Kasia Niewiadoma über Tour-de-France-Sieg: "Kann mich an nichts erinnern"
- Radsport: Katarzyna "Kasia" Niewiadoma im Interview
- Tour-de-France-Siegerin: "Gewünscht, dass dieser Tag nie endet"
- Niewiadoma: "Das ist für mich das beste Mittel, um glücklich zu sein"
SPORTS ILLUSTRATED: Ihr Triumph bei der Tour de France Femmes 2024 ging als der wohl dramatischste und engste Tour-Sieg aller Zeiten in die Geschichte ein. Mit vier Sekunden Vorsprung in der Gesamtwertung beendeten sie die achte und letzte Etappe. Was ging in Ihnen auf den letzten 500 Metern, dem letzten Anstieg vor? Hatten Sie die Zeit im Kopf? Denkt man an etwas bestimmtes?
Katarzyna "Kasia" Niewiadoma: Nein. Ich war komplett im Tunnel. Es war alles mit so viel Schmerz verbunden. Ich kann mich an nichts erinnern. Ich wusste nur, dass ich das Rennen beenden wollte. Erst nach der Ziellinie setzen meine Erinnerungen wieder ein.
"Kasia" Niewiadoma: "Momente vergehen, aber Erinnerungen bleiben für immer"
SPORTS ILLUSTRATED: Wie waren die Erlebnisse dann in den Tagen danach? War der Sieg und alles damit einhergehende manchmal vielleicht sogar etwas überfordernd?
Niewiadoma: Ich würde nicht sagen, dass es überfordernd war. Wir haben etwas erreicht, wovon wir alle immer geträumt haben. Deswegen haben wir auch alle gemeinsam die Euphorie und das Glück genossen. Wir haben alle so lange auf diesen Erfolg gewartet, ein ganzes Jahr lang harte Arbeit steckte in dieser Tour. Es war so einzigartig, dass wir uns gewünscht hatten, dass dieser Tag niemals enden sollte. Es ist nicht einfach, dieses Hoch und diese Gefühle überhaupt zu beschreiben.
SPORTS ILLUSTRATED: Nun sprechen wir mehrere Wochen nach dem Tour-Sieg. Wie fühlen Sie sich heute?
Niewiadoma: Es fällt mir schwer, mich an die Intensität dieser Gefühle und dieser Momente zu erinnern. Momente vergehen leider, aber Erinnerungen bleiben für immer.
SPORTS ILLUSTRATED: Wie erholten Sie sich? Der ehemalige Rad-Profi Jan Ullrich erzählte beispielsweise einst, dass ihm zwei Wochen Urlaub direkt nach den Touren nie reichten, da bei ihm Kopf und Körper erstmal Zeit brauchte, um überhaupt in einen Erholungsmodus herunterzufahren.
Niewiadoma: Das kann ich verstehen. Während den Rennen ist alles so intensiv und durchgetaktet. Man ist ständig umgeben von Menschen und Lärm. Es passiert so viel – und es ist gleichzeitig so kräftezerrend. Und plötzlich ist das Rennen vorbei, alles ist still und man ist ganz allein. Deswegen ist es manchmal nicht einfach, sich wieder an das Leben ohne Rennen zu gewöhnen.
SPORTS ILLUSTRATED: Was hilft also Ihnen dabei?
Niewiadoma: Die letzten Monate waren eine große Herausforderung. Ich habe mich für die Tour de France und zusätzlich die Olympischen Spiele vorbereitet. Nach dem Tour-Sieg war ich dann gefühlt auch wochenlang nur in Interviews. Alles, was ich dabei aber im Kopf hatte: Ich wollte einfach frei sein und ohne Druck, ohne Training nur für mich Radfahren. Das ist für mich immer das beste Mittel, um glücklich zu sein. Genau das habe ich dann auch gemacht.
SPORTS ILLUSTRATED: 2024 markierte bereits die dritte Ausgabe der Tour de France Femmes und auch Ihre dritte Teilnahme. Was bedeutet das Ihnen persönlich?
Niewiadoma: Als ich Profi-Radfahrerin wurde und das Leuten erzählte, reagierten damals viele gleich: „Toll, dann fährst du doch bestimmt Tour de France!“ Wenn ich dann immer verneinte, dass es keine Tour de France der Frauen gäbe, hatte ich oft das Gefühl, dass sie denken würden, Radsport der Frauen sei deshalb unterklassig oder amateurhaft. Diese Bühne nun zu haben, an diesem historischen Wettbewerb teilzunehmen, ist etwas sehr besonderes – und gleichzeitig auch erst der Anfang für den Frauen-Radsport. Ich freue mich also sehr auf die Zukunft und was in diesem Sport noch passieren kann.
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