1. Bundesliga

"Positiv verrückt": Wie es Niclas Füllkrug ganz nach oben geschafft hat

Niclas Füllkrug ist mit 30 Jahren in der Fußball-Elite angekommen. Kann der Stürmer, der gern für Reibung sorgt, auch beim BVB den Unterschied machen? Sein ungewöhnliche Weg - und wie er sich auf höchstem Niveau beweisen möchte.

Niclas Füllkrug
Credit: Imago

"Ihr wisst hier, wie es geht", sagt Füllkrug ein bisschen ergriffen und lacht. Wenn Fußballprofis den Verein wechseln, hat das oft etwas Routinemäßiges. Sie ziehen eben weiter zur nächsten Station. Alles schon mal gemacht, alles schon mal erlebt. Richtig aufgeregt sind die wenigsten. 

Bei Niclas Füllkrug und seinem Wechsel zum BVB im Sommer war das anders. Der 30-Jährige hat in seiner Karriere ja auch schon viel gesehen. Er spielte für Hannover 96, für den 1. FC Nürnberg, lief im Trikot von Greuther Fürth auf. Gleich zweimal entschied sich der Stürmer für Werder Bremen. Und nun also Borussia Dortmund. Gelbe Wand. 80.000 Fans. Champions League. Fast ausschließlich Nationalspieler um ihn herum. 

Bei Werder Bremen legt Füllkrug den Grundstein

Es ist eine neue Fußball-Welt, die sich gerade für ihn auftut. Füllkrug ist jetzt, mit 30 Jahren und in einem Alter, in dem andere bereits an die Fußballer-Rente denken, Stürmer bei einem Weltklub. Vorbei ist die sportliche Mittelmäßigkeit. Natürlich werden sie beim BVB auch mal Spiele verlieren. Aber Frust über dauerhaftes Gegen-den-Abstieg-Spielen, damit ist es vorbei. Füllkrug gehört ab sofort der fußballerischen Eliteklasse an. Er kommt von unten. Aber kann er auch ganz oben?

Füllkrug stammt aus Hannover. Er durchlief für den TuS Ricklingen von der G- bis zur C-Jugend alle Mannschaften. Eine Zeit lang trainierte ihn sein Vater. Dann, mit 14, ging er weg aus dem behüteten Elternhaus ins nur 100 Kilometer nordwestlich von Hannover gelegene Bremen. Das dortige Nachwuchsleistungszentrum von Werder war anfangs Füllkrugs fußballerischer Sehnsuchtsort. Dort erarbeitete er sich auch die Grundlagen für seine spätere Profikarriere. 

Die Grün-Weißen waren damals eine große Nummer. Werder spielte fast jede Saison in der Champions League. Es waren die Zeiten von Diego, Torsten Frings und Miroslav Klose, denen der Teenager Niclas Füllkrug nacheiferte. Von seinem Zimmer aus im Werder-Internat oben in der Ostkurve konnte er die Champions-League-Musik hören. Es war immer klar: Diese Melodie wollte er irgendwann als Spieler auf dem Platz auch einmal aufsaugen. 

Niclas Füllkrug und Clemens Fritz geraten aneinander

Jürgen Born war von 1999 bis 2009 Werder-Boss. Den jungen Füllkrug, der 2006 nach Bremen kam, hatte er immer im Blick. "Fülle hatte dieses gewisse Etwas schon ganz früh", sagt Born heute. "Ich wusste, dass er es packen würde. Das lag auch an seiner Professionalität und Ernsthaftigkeit als Jugendlicher." Born schätzt Füllkrug über alle Maßen. "Neulich hat er mich in Bremen irgendwo auf der Straße gesehen und ist über drei Ampeln auf meine Seite gekommen, nur um mich per Handschlag zu begrüßen." Das sei außergewöhnlich. 

Aber der smarte Niclas Füllkrug kann auch anders. Es ist dieses Dominante – und vielleicht auch in Teilen leicht Egoistische –, das er in sich trägt. Als Stürmer seiner Klasse braucht man das wohl. Aber es kann eben auch Konflikte hervorrufen. Bei Werder können sie ein Lied davon singen. "Es kann bei Niclas manchmal etwas zu viel sein", sagt Clemens Fritz. Werders Leiter Profifußball hat früher selbst noch mit Füllkrug zusammengespielt. Als Vorgesetzter hat er so manchen Kampf mit seinem Stürmerstar ausgetragen. "Ich hätte mir in bestimmten Situationen etwas mehr Fingerspitzengefühl gewünscht. Er ist einer, der deutlich seine Meinung sagt. Es kommt aber darauf an, wie man es sagt. Und wann man es sagt. Da hat er nicht immer den richtigen Zeitpunkt erwischt."

Niclas Füllkrug (BVB)
Niclas Füllkrug (BVB)
Credit: Imago
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Zwischen Fritz und Füllkrug, davon zeugt die DAZN-Doku "Ein Jahr zweite Liga", wäre es um ein Haar zu einer Handgreiflichkeit gekommen. Nach einem 0:3 von Werder bei Darmstadt 98 eskalierte die Lage im Kabinengang. "Was du der Mannschaft für eine Scheiße antust", wütete Fritz damals in Richtung Füllkrug, der zu der Zeit in einem Leistungstief steckte. Zuvor soll ein eher despektierlicher Satz von Füllkrug in Bezug auf seine Mitspieler gefallen sein. Ersatztorwart Michael Zetterer verhinderte schließlich mit vollem Körpereinsatz Schlimmeres. Die Sache ist längst ausgeräumt. Aber man merkt Fritz an, dass ein kleines bisschen zwischen den beiden doch kaputtgegangen ist. 
Bei Füllkrug ist es so: Er ist süchtig nach Erfolg. Er fordert viel von den Mitspielern, aber auch von seinem Umfeld. Fritz sagt, Füllkrug sei ein Mensch, der viel "Energie ziehen kann". Und er sagt auch, dass ihm so jemand viel lieber sei als einer, der seine Meinung nicht klar äußere. "Ich schätze sehr an ihm, dass er keine Diskussionen scheut. Er geht den Sachen nicht aus dem Weg. Es geht ihm immer um die gute Sache, um Verbesserungen."

Brandt über Füllkrug: "Er ist wirklich extrem geerdet"

Füllkrug hat in seinen letzten zwei Jahren in Bremen eine unglaubliche fußballerische Entwicklung genommen. Zwar war er auch Teil der Abstiegsmannschaft 2021. Aber von da an ging der Weg des Stürmers nur noch nach oben. Mit seinem genialen Sturmpartner Marvin Ducksch schoss er die 2. Liga auseinander, traf in der Aufstiegssaison 19 Mal. Füllkrug war spätestens jetzt das Gesicht des Werder-Weges. In der Mannschaft wurde er zum uneingeschränkten Leader. 

Im November 2022 feierte er sein Debüt in der Nationalmannschaft, schoss kurz danach bei der WM in Katar wichtige Tore für die DFB-Auswahl und wurde praktisch aus dem Nichts zu einer Art Hoffnungsträger für Fußball-Deutschland bei diesem in allen Belangen vermaledeiten Turnier. Das muss man sagen: Es ging für Füllkrug alles irre schnell. Am Ende der vergangenen Saison war er plötzlich Torschützenkönig der Bundesliga. Mitte September stand er zum ersten Mal in seiner Karriere bei einem Champions-League-Spiel seines neuen Klubs Borussia Dortmund in Paris auf dem Platz.

Macht das etwas mit einem, der in seinem bisherigen Sportlerleben auch viel Trübes und Mittelmäßiges erlebt hat? Kann so jemand die Bodenhaftung verlieren? Unterhält man sich in diesen Tagen mit Julian Brandt, kommt man zu dem Schluss: Füllkrug läuft nicht Gefahr, abzuheben. Eine Sache sei dafür ganz entscheidend, sagt sein neuer Mitspieler beim BVB: "Man spürt, dass seine Karriere nicht den klassischen Verlauf genommen hat. Diese glänzende Welt des Profifußballs, die hatte er nicht dauerhaft, das alles musste er sich hart erarbeiten. Jedes Spiel scheint für ihn etwas Besonderes zu sein, kein Spiel wirkt wie Alltag, er ist wirklich extrem geerdet", sagt Brandt. 

Füllkrug muss teils schwere Verletzungen verkraften

Warum Füllkrugs Karriere nicht den klassischen Verlauf nahm, liegt auch an etlichen teils schweren Verletzungen, die er zu verkraften hatte. Achillessehne, Knöchel, Kreuzbandriss, immer wieder fiel der Stürmer teils monatelang aus. Es ist für ihn auch eine Art Belohnung, jetzt, im letzten Drittel seiner Karriere, in der Kabine des BVB zwischen Emre Can und Nico Schlotterbeck zu sitzen und um die Meisterschaft spielen zu dürfen. Fußballerisch ist Füllkrug über allen Zweifel erhaben. Der 30-Jährige kann hohes Tempo gehen, er behauptet klug die Bälle und hat einen beidfüßigen Abschluss. Was viele nicht sehen: Füllkrug kann auch Dinge mit dem Ball am Fuß lösen. Sein Kopfballspiel ist zum Genießen. 

Niclas Füllkrug verletzte sich in seiner Karriere immer wieder schwer
Niclas Füllkrug verletzte sich in seiner Karriere immer wieder schwer
Credit: Imago
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Wenn Füllkrug über den Rasen läuft, sieht es immer ein bisschen so aus, als würde er auf Zehenspitzen laufen. Es ist ein feiner und federnder Stil. Füllkrug wirkt dann eher wie ein athletischer und gut gebauter Schleicher zwischen den Räumen – und nicht wie ein Fußballer. "Der Junge bringt echt ganz schön viel Fußballgepäck aus Bremen mit nach Dortmund", sagt Julian Brandt. Aber der BVB hat mit Füllkrug eben auch einen Spieler bekommen, der die Richtung vorgeben kann. Sebastian Kehl, Sportdirektor in Dortmund, hat das sofort gespürt, als wir ihn Ende September sprechen: "Ich kenne Niclas ja auch erst seit ein paar Wochen, aber was ich sagen kann, ist, dass er sehr fokussiert wirkt und darum kämpft, seine Ziele zu erreichen." Kehl gefällt Füllkrugs "positive Verrücktheit". Er sagt: "Fülle wollte unbedingt zu uns, und wir sind sehr froh, dass er direkt bereit war, Verantwortung innerhalb der Gruppe zu übernehmen."

So, wie er es auch schon bei der Nationalmannschaft bewiesen hat. In der Streaming-Doku "All or Nothing: Die Nationalmannschaft in Katar" sieht man in einer Folge, wie der Newcomer Niclas Füllkrug vor dem zweiten Spiel gegen Spanien eine flammende Motivationsrede hält – es ist, soweit in der Doku zu sehen, die einzige Ansprache des Turniers, die die Mannschaft wirklich mitreißt. Es ist eine beeindruckende Szene, die beweist, dass der Stürmer das Anführer-Gen in sich trägt – und er keine Vorlaufzeit dafür benötigt, dieses auch zu aktivieren. Füllkrug selbst sagt: "Ich bin ein großer Freund von Demut und Dankbarkeit. Ich will zuerst liefern. Dann kann man vielleicht mal Bilanz ziehen. Aber einen auf große Schnauze machen ist eh nicht mein Ding. Ich will erst mal performen."

Vor dem Spiel klappt Füllkrug seine Ohren um

Für Füllkrug ist es enorm wichtig, eine Form von Sicherheit zu spüren. Er braucht das Vertrauen des Trainers und den Zuspruch. Im Fußballumfeld ist der Angreifer hochsensibel und mit feinen Antennen ausgestattet. Schon ein nicht gut aufgepumpter Ball im Training kann ihm die Laune verderben. Und dann ist es bei ihm nicht mehr weit bis zum Kipppunkt. Wenn seine Mannschaft nicht mitzieht oder Füllkrug sich ungerecht behandelt fühlt, kocht er schon mal über. 

Aber es gibt ein Ritual, das ihm hilft, bei sich zu bleiben. Bevor der Nationalstürmer den Rasen betritt, greift er sich mit beiden Händen immer kurz an seine Ohren und klappt sie um. Den Tick hat er aus seiner Kindheit herübergerettet. Und er praktiziert ihn bis heute. Vor jedem Spiel, bei jeder Einwechslung. Erfunden hat die Geste Füllkrugs Vater. Der war damals sein Trainer beim TuS Ricklingen. Um den Fokus auf den Fußball zu lenken und sich besser zu konzentrieren, empfahl er den Kindern das "innere Umschalten" per Griff an die Ohren. Füllkrug hat es damit zu Borussia Dortmund und in die Champions League geschafft. Er wollte das unbedingt, er wollte neue Ziele. Und ein Ende ist nicht in Sicht. 



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