Australian Open

Barbara Rittner: "Würde mich über jedes Match freuen, was Alex Zverev gewinnt"

Eurosport-Expertin Barbara Rittner spricht im Interview mit Sports Illustrated über die Favoriten bei den Australian Open, die Ambitionen von Alexander Zverev und Top-Talent Ella Seidel. Außerdem verrät sie, dass sie Boris Becker in dessen Haft Briefe schrieb.

Eurosport-Expertin Barbara Rittner
Credit: Eurosport

Sports Illustrated: Am 16. Januar startet die 111. Auflage der Australian Open. Was macht den besonderen Reiz des ersten Grand-Slam-Turnieres des Jahres aus?

Barbara Rittner: Die Australien Open werden nicht umsonst der "Happy Slam" genannt. Wenn man aus dem grauen, regnerischen Europa in den Hochsommer nach Australien in die Sonne fliegt, sind alle glücklich. Die Menschen in Australien sind sehr freundlich. Bei diesem Turnier können sich die Spieler am freiesten bewegen. Das Wetter und die Atmosphäre sind toll. Melbourne und ganz Australien sind voll auf Tennis fokussiert.

Sports Illustrated: Bei den Australian Open wird auf Hardcourt gespielt. Welche Voraussetzungen und Eigenschaften muss man haben, um auf diesem Belag erfolgreich zu sein?

Rittner: Zwei Drittel der Turniere in einem Jahr werden auf Hardcourt gespielt. Auf diesem harten Untergrund haben die Spieler ein anderes Bewegungsmuster. Man rutscht die Bälle nicht aus, sondern man muss auf Hardcourt eine andere Lauftechnik haben. Man muss stabil stehen und die Balance halten. Dafür benötigt man viel Kraft, denn die Beinarbeit ist sehr entscheidend. In Australien kommen die unglaublich heißen Tage mit über 40 Grad hinzu. Auf dem Court wird es extrem warm. Die Spieler ziehen zwei Paar Socken an und schauen, dass die Schuhe die Hitze und die Belastung aushalten. Deshalb geht es auch darum, sich zu Beginn des Turniers zu akklimatisieren.

Sports Illustrated: Naomi Osaka, Simona Halep und Angelique Kerber werden in diesem Jahr nicht in Australien spielen. Wer sind die Favoritinnen auf den Titel?

Rittner: Für mich ist Iga Swiatek aus Polen die absolute Topfavoritin. Sie ist zwar erst 21 Jahre alt, aber sie macht jetzt schon einen stabilen Eindruck. Sie ist unheimlich fokussiert und bewegt sich sehr athletisch auf dem Court. Hinzu kommt ein Kreis an Spielerinnen, die ebenfalls um den Titel mitspielen können. Coco Gauff aus den USA darf man nicht unterschätzen, die jetzt auch das Vorbereitungsturnier gewonnen hat. Hinzu kommt Jessica Pegula, über die kaum einer redet, aber die Nummer 3 der Weltrangliste ist. Aber auch die Russinnen Aryna sabalenka und Liudmila Samsonova sollte man auf dem Zettel haben.

Tennisspielerin Iga Swiatek aus Polen
Tennisspielerin Iga Swiatek aus Polen
Credit: Getty Images
x/x

Sports Illustrated: Mit Laura Siegemund, Jule Niemeier, Tatjana Maria und Tamara Korpatsch sind vier deutsche Spielerinnen dabei. Wer ist am besten in Form?

Rittner: Leider haben alle vier deutschen Spielerinnen in der Vorbereitung nicht so gut gespielt. Ich wünschte, ich könnte sagen Jule Niemeier. Gerade wegen ihrer Ergebnisse in Wimbledon und bei den US Open, wo sie bewiesen hat, dass ihr die große Bühne liegt. Aber Jule Niemeier hat zuletzt drei Vorbereitungsmatches verloren und konnte keinen Satz gewinnen. So etwas nagt immer auch am Selbstvertrauen. Hinzu kommt, dass alle deutschen Spielerinnen nicht gesetzt sind. Somit wird viel von der Auslosung abhängen, welche Gegnerin man bekommt. Aber gerade bei den Australian Open ist es wichtig, gut ins Turnier hineinzukommen. Ich wünsche allen vier Spielerinnen einen guten Start, wobei Jule Niemeier sicherlich die größten Chancen hat weit zu kommen, wenn sie ihre Form findet. Tamara Korpatsch ist bei den Australian Open Debütantin im Hauptfeld. Auf Qualifikantin Eva Lys freue ich mich ganz besonders im Hauptfeld.

Sports Illustrated: Ella Seidel (17) ist bei den Juniorinnen am Start. Wie weit kann das größte deutsche Nachwuchstalent kommen?

Rittner: Wir haben drei Juniorinnen am Start. Ella Seidel hat Anfang Januar in der Vorbereitung gut trainiert. Im Dezember ist sie Deutsche Meisterin geworden. Das Selbstvertrauen stimmt. Aber für sie ist Australien die erste richtig große Reise. Da ist es wichtig, wie gelassen sie dieses Turnier angehen kann, wenn es windig oder heiß ist. Wie schafft sie es, bei den ganzen Umständen cool zu bleiben? Sie hat auf jeden Fall das Können, ganz vorne mitzuspielen. Ich denke, dass sie dieses Turnier gewinnen will. Ella Seidel ist eine Spielerin, die sich selbst unheimlich großen Druck macht. Damit muss sie lernen umzugehen. Ich sehe dieses Turnier deshalb als weiteren Lernprozess für sie. Sie hat ja 2022 in Wimbledon und bei den US Open gezeigt, dass sie vorne mitspielen kann.

Sports Illustrated: Was kann der DTB machen, damit aus Ella Seidel eine Top-10-Spielerin wird?

Rittner: Ella Seidel ist ganz nah bei uns. Sie wird zur Zeit von Jasmin Wöhr im Zusammenspiel mit mir betreut. Jasmin hat die komplette Vorbereitung im November und Dezember mit ihr gemacht. Sie betreut Ella Seidel und Caro Kuhl auch in Australien. Danach wird es eine Mischung aus uns beiden geben. Ella trainiert komplett in Stuttgart am Bundesstützpunkt. Wenn sie zwischendurch in Hamburg zu Hause ist, unterstützt uns der Hamburger Verband mit Julian Reister. Das ist für uns ein Paket, wo wir uns dran messen lassen müssen. Ich denke, dass Ella sehr gute Voraussetzungen hat. Sie muss lernen, dass sie nicht ganz so streng zu sich ist und manchmal etwas gelassener mit sich umgeht. Aber die Art und Weise, wie sie an sich arbeitet, stimmt. Sie hat zwar noch einen langen Weg vor sich, aber die Ansätze sind hoffnungsvoll. Die Top 10 sind ein sehr hohes Ziel. Wir wollen Ella aber unter die besten 50 Spielerinnen bringen und dann schauen wir weiter.

Eurosport-Expertin Barbara Rittner
Eurosport-Expertin Barbara Rittner
Credit: Eurosport
x/x

Sports Illustrated: Titelverteidiger Rafael Nadal erwischte einen durchwachsenen Saisonstart. Kann sich der Spanier in „Down Under“ noch einmal gegen die starke Konkurrenz durchsetzen?

Rittner: Rafael Nadal hat nicht schlecht gespielt, aber die Vorbereitungsmatches knapp verloren. Er hat selber gesagt, dass er sich noch justieren muss. Aber wenn es einer schon mehrfach bewiesen hat, dass er das kann, dann ist es Rafael Nadal. Ich denke, dass er von Match zu Match stärker wird. Wenn er schlagbar ist, dann vielleicht in den ersten drei Runden. Dann wird es natürlich schwer. Aber dass mit ihm zu rechnen ist, ist ja klar. Bei den Fans ist er einer der Lieblinge. Er wird viel Unterstützung bekommen.

Sports Illustrated: Novak Djokovic will trotz Schmerzen im linken Bein seinen zehnten Titel bei den Australian Open klarmachen. Wie stehen seine Chancen?

Rittner: Wenn Novak Djokovic in ein Turnier startet, dann immer mit 100 Prozent. Er hat das Vorbereitungsturnier gewonnen. Novak Djokovic hat in Australien seit 2018 kein Match mehr verloren. Wenn er topfit ist, hat er beste Chancen auf seinen zehnten Titel. Er ist ein unglaublicher Tennisspieler. Wenn ich Geld setzten müsste, würde ich auf Djokovic tippen. Man muss aber auch hier wieder schauen, wie die Auslosung ist und gegen wen Holger Rune spielt. Der Däne ist sicherlich auch heiß und kann jeden schlagen. Hinzu kommt Stefanos Tsitsipas, der in Australien immer gut gespielt hat.

Sports Illustrated: Im vergangenen Jahr wurde Djokovic vom Turnier ausgeschlossen, weil er sich nicht impfen ließ. Besteht die Gefahr, dass er von den Zuschauern ausgepfiffen wird?

Rittner: Das glaube ich nicht. Die australischen Tennis-Fans sind ein tolles Publikum. Deswegen sind die Spieler auch immer gerne in "Down Under", weil es ein tennisaffines und faires Publikum ist. Die Zuschauer kennen sich aus und wissen gute Leistung zu würdigen. Vielleicht wird der eine oder andere pfeifen, aber damit kann Djokovic umgehen. Wenn er mit seinem guten Spiel überzeugt, wird er die Fans wieder auf seine Seite ziehen.

Sports Illustrated: Alex Zverev ist nach seiner schweren Fußverletzung zurück. Wie lange braucht er, um wieder bei 100 Prozent zu sein?

Rittner: Ich denke, man kann Alex Zverev noch nicht zum Favoritenkreis zählen. Nach seiner langwierigen Verletzung muss man ihm Zeit geben. Ich würde mich über jedes Match freuen, was er gewinnt. Wenn er zwei, drei Matches für sich entscheiden kann, wäre das zu diesem Zeitpunkt schon gut. Aber er hat selber gesagt, wenn er zur Sandplatzsaison wieder die Form hat, die er im letzten Jahr hatte, wäre er sehr glücklich. Ich denke, das ist auch realistisch. Bei den Australian Open wird es auf Hardcourt vor allem darum gehen, wie sehr er es mental schafft, mit seinem Fuß voll in die Bewegung nach außen zu gehen. Ich hatte selber eine schwere Fußverletzung und danach immer eine kleine mentale Blockade. Da sagt Zverev, dass ihm das keine Probleme macht. Aber unter dem Druck und dem Stress wieder zu einer gewissen Lockerheit zurückzufinden, wird die wichtigste Aufgabe sein. Hinzu kommt Match-Routine, die man wirklich nur bei Matches unter Wettkampfbedingungen bekommt. Wenn das alles klappt, ist er im April / Mai wieder 100 Prozent fit.

Sports Illustrated: Zusammen mit Boris Becker arbeiten Sie als Tennis-Expertin für Eurosport. Wie viel Spaß macht Ihnen dieser Job?

Rittner: Der Job bei Eurosport macht mir unglaublich viel Spaß. Für mich ist das ein Wechsel der Perspektiven. Als Expertin arbeite ich beim Fernsehen sehr viel analytisch. Ich schaue mir die Match-Statistiken sowie technisch-taktische Dinge an, die auffallen. Das ist eine extrem intensive Betrachtung der Matches. Das finde ich schön. Ich arbeite gerne mit dem tollen Team bei Eurosport zusammen.

Alex Zverev in Melbourne
Alex Zverev in Melbourne
Credit: Imago
x/x

Sports Illustrated: Freuen Sie sich, dass Boris Becker wieder frei ist?

Rittner: Ich freue mich wahnsinnig, dass er wieder dabei ist. Wir haben bei Eurosport immer sehr viel Spaß miteinander.

Sports Illustrated: Hatten Sie Kontakt zu Boris Becker, als er inhaftiert war?

Rittner: Ich habe ihm längere Briefe geschrieben, auch um ihn ein bisschen up to date zu halten, was beim Deutschen Tennis-Bund und der internationalen Tennis-Szene los ist. Es gab ja ein paar Themen. Angelique Kerber ist schwanger geworden und Andrea Petkovic hat ihre Karriere beendet. Das gute Abschneiden im Davis Cup. Das habe ich ihm geschrieben. Ich denke, dass es ihm in dieser Situation gutgetan hat.

TV-Tipp: Eurosport zeigt die Australian Open 2023 live bei Eurosport 1 im Free-TV und bei Eurosport 2. In diesem Jahr können die Fans zudem erstmals alle Partien aus Melbourne auf bis zu 16 parallelen Kanälen live und on-demand beim Streamingdienst discovery+ (ab 3,99 Euro/Monat) verfolgen.

 

Mehr Sport-News:

Mit dem NFL Draft 2023 in Kansas City startet eine neue Football-Ära in Deutschland: Nicht mehr Pro7, sondern RTL ist der neue Free-TV-Partner der NFL. Was bedeutet das? Wieso ist die Liga diesen Schritt gegangen? Worauf können sich die Fans einstellen?

Die Handball-WM findet vom 11. bis 29. Januar 2023 in Polen und Schweden statt. Titelverteidiger ist Dänemark. Die deutsche Mannschaft trifft in der Vorrunde auf Katar, Serbien und Algerien. Hier gibt's alle Ansetzungen, Spiele, Tabellen und Resultate.

Die NFL-Wildcard-Games stehen fest. Ab 14. Januar treffen zwölf Teams in sechs Spielen aufeinander. Die Kansas City Chiefs und die Philadelphia Eagles haben als Division-Sieger ein Freilos. So könnt Ihr die NFL-Playoffs live im TV und Livestream sehen.