Fußball-Kolumne von Uli Hebel

Ralf Rangnick steht bei Manchester United vollkommen zu Unrecht in der Kritik

Fußball-Kommentator Uli Hebel (DAZN & Sky) blickt in seiner neuen Kolumne "Golden Balls" auf Ralf Rangnick. Der ManUnited-Coach verlor in zwölf Begegnungen erst ein Spiel in der Premier League und steht trotzdem in der Kritik. Vollkommen zu Unrecht - wie Hebel meint.

Ralf Rangnick (Manchester United)
Credit: Getty Images
  • DAZN- und Sky-Kommentator Uli Hebel analysiert Manchester United
  • Trainer Ralf Rangnick steht vollkommen zu Unrecht in der Kritik
  • Manchester United hat einen Teil seiner Seele verloren

Als kleiner Junge habe ich mich  in den englischen Fußball verliebt und da gab es diese eine Team. Im aufstrebenden England der späten 1990er Jahre sorgten zwei Phänomene für Aufsehen: Oasis und Manchester United.

United wurde damals wieder einmal englischer Meister. Für mich hatten sie alles: Erfolg, ein junges Team und Ziele. Der Verein hatte Stil und noch viel vor.

 Mir schien es, als folgte in Carrington alles einer starken Stimme - der Alexander Chapman Fergusons. Der noch nicht ganz ergraute Ferguson war 1997 seit elf Jahren im Amt - eine Ewigkeit aus Sicht eines kleinen Winzlings wie mir, war ich doch gerade so lange auf der Welt.

Jener schroffe Schotte hatte - gegen einige Widerstände - ein Team erbaut, dessen Ziel es war, den großen FC Liverpool zu holen. Dieses Ziel wurde erreicht – in beispielloser Eintracht.

Nur ein Jahr später gewann United als erster englischer Klub "The Treble". Dabei brachen sie dem FC Bayern im Champions-League-Finale das Herz. Zu dieser Zeit wurde Manchester United der weltweit bekannteste und umsatzstärkste Verein der Welt. Und ein kaugummimalträtierender Fußballtrainer zu Sir Alex Ferguson. Definitionsgröße Königsklasse.

Manchester United: Hölle wird selbst für Ur-Red-Devils zu heiß

23 Jahre später ist von diesem Verein nicht viel übrig. Sir Alex ist nur noch als gelegentlicher Gast und Statue am Sir Matt Busby Way zugegen. Mit ihm verabschiedeten sich auch die Erfolge. Der letzte Titel - diese Saison eingerechnet - ist neun Jahre her. Mit Fergie verflüchtigte sich fast alles. Der Glanz, das Selbstverständnis, die DNA und Geschäftsführer David Gill.

Das Beste an der Amtszeit seines Nachfolgers war, dass diese im Januar 2022 endete. Ed Woodward hat United zwar viel Geld verdient, aber auch eine Menge Geld sinnlos ausgegeben. Immerhin kennt man jetzt seinen Nachfolger. Richard Arnold - ein Studienfreund des Bankers Woodward. Aber die Bilanz ist traurig. Eine Dekade Undurchschaubares im Führungsboard und ein andauernder Kulturverlust. 

Ole Gunnar Solskjaer ist ebenfalls weg. Was blieb, ist die Maxime Champions League. Wenn die Qualifikation zu scheitern droht, wird die Hölle aber selbst für Ur-Red-Devils zu heiß. Jahrelang geblendet, entließ der Verein Hoffnungsträger Solskjaer - außerhalb der Reichweite der Königsklasse. Bis auf die Stimmung war nichts besser als unter Vorgänger José Mourinho. Oder Louis van Gaal. (Wussten die wirklich nicht, dass eine CR7-Verpflichtung bedeutet: gewinnen oder verloren zu sein?). Die Mannschaft von United hatte nicht viel. Außer große Namen und noch größere Verträge.

Die Nachfolge trat Ralf Rangnick an, der bis zum Saisonende als Interimstrainer arbeitet sowie ein weiteres Jahr in beratender Funktion tätig sein wird. (Was auch immer das bedeuten mag – Rangnick selbst weiß es noch nicht.) Er war den Engländern unbekannt, auch wenn deutsche Journalisten ihn immer wieder zu den Engländern schreiben wollten. Er ist so etwas wie der schwäbischen Marcelo Bielsa. Die Branche schätzt Rangnick und seine Idee vom Fußball. Die halbe Premier League hat Anleihen genommen an seiner Spielphilosophie.

Rangnick hat erst einmal verloren in der Premier League - in zwölf Spielen. Trotzdem ist Manchester United ausschließlich auf den falschen Zeitungsseiten zu finden. Altbackende Trainingsmethoden werfen sie dem Übungsleiter vor. Außerdem eine amerikanische Nummer zwei mit Chris Armas, den die Spieler mit "Ted Lasso" vergleichen. Sollen. Hinzu kommen Berichte über den inzwischen bis zur Unkenntlichkeit verrissenen Kapitän Harry Maguire, den täglichen Befindlichkeitsstatus von Cristiano Ronaldo und die Kritik, dass es noch immer keine Idee für die zentrale Position des kommenden Managers gibt. 

Ralf Rangnick fehlt lediglich ein Statement-Sieg

Wenn Manchester United erst einmal einen Sportdirektor hat - so habe ich in meinem jugendlichen Leichtsinn jahrelang vor United-Spielen erzählt - würde alles besser werden. Aber leider weiß niemand, was Jon Murtough, Director of Football, so macht. Nicht einmal Rangnick selbst weiß, welche Funktion Darren Fletcher, der Technische Direktor, hat. Immerhin soll der Vereinsboss Rangnick gesonnen sein.

Die Wahrheit ist, Rangnick steht zu Unrecht in der Kritik. Ihm fehlt lediglich ein Statement-Sieg. Eine 90-minütige Topleistung mit Offensivspektakel. Das brauchen sie in Manchester. Einer taktisch verwahrlosten Mannschaft eine defensive Grundordnung beizubringen, mag nicht sexy sein, aber notwendig. Diese hat Rangnick United beigebracht. Schritte nach vorne. Auch wenn das Erarbeitete beim kleinsten Widerstand wieder zu verfliegen scheint.

Das erinnert ein wenig an die Zeit unter van Gaal. Die Mannschaft weiß, dass es ihr hilft, wenn sie den Ansagen des Fußballlehrers folgt. Aber der Trainer ist so anders und die Arbeit so aufwändig. Dieses Schicksal erlebt Rangnick gerade auch. 

Sieben Siege in 12 Spielen also. Hochgerechnet reicht dieser Schnitt - auch in der harten Premier League - für die Champions-League-Teilnahme. In der Königsklasse ist diese Saison ebenfalls noch alles möglich.

Meinem Verständnis nach ist nur die fußballerische Weltmacht für Manchester United genug. In der Realität ist United jedoch genügsamer geworden. Dabeisein in der Königsklasse reicht. Das ist - vorerst - Rangnicks Job. Fühlt sich falsch an, aber so lernen die heute Elfährigen, die sich heute in den englischen Fußball vergucken, United kennen.

Zur Person: Uli Hebel ist Fußball-Kommentator der ersten Stunde beim Streamingdienst DAZN. Er berichtet u.a. über die Bundesliga, die Champions League und Boxen. Bereits vor seiner Zeit bei DAZN arbeitete Hebel für den Pay-TV-Sender Sky, wo er seit 2021 die Premier League kommentiert.

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