Kreuzbandriss bei Skicross-Star Ryan Regez: "Kann nicht alles beeinflussen"
- Ryan Regez stürzt bei Skicross in Arosa und reißt sich Kreuzband
- Sports Illustrated sprach mit Regez vor Sturz im Interview
- Ryan Regez: "Zuerst hatte ich die Schnauze voll"
Sports Illustrated: Herr Regez, Sie sind amtierender Weltcup-Gesamtsieger und Olympiasieger im Skicross. Dabei war Ihre Karriere eigentlich schon vorbei, bevor sie richtig losging. 2011, mit knapp 18 Jahren, starteten Sie in der Abfahrt, und zwar als Vorläufer beim berühmten Lauberhornrennen in Wengen, und hängten die Ski dann an den Nagel. Warum?
Ryan Regez: Das hat mehrere Gründe. Ich habe mich im Jahr 2009 verletzt, hatte mir das Bein gebrochen und auch zuvor schon mit Verletzungen und dem Pfeifferschen Drüsenfieber zu kämpfen. Die Saison nach dem Beinbruch wäre eigentlich die alles Entscheidende gewesen. Die Frage war damals: Klappt es mit dem Skisport, setzte ich weiterhin alles darauf? Durch die Verletzung hat sich aber einiges geändert. Man lernt das normale Leben kennen, ohne den Spitzen-, bzw. Leistungssport. Und das hat auch ganz schöne Seiten; Seiten, die ich noch nicht kannte. Ich hatte allerdings noch immer das Gefühl, ich bin mir etwas schuldig. Deshalb habe ich noch eine Saison drangehängt, dann aber gemerkt, dass mir der Spaß komplett fehlt. Ich habe die Saison dann frühzeitig beendet und meine alpine Karriere an den Nagel gehängt.
Sports Illustrated: Sie haben 2015 die Lehre zum Hochbauzeichner abgeschlossen und sind dann gleich sehr erfolgreich in den Skicross-Europacup eingestiegen – mit dem Gesamtsieg in Ihrer zweiten Saison. Hatte der "späte" Erfolg etwas mit einer "erwachsener gewordenen" Perspektive auf den Leistungssport zu tun? Hatten Sie in der Lehre Zeit, Ihre Ambitionen zu reflektieren?
Regez: Zuerst hatte ich die Schnauze voll, schaute mir sicher zwei oder drei Jahre kein Skirennen an, fuhr selbst auch wenig. Ich fing aber schon während der Berufslehre mit dem Skicross an. Und es hat bestimmt die Distanz gebraucht, Zeit um zu reflektieren, ein bisschen erwachsen zu werden. Das hat ganz bestimmt dazu beigetragen, dass es dann geklappt hat.
Sports Illustrated: Ihr Vater Andreas war jahrelang Präsident des Skiclubs in Wengen, der bekanntermaßen das Lauberhornrennen ausrichtet. Sie waren an den Renntagen immer an der Strecke. Wie erinnern Sie sich an diese Zeit?
Regez: Mein Vater war bis vergangenes Jahr noch Präsident des Skiclubs. Die Lauberhornrennen haben für jedes Kind – vor allem wenn man im Skiclub ist – einen sehr großen Stellenwert. Das Dorf ist für eine Woche im Ausnahmezustand: so viele Leute, die ganzen weltberühmten Athleten. Es ist enorm schön, dort aufzuwachsen und so ein Rennen zu hosten. Wir haben vom Skiclub her auch immer mitgeholfen. Mit etwa sieben war ich zum ersten Mal daran beteiligt.
Sports Illustrated: Sie sind Jahrgang 1993. Wie hießen die Ski-Helden Ihrer Kindheit? War es der Schweizer Nationalheld Didier Cuche?
Regez: Zu dieser Zeit war Didier Cuche noch nicht so erfolgreich. Das war die Zeit der Österreicher Stephan Eberharter und Hermann Maier. Die haben damals alles gewonnen. Bei den Schweizern hatten wir zum Beispiel Silvan Zurbriggen im Slalom. Mein Hero aber hieß Hermann Maier.
Sports Illustrated: Ist ein guter Abfahrer eigentlich auch ein guter Skicrosser?
Regez: Ein guter Abfahrer kann ein guter Skicrosser sein.
Sports Illustrated: Unter welchen Umständen? Das heißt: Was muss ein guter Skicrosser, abgesehen von den Abfahrtsqualitäten, mitbringen? Man fährt im Rennen ja gegen drei direkte Konkurrenten, steckt sicher den ein oder anderen Ellenbogen weg.
Regez: Fähigkeiten wie gleiten und das Skigefühl sind auch im Skicross sehr, sehr wichtig. Wir haben, wie im Speed, eher langgezogene Kurven, die Geschwindigkeit ist allerdings nicht ganz so hoch. Sprünge haben wir auch, was allerdings die Sprungtechnik bei der Abfahrt im Vergleich zum Skicross angeht, ist es wie Tag und Nacht. Ansonsten: Der Start und der Zweikampf Mann gegen Mann, das ist alles sehr taktisch. Bei einer Abfahrt muss man auch taktisch unterwegs sein, bei uns aber noch viel mehr. Skicross ist sehr situativ, denn man kann drei andere nicht kontrollieren. Je nach Position im Rennen oder Gegner fährt man unterschiedlich. Es ist sehr komplex.
Sports Illustrated: Man sieht Abfahrer vor dem Rennen oft die Strecke visualisieren. Das brächte im Skicross folglich wenig, oder?
Regez: Doch, das machen wir auch. Man weiß circa, wo die schnellste Linie ist. Wenn alles gut läuft, kann man die auch fahren. Das ist aber eben nicht immer der Fall.
Sports Illustrated: Wenn man an den Skisport in der Schweiz denkt, kommen einem natürlich sofort die großen Namen – Beat Feuz, Marco Odermatt, et cetera – in den Sinn. Wo stehen Sie als Skicrosser, wohlgemerkt amtierender Gesamtweltcup- und Olympiasieger, in der Gunst der Öffentlichkeit? Heißt auch: Können Sie von Ihrem Sport leben?
Regez: Grundsätzlich merkt man, dass es in der Schweiz einige Hauptsportarten gibt. Dazu zählen Fußball, Eishockey und Ski Alpin. Skicross ist definitiv noch ein Randsport, was sehr schade ist. Aber ich und auch Fanny {gemeint ist die Schweizer Skicrosserin Fanny Smith; Anm. d. Red.} helfen dem Sport enorm, öffentliches Interesse zu erlangen. Und das ist auch Teil meiner Mission: dem Sport aus dem Schatten der Alpinen zu verhelfen.
Sports Illustrated: Volle Transparenz: Wir sind uns hier per Video zugeschaltet. Ich sehe also, Sie haben auf Ihrem Pullover einige Sponsoren. Heißt das, Sie können von Ihrem Sport leben?
Regez: Das sind die Verbandssponsoren. Aber ich sage mal so: Was das Finanzielle betrifft, sieht es dank des Olympiasieges sicher interessanter aus als vorher.
Sports Illustrated: Sie haben, so stand es zu lesen, während des Sommers eine dreimonatige Auszeit genommen: zelten auf Hawaii, surfen vor Kalifornien, das alles mit Ihrer Freundin Barbara. Wenn man die letzten Jahre zurückverfolgt, nahmen Sie sich immer wieder mal mehrwöchige oder -monatige Auszeiten, die man für einen Sportler Ihrer Güteklasse ungewöhnlich finden kann. Die Frage ist: Sind Ihnen die Stunden auf den Skiern – die Konkurrenz trainiert während der wärmeren Monate womöglich auf Gletschern – am Ende weniger wichtig als die geistige Frische, die sich durch solche Auszeiten womöglich einstellt?
Regez: Ich gehe weg, weil es mir guttut. Ohne meine Auszeiten, wenn man sie denn so nennen möchte, könnte ich das vorher Geschehene nicht verarbeiten und käme nicht zur Ruhe. Die Ruhe und die Distanz vom Sport sind für mich enorm wichtig, um das Feuer für meinen Sport erneut entfachen zu können. Sonst ist alles zu dicht. Außerdem reise ich einfach sehr gerne und viel. Für mich ist es ein Highlight, neue Kulturen und Orte kennenzulernen. Und deshalb bin ich sehr dankbar, dass sich das mit meinem Leben und meinem Sport vereinbaren lässt. Aber Training ist natürlich auch ein wesentlicher Bestandteil, das kann man nicht einfach sein lassen.
Sports Illustrated: Die Schweizer Illustrierte schrieb vergangenen Sommer über Sie, Sie seien "ein Mann, der unbeirrt seinen Weg geht, und die schrägen Nummern quasi zum persönlichen Kulturgut gemacht hat." Was könnten die mit "schrägen Nummern" meinen?
Regez: Ich trug in der SRF-Sendung "Sportpanorama" einmal rosa Leggins. Und die Nacktfotos von mir auf Instagram haben natürlich auch zu diesem Image beigetragen. Ich muss aber sagen, ich werde schon sehr auf diese Aktionen reduziert. Und zum Thema „unbeirrt meinen Weg gehen“: Ich bin dazu erzogen worden, auf mich zu vertrauen und meinen Weg zu gehen. Das ist für mich nichts Spezielles. Ich habe gelernt, mit den Steinen, die mir in den Weg gelegt werden umzugehen und schwierige Situationen ins Positive umzumünzen.
Sports Illustrated: Würden Sie in der Öffentlichkeit gerne differenzierter dargestellt und gesehen werden?
Regez: Diese Dinge, die die Leute ansprechen, sind zum Teil schon Jahre her. Im Mindset mir gegenüber hat sich offenbar aber nichts getan. Klar stechen Dinge wie die Aktion mit den Leggins sehr heraus, aber ich bin inzwischen nicht mehr nur der schräge Vogel, sondern – wenn man das von sich selbst sagen kann {Regez lacht; Anm. d. Red.} – ein sehr erfolgreicher Athlet. Und das geht meist ein bisschen unter. Das stört mich nicht groß, aber in der Zwischenzeit ist doch einfach einiges passiert.
Sports Illustrated: Einiges passieren kann auch bei ihrem Sport. Denn Verletzungen sind im Skicross nicht selten – 2017 hatten Sie zum Beispiel einen Kreuzbandriss. Wie stellen Sie sicher, körperlich so robust wie möglich ins Rennen zu gehen?
Regez: Grundsätzlich mit einer guten konditionellen Vorbereitung. Außerdem ist für mich auch der mentale Aspekt, den wir vorhin schon ansprachen, enorm wichtig. Ich muss frisch im Kopf sein, damit ich gewillt bin, die Risiken auf der Piste einzugehen. Man kann nicht alles beeinflussen, was zum Teil nicht ganz einfach wegzustecken ist. Aber das ist Part of the Deal.
Sports Illustrated: Wie sieht Ihr Training aus? Auf welche Körperpartien, welche Übungen legen Sie in der Arbeit abseits der Piste wert?
Regez: Skicrossen ist ein Ganzkörpersport. Am Start braucht man viel Schnellkraft im Oberkörper. Außerdem fahren wir nicht einmal, auch nicht zweimal, sondern viermal. Das heißt, es braucht viel Kraftausdauer, jedoch auch viel Power in den Beinen. Grundsätzlich muss man sich eine gewisse Säureresistenz antrainieren, man muss sich schnell erholen und das Gleichgewicht, die aerodynamische Position halten können, wenn man angerempelt wird. Das Training ist also sehr vielseitig und das gefällt mir. Was das Material angeht, arbeite ich seit kurzem mit den Baselayern von X-Bionic, die meinen Körper ebenfalls unterstützen, eine gewisse Kompression und Schutz bieten. Denn auch das Material – Ski und Bekleidung – trägt auf höchstem Niveau zur Performance bei. Es ist wichtig, dass man sich wohlfühlt, um Höchstleistungen zu kreieren.
Sports Illustrated: Es ist Dezember und Sie stehen am Anfang der neuen Skicross-Saison. Ist nach der Fabelsaison 2022/23 die Titelverteidigung im Weltcup das klar definierte Ziel?
Regez: Ich habe gelernt, wie ich mir meine Ziele setzen muss, damit ich sie auch erreiche. Mein Ziel ist es, möglichst konstant im Weltcup mitzufahren und möglichst viele Podestplätze zu holen. Ich habe keine absoluten Ziele wie "Weltmeister werden, die zweite Kugel holen". Mein Ziel ist es, das Beste aus jedem Rennen zu machen.
Sports Illustrated: Letzte Frage: Wo gibt’s diese lila Leggins zu kaufen?
Regez: Die sind von einem Farmersmarkt in Kalifornien. Ich denke nicht, dass man die noch irgendwo einfach so besorgen kann.
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