Tour de France

Phänomen Pogacar: Das steckt hinter seinen außergewöhnlichen Erfolgen

Tadej Pogacar geht wieder als Titelverteidiger und Topfavorit bei der Tour de France an den Start. Was macht den Ausnahmefahrer so dominant? Wer kann ihm gefährlich werden? Und ist Pogacar wirklich über alle Zweifel erhaben?

Radprofi Tadej Pogacar
Credit: Getty Images
 

 

Dieses Frühjahr hat Tadej Pogacar jedem Rennen, an dem er teilnahm, seinen Willen aufgezwängt. Das ist eigentlich kaum möglich, doch der junge Kerl mit dem Lausbubenlächeln, der aus seinem Helm herauslugenden Haartolle und der Lust an kauzigen Späßen besitzt ein Talent, eine Kraft und eine Grandezza auf dem Rad, die derzeit unerreicht sind.

Das sah schließlich so aus: Sieg bei der UAE-Tour im Februar inklusive zwei Etappenerfolgen, Sieg beim Schotterpistenklassiker Strade Bianche Anfang März – trotz eines Sturzes. Es folgte Mitte März Platz drei bei Mailand–Sanremo; geschlagen wurde Pogacar kurz vor dem Ziel, erst im Sprint. Danach: Sieg bei der Flandern-Rundfahrt, Belgiens größtem Renntag, am 6. April; Rang zwei bei Paris–Roubaix eine Woche später, wo ihn ein Fahrfehler und ein leichter Sturz um den möglichen Erfolg brachten. Danach wurde er am 20. April Zweiter beim Amstel Gold Race – auch hier setzte Pogacar die Akzente und verlor im Sprint einer Dreiergruppe. Es folgten zwei Triumphe: Sieg beim Flèche Wallonne drei Tage später und zum Abschluss seiner Frühjahrskampagne am 27. April bei Lüttich–Bastogne–Lüttich, dem ältesten Klassiker des Radsportkalenders.

Anschließend verabschiedete sich Pogacar zunächst aus dem Wettkampfgeschehen, um für die Tour de France zu trainieren, die am 5. Juli in Lille beginnt und am 27. Juli in Paris endet. Der große Favorit des Rennens ist vor allem er: Tadej Pogacar, der hochbegabte Siegfahrer aus Komenda in Slowenien, 26 Jahre jung, Team UAE-Emirates und bereits dreimaliger Gewinner der Frankreich-Rundfahrt.

Tadej Pogacar: Das steckt hinter seinen Erfolgen

Ein Familienmensch, dem seine Eltern Mirko, ein Industriedesigner, und Marjeta, eine Französischlehrerin, sowie seine drei Geschwister Barbara, Tilen und Vita sehr wichtig sind. Radsport ist auch ein großes Thema in seinem Wohnort Monaco. Pogacar ist mit der slowenischen Profi-Radsportlerin Urska Zigart verlobt, mit der er in dem Fürstentum zusammenlebt.

Pogacars Erfolgsbilanz ist für einen Klassikerjäger und Klassementfahrer außergewöhnlich: Allein in diesem Frühjahr sammelte er sieben Erfolge bei 14 Renntagen – und kommt damit auf eine sensationelle Siegquote von 50 Prozent. Im Vorjahr gewann er sogar 25-mal, insgesamt passierte er das Ziel in der World Tour bereits 95-mal als Erster. Das entspricht, verteilt auf derzeit sechseinhalb Profijahre in der höchsten Kategorie, einem Schnitt von rund 15 Siegen pro Jahr – das ist in dieser frappierenden Regelmäßigkeit eine Sensation.

Tadej Pogacar
Tadej Pogacar
Credit: Getty Images
x/x

Wie er das macht? Pogacar selbst lächelt bei einer solchen Frage, weil er zwar ahnt, warum sie gestellt wird, aber dazu nur sagen kann, dass er immer dann losfahre, wenn er spüre, dass es so weit sei. Dass ihm daraufhin zumeist niemand mehr zu folgen in der Lage ist – dafür kann er ja nichts.

Auf der Suche nach der Erklärung des Phänomens weiß der Kölner Nils Politt weiter. UAE-Teamkollege Politt ist einer der wichtigsten Helfer des slowenischen Phänomens. Er sagt: „Es ist, als hätte Tadej einfach eine ganz andere Übersetzung in den Beinen“, sagt Politt – als verfüge er über „einen Gang mehr als die anderen“. Außerdem sei Pogacar „mental außergewöhnlich stark und ein Kämpfer. Er kann auch Rückschläge gut verarbeiten“.

Pogacar gegen Jonas Vingegaard bei der Tour de France

Die Frage, ob Pogacar überhaupt Schwächen besitze, beantwortet Politt eindeutig: „Nein, ich denke, die hat er nicht. Tadej ist einfach ein mit besonderen Radsport-Genen ausgestattetes Naturwunder. Ich staune selbst immer wieder über ihn.“

Letztlich ist Pogacar ein Instinktfahrer, der dank seines offenbar stets gefüllten Energietanks die Entscheidung in wichtigen Rennen suchen kann – wo immer ihm danach ist. Das drückt sich dann so aus: Er ist überlegen in den Bergen, zudem ein großartiger Zeitfahrer und obendrein endschnell.

Dank seiner Überlegenheit in den steilen Anstiegen, seiner Stärke in den Abfahrten und im Kampf gegen die Uhr gewann Pogacar den Giro d’Italia im Mai 2024 souverän – mit sechs Etappenerfolgen und fast zehn Minuten Vorsprung in der Gesamtwertung. Und mit seiner simplen, aber unerhört effektiven Beschleunigungstaktik – einfach mal das Tempo erhöhen – dominierte er im Juli 2024 die Tour de France: Auch beim größten und wichtigsten Radrennen der Welt gewann er sechs Tagesetappen, darunter beide Pyrenäen- und drei Alpen-Abschnitte sowie das finale Zeitfahren in Nizza. Pogacar holte somit das schwer zu realisierende Giro–Tour-Double – als erster Fahrer seit Marco Pantani 1998.

Tadej Pogacar
Tadej Pogacar
Credit: Getty Images
x/x

Sein Herausforderer Jonas Vingegaard aus Dänemark – 2022 und 2023 Gewinner der Tour de France – hatte angesichts von Pogacars Dominanz bei dessen drittem Tour-Erfolg nach 2020 und 2021 schließlich 6:17 Minuten Rückstand in der finalen Ergebnisliste.

Und Ende September gewann Pogacar auch noch das WM-Rennen von Zürich – nach einem fulminanten Solo durch Deutschland. Bei der Tour startet er also zunächst im regenbogenfarbenen Dress des Weltmeisters.

Tadej Pogacar: "Möchte alle großen Rennen mindestens einmal gewinnen"

Angesichts von so viel Talent und Dominanz fallen die UAE-Teambesprechungen entsprechend kurz aus.mNormalerweise präsentiert der sportliche Leiter einer Mannschaft einen elaborierten PowerPoint-Vortrag auf dem großen Fernseher im Teambus. Bei Pogacar ist das anders. Es wird kurz die Topografie der Strecke erklärt, ehe – vor schweren Bergetappen – laut Politt folgende Taktik ausgegeben wird: „Ach, auch egal, wann willst du losfahren, Tadej?“

Bisweilen entscheide Pogacar zudem „mitten im Rennen, dass er nun etwas ganz anderes machen möchte als das, was wir im Bus besprochen haben“, sagt Politt.

Die Konkurrenz kann – wie zuletzt in der Ära des belgischen Radsport-Monarchen Eddy Merckx ab Ende der 1960er-Jahre – angesichts dieser Dominanz in den Rundfahrten wenig ausrichten. Bei den Klassikern gibt es allerdings Gegenwehr: Im Frühjahr bot sich Pogacar bei Mailand–Sanremo, der Flandern-Rundfahrt und Paris–Roubaix epische Duelle mit dem Niederländer Mathieu van der Poel. Diese Serie verlor Pogacar sogar mit 1:2.

Doch der Slowene gewann bereits neun der sogenannten Monumente des Radsports: Zweimal die Flandern-Rundfahrt, dreimal Lüttich–Bastogne–Lüttich und viermal die Lombardei-Rundfahrt. In seiner Sammlung fehlen nur noch Mailand–Sanremo und Paris–Roubaix.

Und Pogacars Ziel ist klar umrissen: „Ich möchte alle großen Rennen des Radsportkalenders mindestens einmal gewinnen.“ 

Tadej Pogacar
Tadej Pogacar
Credit: Getty Images
x/x

Merckx wurde wegen seiner Gefräßigkeit auf dem Rad als „Kannibale“ bezeichnet – als furchteinflößende Referenzfigur eines Sports, in dem die anderen vor seiner Klasse kapitulieren mussten. Er ließ den anderen allenfalls ein paar Krümel übrig – den ganzen Kuchen aber sicherte er sich.

Merckx schätzt Pogacar sehr: „Er ist ein absolut außergewöhnlicher Champion. Ich sehe in ihm den neuen Kannibalen.“ Über diesen Kannibalen 2.0 sagt Merckx weiter: „Wenn Pogacar gesund bleibt, kann er die Tour mehr als fünfmal gewinnen, ganz gewiss. Er ist ein Geschenk für den Radsport.“ Aber Merckx betont auch: „Ich hatte die besseren Gegner.“

Bei der Tour fällt Pogacars Frühjahrsgegner Mathieu van der Poel als Konkurrent allerdings aus – er ist zu schwer für die langen Anstiege. In Frankreich trifft Pogacar stattdessen auf Jonas Vingegaard – jenen Rivalen, der ihn 2022 und 2023 bezwingen konnte.

Pogacar: "Zweifel an einer Topleistung gibt es immer"

In diesem Jahr hofft Tour-Direktor Christian Prudhomme – aus Gründen der möglichst langanhaltenden Spannung und des damit verbundenen, dauerhaften Interesses – auf einen packenden Zweikampf zwischen den beiden. „Pogacar mag im Vorteil sein, aber sollte sich Vingegaard in Topform befinden, ist er herausragend im Hochgebirge“, sagt Prudhomme.

Doch Pogacar „ist einfach ein spektakulärer Fahrer, der in der Lage ist, schon sehr früh im Rennen zu attackieren, womit er das Publikum – vor allem die junge Generation – für sich einnimmt.“

Die Zuschauer feiern in der Tat den Souverän Pogacar überschwänglich. Das gilt für die Franzosen ebenso wie für die zunehmend bei der Tour sichtbaren slowenischen Fans. Nicht selten verteilt Pogacar während der Rennen sogar Kleidungsstücke oder Trinkflaschen ans Publikum am Straßenrand. „Pogacar ist faszinierend“, sagt Prudhomme.

Gleichwohl stellt sich bei einem solch beeindruckenden Dominator wie Pogacar die Frage, ob das alles mit rechten Dingen abläuft – zumal er selbst nach härtesten Anstrengungen nicht müde wirkt, sondern lächelnd im Zielbereich umherspringt.

Tadej Pogacar
Tadej Pogacar
Credit: Getty Images
x/x

Man muss jedenfalls nicht lange suchen, um zweifelhafte Personen in seinem Umfeld zu entdecken. Teamchef von Pogacars UAE-Team Emirates ist der Schweizer Mauro Gianetti, der bei der Tour 2008 als Boss des Teams Saunier-Duval im Zentrum eines großen Tour-Skandals stand. Die Mannschaft wurde damals von der Frankreich-Rundfahrt ausgeschlossen, weil sich die Dopingfälle während des Rennens häuften. Gianetti selbst überlebte einen Zusammenbruch als Aktiver im Jahr 1998 nur knapp, das Dopingmittel Perfluorcarbon soll bei diesem Zwischenfall eine Rolle gespielt haben. Gianetti wurde von Tourdirektor Prudhomme bereits als „Person von schlechtem Ruf“ bezeichnet – aktuell wird er nur geduldet. Pogacars sportlicher Leiter Joxean Fernandez Matxin war zwischen 2004 und 2008 ebenfalls für Saunier-Duval tätig.

Pogacar selbst sagte nach seinem Toursieg 2024: „Zweifel an einer Topleistung gibt es immer, im Radsport erst recht, weil er so eine dunkle Vergangenheit besitzt.“ Der Radsport, so Pogacar, sei wegen seines umfangreichen Testprogramms aber derzeit „der sauberste Sport der Welt“. Und schließlich „solltest du nichts einnehmen, was deiner Gesundheit und deinem Herzen schadet – das ist es nicht wert, das wäre sehr dumm. Es wäre Wahnsinn, die Gesundheit wegzuwerfen und dein Leben zu riskieren.“ Natürlich wolle er so oft wie möglich gewinnen, „aber das Wichtigste ist, dass du gesund bist und bleibst“.

Nach der Tour könnte es gleich weitergehen mit der Pogacar-Erfolgssaga. Es ist gut möglich, dass er im Spätsommer die Spanien-Rundfahrt im wahrsten Sinne des Wortes in Angriff nehmen wird. Falls er sich dazu entscheidet, gibt es auch dort vor allem einen Favoriten: den erstaunlich talentierten Tadej Pogacar, das Radsport-Phänomen.



Mit dem Sports Illustrated-Chefredakteurs Newsletter erhalten Sie aktuelle Sport-News, Hintergründe und Interviews aus der NFL, der NBA, der Fußball-Bundesliga, der Formel 1 und vieles mehr.

NEWSLETTER ABONNIEREN 


Mehr Sport-News

Zehn Jahre nach dem schweren Skiunfall von Michael Schumacher am 29. Dezember 2013 fragen sich alle Formel-1-Fans weiterhin, wie es ihrem Idol geht. Schumacher-Anwalt Felix Damm erklärt, warum es keine Nachrichten zum Gesundheitszustand von Schumi gibt.

Fußball-Fans aufgepasst! Der Pay-TV-Sender Sky erhöht seine Preise. Das teilte der Anbieter in einer Mail am Dienstag mit. Demnach müssen Sky-Sport-Abonnenten in Zukunft tiefer in die Tasche greifen, wenn sie Fußball sehen wollen.

Mit ihrem epischen Match im French-Open-Finale 2025 sicherten sich Jannik Sinner und Carlos Alcaraz einen Platz im Sports-Illustrated-Ranking der zehn größten Tennismatches aller Zeiten.