NBA

Moritz und Franz Wagner in der NBA: Auf dem Erfolgsweg sind sie unbeirrbar

Franz und Moritz Wagner leben ihren Basketball-Traum in den USA. Beide spielen bei Orlando Magic - und vergessen ihre Berliner Wurzeln nicht. Der eine wild, der andere ruhiger – aber beide auf dem Weg zu NBA-Karrieren, wie sie bislang nur wenige Deutsche hinlegten.

Moritz und Franz Wagner
Credit: Getty Images
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Inhalt

  • Moritz und Franz Wagner trumpfen in der NBA auf
  • Wagner-Brüder spielen zusammen bei Orlando Magic
  • Moritz Wagner: "Ich bin unseren Eltern sehr dankbar"

PLÖTZLICH BLEIBT WAGNER STEHEN, und wenn man sich diesen Moment jetzt, mit ein paar Jahren Abstand, noch einmal ansieht, wird einem noch viel mehr bewusst, was für eine krasse Aktion das ist.

Seine Mannschaft, die University of Michigan, hatte die Zweitrundenpartie gegen Houston gewonnen, mit einem Dreier in letzter Sekunde. Genau deshalb nennen sie dieses Turnier March Madness, es ist der Wahnsinn im März, und die Michigan-Spieler laufen wie durchgeknallte Hühner übers Spielfeld, in ekstatischem Siegestaumel.

Moritz Wagner ist einer der wildesten, doch dann bleibt er stehen, als hätte er da ein Stoppschild oder einen Geist gesehen. Es ist ein Häufchen Elend am Spielfeldrand; ein Gegenspieler, der regungslos dasteht und so aussieht, als würde er bis in alle Ewigkeit in dieser Position verharren. Die Mimik von Wagner ändert sich, von verrückt-verzückt zu mitfühlend. Er nimmt den Gegner in den Arm und tröstet ihn.

Moritz Wagner tröstet Gegenspieler Devin Davis
MIT GEFÜHL: Moritz Wagner (damals Michigan Wolverines) tröstet 2018 seinen Gegenspieler Devin Davis von den Houston Cougars
Credit: Getty Images
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Es wäre keinem aufgefallen, wäre Wagner jubelnd weitergelaufen – es fällt aber auf, dass er es nicht tat; und man kann durchaus sagen, dass vieles, was seit dem März 2018 passiert ist, mit diesem einen Abend zu tun hat. Klar, er war davor schon auf den Zetteln der NBA-Talentspäher vermerkt, dieses Turnier (Michigan kam bis ins Finale) katapultierte ihn weiter nach oben; die Los Angeles Lakers wählten ihn in der ersten Runde an 17. Stelle.

Mittlerweile spielt er gemeinsam mit Bruder Franz bei Orlando Magic, vor dieser Saison an achter Stelle seines Jahrgangs gewählt – so früh wie bislang nur ein anderer Akteur aus Deutschland: Detlef Schrempf 1985. Dirk Nowitzki kam 1998 als Neunter über die Milwaukee Bucks zu den Dallas Mavericks.

"Sag mal, Alter, was leben wir eigentlich für ein Leben?"

Natürlich klingt das alles wie ein völlig irrsinniger Jungstraum, die auf dem Bolzplatz zocken und sich einreden: Wir werden beide Profis, und irgendwann, da spielen wir in der besten Liga der Welt, für den gleichen Verein, und dann wohnen wir im gleichen Haus und fahren jeden Tag gemeinsam ins Training. Was aber, wenn das wirklich passiert? "Sag mal, Alter, was leben wir eigentlich für ein Leben?", fragt Moritz; sein Bruder sitzt neben ihm und lacht: "Es hilft, wenn man sich auch mal ausklinken und über andere Themen reden kann, dann hat man auch wieder Bock auf diese wilde Welt."

Genau das ist die NBA: eine wilde Welt, voller überdimensionierter Egos, mindestens so viel Spektakel wie Sport. Vor Partien werden die Spieler gezeigt, wie sie auf dem Weg zur Umkleidekabine ihre Outfits vorführen, als wären die Katakomben ein Laufsteg. Spieler sollen Marken sein, Swag ist mindestens so wichtig wie Statistiken. Daran ist überhaupt nichts auszusetzen, und doch fällt auf, dass die Wagner-Brüder ein wenig anders sind: Wie freundlich sie sind, wenn sie nach einer Partie zufällig ein paar Fans vor der Arena treffen. Wie nachdenklich sie in Gesprächen trotz ihres Alters – Moritz ist 24, Franz erst 20 Jahre alt – über ihren Beruf reden. Wie sie einen unterlegenen Gegner trösten.

Es wird hin und wieder gefragt, warum sich die Deutschen derart schwertun mit der Verehrung ihrer Sporthelden und was denn da falsch laufe. Man könnte aber auch mal fragen: Was läuft bei Leuten wie Nowitzki richtig – oder aktuell bei den Wagner-Brüdern? Bitte nicht falsch verstehen: Sie sind gewiss keine Kaulquappen, bei denen man sich Sorgen machen muss, dass sie im Haifischbecken NBA gefressen werden. Von Moritz ist überliefert, dass er sich in der ersten Profisaison bei den Los Angeles Lakers im Training mit LeBron James gezofft hat. Auf jedem gut sortierten Videoportal gibt es Videos, wie er im August 2020 gegen Giannis Antetokounmpo verteidigt und der nach einem Kopfstoß gegen Wagner des Feldes verwiesen wird. Oder in dieser Saison: kleiner Streit mit Luca Doncic von den Mavericks. Das sind die großen Fische in der NBA, und Wagner begegnet ihnen furchtlos wie der Fischer dem Marlin in Hemingways Meisterwerk "Der alte Mann und das Meer".

Moritz Wagner von den Orlando Magic beim Dunking
DER EMOTIONALE: Moritz ist der impulsivere Spieler des Bruderpaars, der Mann für krachende Dunkings – oder auch mal ein Foul
Credit: Getty Images
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Er ist der Emotionalere der beiden, Mutter Beate nennt ihn hin und wieder "Wildfang". Das war auch bei den Olympischen Spielen in Tokio zu sehen, als er fürs deutsche Team immer dann aufs Spielfeld kam, wenn die Kollegen einen brauchten, der sie mit einem erkämpften Rebound, krachendem Dunking oder auch mal einem ordentlichen Foul ins Spiel zurückführte; sie mitriss, aufrüttelte, anpeitschte. Das ist er auch bei Orlando Magic: Er kommt meist von der Bank, spielt knapp 13 Minuten pro Partie, erzielt fast acht Punkte und holt mehr als zwei Rebounds. Genau das wollen sie von ihm in Orlando.

Es ist erstaunlich, wenn man jemanden beobachtet, der auf dem Parkett so leidenschaftlich agiert wie Moritz – und dann beim Gespräch so reflektiert daherkommt und Sätze sagt wie: "Ich liebe Basketball, aber es gibt viele Aspekte an diesem Beruf, die ich versuche, nicht an mich ranzulassen." Oder den hier: "Früher dachte ich: Warum bin ich nicht der, der in den Highlights gezeigt wird? Die Energie, die ich darauf verwendet habe, verwende ich nun darauf: Ich stehe morgens auf, mache Kaffee, fahre zur Arbeit – und habe sogar meinen Bruder dabei!"

Aber nicht falsch verstehen: Moritz ist keiner, der mit dieser wilden Welt nichts anfangen kann. Er sagt: "Dann hat Kyle Kuzma eben nen dicken Pulli an, na und? Ich gönne jedem Spieler genau das Geld, das er kriegt." Bedeutet: Soll doch jeder machen, was er gerne tun will, ich gehe meinen ganz eigenen Weg; leben und leben lassen: "Ich werfe ein paar Bälle und verdiene ordentlich Geld damit. Wie glücklich bin ich denn eigentlich?"

FRANZ, DER JÜNGERE, kommt ruhiger, leiser daher als sein Bruder. Er stand sicher nicht in der Schlange, an deren Ende die Natur eine große Klappe oder martialische Gesten verteilt hat – wahrscheinlich, weil er sich ein zweites Mal dort angestellt hat, wo Ballgefühl und Spielverständnis vergeben worden sind. Er hat das, was sie in der NBA einen "very high Basketball IQ"nennen; die Fähigkeit, Situationen auf dem Spielfeld richtig zu deuten und scheinbar intuitiv die richtige Entscheidung zu treffen – obwohl es freilich das Resultat jahrelanger Übung ist. Man wundert sich, warum ein 20-Jähriger in seiner ersten NBA-Saison bisweilen wirkt, als würde er seit 15 Jahren in der Liga spielen. 

Teamkollege Mo Bamba sagt über ihn: "Er ist seinem Alter um Jahre voraus, und das liegt einfach daran, wie er sich permanent zu verbessern versucht. Er arbeitet an verschiedenen Aspekten des Spiels, er wird dadurch multidimensional und ist kaum zu stoppen." Auf diesen gut sortierten Videoportalen sind neben den Moritz-Höhepunkten nun auch Highlights von Franz zu sehen, und es ist deutlich zu erkennen: Der kann sehr viele Sachen sehr, sehr gut. Wie er explosiv am Gegner vorbei zum Korb zieht und mit einem krachenden Dunking abschließt. Wie er diesen Antritt dann doch nur antäuscht, den Gegner zu Fall bringt und mit einem Dreier abschließt. Wie er scheinbar in eine Falle tappt und plötzlich, ohne hinzusehen, zum Mitspieler passt. High Basketball IQ.

Franz Wagner von den Orlando Magic beim Korbleger
DER STRATEGE: Franz Wagner ist der Überlegtere – ihm attestieren seine Mitspieler einen „very high Basketball IQ“
Credit: Getty Images
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Was einem abseits der Highlight-Tapes und der Statistiken (fast 15 Punkte pro Partie, drei Assists und viereinhalb Rebounds) auffällt, wenn man mal ein paar Spiele in voller Länge betrachtet: wie wenig Fehler dieser junge Mann macht, er leistet sich eineinhalb Ballverluste pro Partie. Wie ruhig er in kniffligen Momenten bleibt. Wie er trotz seiner Jugend bereits Anführer in Orlando ist und in wichtigen Augenblicken einer Partie den Ball bekommt. "Er kann alles", sagt Teamkollege Terrence Ross, seit acht Jahren in der NBA: "Er kann wirklich alles, und er wird jeden Tag besser."

Es ist keine Übertreibung, wenn man ihn zum Kandidaten für die Auszeichnung zum "Rookie of the Year" ausruft, die der beste Nachwuchsspieler einer Saison kriegt. Es gibt Cade Cunningham von den Detroit Pistons, Evan Mobley (Cleveland Cavaliers), Josh Giddey (Oklahoma City Thunder), Scottie Barnes – und Franz Wagner. Natürlich würde er sich freuen, aber man merkt im Gespräch mit ihm, dass es ihm weniger um solch eine Auszeichnung geht als eher um die Frage, wie gut er eigentlich werden kann in diesem Sport – oder wie Mitspieler Ross es formuliert: "Ich bin wirklich gespannt, was aus dem einmal werden wird."

Das liegt natürlich auch daran, was aus Orlando Magic werden wird. Jamahl Mosley, als Cheftrainer ein Neuling wie Franz, hat ihn gleich bei der ersten Partie von Beginn an aufs Spielfeld geschickt, er vertraut ihm aufgrund guter Leistungen weiterhin. Jedoch gehört Magic derzeit zu den schlechteren NBA-Teams, und das ist freilich eine Medaille mit zwei Seiten: Einerseits muss sich jemand wie Wagner, in Deutschland bei Alba Berlin und an der Uni (wie Moritz in Michigan) meist Sieger, erst einmal an Niederlagen gewöhnen. Andererseits: Bei einem Team, das um Playoff-Teilnahme oder gar Titel kämpft, würde sich ein junger Spieler kaum so austoben dürfen.

"Unsere Eltern haben immer darauf geachtet, dass wir keine konsumorientierte, privilegierte Einstellung an den Tag legen.“

Es gibt viele Dinge in der NBA, die ein Spieler nicht kontrollieren kann; das knallharte Geschäft bei Trades zum Beispiel, bei denen die Vereine ihre Spieler bis auf sehr wenige Ausnahmen einfach so tauschen und damit zu einem anderen Verein, in eine andere Stadt schicken können. Moritz hat das erlebt, er kam von Los Angeles zu den Washington Wizards, von dort zu den Boston Celtics und vor dieser Saison nach Orlando. Es kann brutal sein, es kann einen brechen, wenn man nicht ein ordentliches Selbstbewusstsein und damit Gelassenheit entwickelt – und jemanden hat, der immer für einen da ist. "Es ist schon ein Vorteil, dass er seinen Bruder hat", sagt Trainer Mosley: "Es hilft einem so jungen Spieler ungemein, wenn einem der ältere Bruder ein paar Tipps geben kann."

Da ist sie wieder, die Verbindung zwischen den beiden Brüdern, die auf den ersten Blick und vor allem auf dem Parkett bisweilen so unterschiedlich wirken – bei denen man aber merkt, wenn man sie mal gemeinsam erlebt, dass sie die gleiche Einstellung zu Beruf und Leben haben. Die diesen Zirkus in der NBA schon in Ordnung finden, aber eben nicht bei jeder verrückten Nummer dabei sein müssen. Die ihre ganz eigene Attraktion sein wollen. Sie haben es sich gemütlich eingerichtet in dieser NBA-WG, von der sie auf den Plätzen in Berlin wohl nicht mal zu träumen gewagt haben. Es sind zwei junge Männer, die nicht vergessen haben, woher sie gekommen sind und dass es einen Grund dafür gibt, warum sie sind, wie sie sind. "Ich bin unseren Eltern sehr dankbar dafür, welche Werte sie uns vermittelt haben", sagt Moritz, "sie haben immer darauf geachtet, dass wir keine konsumorientierte, privilegierte Einstellung an den Tag legen."

Auch hier, und es ist wie beim Trost für den traurigen Gegenspieler damals: Es würde nicht auffallen, wären die beiden anders. Es fällt aber auf, dass sie so sind, wie sie sind. Und dass man sich keine Sorgen machen muss, dass sich das irgendwann ändern wird. Sie wollen das schon noch eine Weile genießen in der NBA – und dabei so bleiben, wie sie jetzt sind.

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