Tabea Kemme im Interview: "Manuel Neuer wird noch stärker zurückkommen"
- Tabea Kemme im Sports-Illustrated-Interview
- Fußball-Expertin Kemme: "Ich ecke oft an"
- Kemme: "Nagelsmann ist der richtige Trainer für Bayern"
Sports Illustrated: Sie haben als Fußballerin alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Wie sind Sie TV-Expertin geworden?
Tabea Kemme: Das kam für mich alles überraschend. Als ich nach meiner Karriere abtrainiert und meinen Polizeidienst absolviert habe, bekam ich dazwischen eine Anfrage von Prime Video, ob ich mir diesen Job in der Champions League vorstellen kann. Da habe ich erst einmal nein gesagt (lacht…). Aus dem einfachen Grund, weil ich einfach noch nicht so weit war. Ich brauchte noch ein bisschen Abstand zum Fußball, um meine Karriere über die vergangenen 15 Jahre noch einmal zu reflektieren. Aufgrund einer Verletzung war das Ende meiner Karriere nicht so schön. Dann kam die Nachfrage und ich habe zugesagt, dass ich es einmal mache. Und aus einem Mal sind jetzt zwei Jahre geworden. Es macht mir Spaß und es ist wertvoll, dass ich als Frau eine andere Perspektive mit einbringen kann.
Sports Illustrated: Ihre kritischen Fragen und Ihre fachlich starken Analysen stechen im TV besonders hervor. Haben Sie keine Angst davor anzuecken?
Kemme: Davor habe ich gar keine Angst. Ich ecke oft an. Aber das ist bei meinen Fragen und Analysen keine persönliche Kritik. Das ist ein kritisches Hinterfragen in der Sache, weil ich es als Spielerin genauso gemacht habe. Bei jeder Szene, die wir analysiert haben, ist der Leistungssportgedanke in mir drin. Wie kann ich Dinge optimieren? Dementsprechend sind auch meine Fragen. Wahrscheinlich ist das im Männer-Fußball noch einmal extremer. Hier geht es um Perfektion. Vielleicht sollte man dem Intuitiven etwas mehr Raum geben.
Sports Illustrated: Zuletzt war viel Feuer drin in einer Spielanalyse mit Marco Rose nach der Leipzig-Niederlage gegen Union. Fragen Sie spontan oder bereiten Sie sich akribisch darauf vor?
Kemme: Ich bin grundsätzlich gut vorbereitet. Gerade die Analysethemen sind spannend für mich. In dem Fall wusste ich schon vor dem Spiel viel aus den Vorgesprächen. Dann wurde die Arbeit des Schiedsrichters kritisch gesehen. Aber wir können nicht immer gegen den Schiedsrichter pöbeln. Der Schiedsrichter ist der Lead des Spiels. Ohne den Schiedsrichter können wir nicht Fußball spielen. Da habe ich schon sehr direkt gefragt. Das ist dann auch meine Art. Das mag nicht jeder gerne und ich hatte das Gefühl, dass es Marco Rose nicht so gerne gesehen hat. Aber da müssen wir alle durch.
Sports Illustrated: Neben MagentaTV bei der WM sind sie als Expertin für Prime Video in der Champions League im Einsatz. Was macht mehr Spaß?
Kemme: Jedes Event hat seinen Reiz. Ich kenne das noch als Spielerin. Bei einem Turnier im K.o.-System über einen längeren Zeitraum erlebt man viel und bringt dementsprechend mehr und mehr Erfahrungen mit. Aber grundsätzlich machen die Menschen drumherum diese Events zu etwas Besonderem. Darum ist es toll, mit so vielen unterschiedlichen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen.
Sports Illustrated: Welche Chancen hat der FC Bayern in dieser Champions-League-Saison?
Kemme: Der FC Bayern gehört zu den Top 4 in Europa. Aber beim Spiel gegen PSG will ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Das Hinspiel ist gut für Bayer gelaufen, weil sie offensiv gegen PSG aufgetreten sind. Aber das Rückspiel kann schon wieder ganz anders laufen. Auf jeden Fall wird es bei dem Team, das im Achtelfinale rausfliegt, kräftig brodeln.
Sports Illustrated: Serge Gnabry war in der Englischen Woche auf einer Modenschau in Paris. Fiel die Kritik an ihm zu heftig aus?
Kemme: Bei der Art und Weise, wie Informationen derzeit durch die Medien geschleust werden, hätte man sich das denken können. Auf der anderen Seite, wenn ich es aus Spielersicht sehe, kann er an seinem freien Tag machen, was er will. Aber wir dürfen nicht vergessen, in welchen Dimensionen der Fußball der Männer ist. Das war ausschlaggebend für diese heftige Diskussion. Wenn ich im Zug viele Stunden von Berlin an die Nordsee sitze, interessiert das keinen Menschen, was ich an meinem freien Tag mache. Wir müssen da ein bisschen aufpassen, wie wir die Dinge ins Verhältnis setzen.
Sports Illustrated: Ist Julian Nagelsmann der richtige Trainer für den FC Bayern?
Kemme: Julian Nagelsmann ist auf jeden Fall der richtige Trainer für Bayern. Aber gegen was muss er die ganze Zeit ankämpfen? Gegen das Idealbild als Coach beim FC Bayern München. Das kann er gar nicht, denn das ist er nicht. Nagelsmann ist eine neue Generation von Trainern. Wenn er sich die ganze Zeit anhören darf, dass er ein super Talent ist, muss ich sagen Moment! Er ist gerade der amtierende Trainer des FC Bayern. Dass er perfektionistisch arbeitet, was er schon ein bisschen zurückgeschraubt hat, weil er mit mehr Leuten und Spielern im Verein redet, ist klar. Sowohl er als auch sein Team werden am Erfolg gemessen. Alle sagen "Mia san mia" Aber wie viel von dieser Aussage steckt noch drin, wenn man die ganzen Nebenschauplätze sieht?
Sports Illustrated: Wie beurteilen Sie den Umgang mit Manuel Neuer nach dessen Verletzung und Neuers Reaktion auf die Entlassung seines Kumpels und Torwarttrainers Toni Tapalovic?
Kemme: Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, was so eine Verletzung bedeutet, was eine Reha mit einem macht und wie sehr man seine Potenziale noch einmal ausschöpft. Weil ich das selbst erlebt habe, kann ich mir vorstellen, dass Manuel Neuer noch stärker zurückkommt. Das hängt davon ab, wie er das ganze Drumherum verarbeitet und wie er trotz der ganzen Haudrauf-Mechanismen, die gerade passiert sind, seine Energie aus dieser schweren Phase für die Reha ziehen kann. Ich denke, der eine oder andere wird überrascht sein, wie stark er zurückkommen kann.
Sports Illustrated: Wie gehen Sie mit Kritik um? Was würden Sie jemandem sagen, der meint, dass Sie nicht alles wissen, weil Sie als Fußballerin nicht auf dem höchsten Männer-Niveau gespielt haben?
Kemme: Das ist vollkommen richtig. Ich habe nie auf allerhöchstem Männer-Niveau gespielt. Ich habe auf dem absolut höchsten körperlichen Niveau bei den Frauen trainiert und gespielt. Ich bin froh, dass ich jetzt noch einmal Erfahrungen sammeln kann beim Fußball der Männer und eine andere Sichtweise bekomme.
Sports Illustrated: Welche Dinge müssten noch besser laufen, um dem Fußball der Frauen weiteren Aufwind zu verleihen?
Kemme: Es müsste eine höhere Wettbewerbsfähigkeit bei den Frauen geschaffen werden, was die professionellen Bedingungen auf Erstliga- und Zweitliga-Niveau angeht, dass man eine gemeinsame Sprache spricht und alles hinter Platz vier noch attraktiver gestaltet.
Sports Illustrated: In diesem Jahr findet die Fußball-WM der Frauen statt. Wie weit kommt Deutschland und werden wir Alexandra Popp noch einmal in der Nationalmannschaft sehen?
Kemme: Ja, auf jeden Fall. Solange sie körperlich fit bleibt, wird sie diesen Abschluss in Australien/Neuseeland noch einmal erleben wollen. Wir hatten damals in Neuseeland unser erstes großes U17-Turnier. Deswegen wäre die WM ein ganz spezielles Ereignis für sie. Ich denke, dass Deutschland ins Finale kommt. Ich habe da ein sehr, sehr gutes Gefühl.
Sports Illustrated: Wann verdienen Frauen im Fußball genauso viel wie Männer?
Kemme: Wir reden gerade beim Fußball der Frauen über den Mindestlohn. Wir sind fernab von den Dimensionen der Männer, hier dürfen wir auch nicht hin. Es kommt das Identifikationsproblem mit den Unsummen im Fußball der Männer auf. Im Rahmen der Spielerinnenvereinigung müssen wir die Rahmenbedingungen für das Profidasein in der 1. und 2. Bundesliga der Frauen als Priorität angehen. Wie können wir die Gesellschaft da mitnehmen? Ein gutes Beispiel ist der Angel City FC. Aus den Einnahmen des Vereins gehen immer zehn Prozent an soziale Projekte. Außerdem steht die Frage im Raum, wie wir den Fußball über das Geschäft hinaus zukunftsfähig gestalten können. Da geht‘s nicht darum, unendlich viele Millionen zu verdienen.
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