datenbank der Regierung, in der sämtliche britische Nummernschilder samt Adresse aufgelistet waren, wodurch sie das Auto nach der Rückkehr nach England erneut knacken und sich die Drogen holen konnten.
Das Geschäft boomte. Masseys Jungs machten 10.000 Pfund die Nacht allein mit dem Verkauf von Ecstasy. In den „Manchester Evening News“ wurde berichtet, PMS Security habe 120 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 1,7 Millionen Pfund. Die Clubszene, so zwielichtig und dubios sie auch sein mochte, war ein Segen für Manchester. Innerhalb weniger Jahre wurde die Stadt von Manchester, Symbol nationalen Siechtums, zu Madchester, einer der heißesten Partyhauptstädte Europas. Und König von Madchester war Massey.
SO WIE DAS „HAÇIENDA“ rasch Nachahmer fand, so hatten auch Mr Big und seine Salford Lads bald jede Menge Konkurrenz. Und mit der Konkurrenz kamen die Konflikte. In den Clubs kam es immer häufiger zu Angriffen. Ein Pub-Betreiber verlor bei einer Schlägerei ein Auge. Ein Rivale versuchte, sich das „Haçienda“ unter den Nagel zu reißen, und fand kurze Zeit später den abgehackten Kopf seines Hundes auf dem Billardtisch in seinem Stammpub. In der Presse wurde Madchester zu Gangchester. Oder der „britischen Bronx“. Als Mike Tyson für seinen Kampf gegen Julius Francis in die Stadt kam, hatte die Bandengewalt solche Ausmaße angenommen, dass selbst Tyson zum Frieden auf den Straßen aufrief.
Massey wurde gefühlt alle zwei Monate festgenommen, kam meistens aber direkt wieder frei – der Top Boy macht sich normalerweise eben nicht die Hände schmutzig. 1994 half er, einen Waffenstillstand zwischen zwei Gangs zu verhandeln, wodurch sich seine Machtposition weiter verstärkte. Aber früher oder später finden selbst die schönsten Zeiten ihr Ende. Besonders wenn es um Gangs, Drogen und Geld geht. Im Juni 1997 schloss das „Haçienda“ seine Türen. „Die Gangster waren einfach so scheißverrückt geworden, dass man nicht mehr für die Sicherheit der Gäste garantieren konnte“, sagt Hook. „Wir mussten aufgeben.“
Das Ende der "Herrlichkeit"
Von da an fiel nach und nach alles in sich zusammen. Am Abend des 4. Juli 1998 erreichte die Unverfrorenheit von Massey und seiner Crew ihren Gipfel: Vor laufenden Kameras der BBC fuhren sie von Club zu Club und tranken Champagner aus der Flasche. Dann kam es in einer Salforder Bar namens „Beat’n Track“ zum großen Knall. Ein Mann kam bei einer Messerstecherei beinahe ums Leben. Der Hauptverdächtige Mr Big flüchtete nach Amsterdam. Die Niederlande lieferten ihn aus – und das war es. Einfach so. Aus, Ende. Massey war knapp 40, als er sein bislang härtestes Urteil kassierte: 14 Jahre wegen versuchten Totschlags. Und das inmitten seiner besten Jahre.
Der gesetzte Hooligan, der 2007 das Frankland Prison im Nordosten Englands verließ, gab sich als gewandelter Mensch. Inzwischen war er Großvater, sagte, er wolle Salford etwas zurückgeben. Sein Sicherheitsunternehmen, behauptete er, sei endlich vollauf legal. Die Salford Lads waren durch eine neue Gang ersetzt worden, das A-Team. Einige Jahre später stellte Massey sich zur Bürgermeisterwahl. „Ich stelle mich nicht als Mr Big zur Wahl“, erklärte er in den „Manchester Evening News“. „Meine Kampagne richtet sich an alle, klassenunabhängig.“ Massey inszenierte sich als Mann des Volkes, als Robin-Hood-Figur – nur um am Ende mehr denn je als unverbesserlicher Gangster dazustehen. Mitten in seiner Wahlkampagne wurde er wegen Geldwäscherei festgenommen. Als er am Ende auf Platz 7 von 10 landete, gab er den Ermittlungen die Schuld.
SO KAM ES, DASS MASSEY auch mit Mitte 50 noch im Business mitmischte. Nur dass er nun kaum mehr direkt auf der Straße agierte, sondern als Ratgeber fungierte. So wie in seinem Urlaub in Nordwales im Juli 2015, wo er in einem Bandenkrieg vermittelte. Auf der einen Seite stand das A-Team unter Massey-Protegé Stephen Britton, der nach Winkups gekommen war, um sich mit Massey über einen Disput auszutauschen, der eigentlich mit einer Kleinigkeit begonnen hatte. Eine Auseinandersetzung über einen Drink, den jemand in einem Club geschmissen hatte. Oder ging es um eine gefälschte Uhr? So sicher wusste das niemand mehr. Jedenfalls war der Konflikt vollkommen außer Kontrolle geraten.
Auf der anderen Seite stand das mäßig kreativ benannte Anti-A-Team, dessen Mitglieder Britton verlassen hatten, um sich einem Gerüstbauer namens Michael „Cazza“ Carroll anzuschließen. Als Massey in die Sache hineingezogen wurde, kochte der Konflikt bereits über. Maskierte Männer, vermutlich Mitglieder des A-Teams, entfernten mit einer Kettensäge das Dach vom Auto der Ex-Freundin von Carroll. Ein Mitglied des A-Teams wurde in seinem Mercedes angeschossen. Ein anderes wurde mit einer Machete an der Kehle verletzt und kam nur knapp mit dem Leben davon.
In den alten Zeiten wäre Masseys Wort Gesetz gewesen. Aber das Anti-A-Team zollte Mr Big keinerlei Achtung. „Das war nicht mehr seine Generation“, sagt Walsh. „Eine neue Generation war nachgerückt, und sie folgte ihren eigenen Regeln.“ Und so kam es, dass Massey mit dem Bacardi und der Cola in der Hand in seiner Einfahrt angegriffen wurde.
Einen Monat nach Paul Masseys Tod wurde sein weißer Sarg – geschmückt mit Manchester-United-Flaggen und Kränzen in Cannabis-Form – in einer von sechs weißen Pferden gezogenen Kutsche zum Agecroft Cemetery transportiert. Tausende schlossen sich dem Trauermarsch an. Massey, angeblich gekleidet in sein United-Trikot und umgeben von einem Haufen Club-Memorabilien, wurde in die Erde herabgelassen. Man ließ 55 weiße Tauben in den Himmel aufsteigen und tanzte schließlich zu einem von Masseys Lieblingssongs aus „Haçienda“-Tagen: Joe Smooths „Promised Land“.
Aber der Bandenkrieg gönnte sich nicht einmal eine kurze Kondolenzpause. Als die Teilnehmer der Trauerfeier die ersten Drinks bestellten, erfuhren sie, dass man noch auf dem Friedhof ein Mitglied des Anti-A-Teams mit den Holzpfählen, an denen man den Sarg in die Erde gelassen hatte, verprügelt und ihm Säure ins Gesicht geschüttet hatte. Tatverdächtig war laut Presse einer von Masseys Sargträgern – John Kinsella, A-Team- Stabschef und ehemaliger Lieutenant der Salford Lads.
Der Konflikt, der Massey das Leben gekostet hatte, ging weiter. Carroll, Anführer des Anti-A-Teams, floh aus England. In ganz Salford erschienen Graffitis, die ihn aufforderten, nach Hause zurückzukehren: KÄMPFE DEINEN KRIEG. Ein Mitglied des Anti-A-Teams bekam eine Kugel in den Hintern.
Die Polizei hatte derweil eine Belohnung von 50.000 Pfund für Hinweise ausgeschrieben, die zur Festnahme und Verurteilung von Mr Bigs Mörder führten. Aber keine Chance. In Salford regierte nach wie vor der Kodex. Die Polizei konnte 112 Personen mit dem Mord in Verbindung bringen. Aber keine redete.
MEHRERE JAHRE VERGINGEN. Offiziell galt der Mord an Massey weiterhin als ungelöst. Dennoch nahm die Straßenjustiz ihren Verlauf. Ein Killerkommando wurde nach Spanien entsendet, um Carroll zu ermorden. Die Operation scheiterte, als die Polizei eine Razzia in einer Wohnung in Marbella durchführte und dabei Messer, eine Pistole, einen Baseballschläger und eine mit Gewichten versehene Weste beschlagnahmte, die laut Berichterstattung dazu gedacht gewesen war, Carrolls Leichnam im Mittelmeer zu versenken. Die Behörden nahmen mehrere Beteiligte fest, darunter auch A-Team-Anführer Britton. Carroll kam noch einmal mit dem Leben davon.
Und Salford? Schwieg weiter. Wenn es überhaupt eine Möglichkeit gab, den Mordfall Massey zu lösen, dann würde man unkonventionelle Wege beschreiten müssen. Doch es gab einen Faktor, den niemand je berücksichtigt hatte: Was, wenn die ganze verdammte Scheiße noch mal passierte? Und was, wenn der Mörder diesmal beim Beseitigen seiner Spuren etwas weniger Vorsicht walten ließ?
Der Mord an John Kinsella
Am 5. Mai 2018, eine Stunde nach Sonnenaufgang, verließ John Kinsella sein auf halber Strecke zwischen Manchester und Liverpool gelegenes Haus, um einen Morgenspaziergang mit seiner schwangeren Freundin zu machen. Masseys alter Freund war Kampfkunstexperte und die erste Wahl des A-Teams, wenn Muskeleinsatz gefragt war. Der Legende nach soll er 2001 dem zukünftigen Kapitän der englischen Nationalmannschaft Steven Gerrard aus einer recht komplizierten Ménage-à-trois geholfen haben, in die auch ein Gangster namens „der Psycho“ involviert war. Sobald sich Kinsella hinter den Fußballstar stellte, streckte der Psycho die Waffen. Er wurde gefürchtet, galt wie sein alter Freund Massey quasi als unberührbar.
Gegen 7 Uhr früh hörte seine Freundin eine Fahrradbremse quietschen. Sie fuhr herum und sah einen Mann auf einem Mountainbike – groß, schlank, sportlich, mit schwarzem Schlauchschal, Baseballcap und Neonjacke über ansonsten schwarzer Kleidung. Sie hörte ein „Poof!“. Dann noch eines.
Kinsella stürzte zu Boden. Man hatte ihm zweimal in den Rücken geschossen, eine der Kugeln hatte sein Rückenmark durchtrennt. Während seine Freundin über einen Zaun sprang und zu einer nahe gelegenen Autobahn sprintete, um sich in Sicherheit zu bringen, hörte sie weitere Schüsse. Der Angreifer fuhr näher an Kinsella heran, beugte sich direkt über ihn und verpasste ihm zwei Kugeln in den Hinterkopf. „Es war wie im Film“, würde Kinsellas Freundin später sagen. „Er wollte die Sache zu Ende bringen.“ Und dann radelte der Mörder einfach davon.
Salford Lads singen nicht
Man brauchte kein Genie zu sein, um die drei Jahre auseinanderliegenden, auf nahezu identische Weise ausgeübten Morde am Paten von Gangland und seinem Salford-Lads-Kumpanen miteinander in Verbindung zu bringen. Aber Bauchgefühle sind keine Grundlage für Verurteilungen. Wie Anwalt Paul Greaney aus Manchester (der den Prozess gegen Masseys Mörder führen würde) es ausdrückte: „In Salford gibt es einen historisch gewachsenen Kodex des Schweigens.“ Bandenkonflikte werden auf der Straße beigelegt, Punkt. Die Polizei „musste ihre These beweisen, ohne Augenzeugen oder Zeugen vorbringen zu können, die wussten, was warum passiert war. Mit wissenschaftlichen Beweisen und solchen, die die Bewegungen der Angeklagten nachvollzogen.“
ANFANGS HATTEN SIE NICHT MEHR als eine vage Ahnung. Mark Fellows’ Loyalität dem A-Team gegenüber war auf Behördenseite wohlbekannt. Als er kurz nach Masseys Ermordung eine Kugel in den Hintern bekam, rückte er in den Fokus der Polizei. Festgenommen allerdings wurde er nie. Sein Strafregister las sich wie das eines Kleinkriminellen: Mit 38 war er fünfmal verurteilt worden, für Vergehen von Einbruch bis hin zu unerlaubtem Munitionsbesitz. Aber nichts davon legte nahe, er könnte ein Auftragsmörder sein.
Eine Garmin-Pulsuhr brachte die Ermittler auf die entscheidende Spur
Mit seinem kantigen Kinn und der Läuferstatur sah Fellows eher nach Buchhalter denn nach Killer aus. Der Salforder schien ein ruhiges Leben zu führen. Seit einer Erkrankung in seiner Kindheit hatte er einen künstlichen Darmausgang und achtete penibel auf Hygiene. Er hatte zwei kleine Kinder und arbeitete Nachtschichten für einen Hersteller von Tiefkühlkost, wo er Soßen zubereitete. Zudem war er begeisterter Langstreckenläufer. Seine Zeiten nahm er mit einer „Garmin Forerunner 10“-GPS-Uhr. Erst kürzlich hatte er in 47 Minuten den zehn Kilometer langen Great Manchester Run absolviert. Offizielle Fotos zeigten ihn kurz vor der Ziellinie mit zerzaustem Haar und einem Tanktop über seinem langärmeligen Lauf-Shirt. An seinem linken Handgelenk: die Garmin.
Als die Polizei nach Hinweisen im Fall Kinsella suchte, stießen sie auf Material von Sicherheitskameras, das zwar nicht den Mord selbst, dafür aber einen Mann mit vermummtem Gesicht zeigte, der gegen 5 Uhr morgens mit dem Fahrrad auf dem Weg zu Kinsellas Haus war. Der Mann hatte ihrer Ansicht nach verblüffende Ähnlichkeit mit Fellows. Und so wurde Fellows am 30. Mai 2018 in einem Easyjet-Flieger von Amsterdam nach Manchester wegen doppelten Mordverdachts festgenommen. Auf der Wache versuchten die Polizisten, den Mann zu verhören, den man in Gangland-Kreisen als den „Iceman“ kannte. Aber er schwieg beharrlich.
Die Beweise, die sie gegen Fellows in der Hand hatten, waren mehr als dürftig. Allerdings fanden die Beamten in seinem Besitz ein Smartphone, das so modifiziert worden war, dass es in einen verschlüsselten Modus wechselte, wenn man die Ein-/ Austaste und einen der Lautstärkeregler gleichzeitig drückte. „So ein Telefon bekommt man nicht in jedem x-beliebigen Elektromarkt“, würde einer der Staatsanwälte später im Gerichtssaal sagen. Sprich: Ein Gerät wie dieses würde ein Auftragsmörder nutzen, um mit seinem Helfer zu kommunizieren.
Ein Lad singt doch: Stephen Boyle
Es dauerte nicht lange, bis auch dieser Helfer verhaftet wurde. Stephen Boyle, argumentierte die Staatsanwaltschaft vor Gericht, war ein Freund und Kollege von Fellows und Carroll. 2015 war er Massey nach dessen Einkauf bei Bargain Booze mit dem Auto gefolgt, und 2018 lag er auf der Lauer und informierte den Iceman, als Kinsella und seine Hunde näher kamen.
WIE AUCH FELLOWS verfügte Boyle, damals 35, über ein Strafregister wegen kleinerer Vergehen. Was das betraf, war er ein typischer Salford-Kleinkrimineller. In anderer Hinsicht war er es nicht. Er redete. „Ich habe niemanden umgebracht“, sagte er zur Polizei, als er in einem Hotel bei Manchester verhaftet wurde. „Aber ich weiß vermutlich mehr darüber, als ich sollte.“
Boyles Köder kam zwar überraschend, aber er reichte nicht. Die Polizei brauchte Beweise. Die zu finden war das Ziel, als sie eine Hausdurchsuchung in Fellows’ Wohnung durchführten. Sie suchten nach irgendetwas, das ihn mit den Morden in Verbindung brachte. Aber sie fanden weder das Fahrrad aus dem Überwachungsvideo noch eine Mordwaffe. Allerdings fanden sie ein anderes, viel banaleres Beweisstück, das gemeinsam mit dem ungewöhnlich redefreudigen Bandenmitglied zur Lösung beider Mordfälle führen sollte: die „Garmin Forerunner 10“.
Die Ermittler luden die Daten von dem Gerät herunter und fanden heraus, dass Fellows damit nicht nur seine Laufstrecken getrackt hatte, sondern auch eine Reihe von Erkundungsmissionen. Bei einer dieser Missionen, drei Monate vor dem Mord an Massey, war Fellows von seinem Haus in Salford zu dem Feld gefahren, das gegenüber von Masseys Haus lag. Die Uhr legte nahe, dass ihr Träger nicht zu Fuß unterwegs gewesen war, sondern auf dem Fahrrad. Außerdem hatte sie registriert, dass der Träger manuell die Aufzeichnung seines Aufenthaltsorts gestoppt hatte, als er neben der kleinen Steinkirche stand. Er verbrachte dort acht Minuten, in denen er „seine Warteposition und seinen Fluchtweg fand“, wie Greaney später vor Gericht sagen würde. Und dann radelte er einfach davon.
Die Mordfälle Massey und Kinsella: ein denkwürdiger Prozess
BEI DEM VERFAHREN für die Morde an Paul Massey und John Kinsella war mehr Sicherheitspersonal anwesend, als die Staatsanwaltschaft je bei einem Fall erlebt hatte. Während des Prozesses argumentierte die Staatsanwaltschaft, Fellows sei für beide Auftragsmorde bezahlt worden und Boyle habe ihm in beiden Fällen assistiert. Fellows’ Anwälte riefen keine Zeugen auf. Die Verteidigung des angeblichen Helfers des Iceman aber rief Boyle selbst in den Zeugenstand. Und wieder tat Boyle das Undenkbare: Im Zeugenstand behauptete er, an Masseys Ermordung nicht beteiligt gewesen zu sein. In Kinsellas Fall aber sei er dabei gewesen, allerdings habe er geglaubt, es handle sich um ein Drogengeschäft. Dann habe Fellows Kinsella getötet und Boyle einen Revolver gegeben, der in eine Socke gestopft in einem Rucksack steckte. Boyle sagte aus: „Ich so zu ihm: Wie kannst du mir das antun?“ Er habe gehofft, Fellows würde irgendwann doch aussagen, und gab zu, er würde nun um das Leben seiner Familie und Freunde fürchten.
Mark Fellows wird im Gefängnis sterben
Die Staatsanwaltschaft hatte für Boyles Verteidigung nur Hohn und Spott übrig. Und die Geschworenen kauften sie ihm nicht ab. Nach 31-stündiger Beratung befand die Jury Boyle im Mordfall Kinsella für schuldig. Im Mordfall Massey wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Er erhielt lebenslänglich, mit der Chance auf Bewährung nach 33 Jahren, also 2052. Fellows, der in beiden Fällen schuldig gesprochen wurde, erhielt dasselbe Strafmaß, allerdings ohne die Möglichkeit auf Bewährung – in Großbritannien ein ausgesprochen seltenes Urteil, das bedeutet, dass er im Gefängnis sterben wird.
Fellows grinste, als die Urteile verlesen wurden. Als ihn die Wärter von der Anklagebank wegführten, soll er sich mit dem Finger über die Kehle gefahren sein und das Wort direkt an seinen Mitangeklagten Boyle gerichtet haben: „Das ist deine verdammte Schuld, du verschissene Petze.“
Das Gericht hatte seinen Teil der Arbeit geleistet. Aber das Urteil der Straßenjustiz stand noch aus. Einen Monat nach der Verurteilung befand sich Fellows in dem Hochsicherheitsgefängnis Whitemoor, 150 Meilen südöstlich von Salford, als ihn ein Mitglied einer Liverpooler Gang mit einem Holzscheit angriff, in das fünf Rasierklingen eingelassen waren. Der Iceman wurde mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht. Er erlitt schwere Gesichtsverletzungen.
Keine zwei Jahre später wurde er wegen zwei weiterer Angriffe auf Mitglieder des A-Teams angeklagt, die beide vor Masseys Ermordung stattgefunden hatten: die Schüsse auf den Mann im Mercedes (in diesem Fall wurde er freigesprochen) und der Machetenvorfall, wegen dem er für schuldig befunden wurde. Eine Überwachungskamera hatte aufgezeichnet, wie er sich kurz vor dem Angriff mit Carroll beriet, der sich Gerüchten zufolge nach Dubai abgesetzt haben soll. Im zweiten Anklagepunkt wurde Fellows ein weiteres Mal zu lebenslänglich verurteilt.
Die hinterbliebenen Familien kommen nie darüber hinweg
ALS SICH PAUL MASSEY auf der Höhe seiner Macht befand, sprach er mit der BBC darüber, wo er seine moralischen Grenzen zog. „Ich habe kein Interesse daran, Menschen zu töten“, sagte der Gangster, der später dafür verurteilt werden sollte, mit einem Messer auf einen anderen Mann losgegangen zu sein. „Ich habe gesehen, wie das die hinterbliebenen Familien zerstört. Solche Familien kommen nie darüber hinweg.“ Masseys Familie ist nie darüber hinweggekommen.
Louise Lydiate ist nie in die Rotklinkervilla zurückgekehrt. Die Erinnerungen an die Ermordung ihres Partners wogen zu schwer. Sie nahm einen Job als Chefin eines heruntergekommenen Pubs in Salford an, über dem sie auch wohnen konnte. Sie kannte die Stammgäste. Der Job war ihr Familien- und Therapieersatz zugleich. Aber sie blieb meistens auf, bis der letzte Gast zur Tür herausgetorkelt war, nur um früh wieder aufzustehen, um zu putzen. Sie war zunehmend erschöpft, begann selbst immer mehr zu trinken. „Ich kann das meiner Familie und meinen Kindern nicht antun“, sagte Lydiate. „Sie haben schon genug durchgemacht.“
Sie gab den Job auf und zog zusammen mit ihren beiden Chihuahuas Pippa und Rolo in eine kleine Dreizimmerwohnung in der Salforder Innenstadt. Sechs Jahre später denkt sie immer noch ständig an Masseys Ermordung. Sie leidet an einer Angststörung, nimmt Psychopharmaka. Sie erzählt, sie habe Panikattacken und Albträume, die Diagnose laute „posttraumatische Belastungsstörung“. Ihre anfängliche Wut ist einer alles verschlingenden Trauer gewichen. Unzählige Stunden hat sie damit verbracht, sich zu fragen, warum ihr Partner nicht mit 30 erschossen wurde, als er tief in die Bandenkriege verstrickt war, sondern mit 55, als er dieses Leben eigentlich bereits hinter sich gelassen hatte.
Salford Lad bleibt Salford Lad
In Lydiates Wohnzimmer hängt das letzte gemeinsame Foto von Massey und ihr. Es wurde nur wenige Tage vor dem Mord in einem Restaurant aufgenommen. Jeden Abend hält sie Zwiesprache mit dem Bild. Sie fragt Massey, was er von ihrem heutigen Leben hält. Was würde Paul mir jetzt raten? Manchmal glaubt sie fast, seine Stimme zu hören. Jetzt hör schon auf damit, sagt er dann. Leb dein Leben weiter.
Geister sind komplizierte Geschöpfe. Sie haben immer noch Geheimnisse. Aber jetzt, wo sie ihr Ego los sind und keinen Konkurrenzkämpfen mehr ausgesetzt sind, können sie sich und ihre Gegner mit Abstand betrachten. Sie können ehrlich sein. Was also würde Paul Masseys Geist über den Mann sagen, der ihn ermordete? Er würde auf Rache sinnen, so viel steht fest. Aber würde er womöglich auch ein wenig widerwilligen Respekt empfinden? Für die Effizienz, das diskrete Vorgehen, die Einhaltung des Kodex? Selbst nach seiner Festnahme redete Fellows nicht mit der Polizei. Er hielt sich an die moralischen (und sicherlich mehr als fragwürdigen) Grundsätze, die einen echten Salford Lad ausmachen.
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