Tennis

Kommentar zu Alexander Zverev: Unsere Krücken sollten Zepter werden!

Alexander Zverev ist Typ-1-Diabetiker. Mit diesem Bekenntnis erweist der Tennis-Star nicht nur allen Diabetikern einen tollen Dienst, sondern der kompletten Community körperlich behinderter Menschen. Die Gründe, warum er seine Krankheit allerdings so lange verschwieg, sprechen Bände über unsere Gesellschaft.

Alexander Zverev
Credit: Getty Images
  • Alexander Zverev bekennt sich zu Diabetes-Erkrankung
  • Zverev macht damit vielen Kindern und Jugendlichen mit Behinderung Mut
  • Gesellschaftlich werden Behinderungen leider immer noch als "Makel" betrachtet


Dass Tennis-Star Alexander Zverev sich erst jetzt, mit 25 Jahren, zu einer chronischen Erkrankung bekennt, mit der er bereits seit seinem vierten Lebensjahr zurechtkommen muss, macht ihn nicht etwa feige, ganz im Gegenteil. 

Zverev berichtete davon, dass er als Kind wegen seiner Geräte (wohl dem Blutzuckermessgerät und der Insulinspritze) in der Schule von anderen Kindern gehänselt worden sei, und dass er auch später, als er schon als Tennisprofi erfolgreich war, lange nicht den Mut fand, öffentlich über seine Diabetes-Erkrankung zu sprechen. „Ich hatte immer Angst, dass meine Gegner sich gegen mich stärker fühlen, wenn sie von meiner Krankheit wüssten", sagte Zverev am vergangenen Wochenende.

Diese Aussage ist nicht unverständlich, sondern zeigt am Beispiel des Spitzensportes – der ja auch als eine Art verdichtetes Abbild unserer Leistungsgesellschaft verstanden werden kann –, unter welchem Druck man in dieser Gesellschaft als Mensch steht, dessen körperliche Konstitution im Gesamtgefüge so perfekter Körper und weißer Fassaden fast „unzulänglich“ erscheinen kann.

Sie mögen diese Begrifflichkeit – „unzulänglich“ – vielleicht übertrieben finden. Doch ich maße mir hier nichts an. Mein Zwillingsbruder Benedikt ist seit seinem 10. Lebensjahr Typ-1-Diabetiker. Trotzdem versucht er sich jetzt – mit 25 – gerade als Profigolfer auf der Pro-Golf und der Challenge-Tour (der dritt-, bzw. zweithöchsten Spielklasse im europäischen Golf). Ich selbst habe zeitlebens eine Zerebralparese, bin rechtsseitig gehbehindert.

Warum ich Ihnen das erzähle? Ganz sicher nicht, um ihr Mitleid zu schinden (das weder mein Bruder noch ich verdient oder nötig hätten) Nein, es geht mir darum, aufzuzeigen, dass es zuweilen hart ist, als Kind mit einer Behinderung aufzuwachsen. Auch wir sehen die großen Stars im Fernsehen, eifern Ihnen nach. Doch der Weg ist für uns oft weiter, die Umwege länger. 

Sie glauben ja nicht, welchen Einfluss der Blutzuckerspiegel – ein Wert, den die Bauchspeicheldrüse eines gesunden Menschen automatisch regelt – auf die Leistung meines Bruders auf dem Golfplatz und im Leben nimmt. Wie viele Turnierrunden und Trainingseinheiten er ihm schon verhagelte, und überhaupt, wie viele Golfrunden schon mit einem Blutzuckerwert von 50 oder 40 (normal ist ein Wert rund um 100) endeten und wir bangten, dass der Traubenzucker oder Schokoriegel den Blutzucker rechtzeitig wieder nach oben treibt, bevor mein Bruder das Bewusstsein verliert. So schnell wird aus Spaß Ernst und aus dem golferischen Wettkampf fast schon ein Kampf ums Überleben. Das ist kein Spaß.

Sie werden sagen: Ja, das mit dem Diabetes ist ja verständlich. Aber er, der Thalmayr, der schreibt doch. Was behindert ihn da eine Gehbehinderung? Was sich in der Beantwortung dieser Frage zeigt, ist all das, was mit einer körperlichen Behinderung noch einhergeht. Wir Menschen mit Behinderung kämpfen nicht nur mit unseren Körpern (und oft genug auch gegen sie), sondern zuweilen auch gegen unsere Umwelt. Natürlich wurde ich in meiner Kindheit gehänselt, ausgelacht, geschubst und als letzter in Mannschaften gewählt, konnte vieles nicht mitmachen. Zu behaupten, das hätte keine Spuren hinterlassen, wäre glatt gelogen. Und zu behaupten, dass es mich überhaupt keine Überwindung gekostet hätte, zu Vorstellungsgesprächen bei verschiedenen Magazinen zu gehen, die ja oft genug diese tollen Menschen – „Leistungsgesellschafts-Gewinnler“ – abbilden, um das zu tun, was ich immer wollte – nämlich schreiben –, wäre genauso gelogen.

Ich will für diese Schilderung weder Mitleid noch Applaus, sondern zeigen, dass es zuweilen hart ist, als Mensch mit Behinderung die mentale und körperliche Kraft aufzubringen, seine Träume zu verfolgen.

Dass jetzt jemand wie Alexander Zverev, ein absoluter Star dieser Leistungsgesellschaft, einer der besten und berühmtesten Sportler dieses Landes, die Kraft gefunden hat, über seine Behinderung zu sprechen und mit seiner Stiftung künftig sogar Kinder und Jugendliche mit Diabeteserkrankung zu unterstützen, ist mehr als großartig.

Letztens bin ich über eine Formulierung gestolpert, die lautete man müsse „Die Krücke zum Zepter machen“. Ich finde, darum geht es. Eben darum, die eigene Behinderung zu akzeptieren, aber zugleich niemals aufzuhören, nach den eigenen Stärken zu suchen und sie zu fördern. Allen Jungs und Mädels, allen Menschen mit Behinderung sei gesagt: Lasst Euch von nichts und niemandem aufhalten! Alexander Zverev hat auch nichts aufgehalten.

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