Petkovic über Kerber-Abschied: Kämpferherz und goldenes Händchen
- Andrea Petkovic: "Angelique Kerber hatte die Fähigkeit, fester zuzupacken"
- Tennis: Angelique Kerber beendete nach Olympia 2024 ihre Karriere
- Kerber zeigte außergewöhnlichen Kampfgeist und mentale Stärke
Im Jahr unseres Herrn 2012 lag Angelique Kerber 2:6, 1:5 in der zweiten Runde in Indian Wells zurück – gegen eine Spielerin, die ein paar Jahre später ein Grand-Slam-Turnier gewinnen sollte und damals schon eine der besten Tennisspielerinnen der Welt war: die Amerikanerin Sloane Stephens. Wer Kerbers Karriere auch nur im Geringsten verfolgt hat, wird wissen, was jetzt kommt: Kerber drehte das Match, gewann im dritten Satz und erreichte eine Woche später das Halbfinale eines der wichtigsten Tennisturniere der Welt.
Ich saß verletzt vor dem Fernseher, konnte nicht schlafen und begriff, dass Kerber anders war als andere Tennisspielerinnen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwar schon hundertfach gegen sie verloren und wusste um ihre spielerischen Qualitäten, aber wir waren jung und unerfahren, noch nicht lange auf der globalen Tennistour dabei. Ich konnte nicht einordnen, ob diese Qualitäten einzigartig für Deutschland waren oder einzigartig für die Welt.
Andrea Petkovic: "Angelique Kerber mit Extraportion Willen"
Mittlerweile gibt es den von NBA-Spielern popularisierten Ausdruck "built different", den inzwischen jeder benutzt, der es aus Versehen geschafft hat, sich ein Butterbrot zu schmieren (ich meine vor allem Nick Kyrgios), aber Angelique Kerber war wirklich "built different". Sie hatte etwas in sich, eine Extraportion Willen, wenn es aussichtslos schien, eine Begabung, über Schmerzgrenzen zu gehen – körperliche wie emotionale –, die sie von den anderen unterschied.
Es ist ein Fluch der Zeit, dass die meisten Tennisfans, die Kerbers Karriere zu Beginn verfolgten, sich noch zu deutlich an Steffi Graf erinnern konnten. Ein Fluch, weil alles, was Kerber erreichte, mit der großen Steffi verglichen wurde und darüber manchmal vergessen wurde, was für eine einzigartige Tennisspielerin Angelique Kerber eigentlich war. War – denn Kerber hat bei den Olympischen Spielen ihre Karriere beendet. Mit einem dramatischen Match, in dem sie kämpfte, schwitzte, weinte, hoffnungslos zurücklag, sich noch einmal berappelte und alle Menschen, die das Match sahen, überraschte. Das schaffte sie bis zum Schluss ihrer Karriere: alle und jeden immer wieder aufs Neue zu überraschen.
Kerber stellte sich jedem aussichtslosen Kampf
Sie war nie die Größte oder Kräftigste, sie hatte nicht den besten Aufschlag oder fantastische Volleys. Was Kerber hatte, war ein Herz für den aussichtslosen Kampf wie keine andere, eine intuitive Spielintelligenz, gepaart mit einem goldenen Händchen. In großen Matches, wenn der Druck von außen schier unerträglich scheint, entwickeln die beiden Protagonisten auf dem Platz eine telepathische Verbindung. Sie sind in diesem Moment die Einzigen, die verstehen, wie es sich anfühlt, in dieser Situation zu sein.
Das verbindet sie im Geiste, obwohl sie dabei sind, alles daran zu setzen, den jeweils anderen zu besiegen. Es fühlt sich an wie ein geistiges Band, das gespannt wird, über das man in den Kopf des anderen hineingucken kann. Man stochert darin herum und versucht, eine Schwäche ausfindig zu machen, über die man zuschlagen kann. Das Ziehen und Zerren an den Nervensträngen beginnt. Es ist wie metaphorisches Tauziehen, bloß, dass man am Ende nicht im Schlamm landet, sondern ein Tennismatch verliert.
Sollten Sie jemals in das zweifelhafte Vergnügen kommen, sich mit Angelique Kerber in einem solchen geistigen Tauziehen zu befinden, dann rennen Sie um Ihr Leben. Sonst werden Sie es – metaphorisch natürlich – verlieren. Kerber hatte die Fähigkeit, fester zuzupacken und länger festzuhalten als die anderen. Die einzige andere Spielerin, die auf einem ähnlichen mentalen Level war, war Serena Williams. Sie hatte dazu noch die Kraft, den Aufschlag und die Größe.
Wie bei der Ex-Freundin, die man im Nachhinein betrachtet vielleicht hätte heiraten sollen, so begreift man manchmal auch bei Sportlern erst, was man an ihnen hatte, wenn sie gehen. Der Unterschied zwischen Angelique Kerber und Steffi Graf war immer, dass Steffi ein klein bisschen zu gut war, um die Menschen mitleiden zu lassen. Sie gewann zumeist glatt und klinisch. Angelique Kerber hingegen machte aus fast jedem Match eine Tragödie, ein Drama, eine emotionale Geisterfahrt. In dieser Hinsicht war sie Boris Becker ähnlicher als Steffi Graf.
Egal welche Ähnlichkeiten und Unterschiede es zwischen diesen Großartigen des deutschen Tennissports gibt, eines eint sie: Sie sind und waren "built different". Und wir werden sie vermissen.
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