Sports-Illustrated-Interview

Thomas Helmer über Bayern-Trainer Nagelsmann: "Er will manchmal zu viel"

Thomas Helmer kennt beide Klubs bestens. Der 57-Jährige hat beim BVB und bei Bayern gespielt. Im Interview mit Sports lllustrated spricht Helmer über den Bundesliga-Gifpel, Bayern-Trainer Julian Nagelsmann und die Gefahren eines Wechsels von Erling Haaland.

Sport1-Moderator Thomas Helmer
Credit: Getty Images
  • Thomas Helmer: "Bei Standards hat BVB Chancen gegen Bayern"
  • Sport1-Moderator Helmer wünscht Julian Nagelsmann mehr Gelassenheit
  • Helmer: "Bei Erling Haaland wäre ich sehr vorsichtig"

Nach seiner erfolgreichen Laufbahn als Fußballer wechselte Thomas Helmer in den Sportjournalismus. Nach seinem Start bei Sat1 moderierte der Europameister von 1996 verschiedene TV-Formate bei Sport1. Ab 2015 wurde er Nachfolger von Jörg Wontorra beim "Doppelpass", den er bis 2021 moderierte. Dieses Wochenende kehrt Helmer zum "Doppelpass" zurück und moderiert die Sendung in Vertretung für Moderator Florian König - gemeinsam mit Co-Moderatorin Jana Wosnitza.

Sports Illustrated: Der FC Bayern kann mit einem Sieg gegen den BVB zum zehnten Mal Meister werden. Tüten die Münchner den Titel am Wochenende ein?

Thomas Helmer: Kommt darauf an, was Borussia Dortmund dagegensetzen kann. Am Ende liegt es an den Dortmundern, ob sie ihr Potenzial abrufen und keine Angst vor Bayern haben. Der BVB muss mutig und entschlossen spielen, denn der FC Bayern hat zuletzt Schwächen gezeigt. Diese Schwächen vor allem in der Abwehr muss Borussia Dortmund ausnutzen. Gerade bei Standardsituationen hat der BVB Chancen gegen Bayern.

Sports Illustrated: Die zehnte Meisterschaft für Bayern in Folge wäre historisch. Welchen Wert besitzt dieser Titel international?

Helmer: Wenn der FC Bayern immer wieder den Titel holt, ist es für den Klub und die Spieler super, denn sie haben es verdient. Aber diese Titel sind zur Normalität geworden. Der Meistertitel ist ein bisschen Fluch und Segen zugleich. Für die Bayern-Fans ist der Titel zur Gewohnheit geworden. Das ist ein bisschen schade, denn die Deutsche Meisterschaft ist ein toller Titel. Das darf man nicht vergessen. Aber in den vergangenen Jahren ist kein anderer Verein an den FC Bayern herangekommen.

Sports Illustrated: Diese Saison ist Bayern zum zweiten Mal hintereinander im Champions-League- Viertelfinale ausgeschieden. Wie groß ist die Enttäuschung bei Julian Nagelsmann?

Helmer: Julian Nagelsmann macht einen guten Job. Aber manchmal wünsche ich mir bei seinen Aussagen ein bisschen Zurückhaltung von ihm. Er merkt auch, dass der FC Bayern etwas anderes ist. Da muss man Ergebnisse liefern. Das war nicht seine Schuld, dass Bayern im Viertelfinale ausgeschieden ist. Aber in diesem Spiel wurden ihm die Grenzen aufgezeigt. In seinem ersten Jahr wird der Verein hinter ihm stehen. Wenn er neue Spieler für die kommende Saison bekommt, dann bin ich mal gespannt. Das wird nicht einfach. Ich wünsche ihm mehr Gelassenheit bei seiner Arbeit, denn er will manchmal zu viel. Das kann manchmal eine positive Eigenschaft sein, aber es funktioniert nicht immer alles sofort.

Sports Illustrated: Der FC Bayern hat die letzten sieben Heimspiele gegen den BVB gewonnen. Fehlt den Dortmundern ein Führungsspieler?

Helmer: Ich sehe im Moment leider keinen Führungsspieler bei Borussia Dortmund. Wenn man die Punkteausbeute sieht, ist das nicht schlecht. Aber mir fehlt die Konstanz beim BVB und sogenannten Führungsspielern wie Marco Reus. Ich verstehe nicht, dass bei einem Topverein wie dem BVB die Abwehr immer wieder ins Wanken gerät. Viele meinen zwar, dass man keine Führungsspieler mehr braucht. Aber wenn ich Martin Hinteregger von Eintracht Frankfurt sehe, dann wäre das ein Typ für den BVB. Er ist zwar kein weltklasse Fußballspieler. Aber er geht in die Zweikämpfe, wirft sich dazwischen und haut die Bälle hinten raus. Deswegen lieben ihn die Fans. So einer kann die Mannschaft mitreißen. So einen Spieler sehe ich bei Dortmund leider gar nicht.

Sport1-Moderator Thomas Helmer
Sport1-Moderator Thomas Helmer
Credit: Imago
x/x

Sports Illustrated: Bayern gegen den BVB ist seit Jahrzehnten ein emotionales Duell. Was macht dieses Spiel so besonders?

Helmer: Ich habe bei beiden Vereinen gespielt. Ich kenne die Klubs sehr gut. Für mich war es schön, sowohl für Borussia Dortmund als auch Bayern zu spielen. Diese Saison ist es das Duell Erster gegen Zweiter. Wir würden uns mal wünschen, dass es Zweiter gegen Erster wäre. Leider ist dieses Duell im Moment nicht so spannend wie sonst, weil Bayern einfach zu weit weg in der Tabelle ist. Egal, wer dieses Duell gewinnt oder verliert, spielt eigentlich keine Rolle. Das Spiel hat zum ersten Mal seinen Glanz ein bisschen verloren.

Sports Illustrated: An welches Bayern-BVB-Duell denken Sie besonders gerne zurück?

Helmer: In Erinnerung geblieben ist mir mein erstes Bayern-Spiel in Dortmund, wo ich am 8. Spieltag aus Gewohnheit zu den BVB-Fans gelaufen bin. Die haben mich zurecht ausgebuht. In der ersten Halbzeit habe ich nach einer Ecke den Ball ins Tor geköpft und dann war Ruhe. Am Ende haben wir das Spiel mit dem FC Bayern 2:1 gewonnen.

Sports Illustrated: Robert Lewandowski hat gegen den BVB in 25 Spielen 26 Tore erzielt. Warum ist er gegen Dortmund so stark?

Helmer: Ich denke, dass die Dortmunder besser auf ihn aufpassen müssen. Wenn ich an das Champions-League-Hinspiel des FC Bayern denke, dann hat es der FC Villarreal geschafft, Robert Lewandowski komplett aus dem Spiel zu nehmen. Da habe ich zum ersten Mal gesehen, dass man ihn stoppen kann. Wenn die Innenverteidigung und die Spieler davor gut funktionieren, ist Lewandowski nicht mehr so gefährlich, weil er immer einen Gegenspieler neben sich hat.

Sports Illustrated: Mit Niklas Süle und Nico Schlotterbeck holt der BVB zwei neue Innenverteidiger. Kann Dortmund mit diesem Duo den Rückstand auf Bayern verkürzen?

Helmer: Wenn der BVB die beiden holt, wird Dortmund den Rückstand auf jeden Fall verkürzen. Dann ist Dortmund in der Verteidigung sehr gut aufgestellt. Niklas Süle hat beim FC Bayern nicht mehr die Wertschätzung bekommen. Ich halte ihn für einen sehr guten Spieler, der in seiner Entwicklung noch nicht am Ende ist. Nico Schlotterbeck finde ich super. Beide Spieler passen perfekt zum BVB.

Sports Illustrated: Wäre die Zeit von Mats Hummels beim BVB dann vorbei?

Helmer: Ich kenne das, wenn man älter wird, immer unter Beobachtung steht und kritisiert wird. Das kann einen Spieler auch anspornen. Vielleicht nimmt Hummels den Konkurrenzkampf an, wenn ihm Süle und Schlotterbeck Dampf machen. Das kann sich auch positiv auf die Entwicklung von Hummels auswirken. Deswegen würde ich Mats überhaupt nicht abschreiben. Ich denke, der BVB braucht ihn auf jeden Fall weiter.

Sports Illustrated: BVB-Trainer Marco Rose erlebt eine durchwachsene Saison. Ist er der richtige Trainer für Dortmund?

Helmer: Das ist das Gleiche, als wenn ich fragen würde, ist Nagelsmann der richtige Trainer für Bayern? Marco Rose ist im DFB-Pokal ausgeschieden. In der Champions League haben sie gegen Sporting Lissabon ein sehr schlechtes Spiel gemacht. Für Marco Rose ist es aber seine erste Saison beim BVB, deshalb würde ich den Stab nicht zu früh über ihm brechen. Ich denke, dass er ein guter Trainer ist. Er muss sich auf dem höheren Niveau erst einmal zurechtfinden. Als Trainer musst du beim BVB immer versuchen, die Fans zu begeistern. Wenn die Zuschauer merken, dass die Mannschaft alles gegeben hat, dann ist in Dortmund keiner böse, auch wenn man Fehler macht. Hinzu kommen aber immer die Ergebnisse.

Sports Illustrated: Beim FC Bayern verlängern wohl Thomas Müller und Manuel Neuer. Wie wichtig sind diese beiden Spieler für den Rekordmeister?

Helmer: Wenn Bayern nicht mit Müller und Neuer verlängert, entsteht bei den Münchnern ein Vakuum. Das weiß Bayern auch und wird beiden wohl neue Verträge geben. Ich würde mit beiden auf jeden Fall verlängern. Müller und Neuer sind die Säulen des Teams, mit denen sich die Fans identifizieren. Es ist Wahnsinn, wie gut Manuel Neuer noch ist. Aber irgendwann braucht Bayern auch Spieler dahinter. Das ist gerade die schwierigste Aufgabe für Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic.

Sports Illustrated: Der FC Barcelona ist angeblich an Lewandowski interessiert. Wäre ein Abgang des Polen für Bayern zu verkraften?

Helmer: Robert Lewandowski ist beim FC Bayern grundsätzlich nicht zu ersetzen. Bayern sollte versuchen, den Vertrag mit ihm zu verlängern. Ich denke, dass die Münchner im Moment noch nicht auf die Achse Neuer-Müller-Lewandowski verzichten können. Bayern wäre gut beraten, dass sie Lewandowski auch das Gefühl geben, dass er weiter wichtig für den FC Bayern ist.

Sports Illustrated: Erling Haaland wäre zu haben, aber das Gesamtpaket wäre mit knapp 250 Millionen Euro extrem teuer.

Helmer: Das wird Bayern aus finanziellen Gründen nicht machen. Hinzu kommt, dass Haaland eine sehr dynamische Spielweise hat und immer wieder verletzt ist. Für sein Alter hatte er schon relativ viele Verletzungen. Klar, wenn man über das ganze Feld sprintet, ist die Gefahr einer Muskelverletzung groß. Da wäre ich sehr vorsichtig.

Sports Illustrated: Die Vertragsverhandlungen mit Serge Gnabry stocken. Kann es sich der FC Bayern erlauben, ihn gehen zu lassen?

Helmer: Serge Gnabry ist ein hervorragender Spieler, der gedankenschnell ist. Aber Bayern hat Kingsley Coman, Leroy Sané und Alphonso Davies. Hinzu kommt Jamal Musiala, der im Mittelfeld ein großartiger Fußballer ist. Ich denke, ein Abgang von Gnabry wäre für den FC Bayern zu kompensieren. Es wäre schade, aber diese Lücke können die Münchner schließen.

Sports Illustrated: Lothar Matthäus gießt immer wieder Feuer ins Öl, wenn’s beim FC Bayern nicht läuft. Ist seine Kritik an Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic berechtigt?

Helmer: Oliver Kahn würde ich aus dieser Kritik herausnehmen. Er ist seit einem Jahr beim FC Bayern verantwortlich und macht einen guten Job. Bei Hasan Salihamidzic muss ich sagen, vielleicht ist die Kritik berechtigt. Aber hat er wirklich alle Transfers selbst gemacht? In der Öffentlichkeit könnten sich beide sicherlich noch etwas besser positionieren.

Sports Illustrated: Sollte sich Trainer Julian Nagelsmann bei künftigen Transfers seines Klubs lautstärker zu Wort melden, um so erfolgreich wie Hansi Flick zu werden?

Helmer: Natürlich muss man mit dem Trainer reden, was künftige Transfers angeht. Wo hat Nagelsmann Bedarf und wo nicht? Nagelsmann kennt genügend Spieler, die zum FC Bayern kommen könnten. In erster Linie sehe ich Bedarf in der Abwehr. Nach dem Abgang von Süle braucht Bayern mindestens einen neuen Innenverteidiger. Außerdem muss ich sagen, dass ich Joshua Kimmich als Spieler mag. Aber er ist für mich nicht der Abräumer. Deshalb sollte sich Bayern auch auf der Sechser-Position umsehen.

Sports Illustrated: Ihr Tipp für das Spiel am Samstag?

Helmer: Ich tippe immer 2:2 (lacht...).

TV-Tipp: Das Gipfelduell zwischen Bayern und Dortmund und zugleich der Meister-Matchball für den FCB stehen im Blickpunkt des „STAHLWERK Doppelpass“ am Sonntag auf SPORT1. Die Talkrunde diskutiert zudem unter anderem über den sich ankündigenden Transfer von Erling Haaland, den Trainerwechsel bei Arminia Bielefeld und den Aufstiegskrimi in der 2. Bundesliga. Live ab 11:00 Uhr empfängt Thomas Helmer – in Vertretung für Moderator Florian König – gemeinsam mit Co-Moderatorin Jana Wosnitza den Ex-Bundesliga-Trainer und Markenbotschafter von St. Pauli Ewald Lienen sowie Ex-Frankfurt-Torjäger Jan Age Fjörtoft. Samir Arabi, Geschäftsführer Sport Arminia Bielefeld, wird per Liveschalte dabei sein. Zur Talkrunde im Hilton Munich Airport Hotel gehören zudem SPORT1 Experte Stefan Effenberg, Jan Henkel (Moderator), Heiko Ostendorp (RedaktionsNetzwerk Deutschland) und SPORT1 Chefreporter Patrick Berger.

Mehr Sport-News: 

Seit Jahrhunderten nutzen Regime den Sport, um ihr Image aufzupolieren oder von ihrem problematischen Verhalten abzulenken. Obwohl das Wort Sportswashing noch nicht so lange existiert, wurde Sportswashing bereits vor mehr als 2000 Jahren zum ersten Mal betrieben.

Robert Lewandowski steht angeblich vor einem Abschied in München. Wie der polnische TV-Sender "Telewizja Polska" berichtet, will der Bayern-Stürmer den Rekordmeister im Sommer verlassen. Sein neuer Verein soll bereits feststehen.

Florian Neuschwander zählt zu den besten Langstrecken- und Ultraläufern in Deutschland. Der 40-Jährige gibt allen Athleten wichtige Trainings- und Ernährungstipps, wie sie lange Strecken schneller laufen können, um beim Wings for Life World Run erfolgreich zu sein.