Eishockey

Basti Schwele: "DEB-Team ist wie ein Chamäleon, das seine Farbe verändert"

Deutschland spielt bei der Eishockey-WM im Viertelfinale gegen den sechsfachen Weltmeister Tschechien. Basti Schwele wird das Spiel mit Experte Rick Goldmann bei Sport1 kommentieren. Sports Illustrated hat mit Schwele über das Tschechien-Spiel gesprochen.

Sport-1-Kommentator Basti Schwele
Credit: SPORT1
  • Sport1-Kommentator Basti Schwele über WM-Viertelfinale gegen Tschechien
  • Schwele über Moritz Seider: "Top 3 Verteidiger der NHL"
  • Basti Schwele über Toni Söderholm: "Gegen Tschechien das richtige Rezept finden"

Sports Illustrated: Grubi, der großartige Grubini, Grubi-Wan Kenobi: Wer sich das Spiel gegen die Schweiz angesehen hat (3:4 n. P.), konnte von Ihnen und Ihrem Co-Kommentator Rick Goldmann eine ganze Menge Spitznamen für den deutschen Goalie Philipp Grubauer lernen. Haben Sie fürs Viertelfinale überhaupt noch welche in petto?
 
Basti Schwele: Das sind ja keine Spitznamen, das kommt spontan aus dem Spiel. Je nachdem, was gerade gebraucht wird.
 
Sports Illustrated: Dennoch sind diese Spitznamen etwas, was man sich verdienen muss. Matthias Plachta sprach nach dem Vorrundenspiel gegen die Slowakei von der unglaublichen Ruhe, die Philipp Grubauer im deutschen Tor ausstrahlt. Was zeichnet Ihrer Meinung nach einen Weltklasse-Goalie, was zeichnet Philipp Grubauer aus?
 
Schwele: Das hat der Plachti {Matthias Plachta, Anm. d. Red.} schon richtig gesagt: Das ist die Ruhe. NHL-Torhüter – oder gerade die deutschen NHL-Torhüter, die wir bei den Weltmeisterschaften im Tor stehen hatten – sind einfach ein entscheidender Faktor. Als Thomas Greiss {aktuell bei den Detroit Red Wings; Anm. d. Red.} für Deutschland im Tor stand, war das genauso. Alle deutschen Torhüter – selbst die deutschen Spitzentorhüter wie ein Mathias Niederberger – werden Ihnen sagen: Wenn Philipp Grubauer auf dem Eis steht, hat der nochmal eine ganz andere Aura. Der spielt einfach nochmal ganz anders als ein Torhüter, der nicht in der NHL ist. Das merkt man auch als gegnerischer Stürmer. Ich glaube schon, dass die Stürmer vor NHL-Torhütern – Grubauer hat mit den Washington Capitals ja auch einen Stanley Cup gewonnen – noch mehr Respekt haben als vor einem – in Anführungszeichen – Nicht-NHL-Torhüter.

Philipp Grubauer während des WM-Spiels gegen die Schweiz
Starker Rückhalt des Nationalteams bei der WM und der Seattle Kraken in der NHL: DEB-Tormann Philipp Grubauer während des Vorrunden-Spiels gegen die Schweiz
Credit: Getty Images
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Sports Illustrated: Moritz Seider ist bei diesem Turnier eine wichtige Stütze für das DEB-Team. Was macht diesen jungen Mann – Seider ist erst 21 – so stark? Und welche Rolle nimmt er im deutschen Team ein?
 
Schwele: Moritz Seider nimmt für mich DIE Rolle in der deutschen Abwehr ein. Als er damals bei den Adlern Mannheim angefangen hat, hat man gedacht: Das ist ein guter, junger Spieler, aus dem könnte mal etwas werden.  Dass es dann alles so schnell geht, und dass er sich in seinem ersten NHL-Jahr als Rookie durch die Art und Weise wie er auftritt – seine Härte, seinen Humor – bereits unglaublichen Respekt verschafft hat, ist unglaublich. Das ist für mich ein Verteidiger, bei dem ich mir immer denke: Das kann doch nicht sein, dass es noch weiter nach oben geht. Dann siehst du ihn zwei Tage später und er hat nochmal einen Schritt nach vorne gemacht. Also für Moritz Seider sehe ich kein Limit. Wenn er verletzungsfrei bleibt, ist er für mich in den nächsten zehn, zwölf Jahren wahrscheinlich unter den Top 3 Verteidigern der NHL und damit auch der Welt.
 
Sports Illustrated: Wie beurteilen Sie die deutsche Mannschaft bislang in diesem Turnier? Ist es derselbe Spirit, den man von den Olympia-Silbermedaillengewinnern von 2018 oder den WM-Halbfinalisten 2021 kennt?
 
Schwele: Ich glaube nein. Und das ist auch das Schöne daran. Diese Mannschaft hat ihren eigenen Weg gefunden. Es sind ein paar Spieler dabei, die bei den genannten Turnieren auch schon gespielt haben. Aber Ich denke, dass diese Verjüngungskur, die Toni {Toni Söderholm, Trainer der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft; Anm. d. Red.} dieser Mannschaft verordnet hat, genau der richtige Weg ist, neue Akzente und neue Reize zu setzen. Man kann nicht einfach sagen: Komm wir machen’s jetzt wieder genau wie 2018, oder genau wie 2021. Die haben schon ihren eigenen Spirit. Wenn man die anruft und fragt: Macht ihr’s wie 2021? Dann sagen die wahrscheinlich: Nee, wir machen’s einfach, wie wir es machen, wie 2022. Man kann sowas im Turnier immer schwer vergleichen, weil erstens der Gegner immer ein anderer ist, und weil du als Mannschaft eine andere bist. Aber der Weg, den sie gefunden haben, der passt einfach. 

Moritz Seider
Für Sport1-Kommentator Basti Schwele ist er einer der Top 3 Verteidiger der kommenden Jahre in der NHL: Moritz Seider von den Detroit Red Wings (hier vor einigen Tagen während des WM-Spiels gegen Italien)
Credit: Getty Images
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Sports Illustrated: Wo liegen die Stärken dieser Mannschaft in diesem Jahr? 
 
Schwele: Ganz genau in diesem Wort: „Mannschaft“. Die Stärken liegen in der Mannschaft: darin, dass es eine Einheit ist, dass die Einzelkönner in den richtigen Momenten da sind, aber auch die kleinen Rädchen funktionieren. In diesem Zuge muss man Spieler wie Samuel Soramies {spielt in der DEL für Ingolstadt, Anm. d. Red.} herauspicken. Mit dem hätte sicher keiner in diesem WM- Aufgebot gerechnet, weil er in der DEL eine Rolle spielt, in der man ihn eigentlich nicht so sehr wahrnimmt. Aber Toni sagt einfach: Das ist der Mann, den ich genau für diese Position brauche, und diese Rolle füllt er mir aus. Toni hat ein unglaublich gutes Gefühl dafür, welche Spieler – unabhängig von Punkten oder Scoringlisten – ihm in seiner Mannschaft helfen können. Und da ist jede Rolle so gut wie möglich besetzt. Natürlich fehlen viele prominente Spieler, das muss man auch sagen, aber das wiederum, spricht für das deutsche Eishockey. Weil, wenn Dir ein Tom Kühnhackl, ein Tobias Rieder, ein Patrick Hager und ein Leon Draisaitl fehlen, dann hast du mittlerweile einfach eine Tiefe, mit der du sagen kannst: Wir stellen trotzdem eine richtig gute Mannschaft auf. Und das funktioniert. Die Mannschaft ist der Star, und das ist das Wichtige.
 
Sports Illustrated: Auf der anderen Seite: Wo sehen Sie, auch im Hinblick auf das Viertelfinal-Spiel gegen Tschechien, die Schwächen der DEB-Auswahl? 
 
Schwele: Die Deutschen müssen einfach so weiterspielen. Ich sehe nicht, dass sie in ihrem Spiel großartige Schwächen haben. Aber auf diesem Niveau bekommst du immer Gegner, die dich auf eine spezielle Art und Weise herausfordern, weil jeder Gegner anders ist, und auf diesen Gegner musst du Dich einstellen. Ich habe die ganze WM schon herausgestellt, dass die deutsche Mannschaft ein bisschen wie ein Chamäleon ist, das seine Farbe verändern kann –je nachdem, wie der Gegner spielt. Das Team kann sich sehr gut anpassen, aber nicht nur anpassen, sondern man hat dann auch Rezepte und Mittel, diesen Gegner in die Knie zu zwingen. Und da wird Toni auch gegen Tschechien das richtige Rezept finden.
 
Sports Illustrated: Wie beurteilen Sie die Arbeit von Toni Söderholm als Eishockey-Nationaltrainer bislang?
 
Schwele: Toni hat genau das übernommen, was sein Vorgänger als Bundestrainer, Marco Sturm, angefangen hat, und er führt und entwickelt es wunderbar weiter. Das sieht man an den Ergebnissen und auch an der Vielzahl der Spieler, die sich durch die Nationalmannschaft insgesamt verbessert haben. Das ist genau die Herangehensweise, mit der ein Bundestrainer arbeiten muss:  sich nicht nur um die A-Nationalmannschaft kümmern, sondern auch bei der U20 dabei sein, und letztendlich auch Erfolge feiern. Erfolg im Eishockey ist für mich auch nicht immer nur abhängig von einer Weltmeisterschaft oder zwei, sondern es ist ein Entwicklungsprozess über Jahre. Wenn man sieht, dass es Tonis dritte WM ist, und er zum dritten Mal mit seiner Mannschaft im Viertelfinale steht, kann man sagen, dass er nicht so viel falsch macht.

Sport1-Team Schwele, Wosnitza, Goldmann
Dieses Trio berichtet für Sport1 "On Air" von der Eishockey-WM in Finnland (v.l.): Kommentator Basti Schwele, Moderatorin Jana Wosnitza und Experte Rick Goldmann
Credit: SPORT1
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Sports Illustrated:
Jetzt hat dieses Team mit 16 Punkten und Platz zwei in der Gruppe die beste WM-Vorrunde der deutschen Eishockey-Geschichte gespielt. Ist dieses das beste deutsche WM-Team aller Zeiten?
 
Schwele:
Das glaube ich nicht. Es kommt darauf an, woran man das festmacht. Wenn man es an den Punkten aus dieser Vorrunde misst, dann ja. Wenn man es an den Einzelspielern misst, vielleicht nicht. Die beste Mannschaft steht wahrscheinlich bei jeder WM auf der Platte – je nachdem, ob es Verletzte gibt, oder nicht. Wie dann so ein Turnier verläuft, ist von vielen Faktoren abhängig. Jetzt stimmen eben diese Faktoren und jetzt hat man einen Punkterekord aufgestellt. Das ist ein nächster Schritt für die Entwicklung des deutschen Eishockeys. Aber wenn du diese 16 Punkte holst und die beste Vorrunde spielst, und jetzt gegen Tschechien wieder mit 1:5 rausgehst {wie im WM-Viertelfinale 2019, wo Deutschland auch auf Tschechien traf und in ebendieser Höhe verlor; Anm. d. Red.}, spricht auch kein Mensch mehr davon. Das nächste Spiel ist wichtig. Wenn man sich wieder unter den Top-4-Mannschaften der Welt etablieren kann – und das zum zweiten Mal in zwei Jahren –, dann macht man schon einen großen Schritt und verschafft sich gewaltig Respekt in der Eishockey-Welt.

Sport1-Kommentatoren-Duo Schwele und Goldmann
Kommentieren für Sport1 auch das WM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Tschechien: Basti Schwele (v.) und Rick Goldmann
Credit: Deutscher Eishockey-Bund e.V. (DEB) | Tobias Müller
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Sports Illustrated: Ganz konkret auf das Viertelfinal-Spiel gegen Tschechien (ab 14:30 Uhr; live bei Sport 1) hinblickend. Wie schätzen Sie das tschechische Team bei dieser WM ein?
 
Schwele: Tschechien ist eine Mannschaft, die sehr ähnlich spielen wird wie wir. Der Trainer der Tschechen, Kari Jalonen, ist Tonis Mentor. Und Tonis Eishockey-Philosophie basiert sehr auf der von Kari Jalonen. Daher könnte ich mir vorstellen, dass es ein sehr enges Match-up von zwei sehr gleichen Systemen wird. Dann wird es wieder auf die Einzelspieler ankommen, die dann vielleicht in gewissen Situationen den Unterschied ausmachen.
 
Sports Illustrated: Die Bilanz aus der Open Era – aus bislang 26 Matches gegen Tschechien konnte Deutschland nur vier Siege einfahren – spräche deutlich für die Tschechen. Allerdings kommt das Team von Kari Jalonen aus einer mittelprächtigen Vorrunde mit drei Niederlagen. Die DEB-Auswahl hingegen legte die besagt starke Vorrunde hin. Wie schätzen Sie das Momentum vor diesem Spiel ein?
 
Schwele:
Das Wort Momentum gibt es in meinem Wortschatz nicht. Aber Deutschland geht natürlich mit Selbstvertrauen in diese Partie. Die wissen jetzt auch, dass sie Weltklasse-Teams schlagen können. Und das baut dich natürlich auf.  Auf der anderen Seite hast Du Tschechien, die jetzt vielleicht keine tolle Gruppenphase gespielt haben, die aber um den enormen Druck aus der Heimat wissen, wo es eben heißt: In einem Viertelfinale gegen Deutschland musst du gewinnen! Die haben ihren Kader jetzt auch nochmal gut mit NHL-Spielern – zum Beispiel mit David Pastrnak von den Boston Bruins – ergänzt.
 
Sports Illustrated: Wie stehen die Chancen auf ein Weiterkommen gegen Tschechien?
 
Schwele: 50:50 – wie immer in so einem Spiel. Auf diesem Niveau ist es ganz eng beisammen. Es kommt auf Kleinigkeiten und auf die Tagesform an. Deswegen kann es in die eine oder in die andere Richtung gehen. Man kann als Deutschland auch nicht immer davon ausgehen, dass man bei jedem großen Turnier um Medaillen mitspielt. Falls man das wieder schafft, ist es schön. Falls nicht, finde ich auch das Erreichen des Viertelfinals einen tollen Erfolg für das deutsche Eishockey in diesem Jahr. 


So berichtet SPORT1 über die Eishockey-WM 2022: SPORT1 ist bei der Eishockey-WM in Finnland wie gewohnt mittendrin und überträgt vom 13. Mai bis 29. Mai alle 64 WM-Spiele live auf den SPORT1-Plattformen. Im Free-TV werden 34 Livespiele gezeigt, darunter alle deutschen Partien und die K.o.-Runde. Die WM-Übertragungen begleitet das bekannte On-Air-Duo mit Experte Rick Goldmann und Kommentator Basti Schwele, das bereits seit 2012 gemeinsam bei der Eishockey-WM für SPORT1 im Einsatz ist. Dazu begleitet Moderatorin Jana Wosnitza die Übertragungen aus dem Studio. Rund um die Livespiele gibt es eine umfangreiche Rahmenberichterstattung: Die täglichen Countdown- und Analyse-Sendungen beinhalten aktuelle Highlights, Experten-Talks, Beiträge und Interviews, zudem sind prominente Eishockey-Gesichter im Studio zu Gast. Insgesamt präsentiert SPORT1 die Eishockey-WM 2022 in über 115 Livestunden im Free-TV, damit stehen pro Spieltag im Schnitt über 7,5 Livestunden Eishockey auf dem Programm. Die weiteren WM-Partien sind auf dem Pay-TV-Sender SPORT1+ sowie im kostenlosen Livestream auf SPORT1.de und in den SPORT1 Apps zu sehen. Darüber hinaus wird die Eishockey-WM auch umfangreich auf den Social-Media-Kanälen von SPORT1 abgebildet: Auf YouTube sind alle 34 Free-TV-Spiele abrufbar, zudem werden alle deutschen Gruppenspiele auf Facebook und erstmals auch auf TikTok gezeigt.


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