F1-Inside mit Stefan Ehlen

Ferrari ist wieder eine Macht in der Formel 1 - Experte nennt Gründe für Aufschwung

Ferrari fährt 2022 endlich wieder um den WM-Titel in der Formel 1 mit. Die Chancen des Traditionsteams auf den Fahrertitel sind so groß wie lange nicht mehr. Formel-1-Experte Stefan Ehlen nennt die Gründe für den gigantischen Ferrari-Aufschwung. 

Charles Leclerc im Ferrari
Credit: Imago

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Genau das ist die Ausgangslage von Ferrari in der Formel-1-Saison 2022. Die Ferrari-Titelchancen stehen so gut wie lange nicht mehr: Nach zuletzt zwei komplett sieglosen Jahren und einigen Regeländerungen, die Ferrari in der jüngeren Vergangenheit nicht immer gut gemeistert hat, dürfen die Tifosi berechtigterweise auf einen neuen Ferrari-Weltmeister hoffen.

 Aber warum ist das so?

Da wäre vor allem der Ferrari F1-75, das aktuelle Rennauto von Charles Leclerc und Carlos Sainz, zu nennen. Damit das neue Auto ein Erfolg wird, hat Ferrari gleich mehrere Formel-1-Saisons abgeschenkt. 2020 und 2021 wurden "geopfert", um unter dem neuen technischen Reglement ab 2022 wieder ganz vorne dabei zu sein.

Es war ein Risiko, das sich jetzt bezahlt macht: Mit der langen Vorbereitungszeit hat Ferrari ein Auto hingestellt, das Leclerc in den ersten drei Rennen zwei Siege ermöglicht hat, dazu fünf Pole Positions in bisher sieben Rennen und drei schnellste Runden. Was zeigt: Der Speed stimmt bei Ferrari, erstmals seit Jahren.

Dass Sainz strauchelt, ist eigentlich ideal

Auch fahrerisch ist das Team hervorragend aufgestellt: Leclerc kommt mit dem F1-75 ausgezeichnet zurecht, kann mit diesem Auto seine ganze Klasse aufzeigen. Er scheint der große WM-Rivale von Titelverteidiger Max Verstappen im Red Bull zu werden.

Und dass Sainz mit eben diesem Auto Schwierigkeiten hat und nach sieben Rennen mit Pleiten, Pech und Pannen nur WM-Fünfter ist, muss nichts Schlechtes bedeuten für Ferrari. Klar: In der Konstrukteurswertung ist das keine Hilfe. Da braucht es zwei konstante Fahrer, sonst muss man über den Titelgewinn gar nicht nachzudenken.

Charles Leclerc (Ferrari)
Charles Leclerc (Ferrari)
Credit: Imago
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Aber: Der große Punkteabstand zwischen Leclerc und Sainz hilft Ferrari, die Chancen in der Fahrerwertung zu maximieren. Denn Weltmeister werden kann nur einer, und wenn sich schon früh abzeichnet, wer teamintern der Favorit ist, umso besser. Auch wenn das Sainz nicht gefallen wird: Die Titelchancen von Leclerc und Ferrari steigen, wenn er seinem Teamkollegen wenig bis keine Punkte wegnimmt.

Entscheidend ist der Fahrertitel

Und es geht in der Formel 1 nur um den Fahrertitel. Punkt, fertig, aus.

Natürlich: Für die Teams ist die Konstrukteurswertung wichtig, da geht es um viele Millionen an Preisgeld und Prestige. Aber die weitaus größere Strahlkraft besitzt der Weltmeister-Titel in der Fahrerwertung. Gerade für Ferrari.

Als Michael Schumacher in der Saison 2000 im Ferrari den Titel holte, war er der erste Ferrari-Weltmeister seit 21 Jahren. Das war die entscheidende Kennzahl, der WM-Gewinn von Jody Scheckter 1979, und nicht etwa der Titel in der Konstrukteurswertung 1983 mit Rene Arnoux und Patrick Tambay. Und jeder erinnert sich heute an Kimi Räikkönen als den bisher letzten Ferrari-Weltmeister in der Saison 2007 – und nicht an den Ferrari-Gesamtsieg in der Konstrukteurswertung 2008 mit Räikkönen und Felipe Massa.

Ein Spaziergang wird es nicht für Ferrari

Aber ein Spaziergang zum nächsten Titel wird die Saison 2022 für Ferrari nicht. Red Bull hat mindestens gleichgezogen, mit zuletzt vier Siegen in Folge und erfolgreichen Updates für den RB18 von Verstappen und Sergio Perez.

Und das wird der Knackpunkt in diesem Jahr: Wer holt schneller mehr aus seinem Auto heraus? Hier muss Ferrari liefern, hat sich unter dem Druck der Budgetdeckelung dazu entschlossen, nur wenige, aber große Updates zu bringen. Das bedeutet aber auch: Die Updates müssen sitzen.

Das wiederum ist eine ganz andere Aufgabenstellung als in den vergangenen Jahren, als Ferrari es sich leisten konnte, ein "Schmalspur"-Programm zu fahren, weil alles auf 2022 ausgerichtet war und die jeweiligen Endpositionen in der WM nicht relevant waren für das bekannteste Rennteam der Welt. Man musste nicht entwickeln, man tat es auch nicht.

Jetzt ist das anders. Jetzt ist Ferrari wieder vorne dabei. Und die Erfolgschancen sind so groß wie seit Jahren nicht mehr. Wenn es also in dieser Saison (wieder) nicht mit dem WM-Titelgewinn klappt, wann dann?

Zur Person: Über Motorsport schreiben - das wollte Stefan Ehlen schon in jungen Jahren. Seit 2008 tut er das für die marktführenden Motorsport-Portale in Deutschland: Formel1.deMotorsport-Total.com und, seit 2015, Motorsport.com – immer mit dem Schwerpunkt Formel 1. 2019 veröffentlichte er mit "Grand-Prix-Geschichte(n)" ein Sachbuch zur F1-Historie. Er spricht regelmäßig in Podcasts und auch als TV-Kommentator.

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