Sophia Kleinherne: Darum sind wir sympathischer als die Männer
Frau Kleinherne, am 20. Juli startet die Fußball-WM der Frauen. Vier Tage später bestreiten Sie das erste Gruppenspiel gegen Marokko. Ein schlagbarer Gegner, oder?
Sophia Kleinherne: Mit Marokko treffen wir auf einen mental sehr starken Gegner. Wir sind generell in einer Gruppe, in der wir gegen ganz verschiedene Kontrahenten spielen, was die Spiel-Philosophie angeht.
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Bei der EM im letzten Jahr haben Sie sich mit der Mannschaft den zweiten Platz erkämpft. Baut es Druck auf, zu den Favoriten zu gehören?
Kleinherne: Wenn man zu den Top-Mannschaften in Europa zählt, hat man auch die Chance, ganz oben bei einer Weltmeisterschaft mitzumischen. Es wird aber auf keinen Fall ein Selbstläufer. Zumal einige Spielerinnen in den Vereinen echt intensive Wochen hinter sich haben.
Wie würden Sie sich als Spielerin auf dem Feld beschreiben?
Kleinherne: Ich nehme Zweikämpfe sehr gut an und gehe super gerne in die Laufduelle. Und egal, ob ich als Verteidigerin innen oder außen spiele, habe ich den Drang nach vorne, was meinem Spiel guttut, weil es dadurch variabler ist. Außerdem lege ich immer maximale Bereitschaft an den Tag.
Geht mit der WM ein Kindheitstraum in Erfüllung?
Kleinherne: Auf jeden Fall! Ich habe schon bei der EM gemerkt, dass man einfach plötzlich viel präsenter ist. Auf dieser Bühne bekommt man unglaublich viel Anerkennung. Und bei der WM sind die Dimensionen ja nochmal größer.
Für Ihren Kindheitstraum haben Sie einiges getan...
Kleinherne: Ich bin mit 14 Jahren von zuhause ausgezogen, um auf ein Internat zu gehen. Meine Eltern haben es zwar nie besonders gerne gehört, aber der Fußball hatte immer absolute Priorität für mich. Das ließ sich im Internat am besten mit der schulischen Ausbildung verbinden. Mit 17 bin ich nach Frankfurt gezogen, bin dort weiterhin auf ein Internat gegangen und habe gleichzeitig für den FFC gespielt. Und nach meinem Abi habe ich dann recht schnell eine Ausbildung bei der Bundeswehr gemacht und ein Fernstudium in Sportmanagement angefangen, um mir ein zweites Standbein aufzubauen.
Warum haben Sie eine Ausbildung bei der Bundeswehr gemacht?
Kleinherne: Ich bin in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Die Grundausbildung geht normalerweise drei Monate, ich habe sie, wie es in diesem Fall bei Leistungssportlern vorgesehen ist, in vier Wochen machen können. Und das zu einer Zeit, in der es noch nicht möglich war, vom Frauenfußball zu leben. Ich wurde finanziell sehr unterstützt.
Wie hat sich Ihre Leidenschaft für den Fußball überhaupt entwickelt?
Kleinherne: Ich habe zwei größere Brüder, die gekickt und mich zu ihren Spielen mitgenommen haben. Irgendwann wollte ich dann selbst aktiv werden. Denn nur zuschauen mag ich generell nicht gerne (lacht). Die beiden haben mich dann mit ins Training genommen, und ich habe mit den Jungs gekickt. Früher war es ja alles andere als selbstverständlich, dass es Mädchenmannschaften gab.
Was sagen Ihre Brüder nun zu Ihrer Entwicklung?
Kleinherne: Die beiden unterstützen mich maximal und kommen zu meinen Spielen, wenn ihnen das irgendwie möglich ist. Sie sind zwei Wegbegleiter, die ich immer an meiner Seite hatte und haben werde. Dafür bin ich unendlich dankbar.
Stichwort Unterstützung: Der Zusammenschluss mit dem FFC 2020 war ein Zeichen der Frankfurter Eintracht, auf Frauenfußball zu setzen. Welche Auswirkungen hatte das auf Sie und die Mannschaft?
Kleinherne: Die Bedingungen haben sich wahnsinnig verbessert. Wir haben unseren eigenen Trainingsplatz, unseren eigenen Kraftraum, Möglichkeiten für Aktivierung und Regeneration. Außerdem einen Vorstand, der oft bei unseren Spielen dabei ist und keine Unterschiede zwischen den Frauen und den Männern macht. Wenn du weißt, dass du einen Verein hast, der hinter dir steht, wächst auch die eigene Motivation.
Wie nehmen Sie den Austausch zwischen der Herrenmannschaft und der Frauenmannschaft wahr?
Kleinherne: Ich glaube, bei uns im Verein ist er am intensivsten. Wir haben in der Hinsicht auch den Bayern und den Wolfsburgen viel voraus. Zwischen den Teams herrscht ein sehr respektvoller, wertschätzender Umgang. Man merkt, dass Eintracht Frankfurt mehr als nur ein Verein ist. Eher wie eine Familie.
Sollte es Ihrer Meinung nach Pflicht sein, dass Bundesliga-Klubs auch eine Frauen-Mannschaft vorweisen?
Kleinherne: Ich denke, dass wir uns tatsächlich in die Richtung bewegen. Mit Leipzig hat nun der nächste große Verein bekanntgegeben, den Frauenfußball großmachen zu wollen. Potsdam dagegen ist abgestiegen, und Essen ist der letzte reine Frauenfußballverein in der ersten Liga. Ich glaube, es wird immer offensichtlicher, dass sich ein reiner Frauenfußballverein allein kaum tragen kann. Ich bin wahnsinnig froh, jetzt bei Frankfurt diese Strukturen zu haben. Wenn ich mir vorstelle, dass ich nach acht Stunden Arbeit ins Training hetzen müsste, weil ich zwei Jobs gleichzeitig habe, um finanziell über die Runden zu kommen, wüsste ich auch nicht, wie ich meine Leistung jeden Tag abrufen soll. Ich finde es sehr schade, dass man es nicht schafft, mehr Frauen zu ermöglichen, dass sie sich auf den Beruf als Fußballerin fokussieren können. Ich fühle mich mega privilegiert, sagen zu können, dass Fußball mein Job ist.
Es ist also kein Zufall, dass die Nationalspielerinnen zum Großteil aus Wolfsburg, Bayern, Frankfurt und Hoffenheim kommen.
Kleinherne: Genau, das sind die Mannschaften, die immer oben mitspielen. Aber eben auch die Mannschaften, die unter den besten Bedingungen trainieren und angepasste Gehälter haben. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Spielerinnen die beste Leistung zeigen, die auch die besten Ausbildungsmöglichkeiten haben. Wenn sich alle Spielerinnen zu 100 Prozent auf den Fußball konzentrieren könnten, würde auch der Wettbewerb fairer werden.
Auffällig war, dass sich während der EM in England auf einmal viele Leute für den Frauenfußball interessiert haben. Das Endspiel schauten 17,9 Millionen Menschen. Empfinden Sie es als beleidigend, dass erst zu diesem Zeitpunkt festgestellt wurde, dass der Frauenfußball einiges zu bieten hat?
Kleinherne: Ich glaube, dass viele nicht mitbekommen haben, wie sich der Frauenfußball in den letzten Jahren entwickelt hat. Viele hatten noch das Frauenfußball-Bild von vor 20 Jahren im Kopf. Durch die EM haben wir zeigen können, zu was wir mittlerweile fähig sind.
Ist die Euphorie bei Ihnen in England angekommen?
Kleinherne: Sie kam schon bei uns an. Wir haben uns aber gefragt, was passiert, wenn wir wieder nach Deutschland kommen. Als wir dann zurückgereist sind, war der Römer komplett voller Fans, und das war das erste Zeichen, an dem wir erkennen konnten: Okay, die Zuschauer meinen es ernst mit uns.
Was entgegnen Sie Menschen, die noch immer sagen, dass die Männer nun mal den technisch und qualitativ besseren Fußball spielen?
Kleinherne: Ich glaube, es gibt keine Basis mehr, mit der sowas noch argumentiert werden kann. Jeder der anders denkt, sollte sich das Champions-League-Finale zwischen Wolfsburg und Barcelona noch mal anschauen. Mal abgesehen von der Spannung: Es stand schon zwei zu null für Wolfsburg, und Barca war in der Lage, das Spiel innerhalb von zehn Minuten komplett zu drehen. Solche Spiele, dramatisch und auf höchstem Niveau, sind keine Einzelfälle mehr. Die Leute, die den Frauenfußball nach wie vor kritisieren, gucken einfach durch eine komplett falsche Brille – oder schauen gar nicht zu und urteilen einfach aus verstaubten Vorurteilen heraus. Gleichzeitig finde ich auch, dass man die Vergleiche mit den Männern einfach sein lassen sollte. Das macht man bei anderen Sportarten ja auch nicht. Ich wünsche mir, dass man einfach nur den Fußball sieht.
Laut unserer Umfrage zum Thema Frauenfußball, würden 51 Prozent der Befragten mehr Frauenfußball schauen, wenn mehr Spiele und Spielberichte im TV gezeigt würden. Wie schafft man es, den Frauenfußball sichtbarer zu machen?
Kleinherne: Auch da ist viel passiert: Wenn ich nur ein Jahr zurückdenke, hatten wir Anstoßzeiten, zu denen wir es den Menschen gar nicht ermöglichen konnten, ins Stadion zu kommen oder im Fernsehen unsere Spiele anzuschauen. Jetzt sind die Länderspiele so angesetzt, dass sie abends stattfinden. Somit haben wir eine Bühne. In der Liga wird man uns bald auf DAZN zuschauen können. Wenn man es schaffen würde, das noch weiter auszubauen, würde die Begeisterung weiter steigen.
Nach langem Hinundher konnten sich die Fifa und die öffentlich-rechtlichen TV-Sender über die Vergabe der TV-Rechte zur EM einigen. Was hat dieser Poker mit Ihnen gemacht?
Kleinherne: Im Team hat das für große Unruhe gesorgt. Ohne die Rechte hätte man uns alles genommen, was wir uns aufgebaut haben. Auch die Möglichkeit, unsere Geschichte weiterzuschreiben. Ich bin unglaublich froh, dass jetzt alles geklärt ist.
Auch Equal Pay ist derzeit ein großes Thema, für das sich sogar unser Bundeskanzler Olaf Scholz einsetzt. Wie stehen Sie dazu?
Kleinherne: Zunächst einmal finde ich, und da sind wir uns bei der Nationalmannschaft auch einig, dass Equal Play wichtiger ist als Equal Pay. Für uns ist erst einmal entscheidender, die gleichen Chancen und Bedingungen zu bekommen wie die Männer. Je besser die Bedingungen für uns sind, desto mehr können wir mit unserem Fußball begeistern. Wir sollten also nicht über den vierten Schritt vor dem ersten sprechen. Darüber hinaus können wir, so realistisch müssen wir auch sein, gar nicht das gleiche Gehalt verargumentieren: Wir erzielen schließlich nicht die Einnahmen, die die Männer vorweisen können. Die mediale Reichweite und unser Bekanntheitsgrad sind geringer, die Schlangen an den Ticketschaltern kürzer. Es wäre vermessen, das zu ignorieren. Aber wir werden uns immer dafür einsetzen, dass Gehälter in der Frauenbundesliga angepasst werden und dass es möglichst zeitnah eine Art Grundgehalt gibt. Denn hier ist die Kluft zwischen den Vereinen einfach enorm.
Laut unserer Umfrage finden 52 Prozent der befragten Personen die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen sympathischer als die der Männer. Was denken Sie: Woran liegt das?
Kleinherne: Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Zum einen merken neue Zuschauer, dass wir leidenschaftlich und motiviert Leistung auf höchstem Niveau liefern. Dann ist nicht so viel über uns bekannt, wie bei den Männern, die ständige mediale Präsenz haben. Letztlich sind wir auch nahbarer. Wir können aufgrund der Gegebenheiten eine andere Nähe zu den Fans zulassen, als es bei den Männern der Fall ist. Unsere Stadien sind kleiner, die Tribünen oft dichter am Spielfeld. Volle Stadien sind bei uns keine Selbstverständlichkeit, genauso wenig wie auf der Straße erkannt zu werden. Wir wollen Fannähe und leben Fannähe. Das ist keine Kritik an den Männern, bei denen Ausmaße erreicht sind, sodass sie nicht mehr alle zulassen können. Außerdem haben wir es geschafft, mit unserem ehrlichen Fußball zu begeistern.
Was verstehen Sie unter ehrlichem Fußball?
Kleinherne: Ich glaube, dass wir nicht immer so viel aus gewissen Situationen machen. Mir ist kein weiblicher Neymar bekannt. Ich kenne zum Beispiel keine Spielerin, die zwei oder drei Minuten liegen bleibt (lacht). Im Ernst: Ich behaupte mal, dass wir wirklich in jeder Sekunde des Spiels immer mit vollem Herzen dabei sind – und man uns selbst bei Niederlagen nie vorwerfen kann, nicht alles gegeben zu haben. In unserem Team steckt unglaublich viel Leidenschaft. Wenn das Stadion voll ist, ist das ein unbekanntes Gefühl für uns. Wir erwarten nicht nur, dass die Zuschauer für uns da sind, wir sind auch für sie da.
Ein weiteres Thema, das zum Zeitpunkt unseres Interviews diskutiert wird, ist das Verbot der Regenbogenbinde.
Kleinherne: Im Frauenfußball können wir offen ausleben, was wir ausleben wollen. Egal, ob das auf die Kultur, die Religion oder die Liebe bezogen ist. Der Frauenfußball ist ein Safeplace, wo jeder sein kann, wie er will. Ich glaube, das gibt vielen viel Kraft. Es muss schlimm sein, wenn du unterdrücken muss, was du liebst und lebst. In Qatar war es natürlich auch eine Kultursache – trotzdem bin ich unglaublich froh, dass wir in Deutschland mittlerweile weitestgehend offen und respektvoll miteinander umgehen. Ich finde, die Regenbogenbinde darf nicht verboten werden. Die Konsequenz könnte nämlich sein, dass manche Menschen sich gehemmt fühlen und dann weniger offen mit dem Thema umgehen.
"Sexismus ist im Fußball weit verbreitet" – das sehen zumindest 77 Prozent der Menschen laut unserer Umfrage so. Sie auch?
Kleinherne: Social Media bringt bei allen Vorteilen auch Nachteile mit sich. Das ist bei uns nicht anders als bei den Männern. Es kommt schon vor, dass wir anzügliche Nachrichten von Menschen bekommen, die uns nicht wegen unserer sportlichen Leistungen verfolgen. Es gibt auch echt eklige Kommentare. Das Problem bei den Männern ist Hatespeech.
Wo steht der Frauenfußball in zehn Jahren? Was wünschen Sie sich?
Kleinherne: Dass man die Kluft, was die Bedingungen und das Finanzielle angeht, weiter schließen kann. Dass man auch die letzten Frauenfußball-Hater zur Seite schafft und respektvoll miteinander umgeht. Dass es selbstverständlich wird, dass wir gefüllte Stadien haben und wir dann auch finanziell etwas vorzuweisen haben. Und dass es mehr Vorbilder für junge Mädels gibt, die anfangen, Fußball zu spielen. Dass man in zehn Jahren sagt: Krass, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es mal anders war.
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