Olympische Spiele

Wunderkind Lilly Stoephasius: "Ich war im Skatepark immer das einzige Mädchen"

Lilly Stoephasius ist Deutschlands beste Skateboarderin, Olympia-Teilnehmerin, Pionierin - und geht nebenbei zur Schule. Im Gespräch mit Sports Illustrated verrät die 16-Jährige, wie sie Sport und Schule unter einen Hut bekommt.

Skaterin Lilly Stoephasius
Credit: Getty Images

Der Regen prasselt laut gegen das Fenster. Der diesige Augusttag im trüben Deutschland neigt sich dem Ende zu. Hinter den Wolken verschwindet langsam die Sonne. "Hier ist es schon deutlich wärmer", sagt Lilly Stoephasius lächelnd.

Die Deutsche sitzt in jenem Moment in einem Zimmer auf der anderen Seite der Welt. Per Videoanruf hat sie sich eben aus dem sonnigen Oceanside, im Süden Kaliforniens, zugeschaltet – dem berühmten Hotspot der internationalen Skateszene. "Ich war hier für einen Wettkampf und fürs Training. Die nächsten zwei Wochen machen wir jetzt noch Urlaub", sagt Stoephasius, die mit ihren Eltern und ihrer drei Jahre jüngeren Schwester in den USA weilt.

Lilly Stoephasius
Lilly Stoephasius
Credit: Getty Images
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Lilly Stoephasius steht als Einjährige auf dem Brett

Passend, dass sie Schulferien hat. Denn Deutschlands beste Skateboardfahrerin besucht neben Wettkämpfen in Argentinien und Brasilien, den "X-Games" oder Weltmeisterschaften die elfte Klasse eines Berliner Gymnasiums. Erst im vergangenen Juni feierte sie ihren 16. Geburtstag.

Doch die Liebe zum Skaten begleitet sie schon ihr Leben lang. Als Einjährige steht Stoephasius zum ersten Mal auf dem Brett. Ihr Papa, selbst Skater, macht seine beiden Töchter früh mit dem Shredden – Jargon für Skaten – vertraut.

"Mit fünf Jahren habe ich für mich selbst entschieden, dass ich das als Hobby machen möchte", erinnert sich Lilly, die bis heute für den 1. Skateboardverein Berlin antritt. Neben dem Skaten spielt sie Gitarre und Hockey, singt im Chor – und tanzt Ballett. "Das hat mir richtig viel gegeben fürs Skaten. Ich lernte dabei Körperbeherrschung, Flexibilität oder das richtige Timing bei Drehungen."

Je älter sie wird, desto mehr richtet sich jedoch der Fokus aufs Skaten, auf die Parks, die Tricks, die Wettkämpfe, die Events, dem Gefühl für ihre Leidenschaft. Ihre Disziplin: Park. In einer Art leerem Swimmingpool, der Bowl, skaten die Fahrer mit hoher Geschwindigkeit und zeigen vor allem oben an den Kanten ihre Tricks. 

Lilly Stoephasius wird Deutsche Meisterin

Stoephasius’ Talent wird sofort deutlich, ihr Aufstieg ist steil. "Es gab nicht den einen Punkt mit dem riesigen Durchbruch", sagt sie. "Es ging einfach stetig nach oben." 
Bereits mit elf Jahren wird sie 2018 in der Park-Disziplin Deutsche Meisterin. Ein Jahr später gewinnt sie erneut.

"Als es danach losging, dass ich als Mitglied von Team Deutschland erste internationale Wettkämpfe fahren durfte, habe ich mir gedacht, dass ich das Skaten zu etwas Größerem machen kann, zu mehr als nur einem Hobby." Als Zwölfjährige wird sie Vize-Europameisterin und Dritte bei der Weltmeisterschaft 2019. Spätestens als dann ein Stichwort fällt, ist klar, wie weit es Stoephasius bringen kann: Olympia.

Lilly Stoephasius bei den Olympischen Spielen

Bei den Spielen 2020 in Tokio gehört Skateboarden zum ersten Mal zu den Disziplinen – und Stoephasius qualifiziert sich als einzige deutsche Fahrerin. Als erste Deutsche überhaupt nimmt sie mit gerade einmal 14 Jahren an den Spielen teil und erreicht in dem Feld voller internationaler Top-Stars Rang neun. Ohnehin: Zu Beginn ihrer jungen Karriere steht für Stoephasius nicht die Platzierung im Vordergrund.

"Ich war einfach froh, dabei zu sein und zu merken, dass ich es auch zu den Profis schaffen kann." Rückhalt erhält sie dabei von ihren Eltern. Ihr Vater begleitet sie seit Beginn ihrer Karriere als Trainer und Mentor, ihre Mutter übernimmt das Organisatorische rund um Lillys Leben. "Sie haben mich immer unterstützt und mir auch gesagt, dass, wenn es mir zu viel werden würde, ich jederzeit auch für Olympia hätte absagen können."

Stress empfindet Stoephasius jedoch selten. Selbst nach Olympia, angesichts zahlreicher Medienanfragen, ständiger internationaler Wettkämpfe und Reisen sowie des bevorstehenden Abiturs und einer ungewissen Zukunft wirkt sie gelassen. "Ich gehe das alles sehr entspannt an", sagt sie.

"Wenn mal ein Run, also ein Durchgang im Park, nicht gut klappt: ‚Okay, dann ist das so. Der nächste wird bestimmt wieder besser.‘ Und das Ganze um das Skaten herum nehme ich auch sehr gerne an." Mit dem "Ganzen um das Skaten herum" meint Stoephasius ihre immer größer werdende  Bekanntheit – und vor allem ihren Einfluss neben dem Skatepark. 

Stoephasius will mehr Mädchen fürs Skaten begeistern

"Ich wünsche mir, dass mehr Mädchen hier in Deutschland skaten", sagt Stoephasius, die sich als Ziel gesetzt hat, mehr Mädchen für den Sport zu begeistern. "Ich möchte als Person nicht großartig ‚etwas bewegen‘ oder dass diese Entwicklung nur wegen mir stattfindet. Sondern einfach, dass mehr deutsche Mädchen und Frauen skaten."

Ebenjenen Zustand hätte sie sich früher selbst gewünscht. "Ich war im Skatepark immer das einzige Mädchen. Ich habe deswegen nie schlechte Erfahrungen gemacht, alle waren immer sehr lieb. Aber trotzdem wäre es für mich damals einfach schöner gewesen, wenn da noch ein Mädchen in meinem Alter gewesen wäre."

Vorbild: Stoephasius möchte andere Mädchen und Frauen für das Skaten inspirieren
Vorbild: Stoephasius möchte andere Mädchen und Frauen für das Skaten inspirieren
Credit: Chris Tedesco/X-Games
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Desolate Skate-Infrastruktur in Deutschland

Zudem spricht Stoephasius seit mehreren Jahren deutlich die desolate und teilweise nonexistente Skate-Infrastruktur in Deutschland an. Nur in wenigen deutschen Großstädten sind überhaupt adäquate Trainingsbedingungen für Profi-Skater gegeben. Schon deshalb findet das Gespräch mit Stoephasius nicht in Deutschland statt. Um richtig trainieren zu können, verbringt die Schülerin ihre Ferien mittlerweile fast ausschließlich in Skate-Hochburgen wie Oceanside. 

Bereits Monate vor den Contests besucht sie außerdem die jeweiligen Parks, um ihr Set zu trainieren. "Ich habe schon vorab einen Plan und meine Tricks", sagt Stoephasius. "Vor Ort gewöhne ich mich dann an den Park, probiere neue Sachen aus und studiere Feinheiten ein, sodass alles in den 45 Sekunden, die ich bei den Wettkämpfen für einen Run habe, passt." Allein in diesem Jahr trat Stoephasius unter anderem in Argentinien und Schweden an, shreddete beim berühmten Extremsport-Event – den "X-Games" – in Kalifornien und gewann nebenbei in Leipzig mal wieder die Deutsche Meisterschaft. 

Erst im vergangenen Jahr war sie außerdem Teilnehmerin bei "Vert Alert", einem Event von Skate-Legende Tony Hawk. Auf der von Hawk entworfenen U-förmigen Rampe, bei der es auf beiden Seiten mehrere Meter steil nach oben geht, skatete Stoephasius auf Rang eins – und zum denkwürdigsten Ergebnis ihrer bisherigen Karriere. "Zum ersten Mal war ich bei einem Wettkampf ohne meine Eltern und musste alles allein schaffen. Ich musste allein trainieren, alles allein organisieren – und plötzlich gelangen mir neue Tricks zum ersten Mal, ich machte Dinge, die ich zuvor noch nie gemacht habe, und war dann auch noch besser als erwartet. Das alles war für mich bislang definitiv die schönste Erfahrung beim Skaten."

Stoephasius verbindet Reisen, Wettkämpfe und Schule

Wie sich jedoch all die Reisen und Wettkämpfe mit der Schule vereinbaren lassen? "Zum Glück bin ich recht gut in der Schule. Deswegen kann ich bei Fehltagen den Stoff nacharbeiten", sagt Stoephasius, die auf ihren Reisen zum nächsten Wettkampf neben dem Skateboard auch mal die Biologie-Aufzeichnungen einpackt.  So sieht das ziemlich ambivalente Leben der 16-Jährigen ungefähr aus: in Parks auf der ganzen Welt noch waghalsige Tricks vor kreischenden Zuschauern performen, kurz mit Ikone Hawk abhängen – und anschließend im Flieger zurück für die nächste Mathe-Klausur lernen.

Schmunzelnd sagt sie, dass sie unter ihren Freundinnen in Berlin nicht "abnormal" aufgrund ihrer Erfolge behandelt wird. Diese jugendliche Unbekümmertheit, Leichtigkeit, gepaart mit einer so reifen Klarheit und fast schon Nüchternheit machen die junge Berlinerin jedoch einzigartig – und dermaßen erfolgreich. Und wohl genau darin liegt der Schlüssel, dass die Schülerin trotz des ganzen Trubels nie den Spaß an ihrem Sport verloren hat.

Lilly Stoephasius
Lilly Stoephasius
Credit: Instagram (Lilly Stoephasius)
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Dabei tickt jedoch nicht nur sie so: "Hier beim Skaten trainiert niemand bis zum Umfallen und macht sich einen riesigen Druck, um perfekt zu performen", erklärt sie. "Es denkt auch niemand über die anderen: ‚Hoffentlich fällt sie jetzt hin, dass ich gewinne.‘ Nein. Es ist ein sehr freundschaftliches Verhältnis zwischen uns Skaterinnen. Der Sport verbindet uns."

Und doch: Trotz der Gelassenheit, des entspannten Blicks gen Zukunft hat Stoephasius klare Ziele, ihr Ehrgeiz ist spürbar. "Nach dem Abitur möchte ich mich auf jeden Fall voll aufs Skaten konzentrieren. Ich möchte erfolgreich bleiben, weiterhin bei großen Events wie den ‚X-Games‘ antreten, Spaß haben und im besten Fall mehrere Jahre davon leben können." Zudem stehen noch ein, zwei, drei Olympia-Teilnahmen auf dem Plan. "Das wäre cool." Ach ja, und dann wäre da noch der Traum vom Leben in den USA. Dort gebe es die besseren Skateparks – und das Wetter ist einfach besser. 


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