Mathematik-Ass und Künstler: Cooper Kupp ist einer der genialsten NFL-Stars
Im letzten Frühjahr zog Cooper Kupp in einen Vorort von Portland. Auf einen Tennisplatz im Hinterhof baute er sich eine Scheune, die sein Football-Labor ist. Das Ziel: Wissenschaftlich zu erforschen, was einen Elite-Receiver noch stärker macht. Mit Hilfe von analytischen Bewegungskonzepten will der Profi der Los Angeles Rams sein Spiel in allen erdenklichen Positionen und machbaren Details perfektionieren.
In Kupps Football-Experiment steht er selbst im Mittelpunkt. Deshalb hat er sich eine Scheune gebaut, die im Inneren das Rams-Wideout nachbildet - also die Positionen, auf denen die Wide Receiver stehen und die Pässe der Quarterbacks entgegen nehmen. Dafür ließ er sich von Experten extra einen Kunstrasen verlegen, der von vielen NFL-Teams verwendet wird. Außerdem hat sich Kupp ein Laufband zum Verbessern der Schnelligkeit gegönnt, welches seine Geschwindigkeit misst. Wenn er lossprintet, kommt Kupp auf über 32 km/h. Manchmal ist er dabei an Seil angebunden. Mit diesem erhöht er den Widerstand, um seine Muskeln zu stärken. Dafür benötigt er nicht viel Schnickschnack. Alles ist auf Effizienz getrimmt, so wie er selbst.
In seiner Scheune hat Kupp viele Bewegungsoptionen (Wackler, Cuts, Stotterschritte) ausprobiert, die er entwickeln und verfeinern kann. Im Idealfall wählt sein Gehirn die richtigen Bewegungen automatisch aus, die er mehr als tausendfach einstudiert hat. Diese Bewegungsabläufe müssen im zentralen Nervensystem so tief verankert sein, dass er diese Bewegungen jeden Moment sofort abrufen und einsetzen kann. Dafür werden alle Daten wie Ausrichtung, Taktik, Stärken, Schwächen sowie die Körpersprache der Verteidiger in einen Computer eingegeben und analysiert. Hinzu kommen Wetter, Spielfeld und Ausrüstung (z.B. Stollenschuhe). Kupp überlässt nichts dem Zufall.
"Die Kunst des Krieges" macht Cooper Kupp zu einer Waffe
Vor diesem Hintergrund fängt man an zu verstehen, warum Kupp erst der vierte Wide Receiver seit 1970 ist, der sich die "Triple-Krone" bei Receptions, Receiving-Yards und den Touchdown-Fängen sichert. Dieser Erfolg liegt nicht nur an seiner unermüdlichen Arbeitsmoral. Zwar besitzt Kupp eine ihm angeborene sportliche Begabung, aber das ist nicht alles. Er ist auch extrem schlau, obwohl er das selbst nicht bestätigen möchte. Aber seine Teamkollegen beschreiben ihn als brillant.
Seine Herangehensweise - chirurgisch und effizient - erinnert manche an einen Nerd. Aber Kupps fleißige Arbeit gleicht einer Football-Evolution. Aus dem ehemals kaum beachteten Youngster ist ein NFL-Star und eine Stütze seines Teams geworden. Dafür benötigte er seine wissenschaftlichen Begeisterung und seine natürlichen athletischen Gaben, um sich von einem talentierten Spieler zu einem absoluten Top-Star zu verwandeln.
Zusammen mit Erik Jernstrom, dem Leiter der Sportabteilung von EForce Sports in Portland, wertete Kupp seine Daten im vergangenen Frühjahr aus. Anhand der Testergebnisse und der GPS-Resultate von den Rams zeigte sein "athletisches Profil", dass Kupp die maximale Geschwindigkeit früher erreicht als alle anderen Top-Receiver in der Liga. Dies verschafft ihm im Vergleich zu den anderen Passempfängern im Schnitt fünf Yards Vorsprung auf dem Feld.
Sein Trainingsprogramm wurde auf seine spezifischen Bewegungen zugeschnitten. Jernstrom sieht Kupp als "phänomenalen Beschleuniger" - schnell, flüssig und aggressiv in seinem Lauf. Um wirklich alles aus sich herauszuholen, nutzt Kupp ein chinesisches Buch - "Die Kunst des Krieges". In dieser militärischen Abhandlung spielt eine relevante Kampfstrategie eine bedeutende Rolle. Ziel ist es, den eigenen Raum zu vergrößern, und den des Gegners zu minimieren. Kupp schafft sich Raum auf dem Feld und weiß, wohin er sprinten muss. Aber damit nicht genug. Kapp hat mit der OODA-Schleife einen weiteren Pfeil im Köcher. Der von US-Kampfpiloten entwickelte Vier-Schritte-Ansatz lautet - beobachten, orientieren, entscheiden und handeln.
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Lange bevor Kupp in eine Reihe mit Jerry Rice, Michael Irvin und Calvin Johnson aufstieg, legte er seine wissenschaftlichen Experimente in dem Wissen an, dass er nie so sein würde wie Rice ("der Größte aller Zeiten", sagt er), Irvin (seine kämpferischer Natur ist "unglaublich") oder Johnson ("der Typ ist ein Cyborg, der über drei Leute springt, ohne seine Füße aufzusetzen"). Dass er ein Star in der NFL werden konnte, erschien dem Receiver aber durchaus machbar zu sein.
"Ich will einfach nur meinen Job machen", erklärt der 28-Jährige, der seinen ganz eigenen Weg gegangen ist. Wie sonst sollte er sich auf dieses Niveau wie Johnson begeben, der drei Zentimeter größer, fast 15 Kilogramm schwerer und - nichts gegen die Kupp-Familie - in jeder Hinsicht viel begabter ist?
Rice sprintete gewaltige Hügel hinauf und fing Ziegelsteine, um seine Hände abzuhärten. Irvin stemmte Gewichte in voller Uniform, mit einem Helm auf dem Kopf in der Hitze von 100 Grad und einer schweren Weste um seinen Oberkörper. Johnson nahm an Navy SEAL-ähnlichen Trainingseinheiten teil.
Um an dieses Top-Level heranzukommen, beschloss Kupp seine Träume in die Realität umzusetzen, indem er ein "Football-Wissenschaftler" geworden ist. Sein stärkster Trumpf ist der gesamtheitliche Ansatz seines Tuns. Ohne Kompromisse. Einige Elemente wie Arbeitsmoral und Video-Studien gehören bei vielen zum Standardprogramm. Aber seine wissenschaftliche Herangehensweise ist einzigartig. Diese erarbeite er sich über einen längeren Zeitraum.
Großvater Jake Kupp lebte Cooper seinen Traum vor
Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung von Kupp umso bemerkenswerter, wenn man betrachtet, wo er herkommt. Er wuchs in Yakima auf, einer Stadt mit 93.000 Einwohnern etwa 200 Kilometer südöstlich von Seattle. Yakima ist zwar für seine Apfelplantagen und Weingüter bekannt - und wird manchmal als das Palm Springs von Washington bezeichnet - aber Yakima bietet einem Jugendlichen nur begrenzte Zukunftschancen.
Die Möglichkeit mit Bandengewalt und Schüssen in Berührung zu kommen ist groß. Die Armutsrate in Yakima ist in den vergangenen Jahren auf über 20 Prozent gestiegen. Hinzu kommt die abgelegene Lage der Stadt - weit weg von den Wirtschaftszentren der USA.
Sein Großvater Jake Kupp wurde auf einer Farm groß. Da das Geld knapp war, bestand dessen Mutter darauf, dass er las, denn sie wollte, dass Jake sich ferne Welten vorstellte und sich dorthin versetzen konnte. In der Hoffnung, seinen Blick zu erweitern und über seine normalen Fähigkeiten hinauszugehen.
An heißen Sommertagen, wenn die Ernte eingefahren war, ließ sich Jake unter einem Pfirsichbaum nieder. Er legte sich hin und schaute in die Luft. Er stellte sich eine traumhafte Zukunft vor: Baseball spielen für die Yankees. Daraus wurde zwar nichts, aber Jake spielte immerhin zwölf Jahre als Footballer in New Orleans und wurde in die Pro Bowl gewählt.
Jake kehrte nach Yakima zurück und gab die Träume an seinen Sohn Craig weiter, der eine NFL-Karriere als Backup-Quarterback bei drei NFL-Teams und zwei World League-Teams bestritt. Beide schufen die Voraussetzungen für den jungen Cooper, während er im Hinterhof seines Elternhauses in den verbeulten Zaun krachte oder im Sandkasten in die Endzone auswich, die durch einen quer über den Rasen gespannten Gartenschlauch abgegrenzt war. Opa Jake las ihm "The Little Engine That Could" vor. Vater Craig sagte Cooper, er könne alles schaffen, was er wolle.
Coopers Ziele wuchsen im Gleichschritt mit seinem Körper. Er sah sich Filme von Legenden an: Rice, Irvin, Johnson, Marvin Harrison, Randy Moss. Aber anstatt zu sehen, was er nie sein könnte, träumte er von etwas anderem: einer erfolgreichen Karriere in der NFL.
Cooper Kupp ist gründlicher und besser als seine Konkurrenten
An einem Morgen vor seiner zweiten Football-Saison fragte Cooper seinen Trainer Jay Dumas im Kraftraum, wie seine Chancen stehen. Was ist mit der NFL? Dumas verkniff sich ein Lachen und hatte Prozentsätze im Kopf, die laut "Nein" schrien. Aber Dumas bewahrte seine Gedanken im Kopf. Lass ihn träumen, beschloss er.
Cooper hörte nie auf zu träumen und zu kämpfen. Er spielte Basketball, um seine Beweglichkeit zu verbessern. Unter dem Korb wehrte er sich mit fliegenden Ellbogen gegen Gegner, die doppelt so groß waren wie er. Dieselbe Unerschrockenheit führte später zu einem Schlüsselbeinbruch auf dem Footballfeld und schürte die Besorgnis über seine ebenso bewundernswerte wie fragwürdige Hartnäckigkeit. Bewundernswert, weil niemand härter arbeitete. Fragwürdig, weil, egal wie sehr er sich anstrengte, seine Chancen gering blieben.
Würde es reichen, wirklich jeden Tag Gewichte am Knöchel zu tragen? Musste er sich unbedingt mit dem Hausmeister der Schule anfreunden, damit er rund um die Uhr Zugang zum Kraftraum hatte, wo die Hanteln jeden Morgen vor Sonnenaufgang klirrten? Aber jedes Element seines Ansatzes machte ihn besser. Er legte an Größe und Stärke zu. Sein Körper und sein Geist wuchsen.
In allem, was er tut, ist Kupp gründlicher und umfassender als seine Konkurrenten. Er ist ein Spieler, der die Vorbereitung liebt, alle Nuancen und Feinheiten. Frühere Trainer sahen in ihm neurotische Tendenzen. Sie diskutierten darüber, ob er ein fotografisches Gedächtnis hat oder ob er Informationen so schnell verarbeitet, weil es ihnen nur so vorkam.
Im Jahr 2018 konzentrierte sich Kupp auf die Steigerung seiner Geschwindigkeit und Explosivität und kombinierte Testergebnisse (Geschwindigkeit, Beschleunigung, Kraft) mit Bewegungsoptimierungen sowie Sprinttrainings, die er zusammen mit seinem Teamkollegen Robert Woods durchführte. 2019 verlagerte er sich auf die Rehabilitation, um sein linkes Knie wieder in Ordnung zu bekommen. Er besuchte Kniespezialisten, Reha-Experten und sogar Konkurrenten - wie Chargers Wideout Keenan Allen - um Daten zu bekommen, die er anwenden konnte.
Kupp testete und testete im vergangenen Frühjahr weiter. "Das wird ein historisches Jahr", sagte seine Mutter voraus. Ihr Sohn wird "etwas Besonderes" schaffen. Mittlerweile ist sein Spiel kein reines Receiver-Spiel, es gleicht eher einer Kunstform. Kupp ist nicht nur ein "Football-Wissenschaftler", er ist auch ein "Football-Künstler". Seine Fähigkeiten lassen sich nicht nur durch Wissenschaft erklären. Es ist die Art und Weise, wie er sein Wissen auf den Rasen zaubert.
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