Triathlon

Kienle über Karriereende: "Werde nicht von 100 auf null runterfahren"

Sebastian Kienle hat seine erfolgreiche Triathlon-Karriere beendet. Im Sports-Illustrated-Interview spricht der Ironman-Sieger 2014 auf Hawaii über den endgültigen Schlussstrich, die Gründe für seinen Rücktritt und seine zukünftigen Ziele.

Sebastian Kienle bei seinem Hawaii-Sieg 2014
Credit: Imago
  • Sebastian Kienle im Sports-Illustrated-Interview
  • Hawaii-Sieger Kienle beendet Triathlon-Karriere
  • Kienle: "Ich werde nicht von 100 auf null runterfahren"

Sports Illustrated: Sie sind einer der erfolgreichsten deutschen Triathleten überhaupt und betreiben den Sport, seit Sie zwölf Jahre alt sind. Vor Kurzem haben Sie Ihr letztes Profi-Rennen absolviert. Haben Sie schon realisiert, dass es jetzt vorbei ist?

Sebastian Kienle: Einerseits ja, weil ich bereits vor der Saison angekündigt habe, dass das mein letztes Jahr sein wird. Ich hatte also wirklich lange Zeit, mich mit dem Gedanken des Aufhörens anzufreunden – und das war absolut gut so. Aber so wirklich realisiert habe ich das erst in dem Moment, als ich vom Rennen zurückkam. An diesem Punkt macht man sich normalerweise Gedanken, wann man wieder mit dem Training anfängt, wie man wieder einsteigt – und dann merkst du: Ach ne, das muss ich ja gar nicht.

Sports Illustrated: Sie hatten also nicht den einen Moment, in dem Sie über die Ziellinie laufen – und plötzlich ist alles anders? Kann man sich das eher als einen Prozess vorstellen?

Kienle: Ich bin beim Ironman im mexikanischen Cozumel zum Abschied Vierter geworden, nach knapp sieben Stunden Rennen hatte ich 14 Sekunden Abstand aufs Podium. Eben vorhin lag ich auf dem Sofa und dachte darüber nach, wo ich die 14 Sekunden hätte herausholen können. Und dann fiel mir ein, dass das keine Rolle mehr spielt. Aber mein Gehirn, mein komplettes Leben war bisher darauf gepolt, in jedem Rennen um jede Sekunde zu kämpfen. Dass das jetzt nicht mehr der Fall ist, ist ein interessantes Gefühl.

Sports Illustrated: Haben Sie sich auf das Karriereende vorbereitet?

Kienle: Ja, denn mir war es wichtig, nicht auf einmal und aus einem Gefühl heraus nach einem Rennen zu sagen: Ich habe jetzt keinen Bock mehr, ich höre auf. Das wäre für mich nicht der richtige Weg gewesen. Ich habe den Plan zum Rücktritt schon vor zwei Jahren beschlossen, und allein das alles zu planen ist Teil des Prozesses. Es war rückblickend ein schöner Abschied – mit jedem Rennen und mit jeder Trainingseinheit zu wissen, dass das Ende wieder ein Stückchen näher rückt. Am Schluss kam es dann doch einigermaßen überraschend. Ich habe eine Familie, einen kleinen Sohn, und ich freue mich, mehr Zeit mit ihnen verbringen zu können. Das war einer der Gründe, weshalb ich mich ehrlich auf das Karriereende gefreut habe.

Sports Illustrated: Was bedeutet das Karriereende für Ihren Körper, der tägliches, stundenlanges Training gewohnt ist?

Kienle: Ich werde da nicht von 100 auf null runterfahren, 2024 will ich noch an einigen Gravel-Rennen teilnehmen. Dass sich der Lifestyle nicht schlagartig ändert, ist entscheidend. Sowohl für den Körper als auch für den Geist. Das wäre ungesund – für mich und für mein Umfeld. Deswegen lautet meine Strategie: Soft Exit. Ich verabschiede mit nicht sofort komplett aus dem Wettkampfsport, sondern nehme erst mal zwei Disziplinen weg.

Sports Illustrated: Gibt es etwas, das Sie sich jetzt erlauben können oder wollen, das Ihnen als Aktiver nicht vergönnt war?

Kienle: Eigentlich nicht. Unser Sport ist ja sehr selbstbestimmt, alle Einschränkungen erlegst du dir selbst auf. Ich hatte keinen Vertrag, in dem steht, dass ich nicht Skifahren oder Motorradfahren darf. Das war alles immer in meiner eigenen Hand, das gilt ebenso für sämtliche Genussmittel. Ich glaube, dass unter anderem diese Tatsache ein Rezept für meine relativ lange Karriere war: dass ich nie das Gefühl hatte, dass ich auf irgendetwas verzichten muss. Dementsprechend werde ich nach der Karriere auch nicht komplett über die Stränge schlagen. Worauf ich mich dagegen freue: weniger Angst vor vielen Kleinigkeiten zu haben.

Sebastian Kienle beim Ironman Hawaii
Sebastian Kienle beim Ironman Hawaii
Credit: Imago
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Sports Illustrated: Was meinen Sie damit?

Kienle: Gerade mit einem kleinen Kind hat man als Aktiver andauernd die Sorge, dass es krank ist, weil man sich dann selbst anstecken könnte. Ich war auf ein egozentrisches Denken gepolt: Alles, was irgendwie negativ ist, habe ich sofort auf die Leistungsfähigkeit bezogen. Dazu kommt ein Stressvermeidungsstress: die Angst davor, dass es Stress geben könnte, was sich dann wiederum negativ auf die Leistung auswirken könnte. Kommt das Flugzeug zu spät, schaffen wir die letzte Fähre auf die Insel? Dann hätte ich weniger Zeit zur Erholung, was für das Rennen schlecht wäre. Jetzt kann ich diese Situationen viel entspannter angehen.

Sports Illustrated: Wissen Sie schon, wie Sie die viele Zeit, in der Sie früher trainierten, in Zukunft füllen werden?

Kienle: Zuallererst werde ich mehr Zeit für die Familie haben. Dazu haben sich über die Jahre diverse Projekte angehäuft und Sachen, die liegen geblieben sind. Die müssen geklärt und aufgeräumt werden. Dann werde ich mal nachsehen, ob mir außerhalb des Sports noch ein paar Freunde geblieben sind. Und ich will endlich richtig Urlaub machen – nicht, dass ich nie Urlaub gehabt hätte, aber er war immer Mittel zum Zweck, um mich schneller zu erholen. Außerdem habe ich dieses Jahr bei einigen Rennen als TV-Kommentator gearbeitet, das hat mir großen Spaß gemacht, das würde ich gerne ausbauen. Ein Vollzeit-Coach will ich nicht werden, aber ich plane, ein, zwei Athleten zu betreuen. Dazu kommen die Gravel-Rennen – es wird mir nicht langweilig werden.

Sports Illustrated: Das klingt nicht nach einem klassischen Nine-to-five-Job – käme so etwas überhaupt infrage?

Kienle: Das käme darauf an. Aber der Grad an Freiheit, den ich durch den Triathlon erfahren habe, der ist schon einzigartig. Was mich reizt: etwas zu tun, bei dem man ein Resultat seiner Arbeit sieht. Wenn du trainierst, schwimmst du zum Beispiel 100-mal hoch und runter, und am Schluss bist du müde und vielleicht auch glücklich, aber du siehst kein Resultat. Etwas anderes ist es, wenn man einen neuen Fußboden verlegt: Dann habe ich auch zehn Stunden gearbeitet und bin müde, aber ich kann nach unten schauen und sagen: Super, ein neuer Fußboden! Also ja, etwas Handwerkliches will ich unbedingt noch machen.

Sports Illustrated: Sie haben sich im Laufe der Jahre außergewöhnliche mentale Fähigkeiten angeeignet – gerade im Langdistanz-Triathlon spielt der Kopf eine große Rolle. Zuletzt sprachen Sie unter dem Motto "New Perspectives on Sports" bei der ISPO. Können Sie darüber hinaus dieses Kapital nutzen, weitergeben?

Kienle: Das habe ich vor, und es macht mir auch Spaß, aber ich bin niemand, der andauernd durch Talkshows zieht, irgendwelche Vorträge hält und Bücher verkauft. Deshalb werde ich das im kleinen Rahmen halten. Andernfalls kann ich das nicht ehrlich vermitteln, man muss schließlich Gefühle transportieren, und das funktioniert nicht als Retorten-Vortrag. Da muss man vorher selbst schon auch ein bisschen aufgeregt sein.

Sebastian Kienle beim Ironman Hawaii
Sebastian Kienle beim Ironman Hawaii
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