Jonathan Tah: Vom sanften Riesen zum autoritären Abwehrboss im DFB-Team
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Es gibt dieses typische Tah-Lächeln. Fast unmerklich beginnt es in den schwarzen Augen mit einem frechen Funkeln. Dann ziehen sich die Mundwinkel leicht nach oben, und unter seinem dünnen Bart wird ein schwaches Grinsen sichtbar. Es ist ein überraschend schüchternes Lächeln. Ganz so, als würde sich der kleine Junge aus dem Hamburger Stadtteil Ottensen nicht sicher sein, ob er seine Freude öffentlich zur Schau stellen darf.
Als sei dem schüchternen Jona von einst in dem baumlangen kräftigen Kerl von heute nicht ganz klar, ob das Erlebte nur ein geträumtes Fußball-Märchen ist, das sich am Morgen in Luft auflöst. Jonathan Tah spielt die Saison seines Lebens, und sein jungenhaftes, sanftes Lächeln strahlt immer öfter in die TV-Kameras. "Ich erlebe aktuell sehr viele schöne Momente und genieße einfach, dass es so viel zu freuen gibt", sagt er. Das Tah-Lächeln hat in dieser Spielzeit Hochkonjunktur.
Jonathan Tah: Vom Wackelkandidaten zur Defensiv-Autorität
Seit 2015 vereidigt Jonathan Tah für Bayer 04 Leverkusen. Der Hamburger SV hatte den damals 19-Jährigen für 9,5 Millionen Euro ziehen lassen, weil die Hanseaten mal wieder Geld brauchten und zudem an dessen Talent zweifelten. Auch bei der Werkself galt der 1,95 Meter große und fast zwei Zentner schwere Abwehrbulle eine Weile als fußballerischer Wackelkandidat. Tah hegte sogar Abwanderungsgedanken, wechselte, um dem Nachdruck zu verleihen, zu dem nicht unumstrittenen israelischen Spielervermittler Pini Zahavi.
Bayer hätte Tah wohl ziehen lassen. Dann übernahm der spanische Trainer Xabi Alonso im Oktober 2022 die im Tabellenkeller dümpelnde Werkself und führte sie in der aktuellen Saison mit einer Rekordserie zur ersten deutschen Meisterschaft in der Vereinsgeschichte. Nun ist der 28-jährige Verteidiger gut 30 Millionen Euro wert und Stammspieler in Leverkusen und in der Nationalmannschaft bei der Heim-EM.
Auch seine Karriere als Nationalspieler verlief bislang eher schleppend. Zwar debütierte Tah bereits Anfang 2016 unter Bundestrainer Joachim Löw bei der 2:3-Niederlage gegen England im A-Team, doch wurde er danach bei keinem der großen Turniere in den Kader berufen.
Aktuell hat er 23 Nationalspiele auf dem Konto. "Ich war enttäuscht, dass ich für die letzten Turniere nicht berücksichtigt wurde", gesteht Tah. "Ich fühle mich bereit für die Euro. Vielleicht war ich die Jahre davor noch nicht auf diesem Level, das es braucht."
Jonathan Tah kickte bereits als Vierjähriger bei Altona 93. Entdeckt wurde er nicht von einem Scout, sondern der Sozialpädagogin Christina Harms, die in einem Altonaer Kinderhort arbeitete, den der siebenjährige Jonathan besuchte. Die Erzieherin gab ihrem Bruder, einem Jugendtrainer des Hamburger SV, einen Hinweis auf Jonathans Fußballqualitäten, und der Junge wechselte zum Europapokalsieger von 1983.
Kurz darauf zog er auch ins dortige Fußballinternat. "Ich hatte es zeitlich nicht geschafft, Schule und Fußball unter einen Hut zu bringen, weil die Wege innerhalb Hamburgs so weit waren, dass der Einzug ins Internat alles deutlich vereinfacht hat", sagt Tah. Nebenbei gelingt ihm mit dem Fachabitur der seiner Mutter Anja so wichtige Schulabschluss.
Tah: "Meine Heimat wird immer Hamburg bleiben"
Dabei hätte Jonathan Glao Tah auch eine Laufbahn in der Nationalmannschaft der Elfenbeinküste einschlagen können. Das afrikanische Land, das er zuletzt mit 14 Jahren besucht hat, kann immerhin auf Nationalspieler wie Didier Drogba oder Sébastien Haller verweisen.
"Ich bin in der deutschen Kultur groß geworden, habe mich aber schon immer für die afrikanische Seite interessiert. Auf die Wurzeln bin ich sehr stolz, und sie sind genauso ein Teil von mir wie die deutsche Kultur“, sagt er. Sein Vater Aquilas stammt aus einem kleinen Dorf, das im Krieg stark zerstört wurde, und lebt heute als Computer-Fachmann in Straßburg. Seine Mutter Anja zog Jona allein gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester Deborah auf. Tah sagt: "Meine Heimat wird immer Hamburg bleiben."
Tah wächst in Multikulti-Viertel in Hamburg auf
Die Lebensumstände waren nicht einfach. Große Extras gab es nicht, Mutter Anja musste den Cent umdrehen. Im Interview auf Bayer-TV nennt Tah als das Unnötigste, das er sich je gewünscht habe, eine exklusive Hose. Jonathan Tah, der mittlerweile ein Millionengehalt verdient, erklärt: "Die war sehr teuer für unsere damaligen Verhältnisse, aber ich wollte die unbedingt haben. Für meine Mutter war es nicht leicht, die zu besorgen."
Seine Stimme verrät echte Scham. Aber er sagt auch: "Ich bin mit viel Liebe, Freude am Leben und kultureller Vielfalt aufgewachsen." Es stimme zwar, dass er nicht in Luxusverhältnissen groß geworden sei, aber an das "multikulturelle Umfeld, die Toleranz und das positive Miteinander in meinem Viertel" habe er dennoch die schönsten Erinnerungen.
Jonathan Tah spricht fließend Englisch und Französisch
Der Hamburger Jung, der fließend Englisch und Französisch spricht, wird von seinen Fußballkollegen als bescheiden, ehrlich und sympathisch beschrieben. Ungewöhnlich ist vor allem die Ruhe, die er am Ball ausstrahlt und die ihn bereits als Teenager auszeichnete. Tah: "Am Ende ist es auch viel Kopfsache, das Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten, dass, egal was passiert, man nicht von seiner Idee abkommt. Das ist wie mit den meisten Dingen im Leben – je häufiger man sie wiederholt und verinnerlicht, desto besser wird man darin."
"Lebenswandel, Ernährung, Regeneration – Jonathan ist ein absoluter Profi", lobt ihn sein ehemaliger Bayer-Trainer Roger Schmidt. Und Kopfball-Legende Horst Hrubesch, der Tah in der U21-Auswahl trainierte, erklärt: "Was mich am meisten freut, ist sein Charakter. Er ist selbstbewusst und ehrlich, auch zu sich selbst." Schon damals als Junior, der alle Nachwuchsteams des Deutschen Fußball-Bundes durchlief, mahnte er selbstkritisch ein zu verbesserndes Aufbauspiel und mehr Führungsqualitäten bei sich an.
Tah: "Manche sagen, ich sähe auf dem Platz nicht aggressiv aus"
Die Metamorphose ist bemerkenswert. Der Innenverteidiger der deutschen Nationalmannschaft hat sich neben Antonio Rüdiger zu einem autoritären Abwehrboss entwickelt. So unumstößlich wie ein im Erdreich des Strafraums verwurzelter Baum. An Ehrgeiz hatte es ihm nie gemangelt. Im Gegenteil: Tah hatte sich zwischenzeitlich sogar ein eigenes 150-Quadratmeter-Fitnessstudio eingerichtet, um seine Athletik zu optimieren.
Doch fehlte ihm der letzte Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Seit dieser Saison weiß er wirklich, was er kann, überzeugt mit robuster Zweikampfstärke, klaren Ansagen sowie abgeklärtem Kopfball- und Stellungsspiel. "Viele Leute sagen, ich sähe auf dem Platz nicht aggressiv aus", sagt er. "Aber die Gegner sind da anderer Meinung. Die sind öfter mal sauer auf mich." Dabei agiert Tah äußerst fair. In dieser Saison wurde er nur alle fünf Spiele mit einer gelben Karte verwarnt.
Die Laufbahn des Jonathan Tah begann mit einem Blitzstart. Er war gerade einmal 17 Jahre, fünf Monate und 23 Tage alt, als ihn der Hamburger SV im August 2013 im Pokalspiel gegen SV Schott Jena in Minute 84 für Heiko Westermann auf das Feld schickte. "Das war ein Riesending für mich! Ich glaube, ich kam fünf Minuten vor Ende rein – und die sind dann gefühlt verflogen", sagt Tah und lacht. "Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich kein bisschen nervös war. Es war vor allem in dem Alter großartig für mich, mein erstes Profispiel zu machen."
Tahs Ziel: Beste Version seiner selbst werden
Seither hat Jonathan Tah sein Spiel perfektioniert. "Ich versuche stets, an mir und meinen Leistungen zu arbeiten. Dazu gehört natürlich auch, alles bis ins kleinste Detail zu analysieren. Das mache ich sowohl vor als auch nach Spielen. Meine Karriere ist aufs Leben bezogen kurz, und mein Ziel ist, aus dieser kurzen Zeit die beste Version meiner selbst zu werden", sagt er.
Manchmal kann er nachts schlecht schlafen, weil ihm Szenen des Spiels vom Tag im Kopf herumspuken. Um das nervöse Nervensystem zu kontrollieren, hat er bei einem Atemtrainer Übungen erlernt. Sein Sprintvermögen hat er gemeinsam mit einem Athletiktrainer auf 35 Stundenkilometer hochgeschraubt und gehört damit zu den schnellsten Fußballern der Liga. Und seit drei Jahren hilft ihm einmal pro Woche ein Psychologe beim richtigen Fokussieren auf Ziele.
Jonathan Tah ist kein öffentlicher Sprücheklopfer. Was er tut, das tut er einfach. Seine Freundin Luisa hat er ohne viel Aufsehen im vergangenen Sommer am Comer See geheiratet. "Über großes Tamtam im Privaten sprechen mag ich nicht", sagt er. Er ist auch der erste Spender, der 2020 in den Corona-Nothilfefonds der Sepp-Herberger-Stiftung einzahlt, und er beteiligt sich am Hilfsprojekt "We kick Corona" von Joshua Kimmich und Leon Goretzka.
Treibende innere Kraft ist sein evangelischer Glaube. Der Verteidiger betet regelmäßig – etwa vor den Mahlzeiten. Als sein afrikanischer Opa gestorben sei, habe er nicht viel mehr als seine Bibel hinterlassen, hat ihm sein Vater Aquilas mal erzählt und ein Zitat des Opas angefügt: "Alles, was dort drinsteht, wird euch helfen." Die Geschichte hat Eindruck bei Jonathan Tah hinterlassen und seinen Charakter geprägt. Sein Vorname bedeutet auf Hebräisch "Gott hat gegeben".
Tah spielt die Saison seines Lebens
Als das Sommermärchen im Jahr 2006 die Deutschen zwischen Kiel und Konstanz beseelte, war Jonathan Tah zehn Jahre alt. Damals besuchte er gemeinsam mit Schwester und Mutter ein paarmal das WM-Fanfest in Hamburg, um die Deutschland-Spiele zu sehen. Er ist begeistert von der "unglaublichen Stimmung im ganzen Land".
Tah erinnert sich: "Die Euphorie, die damals durch das Land ging, war unfassbar. Es herrschte eine Grundpositivität, die einfach jeden mitgezogen hat." 18 Jahre später ist Jonathan Tah bei einem Heim-Turnier nicht mehr Zuschauer, sondern Akteur. "Wenn wir eine Europameisterschaft spielen, wollen wir auch gewinnen. Sonst brauchen wir nicht zum Stadion zu fahren, sonst brauchen wir nicht auf den Platz zu gehen und alles reinzuhauen. Das muss unser Selbstverständnis sein. Gerade bei einer Heim-EM."
Jonathan Tah ist ein Spieler, der seine Zweifel mit Akribie und Disziplin bekämpft. Er sagt, er habe nie Angst gehabt, dass seine Karriere als Fußballer mal ins Stocken geraten könnte. Nicht mal, als er in Leverkusen und der Nationalmannschaft bei den Trainern nicht mehr erste Wahl war. "Absolut nicht. Ich glaube, dass alles im Leben ein Prozess ist", sagt er. "Es gibt immer Momente, in denen man Rückschläge erlebt. Aber diese Rückschläge braucht ein Fußballer, übrigens ebenso wie jeder Mensch, egal, was er tut oder macht, um daran zu wachsen." Dann lächelt Jonathan Tah wieder sein typisches Lächeln. Es ist die Saison seines Lebens.
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