Another day, another dollar – der Werbewahnsinn der US-Sportstars
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IM AMERIKANISCHEN FERNSEHEN läuft gerade ein Werbespot, der so verstörend ist, dass ihn niemand vergessen kann, der ihn jemals gesehen hat. Der einstige Baseballstar Frank Thomas trifft Football-Legende Doug Flutie. Sie versichern sich gegenseitig, wie fantastisch sie aussähen, wie fit sie seien und, ja, auch produktiv im Schlafzimmer – gerade in ihrem Alter. Dann reden sie darüber, woran das liegt: an diesem Testosteron-Booster, der offenbar das Elixier für ewige Jugend ist und auch Erektionsstörungen heilt, die Männer ab 40 nun mal plagen würden. Thomas hält eine Dose in die Kamera, er zwinkert einer jungen Frau zu und sagt, völlig unironisch: "And she’ll like it, too."
Während man darüber nachdenkt, welche Drogen jemand geschluckt haben muss, um den Satz, dass Frauen im Jahr 2022 begeistert sind, wenn Männer Testosteron-Booster schlucken, für eine grandiose Idee zu halten, landet man bei der Symbiose zwischen US-Sport und Reklame. Klar gibt’s auch in Deutschland Wahnsinnswerbung mit Sportlern, Suppe mit Franz Beckenbauer ("Kraft in den Teller, Knorr auf den Tisch") oder Internet mit Boris Becker ("Bin ich da schon drin oder was?") – die Amerikaner bewegen sich allerdings popkulturell mal wieder in ganz anderen Sphären.
Sportler sollen Marken sein, seit Michael Jordan in den 1980ern vorgemacht hat, wie das funktioniert: eigenes Logo (Nike-Jumpman), der Spitzname ("Air") als Detail der eigenen Sneakers, der Werbefilm von Regisseur Spike Lee ("It’s gotta be the shoes"). Das ist der Maßstab, der seitdem angelegt wird, alle wollen sein wie Mike (der Slogan "Be like Mike" stammt aus der Gatorade-Reklame 1991), und es sind ein paar grandiose Filme entstanden wie die "Bo Knows"-Werbung, in der Stars wie Jordan, Wayne Gretzky und John McEnroe zur Musik von Blues-Legende Bo Diddley erklären, wie viel Ahnung das sportliche Multitalent Bo Jackson wirklich von seinen Disziplinen hat.
Es geht darum, das nächste popkulturelle Phänomen zu erschaffen oder sich wenigstens ins Gehirn der Zuschauer zu tätowieren (Ich habe tatsächlich schon, weil ich die Reklame mittlerweile ungefähr 7.000 Mal gesehen habe, von "And she’ll like it, too" geträumt – in keinem Traum war ein weibliches Wesen davon verzückt), und deshalb gibt es jetzt: Serena Williams als Wonder Woman und Matrix-Trinity-Move-Alike, LeBron James als Zen-Meister, Simone Biles als Unterstützerin der LGBTQIA-Bewegung und Baker Mayfield als Hausmeister. Bitte nicht vergessen: Der Boxer George Foreman hat mit dem Elektrogrill "Lean Mean Fat-Reducing Grilling Machine" viel mehr verdient (200 Millionen Dollar) als im Ring – und der Mann ist gegen Muhammad Ali und Joe Frazier angetreten.
Alle pflegen ihr Image oder spielen damit; es gibt nichts, das es nicht gibt – und deshalb gibt es unterhalb der landesweiten Werbung eine zweite, völlig durchgeknallte und noch witzigere Ebene: regionale Reklame, etwa Alex Ovechkin, wie er für ein Autohaus in Washington völlig falsch singt und dann ein paar Gläser Wodka verlangt. Marshawn Lynch als Klempner, Derek Carr als Boyband-Mitglied, Alvin Kamara als Müllmann. Es ist derart schlecht, dass es unvergesslich wird; und die schlechtesten (und damit unterhaltsamsten) Filmchen sind auf jedem gut sortierten Videoportal zu finden.
Jeder Sportler, der sich nicht rechtzeitig ins Ausland absetzt, wirbt in den USA für irgendwas, und der absolute Branchenführer ist Gesamtkunstwerk Shaquille O’Neal – der tatsächlich mehr Werbepartner als Spitznamen (es gibt knapp 50, darunter Shaq Fu, Diesel, The Big Aristotle, Wilt Chamberneezy, Shaqtus und Big Baryshnikov) hat. Er wirbt für mehr als 50 Produkte, unter anderem für: Antischnarchmasken, Zuckerersatz, Schmerzpflaster, Muskelmilch, Kreuzfahrten, Versicherungen, Druckertinte, Fleischbällchen, Spielzeuglastwagen, Eierkocher. Wofür Shaq nicht wirbt: Testosteron-Pillen. Noch.
Unser Kolumnist Jürgen Schmieder hat an der University of Michigan und bei Jahn Regensburg Fußball gespielt. Seit 2013 lebt der Korrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Los Angeles.
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