Tennis

Tennis-"Tarzan": Darum ist Carlos Alcaraz der neue Dominator auf dem Platz

Carlos Alcaraz sorgt mit seinem Wimbledon-Sieg für eine Zeitenwende im Tennis: Ab sofort ist er Favorit, Novak Djokovic nur noch Herausforderer. Mit 20 Jahren ist der Spanier so komplett wie kein Spieler vor ihm. Reicht das für eine lange Dominanz?

Carlos Alcaraz
Credit: Alamy

Neulich wurde Carlos Alcaraz danach gefragt, wo er denn eigentlich den Pokal für seinen Wimbledon-Sieg aufbewahren würde. Der 20-jährige Weltranglistenerste musste ein bisschen schmunzeln. "Ich habe die Trophäe zu Hause in meinem Wohnzimmer auf einem Tisch stehen", sagte Alcaraz.

Und er habe die Silberware so platziert, dass er sie zu jeder Mahlzeit genau im Blick habe. "Ich sehe mir dann den Pokal immer wieder genau an, auch weil ich die Erinnerung an diesen Tag niemals vergessen möchte." Dieser zumindest bisher wichtigste Tag im Leben des Tennisspielers Carlos Alcaraz war der 16. Juli 2023. 

Alcaraz mit der Trophäe nach seinem Wimbledon-Sieg
Alcaraz mit der Trophäe nach seinem Wimbledon-Sieg
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Carlos Alcaraz: Sein Wimbledon-Sieg gilt als Zeitenwende im Tennis

Es sind bisher schon wieder einige Monate vergangen. Aber das Finale von Wimbledon, das Alcaraz auf so dramatische Art und Weise gegen Novak Djokovic in fünf Sätzen gewann, ist auch deshalb in der Tennis-Szene noch so präsent, weil es als eine Art Zeitenwende in dieser Sportart gilt. Selbst die Djokovic-Seite lässt dieses epische Match nicht los.

Goran Ivanisevic, Djokovics Coach, setzt die Niederlage nach wie vor zu. "Ich stehe immer noch ein wenig unter Schock von diesem Endspiel", sagte der Wimbledon-Champion von 2001 im Gespräch mit kroatischen Medien. "Novak hatte viele Chancen, die er nicht genutzt hat. Alcaraz hat mutiger und entschlossener gespielt, wenn es nötig war. Er war an diesem Tag besser und hat das Match gewonnen."

Alcaraz mit Wimbledon-Finalgegner Djokovic
Alcaraz mit Wimbledon-Finalgegner Djokovic
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Alcaraz hat das Match nicht nur gewonnen. Er hat mit dem Sieg im All England Club auch seinen Nummer-eins-Status im Männer-Tennis manifestiert. Dieser Sieg war ein Statement. Auch eines gegen Djokovic. Der ist zwar schon 36 Jahre alt, aber er konnte in diesem Jahr eben auch schon zwei Grand-Slam-Turniere gewinnen. Die Australian Open und Roland Garros.

Der Serbe ist der Spezialist für die großen Turniere. Er konzentriert sich in den letzten Jahren seiner Karriere fast ausschließlich auf die vier Major-Turniere. Djokovic ist gierig nach den Siegen dort. Kleinere Turniere lässt er immer öfter aus. In Paris Anfang Juni fügte er Alcaraz eine schmerzhafte Niederlage zu, im Halbfinale der French Open. Der junge Spanier wurde zeitweise von Krämpfen geschüttelt und verlor in vier Sätzen.

Ab dem dritten Satz war er kein ernst zu nehmender Gegner mehr gewesen. Hinterher gab Alcaraz zu, dass die Anspannung vor diesem Match für ihn zu groß gewesen sei. Dass sich daraus auch die Krämpfe entwickelt hätten. Er meinte die Anspannung, die sich bei ihm vor allem auch wegen des Gegners Stück für Stück mehr entwickelt habe. Gegen Djokovic in einem Grand-Slam-Halbfinale zu spielen sei eine übermenschliche Herausforderung. So sagte es Alcaraz hinterher. 

Dauerbrenner-Duell: Alcaraz vs. Djokovic

Aus den Erlebnissen von Paris hätten sich für das spanische Super-Talent gleich reihenweise Komplexe entwickeln können. Nicht wenige Tennis-Experten rechnen ja damit, dass sich das Duell Alcaraz vs. Djokovic in nächster Zeit zu einem Dauerbrenner im Welt-Tennis entwickeln könnte. Aber Alcaraz hielt das Pendel in Wimbledon einfach an. Und riss es eindrucksvoll auf seine Seite. Der Spanier führte seinen Sieg beim Rasenklassiker an der Church Road hinterher immer wieder auf das dramatisch verlorene Halbfinale bei den French Open zurück. "Ich bin daran als Spieler gewachsen", sagte er. Er habe sich dieses Mal mental ein bisschen anders vorbereitet und hätte auch deshalb den Druck besser aushalten können. 

Was auch beweist: Alcaraz versteht das "Mind Game" Tennis mittlerweile mindestens so gut wie Djokovic. Dabei war ja immer genau das dessen größte Stärke. Auch deshalb haben sich die Verhältnisse geändert. Alcaraz geht bei den Tennis-Turnieren als Favorit an den Start. Djokovic ist nur noch der Herausforderer. Der Serbe ahnt, dass seine Regentschaft nicht nur in Gefahr, sondern womöglich vorbei ist. Weil Alcaraz vor allem eines ist: sehr besonders. 

Sein atemloser Aufstieg in die Weltspitze des Herren-Tennis hat etwas Urgewaltiges an sich. Der Spanier, den sie in seiner Heimat in Murcia "Carlitos", den kleinen Carlos, nennen, hat in seinem aufregenden und abwechslungsreichen Spiel kaum Schwächen. Er spielt extrem risikofreudig und verfügt über ein außergewöhnliches Ballgefühl, was immer dann besonders zum Vorschein kommt, wenn er ansatzlose Stoppbälle streut.

Über seine zweite große Waffe, den Kick-Aufschlag, hat Djokovic nach einer Niederlage in Madrid 2022 einmal gesagt, er habe so einen derart hoch abspringenden Ball noch nie gesehen. Alcaraz gewinnt seine Matches sehr rational und ohne Drama. "Klinisch", so beschrieben Tennisspieler diesen Stil gerne. Über seine Einstellung zum Tennis sagte der junge Spanier selber einmal: "Tennisspielen soll niemals eine Pflicht sein." So sieht es bei Alcaraz auch nicht aus. Selbst sein Trainer Juan Carlos Ferrero geht es daher wie allen, die seinen Schüler zuletzt sahen: "Ich habe Spaß, wenn ich ihm zuschaue – dabei müsste ich als sein Trainer doch eigentlich leiden."

Alcaraz: Easy Going-Einstellung bringt ihn weiter

Der Spaß an seinem Sport ist für Alcaraz eine große Sache. Der 20-Jährige lacht viel vor, während und nach seinen Matches. Mit dieser „Easy Going“-Attitüde gewann er im September 2022 in New York bei den US Open auch seinen ersten Grand-Slam-Titel. Aber Alcaraz ist auch ein extremer Athlet. Djokovic sagte nach dem verlorenen Wimbledon-Endspiel, dass sein Gegner jeweils das Beste aus drei Welten vereinen würde.

Die drei Welten, damit meinte er Roger Federer, Rafael Nadal und sich selbst. Die Big Three im Herren-Tennis haben eine Ära geprägt. Auch in Wimbledon, wo es seit 2003 neben den drei nur noch Andy Murray geschafft hatte, bis zu Alcaraz’ Triumph zu gewinnen. Das ist nun vorbei. Und der Spanier, dieser kompletteste aller Tennisspieler, schickt sich an, für lange Zeit der neue König zu werden. Und die Konkurrenz? Wie sehen die anderen Spieler den Spanier?

"Alcaraz ist weit vor den anderen", sagte Alexander Zverev. Deutschlands bester Tennisspieler ist sechs Jahre älter als Alcaraz, er müsste jetzt eigentlich auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit sein. Zverev war schon mal die Nummer zwei der Welt. Eine Verletzung warf ihn zurück. Jetzt ist er wieder fit, aber die Unterschiede zu Alcaraz sind eklatant. 

Alcaraz: Selfie mit Fans bei den US Open 2022
Alcaraz: Selfie mit Fans bei den US Open 2022
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Nadal über Alcaraz: "Also ist er kein normaler Typ"

Dessen Spiel ist moderner. Alcaraz bewegt sich deutlich geschmeidiger und hat mittlerweile auch das Defensivspiel, das ihn an die Linien und in die Ecken führt, für sich entdeckt. Schon sein erster Trainer Carlos Santos verglich ihn einst mit Tarzan: "Weil er sich auf dem Platz so zu Hause fühlt wie Tarzan im Urwald." Der Vergleich mit Zverev beweist: Alcaraz hat die mittlere Tennis-Generation um Daniil Medvedev, Stefanos Tsitsipas und Co. schon etwas länger rechts und links überholt. Sein einziger echter Gegner – auch beim Major-Turnier in New York – scheint der 36-jährige Djokovic.

"Wenn du jung und schon sehr gut bist, ist der Prozess schneller als bei den normalen Menschen. Also ist er kein normaler Typ, so wie Novak kein normaler Typ war, so wie Roger kein normaler Typ war, so wie wahrscheinlich auch ich kein normaler Typ war", sagte der derzeit verletzte Sandplatzkönig Nadal vor Kurzem über Alcaraz. Die beiden Spanier verstehen sich gut. Beide eint die Wettkampfhärte. Beide haben allerdings auch anfällige Körper. Das ist vielleicht der einzige Malus, den der Tennisprofi Alcaraz mitbringt. Die Australian Open Anfang des Jahres verpasste der 20-Jährige wegen einer Muskelverletzung. Das ist fast schon ein gewohntes Bild bei ihm, der extrem gut trainierte Spanier neigt immer wieder zu Verletzungen. Bedenkt man das immer noch sehr junge Alter des Ausnahmetalents, könnte dieser Fakt im Laufe einer langen Karriere zu einem Problem werden. 

Trainer Juan Carlos Ferrero
Trainer Juan Carlos Ferrero
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Nadal, der einen ähnlich kräftigen Körperbau hat, hat bis heute immer wieder mit Muskelproblemen zu kämpfen. Severin -Lüthi, langjähriger Coach von Roger Federer, sieht eine weitere kleinere Unsicherheit: Die geringe Erfahrung könnte ein Problem für Alcaraz werden. "Wie jemand auf den großen Erfolg reagieren wird, können wir so früh nicht abschätzen", erklärte Lüthi vor Kurzem im schweizerischen Fernsehen. Bisher macht der Spanier, beschützt von seinem klugen Trainer Ferrero, aber nicht mal ansatzweise den Eindruck, dass ihn die großen Siege aus der Bahn werfen könnten.

Bei kleineren Turnieren sieht man Alcaraz immer wieder auch mal im Gespräch mit den Ballkindern. Nach seinem epischen Viertelfinal-Sieg über den Italiener Jannik Sinner bei den US Open 2022 blieb der Weltranglistenerste noch über eine halbe Stunde in der riesigen Arthur-Ashe-Arena und stand auch noch dem letzten Fan für ein Handy-Selfie mit bewundernswerter Gelassenheit zur Verfügung. Alcaraz ist ein bescheidener und im besten Sinn normaler Typ. Züge von Größenwahn hat er bisher nicht gezeigt. Dabei gäbe es ja genug Anlässe. 

Djokovic: "Habe nie gegen so einen Spieler auf dem Platz gestanden“

Fragt man Djokovic nach seinem großen Widersacher, hört man nur Gutes. Der 23-malige Grand-Slam-Champion lässt kaum eine Gelegenheit aus, Alcaraz nicht in den höchsten Tönen zu loben. "Ich habe noch nie gegen so einen Spieler auf dem Platz gestanden", sagte er zum Beispiel nach dem Wimbledon-Endspiel. Das klang beinahe schon ehrfurchtsvoll.

Der Verlierer hob immer wieder Alcaraz’ "mutiges, modernes und attackierendes Spiel" hervor. Fast könnte man meinen, dass hinter dem fortwährenden Hochjubeln System stecke. Nach dem Motto: Ich mache mir meinen ärgsten Feind auf dem Platz einfach zum Freund. Vielleicht steigt dem das Rosenstreuen irgendwann dann ja wirklich zu Kopf – und die Fokussiertheit geht verloren. Aber darauf sollte sich Djokovic nicht verlassen. Der Serbe wurde schon in Wimbledon von seiner eigenen Verwundbarkeit überrascht. 

Und die jugendliche Leichtigkeit und das Unbeschwerte von Alcaraz könnten ihm jetzt auch bei den US Open wieder schmerzhaft zusetzen. Der überehrgeizige Djokovic mag zwar immer noch aussehen wie ein 22-Jähriger, aber die 36 Lebensjahre sind nicht wegzuleugnen. Zwei gute Jahre könnte er noch haben, und in dieser Zeit kommen vielleicht sogar noch ein paar große Titel dazu. Aber die Zukunft heißt Alcaraz. Und die Gegenwart auch. Weil der junge Spanier jetzt schon größer ist als jedes Tennis-
Versprechen vor ihm.


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