FUSSBALL-WM 2022

Für Mbappé zählt nur der Pokal: Frankreich-Star ist auf Titel-Mission

Die Franzosen haben ihren besten Spieler nach Benzemas WM-Aus doch gar nicht dabei, oder? Wer das den Polen erklärt, könnte schnell ein paar vor's Schienbein bekommen. Denn die französische Performance im Achtelfinale zeigt: Kylian Mbappé hat so einiges vor.

Kylian Mbappé
Credit: Imago
  • WM in Katar: Kylian Mbappé schießt Frankreich souverän in Viertelfinale
  • Torgarant Mbappé brilliert als Superstar der WM 2022
  • Starstürmer schießt gleich zwei Tore gegen Polen

Dieser Tage Frankreich zu sein bedeutet, den Ballon d'Or-Gewinner am Vorabend der Weltmeisterschaft durch eine Verletzung zu verlieren und einen Ersatzmann aus dem Ärmel zu zaubern, der selbst die Meilensteine reißt; Dieser Tage Frankreich zu sein bedeutet auch, ein Achtelfinalspiel bei der Weltmeisterschaft eher als Etappe, denn als Ziel zu betrachten. Und was es – last but not least – außerdem bedeutet in diesem Tagen Frankreich zu sein: das fast schon unfaire Privileg genießen zu können, einen jungen Mann namens Kylian Mbappé auf die Fußballwelt loszulassen. 

Die Reise von "Les Bleus" – die bislang eher die Anmutung eines Beutezuges hat – in Richtung Titelverteidigung führte am Sonntagabend ins Al-Thumama-Stadion im Süden von Doha, wo das Team von Didier Deschamps tapfere, aber überforderte Polen platt machte. Olivier Giroud, der mittlerweile ikonische und immer noch torgefährliche Ersatz für Frankreichs Goldjungen Karim Benzema, erzielte den Führungstreffer und bereitete den spektakulären zweiten Treffer vor.

Kylian Mbappé: Dieser Star ist nicht zu stoppen

An einem Abend, an dem sowohl der 36-jährige Giroud, als auch Torhüter Hugo Lloris und Spielmacher Antoine Griezmann individuelle Meilensteine ihrer Karrieren erreichten, rückte Mbappé ins Rampenlicht und besiegelte Frankreichs 3:1-Triumph mit zwei denkwürdigen Treffern.

Doch Mbappé traf wohlgemerkt nicht gegen irgendwen: Denn gäbe es eine Auszeichnung als MVP der Gruppenphase, Polens Torhüter Wojciech Szczęsny hätte gute Chancen darauf gehabt. Er hielt zwei Elfmeter, darunter einen von Lionel Messi, und hatte in der Vorrunde die beste Fangquote aller Keeper des Turniers. Aber auch er war an diesem Abend kaum mehr als ein ehrfürchtiger Zuschauer – so wie alle anderen im Al Thumama, auf und neben dem Feld, auch –, als Mbappé dem Spiel seinen explosiven, extravaganten und einzigartigen Stempel aufdrückte.

Polens Trainer Czesław Michniewicz, der die "Adler" zum ersten Mal seit 36 Jahren wieder in ein WM-Achtelfinale geführt hatte, sprach aus, was viele Trainer im Angesicht Mbappés fürchten: "Es gibt kein Rezept. Kein Trainer kennt das Rezept, um Mbappé in der Form, in der er gerade ist, zu stoppen." Und weiter: "Er ist ein fantastischer Spieler und er hat uns heute geschadet. Aber ich drücke ihm die Daumen. Ich feuere ihn an, weil er ein echter Star ist. Ich spreche von Messi, Ronaldo, Lewandowski - irgendjemand wird die Nachfolge antreten, und ich denke, Mbappé wird der Spieler sein, der für viele Jahre der Beste sein wird."

Kylian Mbappé: Der Mann, der Frankreich ein Lächeln schenkt

Der 23-Jährige aus dem Banlieue, jenen Pariser Vorstädten, die sich zur größten Spielerschmiede der Welt entwickelt haben, sammelt schon jetzt viele Lorbeeren. Mit fünf Toren in Katar ist er nun (mit aktuell neun Treffern) der zweitbeste Torschütze in Frankreichs WM-Geschichte. Eine Geschichte wohlgemerkt, die zwei Titel, einen zweiten Platz und zwei Bronzemedaillen umfasst. Und Mbappé ist der einzige Spieler in der Historie des Turniers, der neun Tore erzielen konnte, bevor er 24 Jahre alt wurde.

Sein Trainer Didier Deschamps, seines Zeichens Weltmeister als Spieler und Trainer, sagt über Mbappé: "Er kann ein Spiel in nur einem Moment verändern. Und er spielt immer mit so viel Freude und wir alle wollen dieses Lächeln mit ihm teilen. Frankreich brauchte heute Abend einen großartigen Kylian Mbappé und hat ihn bekommen."

Olivier Giroud lässt aufmerken: Vergesst mir doch die Alten nicht!

Allerdings: Bei all dem Hype um Mbappé sollte man nicht vergessen, was wir anfangs ansprachen (und was den Rest der Fußballwelt so ängstigt):  Frankreich hat nicht nur Mbappé. Denn bevor der wohl bald eh alle Rekorde bricht, meldet sich in der Équipe nochmal ein Altmeister zurück. Der Name: Giroud, Olivier Giroud. Denn der trug sich mit seinem Tor zum 1:0 kurz vor der Halbzeit (Der Assist kam, na von wem wohl?) in die Geschichtsbücher des französischen Fußballs ein. Er ist jetzt Torschützenkönig der Équipe Tricolore. Giroud, der bei der Weltmeisterschaft 2018 gänzlich ohne Tor blieb, erzielte gegen die Polen bereits sein drittes bei diesem Turnier. Es war gleichzeitig sein 52. Tor für Frankreich, womit er Thierry Henry (liegt bei 51 Treffern) auf den zweiten Platz verweist.

Coach Deschamps sagt: "Olivier war immer ein wichtiger Spieler. Vor vier Jahren hat er kein Tor geschossen, aber er war trotzdem ein sehr wichtiger Spieler für uns und ... und heute sehen wir seine Qualität." Der Trainer rühmt auch die mentale Beharrlichkeit Girouds, merkt an: "Er wurde oft kritisiert, aber er hat es geschafft, stark zu bleiben - mental stark - und ja, er hat den Rekord gebrochen. Es ist sehr schwer, diesen Rekord zu brechen."

Les Bleus
Les Bleus
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Wenn Mbappé so weiter trifft, hält Girouds Rekord nicht lange

Während Deschamps noch dabei war Giroud zu loben, betrat Kylian Mbappé den Pressekonferenzraum im Al Thumama. Prompt drehte sich der Trainer  zu ihm um und sagte: "Und hier neben mir gibt es noch einen anderen, der ihn vielleicht eines Tages brechen wird." Gemeint war natürlich der Torrekord. Mbappé liegt nun mit 33 Treffern auf dem siebten Platz, nur 19 hinter Giroud. Mit welcher Taktung der 23-Jährige trifft war allerdings auch gestern zu beobachten, als der Pariser gleich doppelt einnetzte

Das 2:1 war eine Demonstration des mächtig schnellen Umschaltspiels der Franzosen. Griezmann, der am Sonntag sein 71. Länderspiel in Folge absolvierte und damit ebenfalls einen französischen Rekord aufstellte, leitete das den Konter mit einem langen, hohen Ball aus dem eigenen Strafraum ein. Dieser Weite hieb fand Giroud, der den Ball zuerst in Mittelsürmer-Manier festmachte, dann allerdings den schnellen Ousmane Dembélé auf der rechten Außenbahn schickte. Der Flügelspieler des FC Barcelona zog die polnische Abwehr auf sich und bediente Mbappé auf der linken Seite des Strafraums. Und die Art wie Mbappé dann abschloss – ein Strich von einem Schuss, zwar relativ zentral, aber zu hart getreten – war abermals eine Macht- und Kraftdemonstration.

Seinen zweiten Treffer erzielte Mbappé dann bereits in der Nachspielzeit. Wieder war sein Schuss zu platziert für den wackeren Szczęsny. Diesmal setzte Marcus Thuram Mbappé in Szene. Der wiederum zog im linken Strafraumeck drei polnische Verteidiger auf sich, ließ sie mit einer dynamischen Bewegung aussteigen und schoss hart und platziert, mit einer Technik, die so präzise wohl nur er beherrscht, ins rechte obere Eck ein.

Dass Robert Lewandowski kurz vor Schluss noch einen Elfmeter zum 1:3 verwandelte, war nicht unverdient für Polen, das mutig spielte und sich gegen so mächtige Franzosen nicht versteckte.

"Die polnische Mannschaft war offensiver als wir erwartet haben", räumte Trainer Deschamps ein. Hugo Lloris parierte Lewandowskis ersten Versuch. Apropos Lloris: Mit diesem Spiel konnte der französische Mannschaftskapitän seinen eigenen Meilenstein feiern, denn er zog mit dem legendären Verteidiger Lilian Thuram – Weltmeister von 1998 und der Vater von Stürmer Marcus – gleich. Beide haben jetzt 142 Länderspielen für Frankreich. Falls nichts dazwischen kommt, dürfte Frankreich am kommenden Samstag nach dem Anpfiff gegen England in Hugo Lloris einen neuen REkord-Nationalspieler haben. Beinahe hätte Lloris aber auch schon dieses Jubiläumsspiel mit einer weißen Weste beendet. Denn eigentlich hatte der Keeper der Tottenham Hotspurs Lewandowskis Elfmeter in der Nachspielzeit schon pariert, doch einige Franzosen waren schon vor dem Schuss in den Strafraum eingelaufen, weswegen "Lewi" nochmal randurfte und verwandelte.

Polens Trainer Michniewicz sagte, dass Polen sein Ziel bereits erreicht hatte, indem es eine schwierige Gruppe – zu der auch Argentinien und Mexiko gehörten – überstanden habe. "Je mehr Zeit vergeht, desto mehr werden wir die Perspektive ändern", sagte er zur Niederlage vom Sonntag. "Nach Wochen und Monaten werden wir mit Stolz sagen können, dass wir etwas erreicht haben, was Polen seit 36 Jahren nicht mehr geschafft hat."

Kylian Mbappé: Frankreichs Wunderstürmer hat nur den Titel im Kopf

Frankreichs Altstars und sein weltbekannter Jungstar mögen unterschiedlichen individuellen Meriten hinterherjagen, doch eigentlich wollen sie nur das eine: die Titelverteidigung für Les Bleus. Nachdem Mbappé Deschamps auf der Bühne abgelöst hatte, sagte der Mann aus der Pariser Vorstadt, dass er bis Sonntag nicht mit den Medien gesprochen habe, weil er sich so sehr auf diese Weltmeisterschaft konzentriert müsse. Eer habe sogar angeboten, die von der FIFA – wegen Fernbleibens von einer Pressekonferenz – gegen den französischen Fußballverband verhängte Geldstrafe aus eigener Tasche zu bezahlen – bei bislang zweimaligem Schwänzen dürfte sich die Strafzahlung wohl auf 10.000 Schweizer Franken belaufen.

Nach dem Achtelfinale aber, sprach Mbappé mit der Presse, sagte: "Das ist der Wettbewerb meiner Träume, und ich freue mich, hier zu sein. Ich habe mich die ganze Saison über körperlich und mental auf dieses Turnier vorbereitet. Ich wollte für dieses Turnier bereit sein, und das bin ich auch. Und bis jetzt läuft es gut. Aber wir sind noch weit von unserem Ziel entfernt."

Mit seinem Spiel zieht er die Aufmerksamkeit auf sich und erntet viel Lob, die Leute fragen nach Rekorden und Auszeichnungen. Aber Mbappé lässt sich von der Aussicht auf persönliche Auszeichnungen nicht von seiner Mission abbringen.

Auf die Frage, ob er hinter einem Ballon D'Or her sei, sagte Mbappé: "Um ehrlich zu sein, nein. Das einzige Ziel für mich ist es, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. ... Ich bin nicht hierher gekommen, um den Goldenen Schuh oder den Goldenen Ball zu gewinnen. Falls ich ihn gewinne, bin ich natürlich glücklich. Aber ich bin hier, um zu gewinnen, und ich bin hier, um der französischen Nationalmannschaft zu helfen."


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