Alexandra Popp: "Frauenfußball zu spät ernst genommen, sonst wären wir weiter"

Alexandra Popp ist Deutschlands wichtigste Fußballerin, im Auftaktspiel gegen Marokko glänzte sie mit zwei Toren. Sports Illustrated spricht mit ihr über die Entwicklung des Frauenfußballs, ihre Rolle auf dem Platz und was sie der neuen Generation rät.

Alexandra Popp (Deutschland)
Credit: Getty Images
  • Alexandra Popp im Sports-Illustrated-Interview
  • DFB-Kapitänin Alexandra Popp über Frauenfußball
  • Popp: "Der Frauenfußball liegt auf unseren Schutern"

Sports Illustrated: Beim WM-Start - was hat überwogen, die Vorfreude aufs Turnier oder der Druck?

Alexandra Popp: Den Druck versuche ich ein bisschen auszublenden. Uns als Team ist aber schon klar, dass ein gewisser Druck auf uns lastet, wir haben ja ein Ziel vor Augen. Und natürlich liegt auch das Thema Frauenfußball auf unseren Schultern, dass wir die nächsten Schritte gehen.

Sports Illustrated: Sie spielen also nicht nur um den Titel, es geht für Sie um mehr: das Turnier als Richtungsweiser für den Frauenfußball in Deutschland?

Popp: Ja, definitiv. Mit der Europameisterschaft 2022, als wir erst im Finale gegen England unterlagen, haben wir eine gute Ausgangsposition geschaffen. Mit dieser WM können wir das Ganze bestätigen. Ansonsten gehe ich eher mit Vorfreude und dem Genuss rein, so ein Turnier spielen zu dürfen und Länder wie Australien zu erleben. Ich bin sehr naturverbunden und auf die Vegetation gespannt, ob man Kängurus und Koalas in freier Wildbahn sieht.

Alexandra Popp im Sports-Illustrated-Interview
Alexandra Popp im Sports-Illustrated-Interview
Credit: Katrin Binner
x/x

Sports Illustrated: Sie sind die einzige Spielerin im deutschen Kader, die schon bei der Heim-WM 2011 dabei war. Wie sehen Sie die Entwicklung seitdem?

Popp: Man hätte nach der WM in Deutschland die Professionalisierung schon viel, viel früher vorantreiben können, dann wären wir jetzt weiter. Es hat mittlerweile den Anschein, dass wir ernst genommen und wahrgenommen werden; dass das, was wir tun, anerkannt wird. Ich hoffe, dass man da dranbleibt. Ansonsten hat sich der Sport extrem weiterentwickelt. Manche Spielerinnen können vom Fußball mittlerweile leben, daran war damals noch nicht wirklich zu denken. Aber ich hätte mir gewünscht, dass das alles etwas schneller passiert wäre.

Sports Illustrated: Warum hat sich diese Entwicklung, die während der WM 2011 fast auf der Hand zu liegen schien, so gezogen?

Popp: Da spielen viele Dinge eine Rolle, angefangen mit dem Verband, der wahrscheinlich gedacht hat, das würde alles von alleine laufen, nachdem man sich um die Heim-WM sehr bemüht und alles groß aufgezogen hat. Aber alles, was danach kam, wurde quasi vom Winde verweht. Die Chance hat man damals verpasst. Das läuft jetzt einfach besser, man hat auch uns Spielerinnen besser integriert. Außerdem sind wir, was die Anzahl der Spielerinnen und Ex-Spielerinnen angeht, relativ viele, die in den Dialog gehen. In anderen Ländern geht man die Schritte in Sachen Professionalisierung und Vermarktung noch konsequenter, sodass wir aufpassen müssen, dass wir nicht überholt werden. Denn Deutschland möchte mit seinem Fußball dabei sein an der Weltspitze, und dazu gehört eben mehr, als einfach nur guten Fußball zu spielen.

Sports Illustrated: Warum ist man in Spanien oder England weiter?

Popp: Dort hatte man eher den Weitblick, als das hier in Deutschland der Fall war. In Sachen Marketing und TV-Rechte ist man das früher vernünftig und professionell angegangen, weil erkannt wurde, dass da ein Markt da ist, der aufgebaut werden muss, um dann Gewinn zu generieren.

Sports Illustrated: Zum Sport: Was macht diese deutsche Mannschaft aus, auch im Vergleich zu den WM-Mannschaften von 2019 oder 2015?

Popp: Sie ist total unterschiedlich, weil ganz andere Spielerinnen dabei sind. Da kommt es in erster Linie auf die Charaktere an. Gerade derjenigen, die als Nationalspielerinnen in den Vereinen eigentlich immer spielen, aber bei der DFB-Elf auf der Bank sitzen. Es ist schwierig, damit umzugehen. Die Spielerinnen, die draußen sitzen, finden das nicht cool, klar, die würden gerne alle viel mehr spielen. Aber sie wissen, wie wichtig das ganze Team für den Erfolg am Ende ist. Also supporten sie von draußen, so sehr es nur geht, und wenn sie dann ihre Einsatzzeit bekommen, hauen sie alles raus. Das hat man bei der EM schon miterleben können.

Sports Illustrated: Wie haben Sie sich als Kapitänin, als Führungsspielerin entwickelt?

Popp: 2019 war meine erste WM als Kapitänin. Damals habe ich mir erst mal nicht so viele Gedanken gemacht und meinte, ich mache das erst mal so auf meine Art. Ich bin ein sehr emotionaler, manchmal etwas rauerer Typ. Hinterher habe ich gemerkt: Ich komme so bei vielen gar nicht an, das funktioniert nicht. Ich musste lernen, mit meinen Spielerinnen vernünftig umzugehen, eher in einer ruhigen Minute zu sprechen als nur in der Situation und aus der Emotion heraus. Da musste ich mich ein bisschen zügeln in meiner Art. In der Entwicklung meiner Persönlichkeit war das prägend.

Generationenbündnis: Als Alexandra Popp ihr Bundesliga-Debüt gab, waren Lena Oberdorf (l) und Jule Brand (r) noch in der Grundschule
Generationenbündnis: Als Alexandra Popp ihr Bundesliga-Debüt gab, waren Lena Oberdorf (l) und Jule Brand (r) noch in der Grundschule
Credit: Katrin Binner
x/x

Sports Illustrated: Beim Fotoshoot waren Jule Brand, 20, und Lena Oberdorf, 21, dabei, mit denen Sie in der Nationalmannschaft und auch im Verein beim VfL Wolfsburg zusammen spielen. Unterscheidet sich diese neue Generation von Ihrer, die vor etwa zehn Jahren in den Profifußball kam?

Popp: Auf jeden Fall, das ist eine ganz andere Generation. Allein, wie man heutzutage mit den Spielerinnen umgehen muss: Als ich in deren Alter war, wurde ich von gefühlt fünf Seiten angemault, wenn ich mal einen Fehlpass gespielt oder jemanden nicht angespielt habe. Auch in einem Ton und in einer Art und Weise, bei der man im ersten Moment vielleicht denkt: „Boah, die hat sie doch nicht mehr alle.“ Aber wir waren damals noch etwas härter, was diese Kritik angeht – das Annehmen, aber auch das Umsetzen. Man spricht im Fußball ja immer von diesen „Typen“. Und ich glaube, dass wir damals noch mehr dieser Typen hatten und dass sich das in den vergangenen Jahren extrem verändert hat. Diese Spielerinnen-Typen gibt es nur noch vereinzelt.

Sports Illustrated: Zum Beispiel?

Popp: Lena Oberdorf würde ich in diese Kategorie einordnen. Sie positioniert sich ganz klar, auch ihre Spielanlage auf dem Platz strahlt das aus. Jule Brand zum Beispiel ist das totale Gegenteil. Man muss stärker darauf achten, wie man mit ihr umgeht. Zu viel Kritik, zu viel Draufhauen bringt da nichts, weil sie selbst weiß, wenn sie einen Fehler gemacht oder ein nicht so gutes Spiel abgeliefert hat. Ich musste auch erst lernen, mit diesen unterschiedlichen Charakteren umzugehen.

Sports Illustrated: Die Rahmenbedingungen sind für die jungen Spielerinnen heute ganz andere.

Popp: Ja, je nachdem, in welchem Verein man sich befindet, hat man viele Vorteile und muss gefühlt gar nichts mehr selbst machen.

Sports Illustrated: Was meinen Sie damit? Schuhe putzen, selbst die Wäsche waschen, diese Dinge?

Popp: Ja, genau. Wäsche waschen oder Material auf den Platz tragen.

Sports Illustrated: Was zu Beginn Ihrer Karriere noch anders war?

Popp: Absolut, ich musste das alles noch machen. Es ist auch interessant, mit welchem Selbstverständnis ich als junge Spielerin das Tor oder die Bälle getragen habe. Jeden Tag. JEDEN Tag. Das haben die jungen Spielerinnen heutzutage gar nicht mehr. Da muss man manchmal eine gewisse Hierarchie festlegen und sagen: „Hey, wie alt bist du noch mal? DU trägst jetzt mal das Tor.“ 

Sports Illustrated: Wie wichtig ist Ihnen Hierarchie? 

Popp: Ich bin kein Freund davon, die Führungsspielerinnen auf den obersten Rang zu setzen und die ganz jungen nach ganz hinten. Wenn ich mich auf Augenhöhe mit den jungen Spielerinnen bewege, kommt das besser an, als wenn ich so rangehen würde: "Ich bin die Kapitänin, ihr könnt mir gar nichts." Das wäre ein komplett falsches Signal einer Mannschaft gegenüber.

Sports Illustrated: Wie sieht Ihre Rolle als Kapitänin auf und neben dem Platz aus?

Popp: Ich bin das Sprachrohr der Mannschaft, gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch gegenüber dem Trainerteam, fungiere als Bindeglied zwischen Mannschaft und Trainerteam. Natürlich gibt es auch noch Svenja Huth als zweite Kapitänin und Sara Däbritz als dritte Kapitänin und den Mannschaftsrat mit Lena Oberdorf, Lina Magull und Almuth Schult. Wir vermitteln dem Team gegenüber Sicherheit. Wenn sie sich mit einer Situation nicht ganz wohlfühlen, können sie mit uns sprechen. Wir können auch mal dabei sein, wenn ein Gespräch mit der Trainerin geführt werden muss und sie sich alleine nicht zu 100 Prozent sicher fühlen. Auf dem Platz schaue ich: Läuft es gerade, läuft es nicht und woran könnte das liegen? Dazu kommt: Vornewegmarschieren, Mentalität und Körpersprache an den Tag legen, um der Mannschaft zu zeigen: Hey, heute geht hier für den Gegner nichts, denn wir sind die Besten auf dem Platz.

Special zur Frauen-WM 2023: Alexandra Popp im Interview
Special zur Frauen-WM 2023: Alexandra Popp im Interview
Credit: Imago
x/x

Sports Illustrated: Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie mit Inka Grings und Annike Krahn für Duisburg gespielt, auch Birgit Prinz kennen Sie noch aus ihrer aktiven Zeit. Wie haben Sie diese Spielerinnen geprägt?

Popp: Inka Grings und Annike Krahn, mit denen ich im Verein zusammengespielt und entsprechend mehr Zeit verbracht habe, haben mich extrem geprägt, sie haben mich sozusagen großgezogen. Sie brachten mir bei, Widerstände zu überwinden, Kritik anzunehmen und umzusetzen. Inka ist sehr hart mit mir ins Gericht gegangen, doch am Ende kommt es darauf an, was du daraus machst. Verkriechst du dich und sagst: „Das ist doch alles doof, die schreit mich nur an“? Oder sagst du: „Okay, ist nicht gut genug, was ich gerade spiele, ich muss daran arbeiten, denn ich will besser werden“? Auch im Umgang habe ich viel von ihnen gelernt. Birgit Prinz hat immer noch einen großen Einfluss auf mich. Sie ist als Sportpsychologin des Nationalteams dabei, trainiert manchmal bei den Torhüterinnen mit. Wenn man mal rüberlinst, wenn Birgit aufs Tor schießt, dann ist das schon verrückt zu sehen, mit was für einer Selbstverständlichkeit sie sich den Ball vor der Kiste schnappt und die Bälle ins Tor nagelt.

Sports Illustrated: Ihre Rolle als Psychologin gepaart mit der Erfahrung: Wie wichtig ist Birgit Prinz für das Team?

Popp: Extrem wichtig. Weil du während eines Turniers immer wieder in unterschiedliche Situationen kommst, mit Druck umgehen musst oder plötzlich in einer ganz neuen Rolle bist. Die Erfahrung von Birgit Prinz, zu hören, wie sie das früher gemacht hat, finde ich sehr wertvoll für das Team.

Sports Illustrated: Die Inhalte, die Teams und Sportlerinnen in den sozialen Medien posten, wirken im Vergleich zum Männerfußball oft nahbarer, persönlicher.

Popp: Wir stehen dem Ganzen lockerer gegenüber, befinden uns aber noch in ganz anderen Dimensionen. Die Nähe zu den Fans, dass wir nahbarer sind als die Männer, macht den Frauenfußball unter anderem aus. Wir sind sehr authentisch unterwegs, und ich hoffe, dass das so bleibt.

Sports Illustrated: Welche Rolle spielen soziale Medien und öffentliche Auftritte, wenn es darum geht, den Frauenfußball noch populärer zu machen? Wie wichtig ist das für den Erfolg?

Popp: Absolut wichtig, ich kann davon ein kleines Lied singen. Wenn ich mir meine Interviews von früher ansehe und die von heute, habe ich gelernt, besser damit umzugehen, mich besser auszudrücken. Uns ist bewusst, dass wir daran nicht vorbeikommen. Wir wollen gesehen werden, dass wir die Anerkennung bekommen, wir brauchen mehr Sponsoren, da gehören solche Dinge dazu. Was mich im Moment noch stört, ist, dass in den Medien oft noch zu wenige andere Gesichter der Mannschaft gezeigt werden. Meist sah man zuletzt Almuth Schult oder mich. Almuth und ich gehören zum älteren Eisen, das, was sonst noch in der Mannschaft drinsteckt, das ist die Zukunft des Frauenfußballs.


Mit dem Sports Illustrated-Chefredakteurs Newsletter erhalten Sie aktuelle Sport-News, Hintergründe und Interviews aus der NFL, der NBA, der Fußball-Bundesliga, der Formel 1 und vieles mehr.

NEWSLETTER ABONNIEREN

 

Mehr Sport-News:

Lionel Messi ist einer der besten Fußballer aller Zeiten. Der Argentinier spielte beim FC Barcelona und bei PSG. 2022 wird er Weltmeister mit Argentinien. 2023 wechselt er zu Inter Miami in die MLS. Alle Infos zu Gehalt, Vermögen, Titel und Karriere. 

Nach seiner schweren Verletzung ist Alexander Zverev zurück auf der internationalen Bühne. Bei Sports Illustrated spricht er über seine Leidenszeit, Sehnsüchte, das Tennis-Business – und die Frage, was Deutschlands Tennis-Star antreibt.

Mark Mateschitz ist der Sohn von Dietrich Mateschitz und tritt in die Fußstapfen des verstorbenen Red-Bull-Gründers. So tickt der 30 Jahre alte Österreicher, der mit Victoria Swarovski zusammen ist und so groß ist sein Milliarden-Vermögen im Red-Bull-Imperium.