Alexander Zverev: Darum scheitert der Tennis-Star immer wieder
- Alexander Zverev: Drittes Grand-Slam-Finale, dritte Niederlage
- Woran liegt es, dass Zverev kurz vor dem großen Triumph immer wieder scheitert?
- Zverev: „Ich bin einfach nicht gut genug, so einfach ist das.“
Es gibt dieses Foto, das Alexander Zverev ein paar Stunden nach seiner Niederlage gegen Jannik Sinner im Finale der Australian Open auf seinem Instagram-Account gepostet hat. Das Bild ist ein Selfie von Zverev, aufgenommen im Flugzeug zurück von Australien nach Europa. Man sieht ihn und Sinner nur wenige Sitzreihen voneinander getrennt in derselben Maschine. „Wenigstens dieses Mal hab ich es geschafft, vor dir zu sein, Jannik“, kommentierte Zverev unter dem Foto.
Seinen Humor hatte Deutschlands bester Tennisspieler also schneller wiedergefunden, als man dachte. Das war schon überraschend. Kurz nach dem 3:6, 6:7 und 3:6 gegen den Südtiroler Sinner im Endspiel des ersten Grand-Slam-Turniers des Jahres Mitte Januar hatte Zverev noch derartig zerstört gewirkt, dass man sich Sorgen machen musste. Die dritte Niederlage in einem Major-Finale, sie zehrte schwer an Zverev und brachte ihn ins Wanken. Hinterher stellte er das eigene Leistungsvermögen schonungslos infrage.

Das ist nicht neu bei ihm. Der 27-Jährige neigt dazu, sich nach großen Enttäuschungen auf dem Platz immer tiefer einzubuddeln. Aber dieses Mal in Melbourne hatte es noch mal eine andere Dimension. „Es ist doof, neben dem Pokal zu stehen und ihn nicht anfassen zu dürfen. Dennoch, an Jannik: Du bist der mit Abstand beste Spieler der Welt. Ich habe alles versucht, aber keiner hat den Pokal mehr verdient als du. Ich bin einfach nicht gut genug, so einfach ist das“, sagte er noch auf dem Court der Rod Laver Arena.
„Ich bin einfach nicht gut genug.“
Es ist der Satz, der hängen blieb. Denn weitergedacht bedeutet er: Ich werde es nicht schaffen. Der Sehnsuchtsort ist zu weit weg. Es klingt alarmierend für einen, der seit Jahren zu den konstantesten Spielern auf der Tour gehört. Der wahrscheinlich der beste Aufschläger in seinem Sport ist. Der mit die beste Rückhand hat. Der alles kann auf dem Court und dazu eine Trainingsintensität an den Tag legt, die in der Weltspitze ihresgleichen sucht.
Woran hakt es also? Was ist das Problem von Zverev?
Ortswechsel Buenos Aires, Mitte Februar:
Um den Tennisspieler Alexander Zverev besser verstehen zu können, braucht es den Blick in seinen Alltag. Hier in Argentinien spielt der Deutsche zum ersten Mal nach seiner bedeutungsschweren Niederlage gegen Sinner, der bis Anfang Mai seine Dopingsperre absitzt.
„Es ist doof, neben dem Pokal zu stehen und ihn nicht anfassen zu dürfen. Ich bin einfach nicht gut genug, so einfach ist das.“
Aires ist ein eher kleineres, aber stimmungsvolles ATP-250er-Turnier. Zverev ist an Position 1 gesetzt. Er spielt erstmals den sogenannten „Golden Swing“, das Turnier in der argentinischen Hauptstadt und wenig später auch in Rio de Janeiro. Statt sich bei Hallen-Events in Europa, die Zverev sonst zu dieser Zeit am Anfang der neuen Saison mitgenommen hat, auf sein großes Ziel Roland Garros Ende Mai vorzubereiten, spielt er nun noch eher auf Sand, seinem Lieblingsbelag.
Er will so schnell wie möglich auch seinen immer noch recht neuen Schläger auf dem langsameren Untergrund testen. Zverev ist ein Gewohnheitstier, aber er will jetzt ein paar Sachen umstellen. Dazu gehört auch sein Kalender. In Buenos Aires läuft es nicht gut. Der Olympiasieger von Tokio gewinnt nur ein Match, dann scheidet er gegen den Local Hero Francisco Cerúndolo aus. Es ist ein bisschen ein Rückfall in alte Zeiten. Zverev ist klar der bessere Spieler, aber dann gibt es Umstände, die ihn aus dem Konzept bringen: Das Publikum steht gnadenlos hinter dem jungen Argentinier, es ist eine fast feindselige Atmosphäre. Ein Zuschauer pöbelt Zverev beinahe unablässig an. Auch eine Wetterunterbrechung mitten im Match bringt seinen Rhythmus durcheinander. So entgleitet ihm dieses Spiel. Der Re-Start nach dem Melbourne-Final-Desaster misslingt.
So absurd es klingt, aber für Zverev haben diese kleinen Niederlagen, die den absoluten Weltklasse-Spielern innerhalb einer Saison immer mal passieren, auch etwas Gutes. Weil sie demütig machen und so Eigenschaften zutage fördern, die er für das Erreichen seiner ganz persönlichen sportlichen Ziele dringend braucht. „Ich muss mich immer weiter verbessern, ich darf nicht stehen bleiben. Stehen ist Rückschritt. Dann ziehen die anderen an dir vorbei“, sagt Zverev am Rande des Turniers in Buenos Aires zu Sports Illustrated. Und dann schlägt er den großen Bogen zu dem, was ihn wirklich antreibt: den Gewinn seines ersten Grand-Slam-Turniers und das Ziel, die Nummer eins im Welttennis zu werden: „Ich muss dafür Wege finden.“
Was er auch meint, sind Wege gegen den Trend. Denn der hat sich mit der Finalniederlage gegen Sinner bei den Australian Open im neuen Tennisjahr in gewisser Weise erneut fortgesetzt. Ein Schatten hatte sich ja schon über ein an sich sehr erfolgreiches Jahr 2024 mit 69 Einzelsiegen auf der Tour und dem Gewinn von zwei Masters-Turnieren gelegt. Zur Wahrheit gehört aber eben auch: Zverev schied entweder in der entscheidenden Phase eines bedeutsamen Tennis-Events aus – oder erst im Finale. Gegen Daniil Medvedev unterlag er bei den Australian Open im vergangenen Jahr dramatisch in fünf Sätzen im Halbfinale. In Paris scheiterte er beinahe ebenso dramatisch im Endspiel an Carlos Alcaraz.
Die beiden Niederlagen gegen Taylor Fritz in Wimbledon (Achtelfinale) und bei den US Open (Viertelfinale) rundeten die unbefriedigende Major-Bilanz ab. Zum Jahresabschluss bei den ATP-Finals in Turin verlor der Deutsche im Halbfinale wieder gegen Fritz, und man fragte sich spätestens dort: Wie oft wird es in Zverevs Karriere noch passieren, dass er sich in den entscheidenden Momenten großer Spiele und Turniere nicht auf sich verlassen kann?
Die Sache ist diffizil. Selbst Zverev kann die Frage nicht beantworten. Kritiker wie Boris Becker und zuletzt auch Roger Federer werfen ihm immer wieder vor, in großen Matches zu passiv zu sein und sich dadurch in ein defensives Spielsystem – sozusagen wider die eigene Spielanlage – drängen zu lassen. Zverev würde dann zu weit hinter der Grundlinie stehen. Auch der Aufschlag würde wackeln. Becker und andere Experten sprechen auch gerne über die fehlende mentale Härte bei Zverev. Manche fordern gar, dass Zverev sich endlich von den familiären Einflüssen ausgehend von seinem Trainerteam um Vater Alexander Senior und Bruder Mischa lösen müsse. Neue Impulse von außen könnten doch helfen. Oder wenigstens ein neuer „Super-Coach“, so wie gerade Andy Murray bei Novak Djokovic oder Becker es eine Zeit lang bei Holger Rune war.

Aber all das ist zu kurz gedacht – und entspricht so gar nicht Zverevs Mindset. Sich selbst zu therapieren und so auch neu zu motivieren, ist eher seine Stärke. „Um ehrlich zu sein, mir hilft niemand dabei, ich muss es mit mir selbst ausmachen, es selbst verarbeiten“, sagt Zverev. Er meint die Niederlage gegen Sinner. Und was ist mit einem neuen Gesicht im Team? Ein Spezialist vielleicht, einer fürs Mentale? „Momentan ist das kein Thema, über das wir sprechen“, sagt der 27-Jährige.
Die ganze Trainer-Familie, zu der auch die kluge und eher von außen beobachtende Mutter Irina zählt, hält davon nichts. „Wenn es hart auf hart kommt in einem Match, guckst du genau eine Person an – nicht vier oder fünf. Du brauchst eine Person, der du vertrauen kannst“, hat einmal Bruder Mischa gesagt. Natürlich müsse jeder Spieler „für sich entscheiden“, was für ihn das beste Trainer-Set-up ist. Dass externe Ratgeber im Vergleich zu Familienmitgliedern schonungsloser analysieren können, glaubt er aber nicht: „Leute, die von dir Geld bekommen, sagen einem weniger ehrlich die Meinung als die, die kein Geld bekommen – da spreche ich aus Erfahrung.“

Die Zverevs bleiben im Coaching lieber unter sich. Und Alexander Zverev fährt damit auch gut. Er hat es so zur Nummer zwei im Ranking geschafft. Neue Lösungen auf dem Platz findet er auch. Selbst wenn sie in dem speziellen Fall nicht von Erfolg gekrönt waren. Ein Beispiel: Gegen Sinner im Endspiel von Melbourne stand er einen Meter näher an der Grundlinie als im Durchschnitt. Im ersten Satz servierte er 81 Prozent erste Aufschläge – eine fantastische Quote.
All die Dinge, die Zverev immer wieder vorgeworfen werden, hat er besser gemacht. Und doch hat er das Match klar verloren. Andrea Petkovic, die ehemalige deutsche Weltklassespielerin, gehört auch international zu den anerkanntesten Expertinnen im Tennis-Zirkus. Petkovic hat das Spiel mit Blick auf Zverev so analysiert: „Von dem Moment an, als er gemerkt hat, der andere ist besser, geht es an die Substanz. Das tut dann noch mal anders weh im Ego. Es zerstört dich innerlich, weil du weißt: Du spielst gut, aber es reicht nicht. Die Energie geht dann Stück für Stück aus dir heraus“, sagte Petkovic in einer Episode ihres Podcasts „Becker Petkovic“.

Zverevs diskussionswürdiger Satz („Ich bin nicht gut genug“) bei seiner Verlierer-Rede in Melbourne lässt sich dadurch ein Stückchen besser verstehen. „Manchmal sage ich auch Dinge, die ich bereue“, sagte Zverev vor dem Turnier in Buenos Aires – und nahm damit den Satz in gewisser Weise zurück. Zverev hat, so scheint es mit ein bisschen Abstand zum verlorenen Endspiel in Australien und mit immer noch genug Vorlauf bis zu seinem nächsten Grand-Slam-Anlauf Ende Mai in Paris bei den French Open, eine wichtige Erkenntnis für sich selbst und mit sich selbst in den vergangenen Wochen herausgearbeitet: Es gibt einen Unterschied zwischen grundsätzlicher mentaler Stärke (die er ja besitzt) und dem speziellen Glauben an sich selbst in einem großen Tennis-Finale.

Jannik Sinner, der Weltranglistenerste, hat die Lage um Zverev mal so beschrieben: „Wir alle im Locker Room sind überzeugt davon, dass Sascha irgendwann ein Grand-Slam-Turnier gewinnen wird. Nur er hat das Gefühl, dass er es nicht kann. Das muss er überwinden.“ Zverev ist jetzt mittendrin in diesem Überwindungsprozess. „Wenn ich weiterhin so hart und akribisch arbeiten werde, dann wird es mir auch gelingen. Ich bin mir sicher“, sagt er.
Zverev klingt dabei wie einer, der am besten sofort die letzte Stufe auf der Karriereleiter nach ganz oben erklimmen will. Viele sagen, dass, wenn er es erst mal geschafft hat mit seinem ersten Major-Titel und der Nummer eins, dann vieles von selbst laufen würde. Dass es wie eine Befreiung für ihn wäre. Zverev muss jetzt nur noch durch diese schwer zu öffnende Tür hindurchgehen. Es liegt ganz allein an ihm. „Wenn ich weiterhin so hart und akribisch arbeiten werde, dann wird es mir auch gelingen. Ich bin mir sicher.“
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