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Internet-Star und Eiskunstläufer Elladj Baldé: "Nach geplatztem Olympia-Traum verlor ich meine Identität"

Elladj Baldé ist früherer Eiskunstlauf-Wettkämpfer – und heute gefeierter Internet-Star. Mit Sports Illustrated spricht der Kanadier über Identitätsverlust im Sport, Vorurteile gegen Eiskunstlauf, gesunde Maskulinität, wahre Stärke und die Kunst des Loslassens.

Elladj Baldé
Credit: PR
  • Elladj Baldé im Interview mit Sports Illustrated
  • Vom Eiskunstläufer zur Internet-Sensation
  • Baldé: "Athleten wird zu oft vermittelt, sie sollen ihre Gefühle abschalten"

Von der Eishalle ins Internet: Elladj Baldé ist früherer Profi-Eiskunstläufer. Bis 2018 trat der Kanadier mit russischen und guineischen Wurzeln für sein Heimatland an. Immer mit den Olympischen Winterspielen als Ziel vor Augen. Die Erfüllung dieses Traums blieb Baldé verwehrt, 2018 beendete er nach mehreren erlittenen Gehirnerschütterungen seine Karriere – und fiel in ein tiefes emotionales Loch.

Heute ist Baldé eine Internet-Sensation. Millionen Menschen verfolgen den Eiskunstläufer in den sozialen Medien, liken Videos, auf denen Baldé auf dem Eis kanadischer Naturseen Backflips macht. Und teilen Beiträge des 33-Jährigen, in denen er als Teil der BIPoC-Community (Black, Indigenous, People of Color) offen über Rassismus, mentale Gesundheit und den Druck eines Profisportlers spricht. 

Mit Sports Illustrated spricht Baldé über Kunst, die Reise zu sich selbst und das Loslassen.

Sports Illustrated: Herr Baldé, schaut man Ihre Videos in den sozialen Medien, bekommt man von Ihnen einen tief zufriedenen, gelassenen Eindruck. Das war laut eigenen Aussagen aber nicht immer so. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihre Anfänge im Eiskunstlauf zurück?

Elladj Baldé: Meine ersten Erinnerungen an Eiskunstlauf sind geprägt von Spaß und Spiel. Es waren nur meine Mutter, die mich unterrichtet hat, und ich. Ich habe mich wohlgefühlt und habe es geliebt. Als ich jedoch wenig später begann, an Wettbewerben teilzunehmen, verlor ich diese Gefühle. Durch meine russische Mutter begann ich mit dem Eiskunstlauf in Russland, wo es eine wichtige Sportart ist. Deswegen gab es immer nur das Ziel, der Beste zu sein. Diese Ansprüche und das Gefühl von Wettbewerb waren für mich als Kind nicht einfach. Zusammen mit wenig Repräsentation von schwarzen Eiskunstläufern und dem Druck, in eine bestimmte Box gedrängt zu werden, die sich nicht wie ich anfühlte, machten diese Umstände mein Leben früher schwierig.

Sports Illustrated: Sie sprechen die fehlende Repräsentation an. Vor allem in der Vergangenheit gab es auf höchstem Niveau nahezu keine Eiskunstläufer aus der BIPoc-Community. Haben Sie sich früher einsam gefühlt? 

Baldé: Es war weniger Einsamkeit, sondern viel mehr das Gefühl, dass ich nicht ich selbst sein konnte im Sport. Es hat sehr lange gedauert, bis ich einen schwarzen Eiskunstläufer kennenlernen durfte und erst da habe ich begonnen, mich anders wahrzunehmen. Aber bis zu diesem Punkt war ich einfach nur darauf fokussiert, der Beste zu sein. 

Sports Illustrated: Nachdem Ihr großer Traum von den Olympischen Winterspielen unter anderem wegen Verletzungen geplatzt war, fielen Sie nach eigenen Angaben in ein "dunkles Loch". Wenn Eiskunstlauf Sie in dieses Loch brachte – hat es Sie dort auch herausgeholt?

Baldé: Nein. Eiskunstlauf war das, was mich am meisten verletzte. An diesem Punkt hatte ich aufgehört mit dem Sport. Ich habe die Liebe dazu verloren. Der Grund, warum ich überhaupt auf dem Eis gestanden hatte, war Olympiasieger zu werden. Meine ganze Identität und meinen Selbstwert hatte ich darauf aufgebaut. Als ich dann merkte, dass ich es nicht schaffen würde, wusste ich nicht mehr, wer ich überhaupt war. Ich musste tief in mich abtauchen und ein neues Selbstbewusstsein finden. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aufgehört mit dem Eiskunstlauf. Ich wollte nicht mehr wegen externen Gründen auf dem Eis stehen und beschloss, erst zurückzukehren, wenn ich es von mir aus wollte. Das habe ich irgendwann geschafft – und habe Erfüllung im Sport gefunden.

Sports Illustrated: Und wie? 

Baldé: Authentizität. Es kam von innen heraus: Ein neues Selbstbewusstsein, herauszufinden, wer ich wirklich bin. Ich habe realisiert, dass ich die Gabe habe, durch den Eiskunstlauf Menschen zu berühren und Gefühle zu erwecken. Das war der Punkt, wo die Liebe für den Sport zurückkehrte – und wo ich einen tieferen Sinn gefunden habe. Darin habe ich mich verliebt und ich konnte all diese Ideen, wie ich sein müsste, loslassen und einfach ich selbst sein. Das hat mein Leben verändert. Auf und neben dem Eis. 

Sports Illustrated: Haben sich mit diesem neugefundenen Purpose auch Ihre Prioritäten geändert?

Baldé: Absolut. Ich habe zunächst begonnen, mich als Athlet nicht nur um meinen Körper zu kümmern, sondern auch um meinen Geist und meine Emotionen. Ich habe mich gefragt: Wie kann ich Ruhe in meinem Kopf herstellen? Yoga zum Beispiel hat mein Leben verändert. Körperlich, emotional, mental. Ich habe begonnen zu meditieren, Tagebuch zu schreiben. Ich habe mir erlaubt, mich verwundbar gegenüber den Menschen um mich herum zu machen. Und nicht Angst davor zu haben, was andere Menschen über mich denken könnten. All diese Dinge haben mein Leben neben und auf dem Eis transformiert. So kann ich nun meine Kunst auf dem Eis auf Social Media teilen, dabei authentisch sein und mich nicht nur wohlfühlen, sondern in diesem Zustand auch aufblühen. 

Sports Illustrated: Sie sagen, Sie haben sich auch auf dem Eis verändert. Wie sieht Ihre Beziehung zum Sport also heute aus?

Baldé: Es ist sehr anders. Jetzt geht es für mich darum, mich als Künstler weiterzuentwickeln und die Grenzen von Kunst im Eiskunstlauf zu testen. Ich fühlte mich früher so eingepfercht und nun kann ich neues erkunden: Neue Bewegungen, neue Musik zum Skaten, neue Klamotten, neue Orte. Dinge, die im Gegensatz zum konventionellen Eiskunstlauf vielleicht etwas unorthodox sind. 

Sports Illustrated: Ein großes Thema für Sie – persönlich und im Eiskunstlauf – ist Maskulinität. Wie hat sich Ihre Sichtweise über die Jahre verändert? 

Baldé: Ich glaube, in der Gesellschaft haben wir diese eine Idee, was ein Mann ist und wie er sich verhalten sollte. Er müsse Emotionen unterdrücken, um erfolgreich zu sein. Als Kind wurde ich lange gehänselt, weil ich einen Sport gemacht habe, der in der Gesellschaft als feminin wahrgenommen wird. Es ist schade, dass Menschen diese Blase um Eiskunstlauf kreiert haben. Sobald man sich dort hineinbegibt, wird man gleich als feminin gekennzeichnet. Aber das bedeutet nichts. Wie man skaten möchte, so sollte man skaten. So viele Jungs hören mit dem Eiskunstlauf auf, weil sie es leid sind, dauernd gemobbt zu werden. 

Sports Illustrated: Hatten Sie auch schon mal diesen Gedanken?

Baldé: Ich bin auch durch eine Phase gegangen, in der ich Menschen gesagt habe, ich würde Fußball spielen. Denn sobald ich von Eiskunstlauf gesprochen hatte, sah ich die Bilder und die Vorstellungen in den Köpfen der Menschen. Ich finde es schade, zu sehen wie sich unsere Gesellschaft dahingehend verhält mit dieser Hypermaskulinität. Für mich steht gesunde Maskulinität für die Stärke und den Mut, authentisch zu sein und sich der Welt zu öffnen und verletzlich zu machen. Männer denken zu oft, das sei "schwach", oder etwas, das man nicht fühlen sollten. Dabei ist es eines der schönsten und unglaublichsten Dinge, die wir als Mensch tun können.

Elladj Baldé ist langjähriger Partner des kanadischen Kleidungsherstellers Canada Goose – und war Ambassador für die Holiday Collection
Elladj Baldé ist langjähriger Partner des kanadischen Kleidungsherstellers Canada Goose – und war Ambassador für die Holiday Collection
Credit: PR
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Sports Illustrated: Sie sind also eine Art Aktivist, waren früher Profi-Athlet, gleichzeitig sprechen Sie aber über die Kunst, die Sie erschaffen. Wie würden Sie sich also selbst beschreiben? Influencer? Athlet? Künstler? Aktivist?

Baldé: Alles gleichzeitig. Ich habe mich früher nur als Sportler wahrgenommen. Heute weiß ich, dass ich sein kann, wer ich will. Deswegen teste ich mich aus in der Kunst, oder als jemand, der seine Stimme in den sozialen Medien nutzt. Aber ich bin auch ein Athlet. Ein Ehemann. Weil ich früher so sehr in eine Box gepfercht war, habe ich mittlerweile alle Etiketten gelöst. 

Sports Illustrated: Apropos soziale Medien: Bei einem Blick auf beispielsweise Ihren Instagram-Account fällt direkt auf, dass Sie den Großteil Ihrer Eiskunstlauf-Videos in der Natur produzieren. Was bedeutet Ihnen die Natur vor allem in Ihrer Heimat Kanada?

Baldé: Die Natur hat eine unglaubliche Energie, die Menschen heilen kann. Eine Energie, die es erlaubt, präsent im Moment zu leben. Als ich in diesem dunklen emotionalen Loch war, hat es mir vor allem geholfen, nach draußen in die Natur zu gehen und mich mit ihr zu verbinden. Für mich ist es die ultimative Erfahrung: Mit Eiskunstlauf das zu tun, was ich am meisten auf dieser Welt liebe. Mich zu Musik zu bewegen, die mich inspiriert. Und das alles auf Eis, das von der Natur geformt wurde. Es erinnert mich jedes Mal daran, dass ich so sein kann, wie ich bin und dass ich dafür geliebt werden kann. Es ist ein magischer, heiliger Ort für mich.

Sports Illustrated: Aber ist es nicht auch etwas angsteinflößend, auf diesen gigantischen Naturseen zu skaten?

Baldé: Oh ja. Am Anfang war es sehr beängstigend. Das erste Mal, als ich in der Natur geskatet bin, war das Eis sehr dünn. Aber ich habe zum Glück ein Team um mich herum, das sich mit Eis auskennt und beispielsweise die Eisdicke misst. Ohne mein Team würde ich das alles nicht machen. Es sind mittlerweile auch ein paar Jahre vergangen, deswegen fühle ich mich ohnehin sicherer auf wildem Eis. 

Sports Illustrated: Zurück ins Hier und Jetzt: Was sind Ihre konkreten Ziele?

Baldé: Vor allem möchte ich, dass Eiskunstlauf diverser wird. Nicht nur, dass mehr indigene Menschen oder People of Colour in der Sportart aktiv sind, sondern sich auch auf dem höchsten Level messen. Dinge, die die nächste Generation inspirieren, dass sie Teil dieses Sports sein können. Bei mentaler Gesundheit habe ich das Gefühl, dass Athleten viel zu oft vermittelt wird, dass sie einfach ihre Gefühle abschalten sollten. Das führt zu vielen Jahren, in denen Emotionen unterdrückt werden – die dann irgendwann viel stärker zurückkommen. Deswegen fallen viele Athleten später in Depressionen, besonders nach ihrem Rücktritt. Es ist mir sehr wichtig, ein Fürsprecher von mentaler Gesundheit und der Verarbeitung von schwierigen Emotionen zu sein. 

Sports Illustrated: Und im Eiskunstlauf speziell?

Baldé: Auch Eiskunstläufer möchte ich inspirieren. Dass sie sich vielleicht noch mehr als Künstler anstelle eines technischen Spezialisten wahrnehmen. Im Eiskunstlauf, glaube ich, haben wir diese Berührungspunkte mit der Individualität und der Kunst zu lange vernachlässigt. 

Sports Illustrated: Mit Blick auf all die Dinge, die Sie erlebt haben: Ihre Anfänge, Ihre Karriere, Ihre Tiefschläge, Ihre Erfolge, Ihre Mission und wo Sie jetzt im Leben stehen. Würden Sie alles nochmal genauso machen?

Baldé: Absolut. 100 Prozent. All die schönen Dinge, all die schwierigen Momente: Sie haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich würde nichts ändern. 


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