Olympische Spiele

Fechterin Ndolo startet nicht mehr für Deutschland und zahlt jetzt alles selbst

Fechterin Alexandra Ndolo träumt von einer Olympiamedaille in Paris 2024. Ihr bisher größter Erfolg war WM-Silber 2022 mit dem Degen. Aber ihre wichtigsten Gefechte lieferte sie sich abseits der Planche. Ein Porträt einer spannenden Sportlerin.

Fechterin Alexandra Ndolo
Credit: Getty Images

Alexandra Ndolos Lebens- und Karriereweg ist sicher kein ganz gewöhnlicher. Wobei, was soll das schon heißen? Gewöhnlich? Und wer will das überhaupt sein? 
Ndolo wurde 1986 in Bayreuth geboren. Sie war, wie ihre fünf Jahre ältere Schwester Roma, nicht nur sportlich begabt, sondern spielte auch Geige und Klavier. Gesunder Geist, gesunder Körper – das war das Credo ihrer Eltern.

Vater Donald war Sozialanthropologe und Ethnologe, stammte aus Kenia. Mutter Barbara ist Polin, studierte Altphilologin und Sprachlehrerin für Polnisch an der Uni. Auch die Ndolos sprachen zu Hause polnisch, draußen deutsch, und Papa Donald kochte afrikanisch, "aber", erinnert sich Ndolo, "auch Sachen, die er in Polen aufgeschnappt hatte". 

Alexandra Ndolo (r.)., wie so oft, in der Offensive. Hier bei der EM 2019 - und noch für Deutschland
Alexandra Ndolo (r.)., wie so oft, in der Offensive. Hier bei der EM 2019 - und noch für Deutschland
Credit: Imago
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Die Normalität der Familie Ndolo – zu der für die Schwestern immer auch der Sport gehörte. Alexandra begleitete Roma bereits mit vier zum ersten Mal zur Leichtathletik, und als das Graf-Münster-Gymnasium, Romas Schule, die Neigungsgruppe Modernen Fünfkampf anbot, gingen beide dorthin. Der Mix aus Laufen, Fechten, Schwimmen, Reiten und Schießen sollte Alexandras erste sportliche Liebe werden.

Weltklasse-Degenfechterin Alexandra Ndolo

Als sie zehn war, starb der Vater. Mutter Barbara lernte einen neuen Mann kennen, es kamen zwei weitere Töchter zur Welt. Die Verbindung nach Kenia aber, der Heimat ihres verstorbenen Mannes, hielt Barbara über die Jahre stets aufrecht. Tochter Alexandra sollte sie einige Jahre später noch intensivieren.

Dies ist nicht nur die Geschichte der Weltklasse-Degenfechterin, als die man Alexandra Ndolo kennt. Denn "nur" Fechterin war sie nie. Sie auf diesen Aspekt zu beschränken wäre halbherzig und ungenau. Und ließe jene Aspekte ihrer Persönlichkeit außen vor, die sie wohl noch weitaus mehr auszeichnen als ihre Leistungen auf der Planche. Ndolo ist Aktivistin, Humanistin und, ja, seit einigen Jahren auch Sportfunktionärin. Sie holte wichtige Medaillen für Deutschland, nun aber kämpft sie für Kenia – und das nicht nur um Titel.

Alexandra Ndolo
Alexandra Ndolo
Credit: Felix Strosetzki
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Aber zurück zur Chronologie: Mit elf entdeckte die Moderne Fünfkämpferin Ndolo ihre Vorliebe für das Degenfechten, eine Teildisziplin ihres Sports. Zum Spaß nahm sie immer wieder an Turnieren der Spezialistinnen teil und wurde mit 13, und zur Überraschung der allermeisten, Deutsche Juniorenmeisterin. Ein Erfolg, der auch die Verantwortlichen des Deutschen Fechter-Bundes auf den Plan rief. Und so traf Ndolo erstmals auf den damaligen Bundestrainer der Degenfechterinnen, Manfred Kaspar, den sie einen "Mad Genius" nennt, ein verrücktes Genie. Er sollte ihr Leben verändern.

Alexandra Ndolo: Eltern können sich Internat nicht leisten

Das aber sollte noch ein bisschen dauern. Zuerst war da Enttäuschung. Den Platz auf dem Internat des Deutschen Fechter-Bundes in Bonn, den man ihr anbot, konnte sich die Familie nicht leisten. Ndolo blieb vorerst in Bayreuth und beim Modernen Fünfkampf, wo ihr mit 16 die Trainingsgruppe und auch der Traum vom Leistungssport auseinanderbrachen.

"Dann saß ich da und dachte: Okay, Leistungssport funktioniert hier halt jetzt nicht. Dann mache ich ganz normal meine Schule und nur so ein bisschen Sport." Nach einem Auslandsjahr in Arizona in der 11. Klasse, wo sie unter anderem Highschool-Basketball spielte, wollte sie es im Fechten aber doch noch mal wissen. Mit 19 fuhr sie wieder zu den Deutschen Meisterschaften, wieder ungesetzt und als Underdog, und … gewann diesmal nicht. 

Einer aber hatte sie nicht vergessen: Degen-Bundestrainer Manfred Kaspar. Wieder bot er Ndolo an, an den Verbandsstützpunkt nach Bonn zu kommen. Und diesmal packte sie die Chance am Schopfe, schlug, wenn auch erst zwei Jahre nach diesem Treffen (das Abitur und zwei Reisen zur Verwandtschaft nach Kenia gingen vor) doch noch in Bonn auf, bei Manfred Kaspar – dem "Mad Genius" des Degenfechtens.

Alexandra Ndolo geht zu "Mad Genius" Manfred Kaspar

Was ihn, der unter anderem Britta Heidemann zum Olympiasieg 2008 coachte, dazu macht? Ndolo sagt: "Ich war ja 21 und nicht mal auf der regionalen Rangliste vertreten. Und dann ist da ein Bundestrainer, der sich die Zeit nimmt, um mit mir zu arbeiten. Wirklich alle in der Halle und am Stützpunkt dachten wohl: ‚Was machen die zwei da? Und wieso verschwendet er mehr oder weniger seine Zeit?‘ Er hat von Anfang an gesagt: ‚Ich mache dir keine Versprechungen, aber ich glaube, wenn es hier richtig gut läuft, dann kannst du mal an der WM teilnehmen.‘ Ich habe mir gedacht: ‚Ich glaube, es wird noch besser.‘ Aber das habe ich natürlich nicht gesagt. Und dann haben wir einfach losgelegt."

Tagsüber absolvierte Ndolo in Köln eine Lehre zur medizinisch-technischen Assistentin, abends baute sie mit Bundestrainer Kaspar an einer Art Frankenstein der Fechttechnik – oder vielmehr an einem Masterplan. Denn Ndolos Stil ist eklektisch, keiner der traditionellen Fechtschulen zuzuordnen, und gerade deshalb brandgefährlich. Als sie das Fechten mit 21 richtig aufnahm, habe sie sich überlegt: "Das bringt jetzt nichts zu versuchen, die Russin nachzuahmen, die das macht, seitdem sie fünf ist. Da werde ich immer eine schlechte Kopie sein. Ich nehme von jedem das meiner Meinung nach Beste an und mache da meinen Stil draus."

Mittlerweile könnte man sagen: Ndolo und der "Mad Genius" haben ein Monster geschaffen. Ndolos Gegnerinnen würden das sicher unterschreiben. Denn die Wahl-Kölnerin, die für Bayer Leverkusen ficht, ist im Gefecht oft unberechenbar. Und mit den Jahren startete die ehemalige Fünfkämpferin ihre Aufholjagd auf die Weltspitze. 2017, mit 30, holte sie Silber bei der EM, 2019 dann Bronze. 

Alexandra Ndolo
Alexandra Ndolo
Credit: Julian Erksmeyer
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Im Sommer 2022 machte sie ihr Meisterstück, indem sie als Nummer 17 der Setzliste bei der WM in Kairo durch die Top Ten der Weltrangliste pflügte und erst im Finale von der damaligen Weltranglistenzweiten, Sera Song aus Korea, gestoppt wurde. Es war ein Showdown auf der Planche – nach Ablauf der Zeit (im Fechten beträgt die Kampfzeit neun Minuten) stand es 10:10. Sekunden vor Ablauf der einminütigen Verlängerung fasste sich Ndolo, die große Momente liebt, ein Herz, griff Song an und stach um Haaresbreite an der Gegnerin vorbei, der Konter aber saß. Ndolo hatte das Finale verloren.

Für Ndolo selbst war es aber wohl einer jener Schlüsselmomente, die sie in ihrem Sport für so wertvoll hält. Einer jener "Momente, in denen man schnelle Entscheidungen treffen kann, die dann über Sieg oder Niederlage entscheiden". Die, sagt Ndolo, "halten einem einen Spiegel vor". Ihr Sport hatte ihr in diesem entscheidenden Moment des Finals den Spiegel vorgehalten – und sie gefiel sich. Denn sie hatte ein Gefecht verloren und doch so viel gewonnen. Nicht nur an diesem Tag.

Das sah man auch in Kenia, der Heimat ihres Vaters, wo der Jubel groß war. Und das, obwohl die Verwandtschaft lange nicht verstand, was die Cousine aus Deutschland da eigentlich beruflich macht, wenn sie ihnen von ihrem Job erzählte und Videos zeigte. "Okay, I guess that’s something they do in Europe" – "Das ist wohl etwas, das die da in Europa machen", lautete oft die Antwort. 2022 aber war das bereits anders. Dafür sorgte Alexandra Ndolo selbst – und zwar nicht nur sportlich, sondern seit 2014 auch aktiv vor Ort.

Alexandra Ndolo bringt Fechtsport nach Kenia

Damals war sie zum ersten Mal bei einer WM dabei und räsonierte: "Wie cool wäre es, wenn ich in Kenia etwas aufbauen könnte, wo Kinder vor Ort diesen geilen Sport ausprobieren und im besten Falle auch die Welt sehen und mit anderen Kulturen in Kontakt treten können." Auf Facebook machte sich Ndolo auf die Suche nach Fechtern in Kenia. Sie fand einen Ex-Militär (Ndolo: "Den einen Fechttrainer, den es halt schon gab"), der das Fechten während eines Militäraustausches in Deutschland kennengelernt hatte und seither begeistert ist. Jedes Mal, wenn Ndolo und ihre Mutter nun nach Kenia reisten, führten sie Übergepäck mit: Griffe, Klingen, Masken, Fechtanzüge – jeweils zwei Taschen voller Fechtequipment aus Spenden und Ndolos persönlichem Fundus. 

Die Arbeit konnte beginnen. Zuerst in Huruma, einem der vielen Slums von Nairobi. Sie erzählt von zwei Jugendlichen, die "viel Mist gebaut" hätten, bevor sie zum Projekt stießen. Ndolo und ihr Team verschafften ihnen ein Stipendium des Weltfechtverbandes, durch das sie in Südafrika eine Ausbildung zum Fechttrainer erhielten. "Die durften in Südafrika ihr Diplom machen, sind zurückgekommen und haben jetzt einen Job." Es gehe immer alles schleppend, "aber allein die Tatsache, dass sie jetzt einen Pass haben, dass sie das Land verlassen konnten für ein, zwei Jahre, darauf bin ich megastolz". Und das sei auch die Motivation für ihr Engagement: "Möglichst viel aufbauen, um möglichst viele Räume zu schaffen, die Kinder und Jugendlichen so ein bisschen von der schwierigen Lebenssituation ablenken oder sie im besten Fall natürlich da rausholen."

Ab 2016 plante Alexandra Ndolo, ihr Engagement in Kenia zu institutionalisieren, einen Verband zu gründen. Sie sagt: "Wozu soll man Kinder trainieren, wenn sie sich nie in einem Wettkampf mit irgendjemandem messen können? Da bleiben die nicht lange bei der Sache." Seit 2019 gibt es den Kenianischen Fechtverband. Alexandra Ndolo ist nicht nur Gründungs- und Vorstandsmitglied, sie war bis 2022 auch "Director of International Relations and Development". Ein Job, in dem es darum ging, das Fechten und seine verbandspolitischen Mechanismen zu erklären, das Bindeglied zwischen Weltverband, internationalem Sport und Kenia zu sein – Kenia also an die Fechtwelt anzubinden. Und das – meist per Mail und WhatsApp – von Deutschland aus. Denn nach wie vor ficht sie hier für Bayer Leverkusen.

Alexandra Ndolo
Alexandra Ndolo
Credit: Felix Strosetzki
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International aber geht sie seit Spätsommer 2022 für Kenia an den Start, lässt die administrative Verbandsarbeit seither ruhen und versucht, dem Fechten in Kenia durch ihre Klasse mit dem Degen einen entscheidenden Push zu geben. Ein Vorhaben, das fruchtet. Vor allem, weil Ndolo auf der Planche liefert. So wurde sie 2023 nicht nur Afrikameisterin, sondern qualifizierte sich auch für die Olympischen Spiele in Paris. Es sind ihre ersten. Für den jungen kenianischen Verband ist das ein Meilenstein. Und auch für Ndolo selbst.

Nicht nur, weil sie die Spiele seit der Kindheit faszinieren, sondern auch weil sie findet: "Der Otto Normalbürger nimmt eine Karriere schon fast nicht richtig ernst, wenn man nicht bei den Spielen war." Jemand, der Ndolo mittlerweile hingegen richtig ernst nehmen dürfte, ist Kenias Sportminister. Mit dem legte sie sich an, nachdem ihr Verband vergessen hatte, sie für ein Turnier im vergangenen November anzumelden, was sie öffentlich machte. "Mein Verband hatte eine Aufgabe, und das war, mich anzumelden. Und ich komme da an und bin nicht angemeldet. Ich bezahle ja schon alles selber."

Alexandra Ndolo startet bei Olympia 2024 für Kenia

Tatsächlich erhält Ndolo in Kenia bislang keine finanzielle Unterstützung von staatlicher Seite und bezahlt, seit sie nicht mehr für Deutschland antritt, wo sie Sportsoldatin war, alles aus eigener Tasche. "Ich habe meine kompletten Ersparnisse aufgebraucht innerhalb der letzten anderthalb Jahre. Jetzt gerade hilft mir meine Mutter bei der Finanzierung. Ich nehme das im Moment so hin, weil wir im Endspurt zu den Spielen sind. Aber richtig finde ich es natürlich nicht, weil das Land oder das Ministerium sich ja auch mit mir brüstet und sagt: ‚Guck mal, wir haben eine neue Sportart, und wir haben hier eine zusätzliche Afrikameisterin.‘ Aber sie investieren halt nicht, und das ist nicht okay." Daran, dass da jetzt eine Sportlerin ist, die die Probleme im kenianischen Sportbetrieb anprangert, müssen sich Funktionäre und Politiker wohl noch gewöhnen. Ndolo sagt unverzagt: "Da halte ich nicht meinen Mund."

Das tut sie auch nicht, wenn es um Rassismus geht. Ein Thema, das Alexandra Ndolo auch aufgrund eigener Lebenserfahrungen sehr bewegt. "Ich hatte eine superschöne Kindheit, und ich habe ein schönes Leben in Deutschland. Trotzdem habe ich seit dem Kindergarten Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Erfahrungen, wo Leute mir klarmachen wollten, dass ich ihrer Meinung nach nicht dazugehöre und nicht genug bin. So: ‚Du bist nicht ganz schwarz, aber auch nicht hell genug, um akzeptiert zu werden.‘" 

Die ab 2020 auch in Deutschland einsetzende "Black Lives Matter"-Bewegung bestärkte Ndolo noch einmal in ihrem Engagement: "Die ,Black Lives Matter‘-Demos haben mir so viel gegeben. Zu sehen, dass da nicht von Rassismus betroffene Menschen auf die Straße gehen und Solidarität bekunden, hat mich zu Tränen gerührt. Ich dachte: ‚Okay, krass, die Arschlöcher, die ab und zu blöd zu dir sind, die sind in der Minderheit. Der Großteil denkt nicht so. Der Großteil akzeptiert dich und findet auch, dass du ein Teil der Gesellschaft bist.‘"

Alexandra Ndolo kämpft gegen Rassismus

Als Mitbegründerin einer Anti-Rassismus-AG unter dem Dach der Athletenvertretung Athleten Deutschland e. V. setzt sich Ndolo gegen Diskriminierung ein. Ihr Credo lautet „Hier hat jeder einen Platz.“ So heißt auch ein Sachbuch, das sie im vergangenen Jahr herausbrachte. Es soll Kinder ab sechs Jahren für Alltagsrassismus sensibilisieren und zu gegenseitigem Respekt anleiten.

Mit 37 Jahren ist aus der Spätstarterin von einst nicht nur eine Vize-Welt- und Europameisterin, Afrikameisterin und baldige Olympia-Teilnehmerin geworden, sondern auch eine Pionierin, die durch und für ihren Sport in Kenia eine Menge bewegt. Worauf Alexandra Ndolo in ihrer bewegten Karriere bislang am stolzesten ist?

Die Titel sind es nicht, sondern "die Tatsache, dass ich auf dem Weg bin und auch weiß, dass ich schon ein paar Leben verändert habe. Ich weiß nicht, ob sich die Leute in 30 Jahren noch daran erinnern, wer 2022 Silber gewonnen hat bei einer WM. Aber ich glaube, als einzelner Mensch erinnert man sich daran, wer einem geholfen hat oder wer einem zur Seite stand und langfristig etwas verändert hat in einem Leben. Genauso wie Manfred Kaspar, ohne den ich jetzt nicht hier sitzen würde. Und da ist es mir eigentlich auch egal, wie viele Olympiasieger er produziert hat. Weil das, was er in meinem Leben bewirkt hat, ist für mich ja viel wichtiger."

Sich selbst nimmt Alexandra Ndolo bei Olympia aber keineswegs zurück. Ihr erklärtes Ziel: "Ich will eine Medaille!" Und danach möchte sie unbedingt erst mal ein, zwei Monate Pause machen. Nach Uganda reisen, um Berggorillas zu sehen. Und tauchen – "mit sehr, sehr großen Meereskreaturen". Sicher keine ganz gewöhnlichen Urlaubspläne. Aber solche wären wohl auch nichts für Alexandra Ndolo.



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