Fußball

Frauenfußball boomt - Bis ganz nach oben ist es aber noch ein weiter Weg

Im Ausland boomt Frauenfußball – in Deutschland geht es nur langsam voran. Woran liegt das, was muss sich ändern? Welche Rolle spielt der DFB? Sports Illustrated hat nach Antworten gesucht und festgestellt: Bis ganz nach oben ist es ein weiter Weg

Yuko Shimizu Artwork Frauenfußball
Credit: Yuko Shimizu
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Inhalt

ES IST JA NICHT SO, dass man im deutschen Frauenfußball von einer unerreichbaren Utopie träumt. Dafür genügt ein Blick auf das Foto unten, das das mit über 60.000 Fans besetzte Stadion Wanda Metropolitano beim Spiel Atlético Madrid gegen den FC Barcelona 2019 zeigt. Und nein, es sind nicht die Männerteams, sondern die Frauen. Auch im Ausland ist das kein Alltag, nicht zuletzt in der Pandemie, trotzdem erkennt man einen Trend: In unter anderem Spanien und England gewinnt der Frauenfußball immer mehr an Relevanz. Dagegen kämpft Deutschland, wo der Frauenfußball eine so erfolgreiche Historie (unter anderem acht EM- und zwei WM-Titel seit 1982) vorzuweisen hat, um Anschluss, was die strukturelle Professionalisierung des Sports anbelangt. Zwar steigen auch hier Gehälter und TV-Reichweiten langsam an, aber auch 2022 gilt noch: "Der Männer- und der Frauenfußball leben in verschiedenen Realitäten."

Wanda Metropolitano
Credit: Getty Images
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Das sagt Turid Knaak vom VfL Wolfsburg. Die Stürmerin hat 2021 promoviert, in Sonderpädagogik. Fünf Jahre hat sie dafür geforscht und gearbeitet. Eine Zeit, in der sie für Bayer Leverkusen spielte, die SGS Essen und im letzten Jahr ihrer Promotion bei Atlético Madrid. Sie hielt Seminare, forschte und promovierte – Abschlussnote: sehr gut. "Ein Vollzeitjob neben dem Fußball", sagt Knaak. Der Fußball sieht, wie bei den Männern, tägliches Training plus Spiele samt Auswärtsfahrten an den Wochenenden vor.

"Ein kleiner verbaler Schlag ins Gesicht" sei es gewesen, als Andreas Köpke, ehemaliger Torwarttrainer der deutschen Männer-Nationalmannschaft, bei der Auslosung des DFB-Pokal- Achtelfinales 2019/20 in der ARD auf die Frage des Moderators Matthias Opdenhövel, ob ein Doktortitel auch im Profi-Fußball der Männer denkbar wäre, im Beisein Knaaks antwortete: "Wir trainieren so viel, da ist keine Zeit." Ihr anschließendes "Wir auch" ging eher unter. Für einen Moment schien der Geist von Oskar Klose wieder durch das Studio der "Sportschau" zu spuken. Der hatte Bärbel Wohlleben, die 1974 als erste Frau das "Tor des Monats" erzielte, dereinst gefragt, ob man denn beim Kopfball nicht Angst um die Frisur haben müsse. "Das ist natürlich kein Argument", sagt Knaak über Köpkes Satz, "weil wir vom Trainingsaufwand genau das Gleiche leisten wie männliche Profis. Da stehen wir in nichts nach. Es hat natürlich andere Gründe, warum wir Frauen neben dem Fußball noch was machen und die Männer zum Großteil nicht."

Die Gründe sind im Wesentlichen finanzieller Natur. Jörg Neblung, der 2018 die Beratungsagentur Fem11 gründete, die ausschließlich Fußballerinnen (unter anderem auch Turid Knaak und Anna Klink) berät, weiß: "In der 1. Bundesliga der Frauen haben wir 450-Euro-Kräfte auf dem Spielfeld, die tatsächlich über einen Minijob finanziert werden und eventuell noch ein paar Fahrtkosten kriegen. Bis hin zu Spielerinnen, die im Bereich von 150.000 Euro brutto pro Jahr liegen." Das Durchschnittsgehalt in der Bundesliga schätzt er auf 2500 bis 2800 Euro. Natürlich könnte man jetzt wie in der Wirtschaft Equal Pay fordern. Darüber macht sich im Frauenfußball allerdings niemand Illusionen. Anna Klink, Torhüterin von Bayer Leverkusen, die neben dem Profi-Fußball 37,5 Stunden als Bürokauffrau arbeitet und am Tag vor dem Telefonat mit Sports Illustrated das Kolloquium ihrer Bachelorarbeit in Sportmanagement bestand, sagt: "Ich glaube, dass man aufhören muss, diese Vergleiche zu ziehen. Männer bekommen einfach eine andere Aufmerksamkeit, sind nun mal physisch überlegen und länger präsent. Dennoch wünsche ich mir für die Zukunft, dass man sich annähert."

Anna Klink, Torhüterin von Bayer 04 Leverkusen
Wünscht sich eine Annäherung an den Männerfußball: Anna Klink, Torhüterin von Bayer 04 Leverkusen
Credit: Imago
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Spielerberater Jörg Neblung bezeichnet den Frauenfußball als Start-up mit großem Potenzial, das im Moment aber noch durch Gelder aus dem Männerbereich querfinanziert wird. Der Wechsel der Dänin Pernille Harder vom VfL Wolfsburg zum FC Chelsea im September 2020 gilt noch immer als bislang teuerster Transfer im Frauenfußball. Die Engländer sollen 350.000 Euro überwiesen haben. Ein winziger Bruchteil dessen, was im Männerbereich an Transfergeldern gezahlt und auch verdient wird. "Davon kann man eine Agentur wie unsere mit einem hohem Personal- und Reiseaufwand nicht finanzieren", sagt Neblung. "Ich stecke im Moment jeden Euro, den ich verdiene, komplett wieder in die Agentur, möchte weiter wachsen und internationalisieren. Das kostet nun mal Geld."

"Der Frauenfußball entwickelt sich stetig nach oben, die Umsätze steigen"

Neblung kann das, er verdient sein Geld im Männerfußball. Doch, so sagt er auch: "Der Frauenfußball entwickelt sich stetig nach oben, die Umsätze steigen." Jeder Cent ist ein Investment in die Zukunft. Einer Zukunft, die sich womöglich auch aus einem Männerfußball speist, der sich Großveranstaltung für Großveranstaltung und Millionendeal für Millionendeal weiter von der Basis entfernt. "Eine Frauen-Europameisterschaft im Sommer in England – dem vermeintlichen Mutterland des Fußballs", stellt Neblung fest, "wird gefolgt von einer Herren-Weltmeisterschaft rund um Weihnachten in Katar."

Nicht auszuschließen also, dass der Männerfußball auf Abwegen (gemessen an geografischen und kalendarischen Traditionen) für höheren Zulauf bei der Frauen-EM sorgen könnte. "Das wird ein richtig gutes Turnier in England, mit richtig guten Mannschaften. Und auch wir haben eine richtig gute Nationalmannschaft in Deutschland. Wir müssen uns aber eben auch darauf einlassen, dass das Spiel der Frauen grundsätzlich anders funktioniert; dass es aber in seiner Entwicklung einfach sehr schön ist, die Frauen sind inzwischen viel dynamischer und technisch stark. Aber es ist noch ein langer Prozess, in dem wir alle noch sehr viel machen müssen."

"Es kann nicht sein, dass ein Bundesliga-Verein kein Flutlicht hat"

In England, Spanien und Frankreich scheint man entscheidend weiter. Die Women’s Super League in England ist eine reine Profi-Liga, in der die Vereine – größtenteils die aus dem Männerfußball bekannten Adressen – ihren Spielerinnen professionelle Bedingungen bieten (Torhüterin Anna Klink über die Zustände in der Frauen-Bundesliga: "Es kann nicht sein, dass ein Bundesliga-Verein kein Flutlicht hat"). Spanien sorgt immer wieder für Achtungserfolge (und neuerdings auch den Weltrekord), was Zuschauerzahlen anbelangt, und in Frankreich formierte sich rund um die Frauenteams von PSG und Olympique Lyon eine wirklich hochklassige Liga.

"Aus meiner Perspektive", sagt Sportkommentatorin Claudia Neumann, "sind das auch keine Leute, die plötzlich ihre Liebe für den Frauenfußball entdeckt haben. Die haben das Potenzial in dieser Sportart insgesamt, aber auch in Bezug auf den viel zitierten gesellschaftlichen Wandel erkannt." Einen Wandel, den man in der Spitze des Deutschen Fußball-Bundes, unter dessen Dach die Frauen-Bundesliga organisiert ist, offenbar noch nicht ganz sehen oder wahrhaben will. "Ich glaube", sagt Jörg Neblung, "dass gewisse Strukturen das Zeitgeschehen nicht richtig erkennen und falsche Schlussfolgerungen für sich ziehen. So finde ich, dass beim DFB einige Aspekte im Bezug auf die Liga nicht gesehen werden. Die Haupttriebfeder des Frauenfußballs sind nun mal die Vereine, und die brauchen Hilfe." Bei sieben der zwölf Vereine, die in der Frauen-Bundesliga spielen, handelt es sich um Abteilungen aktueller Männer-Erstligisten.

Was die Sichtbarkeit der Liga angeht, hat sich einiges getan. Eurosport zeigt eine Partie pro Spieltag live, auch die ARD hält Senderechte, berichtet im Rahmen der "Sportschau". Die komplette Saison – 132 Spiele – überträgt der Streamingdienst Magenta Sport, allerdings hinter einer Bezahlschranke. Und was für den Männerfußball ein Erfolgsmodell ist, könnte der Frauen-Liga in ihrer aktuellen Entwicklungsphase allerdings noch zum Verhängnis werden, denn die Begehrlichkeiten sind bei Weitem nicht so groß wie bei den Männern. Und auch bei Spielen in großen Stadien arbeitet man teils mit starken Preisermäßigungen und Freikarten, um Werbewirkung zu erzielen. Dabei wäre der Fußball selbst schon eine gute Werbung, denn Teams aus Deutschland, gerade die Liga-Größen Wolfsburg und Bayern München, können sich mit den Spitzenteams aus Frankreich oder England messen. Die wiederum haben aber ganz andere finanzielle Mittel: Der TV-Vertrag mit Sky und der BBC spült der englischen Liga aktuell über 18 Millionen Euro in die Kassen – Zahlen, von denen man in Deutschland nur träumen kann.

Das Nationalteam ist Aushängeschild, die Liga bleibt außen vor

Was die Frauen-Nationalmannschaft betrifft, betreibt der größte deutsche Sportverband offensichtlich weit größere Anstrengungen – punktuell. "Nach 2003, als die Frauen zum ersten Mal Weltmeister wurden, haben die Verantwortlichen beim DFB die Großereignisse schlau genutzt, um die Nationalmannschaft zu pushen, die Heimspiele gut zu vermarkten. Allerdings hat die Bundesliga nie wirklich davon profitiert", sagt Claudia Neumann.

Im Erfolgsfall war der DFB stets zur Stelle, betrieb Symbolpolitik: 1989, als Torhüterin Marion Isbert im EM-Halbfinale gegen Italien drei Elfmeter hielt und den entscheidenden zum Finaleinzug selbst verwandelte, hatte es sich DFB-Präsident Hermann Neuberger nicht nehmen lassen, persönlich nach Siegen zu reisen und sich von den 8.000 Zuschauern im Stadion und den vier Millionen vor dem TV mit den Worten "Ja, das Eis ist gebrochen, wir haben das gut gemacht" feiern zu lassen.

Dass es damals noch nicht mal eine Frauen-Bundesliga gab und diejenigen, die es an diesem Tag wirklich gut gemacht hatten, bis dato kaum mit Unterstützung vom DFB hatten rechnen können, blieb unerwähnt. Für den späteren Titel gab es dann bekanntermaßen ein Kaffeeservice: "Villeroy & Boch – zweite Wahl", wie Bärbel Wohlleben in der ZDF-Doku "Fußball-Frauen – Zeit für die Offensive" wusste. "Es war mal gang und gäbe", sagt Claudia Neumann, "dass bei einem Frauen-Länderspiel, egal gegen wen, 20.000 Zuschauer das angestrebte Minimum waren. Das war über Jahre so. Nach dem Misserfolg bei der WM im eigenen Land 2011 setzte ein schleichender Abwärtstrend ein, der plötzlich in der heutigen Tristesse endete."

"Aus der Exotik entsteht keine Kraft"

ALS EXOTINNEN GALTEN die Europameisterinnen Marion Isbert, Silvia Neid oder die heutige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg 1989. "Aus der Exotik", so steht es im Positionspapier der Initiative "Fußball kann mehr", "entsteht allerdings keine Kraft". "Fußball kann mehr" wurde 2021 von neun im Fußball tätigen Frauen gegründet. Neben Claudia Neumann zählen dazu unter anderem Katja Kraus, Geschäftsführerin von Jung von Matt Sports, oder Bibiana Steinhaus-Webb, die erste (und bislang einzige) Schiedsrichterin in der Männer-Bundesliga.

Dass Hannelore Ratzeburg – seit 2007 Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball – sich im DFB-Präsidium lange als einzige Frau unter Männern wiederfand, ist symptomatisch. "Einzelne Protagonistinnen", schreibt die Initiative, "werden als Argument genutzt, dass erfolgreiche Karrieren für Frauen durchaus möglich sind." Der Vorwurf: Diese wenigen wirkmächtigen Positionen für Frauen sind nicht mehr als Feigenblätter. Denn die Zahlen zeigen: Vieles bleibt beim Alten. "Fußball kann mehr" weist den Status quo wie folgt aus: "Noch immer sind mehr als 90 Prozent der Entscheidungspositionen in deutschen Verbänden und Clubs mit Männern besetzt." Es drängt sich die Frage auf, ob das DFB-Präsidium tatsächlich demografisch repräsentativ für die in etwa sieben Millionen Verbandsmitglieder steht. "Fußball ist Volkssport, und es gibt auch viele Frauen, die sich für Fußball interessieren, die Fans sind, die selber spielen", sagt Turid Knaak. "Dementsprechend muss das in den Führungspositionen eben auch abgebildet werden."

VfL-Wolfsburg-Stürmerin Turid Knaak
Profifußballerin und Doktorin der Sonderpädagogik: VfL-Wolfsburg-Stürmerin Turid Knaak
Credit: Imago
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Das hat sich die Initiative "Fußball kann mehr" auf die Fahnen geschrieben. Für den diesjährigen DFB-Bundestag formulierte sie drei Anträge auf Änderung der Satzung des Verbandes. Man wollte eine Doppelspitze für das Präsidentenamt, 30 Prozent Frauen in den Führungspositionen des DFB und eine Änderung des Delegiertensystems.

Zu Letzterem sagt Claudia Neumann: "Nachdem wir uns die Satzungen mit fachkundiger Hilfe von Juristen und Juristinnen angeguckt haben, ist sehr klar geworden, dass man, wenn man in den bestehenden Strukturen eine klitzekleine Allianz bildet, alle Einflüsse von außen komplett abwehren kann. Wenn sich zwei, drei Funktionäre in hohen Positionen einig sind, können die eine Allianz schmieden, die alles bestimmt. Und das entspricht eben nicht unserem Demokratieverständnis." Zur Einreichung der Anträge kam es nicht. Denn nur ordentliche Mitglieder des DFB-Bundestages können Änderungen der Satzung beantragen. Von jenen erhielt die Initiative allerdings durchweg Absagen.

"Es geht auf keinen Fall um Benachteiligung von Männern, sondern Frauen sind über Jahrzehnte in vielerlei Hinsicht benachteiligt worden“

Die Frauenquote, die "Fußball kann mehr" fordert, wird kontrovers diskutiert. Die Agentur Fem11 – die, wie Jörg Neblung erwähnt, gerade neue Mitarbeiterinnen sucht – positioniert sich kritisch: "Wir sind gegen Quoten, da Kompetenz, Persönlichkeit und Teamfähigkeit die ausschlaggebenden Kriterien bei der Personalbesetzung sein sollten. Bei gleicher Qualifikation könnte man die Quote zugunsten des unterrepräsentierten Geschlechtes einsetzen." Claudia Neumann argumentiert hingegen: "Es geht tatsächlich darum, dass ohne diesen formalen Druck in der Tat viele nie darauf kommen würden, ihre Denkstrukturen aufzugeben. Es geht auf keinen Fall um Benachteiligung von Männern, sondern Frauen sind über Jahrzehnte in vielerlei Hinsicht benachteiligt worden."

In der Wirtschaftsforschung weiß man seit Langem: Gemischtgeschlechtliche Teams treffen bessere Entscheidungen. Oder, wie sich Boris Pistorius (SPD), Niedersachsens Innen- und Sportminister, in der "Main-Post" zitieren ließ: "Zu glauben, man könne auf die Kompetenz von Frauen verzichten, zeigt eine gewisse Hybris." Was ist also das Problem? Claudia Neumann: "Jetzt geht’s, glaube ich, bei vielen nur noch um persönlichen Machterhalt." Dass Einzelne einen Wandel aufhalten können? Unwahrscheinlich. Für den deutschen Frauenfußball gilt aber aktuell weiterhin: Bis ganz nach oben ist es noch ein weiter Weg.

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