Fußball-WM Frauen

Selbstbewusste DFB-Generation: Brand und Oberdorf lassen sich nichts mehr gefallen

Vize-Europameisterinnen mit neuen Qualitäten auf und neben dem Platz, aber trotzdem nahbar - Jule Brand und Lena Oberdorf sind zwei Gesichter einer neuen Generation, die den Frauen-Fußball in Deutschland auf das nächste Level hieven.

Lena Oberdorf (Deutschland)
Credit: Sports Illustrated

"Zeit, dass sich was dreht", sang Herbert Grönemeyer anlässlich der als "Sommermärchen" in die jüngere deutsche Historie eingegangenen Fußball-WM 2006, jene der Männer wohlgemerkt. Und gedreht hat sich damals etwas: das Image dieses Landes. Die Welt war zu Gast bei Freunden.

Dass Deutschland gar nicht Weltmeister wurde, war dabei fast egal. Dass es zur selben Zeit in Deutschland eine weitaus erfolgreichere DFB-Auswahl gab, das Nationalteam der Frauen nämlich, das im Jahr nach dem Sommermärchen seinen WM-Titel von 2003 sogar verteidigen konnte, war der Öffentlichkeit damals allerdings auch fast egal.

Teamgeist ist Trumpf: Frauenfußball-Team vor dem EM-Finale 2022
Teamgeist ist Trumpf: Frauenfußball-Team vor dem EM-Finale 2022
Credit: PR
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Seither hat sich im Fußball der Frauen eine Menge getan: Technisch, taktisch und athletisch hat sich der Sport enorm weiterentwickelt, und spätestens seit der EM 2022 in England bewegt sich auch neben dem Platz einiges.

Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit waren und sind die großen Themen im Fußball der Frauen. Warum das so wichtig ist, zeigen die Bilder nach den Spielen der deutschen Nationalmannschaft: junge Mädchen auf den Tribünen, die sich im Profifußball endlich repräsentiert sehen und für die ein Autogramm oder ein kurzer Kontakt mit ihren Idolen die Welt bedeutet.

Die WM in Australien und Neuseeland könnte auch ein Sommermärchen werden (wohlgemerkt im ozeanischen Winter). Auch diesmal geht es um einen Imagewandel, eigentlich aber um deutlich mehr: female empowerment und Gleichberechtigung. Zeit, dass sich was dreht!


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Jule Brand legt kometenhaften Aufstieg hin

"Das ist mit das Schönste, was sich so entwickelt hat", sagt Nationalspielerin Jule Brand über die Begeisterung der jungen Fans, die auch eine Art Motivation darstellt: "Wenn man Nachrichten liest wie: ‚Ich fange jetzt auch mit Fußball an, ich verfolge deinen Weg.‘ Oder wenn ich bei Social Media ein Like unter das Bild eines Fans setze und die dann ausrasten, das ist schön zu sehen. Dass junge Mädchen ein Trikot mit ‚Brand, 29‘ auf dem Rücken tragen, das ist ein sehr schönes Gefühl. Da realisiert man erst, was hier gerade passiert."

Passiert ist für sie in den vergangenen Jahren einiges. Die 20-Jährige hat einen Aufstieg im Rekordtempo hinter sich. 2018 wechselte sie zur TSG Hoffenheim, wo sie 2020 ihr Profi-Debüt feierte. 2019 gewann sie mit der U17 des DFB die EM, im April 2021 folgte das Debüt im A-Nationalteam.

Jule Brand: Das erste "golden Girl"
Jule Brand: Das erste "golden Girl"
Credit: Katrin Binner
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Nicht mal ein Jahr brauchte sie dafür im Profibereich – und nicht mal zwei Minuten dauerte es nach ihrer Einwechslung, da hatte sie schon ihr erstes Tor für die DFB-Frauen erzielt. Dabei war ihr Weg im Fußball nicht zwingend vorgezeichnet.

Die Mutter war Leichtathletin, der Vater spielte Handball. Ihr großer Bruder Felix hatte großen Anteil daran, dass sie früh mit dem Fußball in Kontakt kam. Im Garten habe sie regelmäßig mit ihm gekickt. Irgendwann nahm er sie mit zum Training.

Die richtige Entscheidung, wie sich spätestens 2022 zeigte. Neben der Vizeeuropameisterschaft in England schrieb Brand Geschichte: Im November wurde sie als erstes Golden Girl überhaupt ausgezeichnet, ein individueller Award, der die beste U21-Spielerin Europas ehren soll. Bisher wurde diese Ehre nur den Männern zuteil.

"Es ist eine sehr große Wertschätzung", sagt Brand, die dafür aber vor allem die starken Leistungen ihrer Mitspielerinnen verantwortlich macht. Auf dem Platz ist Brand temporeich, durchsetzungsfähig und immer präsent. Daneben kommt sie bescheiden und fast schon schüchtern daher. Eine Mischung, die bei den Fans gut ankommt.

DFB-Fußballerinnen als Social-Media-Stars: Ein Boom, der Türen öffnet

Während und nach der EM erlebte die Offensivspielerin einen Boom auf ihrem Instagram-Profil. Ihre Followerzahlen stiegen um 176 Prozent auf rund 66.000 an. Fast ein Jahr später sind es sogar schon fast 200.000 Menschen, die ihr dort folgen.

"Vorher war es mir nicht so wichtig, was ich bei Instagram poste", erzählt Brand: "Jetzt macht man sich da schon ein bisschen mehr Gedanken." Dass Jule Brand mittlerweile eine Art Shootingstar der Generation Z ist, zeigt auch, dass die gebürtige Pfälzerin einen Charakter aus dem Film "Spider-Man: Across the Spider-Verse" synchronisieren durfte. Auch als Synchronsprecher dabei war übrigens FC-Bayern-Star Alphonso Davies.

Viele Spielerinnen nutzen die neu gewonnene Aufmerksamkeit, um weitere Einnahmen zu generieren. "Dadurch, dass wir jetzt mehr im Fokus stehen, haben wir die Chance, durch Sponsoringverträge ein bisschen mehr Geld zu verdienen und coole Angebote wahrzunehmen", sagt Lena Oberdorf, Brands Teamkollegin beim VfL Wolfsburg und im Nationalteam.

Zwar verdienen Frauen bei den deutschen Spitzenklubs mittlerweile ausreichend Geld, um davon leben zu können. Dennoch müssen sie sich damit beschäftigen, was nach der Karriere kommt. Die Gefahr dabei sei laut Oberdorf aber, dass man sich immer fragen müsse: "Auf wie vielen Hochzeiten kannst du gleichzeitig tanzen?"

Social Media sei „eine gute Plattform und ein gutes zweites Standbein“, sagt Brand: „Wir wollen aber als Fußballerinnen gesehen werden.“ Zumal die Reichweite für sie nicht nur aus Karrieregründen eine Rolle spielt: „Dadurch, dass man mehr Aufmerksamkeit bekommt, mehr Reichweite hat“, sagt Jule Brand, „hat man auch die Möglichkeit, viel Gutes zu bewirken, zum Beispiel Hilfsprojekte zu unterstützen oder über relevante Themen abseits des Sports zu kommunizieren.“

Lena Oberdorf: "Wir stehen für eine Generation, die jung und wild ist"

Auch das zeichnet diese junge Spielerinnengeneration aus: laut zu sein. Sich nicht gefallen zu lassen, wie der Fußball der Frauen über Jahrzehnte hinweg behandelt wurde, und das einzufordern, was ihnen zusteht.

"Das sind Dinge, die wir ansprechen müssen", sagt Brand beispielsweise zum Thema Gleichberechtigung im Sport – und gerade mit Blick auf Länder, in denen die Lage dahingehend noch viel kritischer ist: "Wir reden in Deutschland viel darüber, dass es bei uns mit Equal Play noch ein bisschen braucht. Wir haben im Frauenfußball hierzulande das Privileg, dass einige mittlerweile vom Sport leben können."

Zwar sei das kein Vergleich zu den Gehältern bei den Männern, "dennoch ist die Lage des Frauensports in vielen anderen Ländern viel, viel schlechter. Deswegen ist es wichtig, seine Plattform zu nutzen und darauf aufmerksam zu machen."

"Wir stehen für eine Generation, die jung und wild ist", sagt Teamkollegin Lena Oberdorf über die neuen Gesichter des DFB-Teams: "Ich möchte mich da selbst gar nicht so herausstellen, denn was uns ausmacht, ist, dass wirklich jede ihre Fähigkeiten einbringt und das Team stark macht."

Unterschied zu DFB-Männern: "Wir gewinnen als Team"

Oberdorfs Weg in den Profifußball ist dem von Brand recht ähnlich. Beide verbrachten einen Teil ihrer Jugendzeit in Jungenmannschaften. Bei ihrer Rückkehr in den Fußball der Frauen war Oberdorf überrascht, "wie taktisch und schnell das eigentlich ist. Auch weil andere Sachen passieren. Ich glaube, Jungs wollen sich mehr selbst verwirklichen, dribbeln los. Wir Frauen sind da mehr so: ‚Wir gewinnen als Team.‘"

Lena Oberdorf: Sowohl beim VfL Wolfsburg als auch beim DFB ist sie eine der Schlüsselspielerinnen
Lena Oberdorf: Sowohl beim VfL Wolfsburg als auch beim DFB ist sie eine der Schlüsselspielerinnen
Credit: Imago
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Der Teamgedanke ist ohnehin ein zentrales Element des DFB-Teams. Neben erfahrenen Spielerinnen wie Alexandra Popp oder Lina Magull übernimmt Oberdorf bereits große Verantwortung. Allein schon qua Position als zentrale Mittelfeldspielerin, aber auch in der Kabine.

Sowohl beim VfL Wolfsburg als auch beim DFB ist sie eine der Schlüsselspielerinnen. Zweikampf- und laufstark, gut mit dem Ball am Fuß – Oberdorf ist eine der begehrtesten jungen Spielerinnen in ganz Europa. So hart und ehrlich ihre Spielweise auf dem Platz ist, so ehrlich ist sie auch daneben.

Neue DFB-Generation: Der Druck ist riesig

Denn all die Aufmerksamkeit hat nicht nur positiven Einfluss. "Nach dem Spiel hattest du früher vielleicht drei Leute, die dir ihre Meinung zum Spiel gesagt haben, der Trainer und zwei Freunde", erzählt die 21-Jährige: "Heutzutage hast du über Social Media einen direkten Draht zur Außenwelt, da sagen dir schon mehrere Leute, ob du schlecht gespielt hast oder nicht."

Man müsse aufpassen, "dass man bei sich bleibt, sich nicht in fremden Meinungen verirrt und jedem gefallen will". Nach der starken Europameisterschaft im Sommer erzielte Oberdorf bei der Wahl zur UEFA-Fußballerin des Jahres den dritten Platz, beim Ballon d’Or féminin wurde sie Vierte. "In der ersten Zeit bin ich gar nicht gut damit umgegangen", erinnert sie sich: "Auch weil ich mich durch diese Nominierungen sehr unter Druck gesetzt gefühlt habe, das irgendwie bestätigen wollte und mir dachte: ‚Ich muss jetzt! Ich muss! Ich muss!‘"

Die steigende Belastung ist für die Spitzenspielerinnen zunehmend von Bedeutung. Physisch lässt sich das an den vielen Kreuzbandrissen ablesen, die neben Alexia Putellas viele weitere Top-Stars erlitten haben. Die mentale Komponente ist bisher noch kein Thema, das in der Öffentlichkeit gebührend viel Platz fände. Oberdorf hat "angefangen, mit einem Mentalcoach zu arbeiten, und seitdem geht es mit meinen Leistungen wieder bergauf".

Der Aufstieg der Frauen im Fußball "fühlt sich natürlich erst mal gut an, weil man merkt, dass sich etwas bewegt", sagt sie. Andererseits spüre sie auch hier "eine gewisse Verantwortung", den Fortschritt weiterzugeben. "Wenn ich an die letzten Generationen denke und daran, was die geschafft haben – allein von vor zehn Jahren bis jetzt –, dann will man natürlich in zehn Jahren auch zurückblicken und sagen: ‚Hey, das haben wir erreicht‘", erklärt die Wolfsburgerin. Man habe die Möglichkeit, "den Frauenfußball noch populärer zu machen".

Jule Brand: "In zehn Jahren will man zurückblicken und sagen: 'Hey, das haben wir erreicht'"
Jule Brand: "In zehn Jahren will man zurückblicken und sagen: 'Hey, das haben wir erreicht'"
Credit: Katrin Binner
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Die WM 2023 als Chance und Herausforderung

Mit den Möglichkeiten, die dieser Spielerinnengeneration zur Verfügung stehen, geht auch große Last einher, die auf noch sehr jungen Schultern liegt. Oberdorf und Brand allerdings wissen um ihren Status, können ihn einordnen. "Vor einem Jahr", erzählt Jule Brand, "hätte mich das wahrscheinlich unter Druck gesetzt, aber ich versuche, meine Einstellung diesbezüglich zu ändern und es einfach zu genießen: Das Größte, was man als Fußballerin haben kann, ist es, ein Vorbild für andere Spielerinnen zu sein."

Das sind sie jetzt schon. Bei der WM in Australien und Neuseeland wird die Herausforderung auf allen Ebenen noch mal größer sein. Anders als bei der EM vor einem Jahr sind die deutschen Frauen in den Kreis der Titelfavoritinnen aufgerückt. Der Hype ist da. Doch schon nach der WM 2011 im eigenen Land gab es eine große Aufbruchstimmung, die im Anschluss aus vielerlei Gründen wieder verschwand.

Mit Spielerinnen wie Jule Brand und Lena Oberdorf ist Deutschland diesmal aber nicht nur sportlich, sondern auch weit darüber hinaus gut aufgestellt, um den Fußball der Frauen in der Gesellschaft fest zu verankern. Nach 2003 und 2007 wäre nun ein guter Zeitpunkt für WM-Stern Nummer drei. (Der Titelhunger dürfte bei den beiden jungen Wolfsburgerinnen nach Platz 2 in der Meisterschaft und dem gegen den FC Barcelona verloren gegangenen Champions-League-Finale auch nicht gerade kleiner geworden sein.) Bei dieser WM allerdings, so ist trotz der Zeitverschiebung nach Down Under zu hoffen, mit voller Unterstützung der Fußballfans aus Deutschland. Es ist Zeit für ein Sommermärchen im australischen Winter. Oder um es mit Grönemeyer zu sagen: "Bei wem jetzt nichts geht, bei dem geht was verkehrt."

 

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