Fußball-Kolumne von Uli Hebel

Genialer Tüftler Bielsa geht - jetzt soll ausgerechnet ein Grübler Leeds retten

Fußball-Kommentator Uli Hebel (DAZN & Sky) blickt in seiner neuen Kolumne auf den Trainerwechsel bei Leeds United. Mit Marcelo Bielsa verlässt ein großartiger Tüftler den Verein und mit Jesse Marsch holen sich "The Whites" den nächsten sturen Grübler ins Boot. 

Jesse Marsch und Marcelo Bielsa
Credit: Imago

Ich bin ehrlich zu Ihnen: Ansich war für diese Woche keine Kolumne geplant. Aber wann immer es um Marcelo Bielsa geht, meldet sich der (Hobby)-Schreiber in mir.

An diesem Wochenende wurde Bielsa von seinen Aufgaben als Trainer bei Leeds United entbunden. Nach knappen vier Jahren, die alles andere als gewöhnlich waren. Ich kann mich nicht an ein solch besonderes Band zwischen Anhänger:innen und Trainer erinnern. Bielsa und Leeds, zwei einst als unvermittelbare Chaoten verschriebene, die gemeinsam Erfolg hatten. Und viel wichtiger einnehmenden Fußball zelebrierten.

Bielsa ist eine literarische Figur. Eine, die die Fans wieder träumen ließ. Eine, die mit seiner zynischen Art und seiner Direktheit eine Art Unschuld in unseren modernen, rundgelutschten Fußball brachte. So spannend, so eigen, so gegensätzlich. Einerseits der, der keinen Verein trainiert, sondern eine ganze Stadt. Charismatisch, höchst sachverständig und inspirierend. Auf der anderen Seite der, der nach all den Jahren immer noch per Übersetzer spricht. Kauzig, fast abweisend. "El Loco", wie die Muse von vielen Welttrainern wie z.B. Pep Guardiola genannt wird, lebt die Einstellung, dass Plan-B-Anwendende nur keinen funktionellen Plan A haben. Diese Courage, was immer kommen möge, seine Überzeugung durchzuziehen hat mich immer gefesselt. Courage bedeutet auch immer sich selbst schaden zu können. Aber es trotzdem getan zu haben. Marcelo Bielsas Verhängnis.

Leeds United bekommt mit Jesse Marsch einen großartigen Kommunikator

Ich bin zerrissen, ob zurecht oder nicht. An guten Tagen wirkte sein Fußball wie eine Choreographie. Tiefste Systematik, basierend auf leidenschaftlicher Theorie und militärischen Drills. An schlechten Tagen – und es gab wenig andere zuletzt – wirkte Leeds verloren. Sie liefen Wochenende für Wochenende tiefer ins Verderben. In den letzten vier Spielen kassierte Leeds über vier Tore im Schnitt. 24 alleine im Februar. Macht aufgerechnete 60 in der gesamten Saison. Dazu kaum noch die Energie nach vorne. Folglich fehlen dem Vorjahresneunten die Punkte. Dass der dünne Kader immer wieder mit Ausfällen zu kämpfen hatte, ist Erklärung aber nicht Lösung.

Man hatte das Gefühl, wenn eine Konstellation über reinen Ergebnissen steht, dann diese. Am Ende, das ebenso literarisch war wie die Figur, macht Leeds kehrt, um nicht abzusteigen.

Das zu gewährleisten, ist jetzt Jesse Marshs Aufgabe. Schnell kristallisierte Marsh sich als Wunschkandidat heraus.  Schon vor Jahren, als er noch Assistant unter Rangnick war, beschäftigte sich der Verein mit dem US-Amerikaner.

Leeds bekommt einen großartigen Kommunikator, der sich im Englischen deutlich besser ausdrücken kann, als im Deutschen, wo er oft wie ein handelsüblicher Eishockey-Trainer wirkte. Ein positiver Typ, der es auch versteht, eine ganze Belegschaft hinter sich zu versammeln. Zu Salzburger Zeiten hätte ich Leeds direkt gratuliert. Nach fünf erfolgloseren Monaten in Leipzig halte ich mich noch zurück.

Mit Marcelo Bielsa verlässt einer der besten Tüftler Leeds United

Ich möchte Marsh nicht unrecht tun, aber mir war die Anlage bei RB zu simpel. Es schien, als würden die roten Bullen alles über Intensität lösen wollen. Aggressives Forechecken als absolute Basis. Pressen und Stressen. Soweit habe ich es verstanden. Was aber in der Theorie gut klang, lebte nie in Sachsen. Und sollte doch kaum Anlauf benötigen. Marsh ist schon als junger Trainer in den energy drink gefallen und würde nicht lange brauchen, Salzburgs Schwester alles beizubringen. Die Mannschaft aber strahlte selten die Überzeugung aus und noch weniger oft das richtige Timing. Die Krux in einem solchen System. Ein zu später Schritt macht alles auf. Für den Gegner.

Und da sind wir wieder. An der Theorie fehlte es Leeds nicht, hatten sie den besten aller Tüftler. Sondern an der Umsetzung. Jetzt kommt ein ebenso sturer Grübler, der ebenso Offensive will. Und selbst in erfolgreichsten Stationen viele Gegentore einkalkulierte.

Aus meiner Sicht, bräuchte Leeds aktuell simple und schnell nachvollziehbare Struktur. Idealerweise gemixt mit einem – wichtig in der Premier League – erfahrenen Mann, der die Situation kennt. Ich zweifle stark daran, ob jetzt die Zeit ist, für Leeds visionär nach vorne zu denken. So unromantisch das klingt, wäre Konsolidierung vielleicht cleverer. Und mit Worten wie Romantik bin ich wieder bei der Literatur. Die Zeit des Träumens ist vorbei an der Elland Road. Jäh gebremst ist jetzt Realität. Alles Vergangene ist nur noch nachzulesen. In hoffentlich wunderschönen Büchern über Fußball. Eines gebe ich zu: Sollte ich je eines schreiben, ist Bielsa als Protagonist so gut wie eingeloggt.

Zur Person: Uli Hebel ist Fußball-Kommentator der ersten Stunde beim Streamingdienst DAZN. Er berichtet u.a. über die Bundesliga, die Champions League und Boxen. Bereits vor seiner Zeit bei DAZN arbeitete Hebel für den Pay-TV-Sender Sky, wo er seit 2021 die Premier League kommentiert.

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