Sports-Illustrated-Interview

Bernhard Peters: So kommt der deutsche Fußball wieder zurück in die Weltspitze

Fußball-Experte Bernhard Peters spricht bei Sports Illustrated über das Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2022 in Katar und macht Vorschläge, wie das Zusammenspiel zwischen DFB, DFL und Klubs besser funktionieren könnte.

Bernhard Peters
Credit: Getty Images
  • Fußball-Experte Bernhard Peters im Sports-Illustrated-Interview
  • Peters: "Zusammenarbeit zwischen DFB, DFL und Klubs nicht zielorientiert"
  • Bernhard Peters sieht Lizenzvereine in der Pflicht

Deutschland ist nach der schlechten WM 2022 in Katar in der FIFA-Weltrangliste weiter abgerutscht. Das Team von Bundestrainer Hansi Flick sackt auf den 14. Platz ab, nachdem die Nationalmannschaft im Oktober noch Elfter war. Höchste Zeit, die Mechanismen und Abläufe beim DFB zu hinterfragen.

Im Sports-Illustrated-Interview analysiert Bernhard Peters die aktuelle Situation und nennt Lösungsvorschläge. Peters ist Diplom-Sportlehrer und vielseitiger Trainer. Zwischen 2000 und 2006 führte er die Hockey-Nationalmannschaft zu mehreren Weltmeistertiteln.

Bernhard Peters als DFB-Sportdirektor im Gespräch

2006 war Peters der Wunschkandidat von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann für den Posten des DFB-Sportdirektors. Bis 2008 arbeitete in beratender Funktion beim DFB. Danach war er bei der TSG 1899 Hoffenheim sowie beim HSV tätig. Momentan arbeitet er am High Performance Sports Institute (HPSI). 

In den letzten Wochen wurde immer wieder über den Nachfolger von Oliver Bierhoff diskutiert. Dabei war Peters einer der Namen, der als neuer DFB-Sportdirektor ins Gespräch gebracht wurde. Im Moment hat Peters viele andere Aufgaben, die ihn ausfüllen. 

Sports Illustrated: Wie beurteilen Sie das Abschneiden der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM 2022 in Katar?

Bernhard Peters: Wenn man in der Vorrunde ausscheidet, ist das natürlich total ernüchternd. Was der Mannschaft das Weiterkommen in die nächste Runde verwehrt hat, waren die schlechten Minuten beim Spiel gegen Japan. Aber die tieferen Ursachen sollten alle schon etwas differenzierter betrachten.

Sports Illustrated: Warum ist die Nationalmannschaft nicht mehr Weltklasse?

Peters: Das ist immer ein Konglomerat von Gründen. Da müssen sich alle hinterfragen, die in diesen Prozess einzahlen. Die Lizenzvereine müssen schauen, wie sie ihre Spieler ausbilden in allen Faktoren, die notwendig sind. In der individuellen taktischen Ausbildung, im athletischen und mentalen Bereich, in den absoluten Willenseigenschaften. Wie sieht es mit der Initiative der Spieler aus, wirklich ständig besser werden zu wollen? Haben wir genügend Spieler, die mit großem Können und Willen eine absolute Führungsrolle einnehmen und es allen zeigen wollen? In den vergangenen Jahren haben wir in diesen Bereichen Defizite aufgebaut. Auf den Positionen der Innen- und Außenverteidiger sowie bei den Mittelstürmern fehlen uns in der Ausbildung harte Prozentpunkte bis zur Weltklasse. 

Sports Illustrated: Die fehlenden Außenverteidiger sind seit vielen Jahren ein Thema. Warum kann Deutschland dieses Problem nicht lösen?

Peters: Das Zusammenspiel zwischen DFB, DFL und den Lizenzvereinen ist nicht genügend zielorientiert. Gerade im Übergangsbereich, im Alter von 17 bis 21 Jahren , muss individualisiert, gut abgestimmt und intensiv an den Potentialen des Spielers weitergearbeitet werden, um die letzten 20 Prozent herauszuholen. Kritisch erkennen, dass da noch Entscheidendes fehlt und nicht meinen, es ist schon geschafft! Da sollten alle besser zusammenarbeiten, sonst wird es nicht für die Weltklasse reichen. Da fehlen mir die letzte Konsequenz, die absolute Leidenschaft zwischen Trainern und Spielern in enger Verbundenheit mit echter Freude etwas Großes gemeinsam zu schaffen. Raus aus der Komfortzone, harte Analyse, was bei dem einzelnen Spielern noch fehlt. Da müsste individuell, kreativ und mit großer Lust an den Details trainiert werden. Da fehlen oft kreative sportliche Führungskräfte, die das fordern. Etwas verwalten ist zu wenig.

Sports Illustrated: Hat Deutschland genügend gute Talente?

Peters: Wir haben in Deutschland einen Fußball-Verband mit sieben Millionen Mitgliedern. Da sollten schon in der Spitze der Talententwicklung mathematisch mehr Topspieler herauskommen.  Also liegt es an systemischen Fehlentwicklungen, die wir dringend korrigieren sollten. Bei der Heim-EM 2024 wird das emotional sicher eine andere Situation sein als in Katar. Aber wenn sich Deutschland wieder fest in der Weltspitze etablieren will, sollten wir unsere ständigen Energieverluste zwischen Vereinen, DFB und Landesverbänden verkleinern.

Sports Illustrated: Unter Matthias Sammer beim DFB lief die Nachwuchsentwicklung bis 2012 sehr gut. Wie kam es danach zum Bruch im System?

Peters: Matthias Sammer hat die Leute mit seiner Power und seinem Ehrgeiz gefesselt. Das ist für Erfolg in der Spitze zwingend notwendig. Ich vermisse diese eindeutige Zielrichtung beim DFB und der DFL und einen inhaltlich kompetenten Sportdirektor. Wir brauchen keinen Manager mit Erfahrung im Scouting oder mit Beratern. Es geht nur in einer ehrlichen Verbindung mit den Lizenzvereinen. Die Klubs haben die entscheidende Verantwortung. Dort werden die Spieler ausgebildet, nicht in den paar Tagen, in denen Bundestrainer Hansi Flick die Spieler bei sich hat. Es muss ein intelligentes Zusammenspiel und eine totale Zielorientierung geben. Ich habe den Eindruck, dass vielen Leuten, wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen in Deutschland, es nicht mehr wichtig genug ist, mit den absoluten Willenseigenschaften etwas Großes bis zu einem Pokalgewinn zu schaffen.

Jamal Musiala (Deutschland)
Jamal Musiala (Deutschland)
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Sports Illustrated: Ist den Vereinen ihr eigener Erfolg wichtiger als die Ausbildung guter Spieler?

Peters: Die Klubs investieren eine Menge, aber der Ausbildungsprozess muss effizienter und besser gestaltet werden. Die Klubs sollten strategischer denken und Identifikationsfiguren aus der Region für die Profis ausbilden. Das wollen Fans, Sponsoren und Vereinsmitglieder sehen. Es ist auch wirtschaftlich ein Faktor. Die Übergänge sind die entscheidendste und schwierigste Phase. Dieser Phase widmen wir uns in der klaren Analyse mit detailliertem individuellen Plan des einzelnen Spielers nicht genügend. Wo bekommen diese Spieler ihre Wettkampfminuten im Topfußball, wenn sie nicht solche Überflieger wie Musiala oder Wirtz sind. Daher spielen Umfang und Intensität des Trainings sowie das Trainerkönnen, fachlich und in der vertrauensvollen Bindung zum Spieler, eine entscheidende Rolle. Ein guter Trainer muss dazu ein positiver Provokateur sein, sonst bleiben zu viele Spieler lieber im "Warmen" und es fehlen entscheidende Prozente ihrer Topleistung.

Sports Illustrated: Fehlt es an qualitativ starken Trainern?

Peters: Ich will kritisch anmerken, dass ich hier jede Menge Potenzial sehe. Haben wir genug Trainer, die das wirklich in diesem Übergangsbereich als ihre Herzensaufgabe ansehen oder ist es nur Durchgangsstation für viele? Es wird schon differenzierter gearbeitet, aber bis das auf diesen wichtigen Übergangsbereich durchschlägt, die Klubs dazu die richtigen Entlohnungssysteme für diese Trainer bauen, wird es noch einige Zeit dauern. Ich weiß, dass der DFB im A+ und Pro-Lizenzbereich der Trainerausbildung eine gute Arbeit macht. Aber beim Basketball, Handball, Hockey oder Volleyball haben die Trainer eine noch umfassendere Kompetenz oder oft auch Arbeitseinstellung mit ihrem analytischen Blick und ihrer emotionalen Bindekraft Talente für das Training zu "fesseln".

Sports Illustrated: Ist die DFB-Taskforce der richtige Weg, um die sportliche Krise zeitnah zu beenden?

Peters: Das ist kurzfristig was Nettes für die Medien. Wir sollten uns aber intensiv mit Struktur, Inhalten, Ausbildung und Lebenswelten der jungen Spieler auseinandersetzen. Wie können wir dazu eine Begeisterung entfachen, dass es für die Beteiligten ein freudvolle, leidenschaftliche Aufgabe ist,  also zwischen dem Trainer als Schlüssel und den jungen talentierten Spielern? Wir sollten initiativ viele Bereiche der Ausbildung überdenken. Da müssen wir ran und zwar nicht morgen, sondern heute. Wenn wir wieder große Erfolge holen wollen, geht das nur mit großem Fleiß und Konsequenz im Handeln.

Sports Illustrated: Hat der DFB auch bei Ihnen nachgefragt, ob Sie helfen wollen?

Peters: Ich habe viele andere Aufgaben die mich ausfüllen. In unserem High Performance Institute (HPSI) bilden wir erfolgreich Führungskräfte für die Spielsportarten aus, die diese gerade besprochene sportliche Strategie umsetzen wollen. Da helfen wir konkret.

Zur Person: Bernhard Peters (62) war Hockey-Bundestrainer, Direktor Sport und Nachwuchsförderung beim Fußball-Bundesligaklub TSG Hoffenheim sowie Direktor Sport beim Hamburger SV. Der Diplom-Trainer ist unter anderem Mitglied der Kommission Leistungssportentwicklung im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und berät Vereine und Verbände. Peters gehört zu den Initiatoren des High Performance Sports Institute (HPSI).

 

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