Fußball

Zlatan Ibrahimović: Ein deutscher Verein hätte sich mich nicht leisten können

Auf dem Platz ein Genie und auch abseits des Rasens immer Spektakel: Zlatan Ibrahimović im Sports-Illustrated-Interview übers Karriereende, seinen neuen Milan-Job, was er dem Fußballnachwuchs mitgibt – und ob es einen "neuen Zlatan" geben kann.

Zlatan Ibrahimović schauend
Credit: Imago
  • Zlatan Ibrahimović im Sports-Illustrated-Interview
  • Zlatan Ibrahimović über Vergleiche mit Erling Haaland
  • Ibrahimović: "In Deutschland zu spielen wäre sicher schön gewesen"

Spektakuläre Aktionen auf dem Platz, arrogante Sprüche abseits davon, Talent so ausgeprägt wie das eigene Selbstvertrauen: Zlatan Ibrahimović gehört zu den größten Fußballern aller Zeiten. Einen Exzentriker erreichen wir für unser Video-Interview jedoch nicht. Wir sprechen mit einem reflektierten Fußball-Fachmann. Ibrahimović nimmt sich Zeit, hört geduldig und aufmerksam zu, antwortet bescheiden und präzise. Es ist ein neuer Zlatan – in neuer Rolle.

Sports Illustrated: Vor eineinhalb Jahren haben Sie Ihre Karriere beendet. Kürzlich sagten Sie in einem Interview, dass Sie am meisten „das Adre­nalin und das Gefühl von Lebendigkeit“ vermissen würden. Was tun Sie, um sich trotzdem lebendig zu fühlen?

Zlatan Ibrahimović: Mir geht es gut. Nachdem ich einmal akzeptiert hatte, dass ich nicht mehr Fußball spiele, konnte ich meinen Frieden damit machen. Lebendig fühle ich mich dank meiner zwei Söhne. Sie spielen ebenfalls Fußball, und ich versuche, sie auf ihrem Weg zu unterstützen. Ich habe zudem seit Ende 2023 eine neue Rolle beim AC Mailand, in der ich viel zu lernen habe und die mich sehr begeistert. Es ist zwar nicht mehr das Adrenalin des Spielfeldes, aber ein anderes Gefühl von Lebendigkeit.

Sports Illustrated:: Die Rolle bei Milan lautet "Externer Berater". Wie sieht ein typischer Tag im neuen Leben von Zlatan aus?

Ibrahimović: Ich bin verantwortlich für den sportlichen Bereich. Ich gehe beispielsweise zum Training und schaue, wie die Stimmung in der Mannschaft ist und ob alles läuft. Das mache ich aber nicht jeden Tag, ich bin ja kein Babysitter. Die Spieler sind alle Profis. Danach gehe ich ins Büro und arbeite mich durch verschiedene Dinge. Auf dem Plan stehen dann zahlreiche Meetings – während sich aus der Dynamik des Tages immer wieder neue Situationen ergeben. Manchmal wache ich am Morgen mit fünf verpassten Anrufen auf und muss sofort Entscheidungen treffen.

Sports Illustrated: Wie fühlen Sie sich mit diesen neuen, ungewohnten Aufgaben?

Ibrahimović: Ich nehme diese Rolle mit großer Demut an. Es gibt viele Bereiche, in denen ich lernen und wachsen möchte – und das auch muss. Ich versuche trotzdem, ein Leader zu sein und mit meiner Erfahrung zu helfen. Die scheinbar einfachen Dinge sind dabei oft gar nicht so einfach, weil ich in meiner neuen Rolle nicht in erster Linie nur für mich, sondern für viele andere verantwortlich bin. Man denkt kollektiv, nicht individuell.

Sports Illustrated:Sie sind außerdem Brand Ambassador von H&M Move, der Activewear-Marke des schwedischen Kleidungsunternehmens H&M. War diese Heimatverbindung für Sie entscheidend, dass Sie die Kooperation gestartet haben?

Ibrahimović: Klar, H&M Move ist ein schwedisches Unternehmen. Sie erreichen mit ihren Produkten jedoch sämtliche Generationen, und das auf der ganzen Welt. Das beschreibt auch mich gut: aus Schweden – und trotzdem eine internationale Marke. Wofür H&M Move steht, stehe auch ich. Als die Idee zur Zusammenarbeit und die Möglichkeit aufkam, meine eigene Kollektion „Selected by Zlatan“ zu kreieren, fühlte ich mich sehr geehrt.

Zlatan Ibrahimovic
Zlatan Ibrahimovic
Credit: PR
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Sports Illustrated: Sie arbeiten eng beim Design- und Entwicklungsprozess Ihrer Sport-Kollektion mit. Was war Ihnen als langjährigem Fußballer wichtig, den Entwicklern mitzugeben?

Ibrahimović: Ich hatte mehrere Design-Sessions, in denen wir Ideen und Feedback zu Passform, Funktion und Gesamteindruck ausgetauscht haben. Mein Input und meine Erfahrung als Profisportler haben alles beeinflusst, weil ich genau weiß, was ich von meiner Kleidung erwarte – von den Schnitten über das Farbschema bis hin zu Details wie den Taschen oder dem Logo.

Sports Illustrated: Sie sprechen Ihre Erfahrung an. Um zurück zum Fußball zu kommen: Ihr Weg war von viel Disziplin geprägt, Ihre größten Förderer wie Fabio Capello oder José Mourinho waren fordernde, unnachgiebige Trainer. Können Sie diesen Ansatz, den Sie gelernt und erfahren haben, im Jahr 2024 bei der neuen Generation von Spielern überhaupt noch so weitergeben?

Ibrahimović: Ich denke schon. Disziplin ist weiterhin das Wichtigste im Fußball. Entscheidend ist außerdem mentale Stärke. Man kann einen großartigen Spieler im Team haben, aber wenn er dem Druck und der Verantwortung, Ergebnisse zu liefern, nicht standhalten kann, fehlen einfach die nötigen Dinge für ganz oben. Ich glaube deshalb weiterhin an Disziplin und ein bisschen an die alte Schule. Aber eine intelligente Person passt sich an. Ich binde also auch viel modernes Denken im Umgang mit den Spielern ein.

Zlatan Ibrahimovic (links) klatscht im Trikot von Manchester United mit seinem damaligen Trainer José Mourinho ab.
Mit José Mourinho (rechts) arbeitete Ibrahimović bei Inter Mailand und Manchester United zusammen.
Credit: Getty Images
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Sports Illustrated: Würden Sie trotzdem mit der Aussage mitgehen, dass heutzutage junge Spieler weniger bereit seien, Ratschläge von älteren Spielern anzunehmen, und es oft besser wissen würden?

Ibrahimović: Nein, in meinem Team nicht. Wir haben dieses Problem nicht. Außerdem: Wenn man zehn Jahre zurückgeht, haben die Leute wahrscheinlich dasselbe gesagt: "Die neue Generation hört nicht auf die alte Generation." Und wenn man 20 Jahre zurückschaut, wäre es genauso. Junge Spieler sollten aber genau dieses Selbstvertrauen und diese Mentalität haben, damit sie ihren eigenen Weg gehen. Man darf ihnen diesen Charakter, diesen Ehrgeiz und diese Visionen nicht nehmen. Sie müssen sich ein Stück weit ausleben und ihr Ding machen dürfen. Natürlich sollen sie auch lernen – und darin sehe ich meine Aufgabe: sie mit meiner Erfahrung als Leader auf ihrem Weg anzuleiten.

Sports Illustrated: All dieses Wissen könnten Sie auch als Trainer weitergeben. Sie selbst schlossen zuletzt immer wieder eine Zukunft als Coach aus. Werden wir also nie Zlatan an der Seitenlinie sehen?

Ibrahimović: Aktuell: Ja. Ich möchte auch weiterhin nicht Trainer sein, denn es ist mir zu viel Arbeit. Man muss so viele Bereiche abdecken, Ideen und Lösungen finden, Spiele vor- und nachbereiten, coachen. Man arbeitet Tag und Nacht. Ein Jahr als Trainer würde sich für mich wie zehn Jahre anfühlen. Das reizt mich also nicht.

Auch bald als Trainer im Anzug auf der Bank? Zlatan Ibrahimovic schließt eine Zukunft als Coach weiterhin erstmal aus.
Auch bald als Trainer im Anzug auf der Bank? Zlatan Ibrahimovic schließt eine Zukunft als Coach weiterhin erstmal aus.
Credit: Imago
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Sports Illustrated: Im Fußball gibt es mittlerweile ein breites Spektrum an Zuschauern: von den traditionellen Romantikern der alten Schule bis hin zu Fans des modernen Fußballs, des Fortschritts und von Projekten wie in Deutschland etwa RB Leipzig. In welchem Lager sehen Sie sich?

Ibrahimović: Man muss eine Balance zwischen beiden Welten finden. Bei einem Verein wie Milan ist die Gegenwart wichtig, weil es kein Morgen gibt, wenn das Heute nicht gut ist. Milan ist ein Gewinnerverein. Deshalb sind die Ergebnisse entscheidend. Ich respektiere das, was Leipzig und ähnliche Vereine machen, die Spieler mit ihren Nachwuchsleistungszentren weiterentwickeln. Aber bei Milan brauchen wir Ergebnisse und fertige Spieler.

Sports Illustrated: Wie bewerten Sie als Entertainer auf und neben dem Platz die Entwicklung des Fußballs? Nicht selten wird behauptet, der Sport verliere immer mehr an Unterhaltung und würde aufgrund kontrollierender Taktiken zunehmend langweilig werden.

Ibrahimović: Das hat weniger mit dem Fußball als mit den Trainern zu tun. Viele Trainer kommen mit einer Philosophie und einem Spielstil, und dann wird der einzelne Spieler unbedeutend, weil jeder nur noch als ein Teil in eine Taktik oder ein System gezwängt wird. Klar, die Philosophien eines Trainers sind wichtig, und man braucht ihn, um das Team zu managen. Ich glaube aber, dass der einzelne Spieler das Bedeutendste der Mannschaft ist. Denn er geht aufs Feld und macht den Unterschied. Und generell finde ich nicht, dass Fußball langweilig wird. Ich habe vielmehr das Gefühl, dass er weiterhin wächst. Man muss einfach klug sein und sich neuen Entwicklungen nicht verschließen.

Zlatan Ibrahimovic und Pep Guardiola
Waren nicht immer einer Meinung: Zlatan Ibrahimović und sein früherer Barcelona-Trainer Pep Guardiola (rechts)
Credit: Imago
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Sports Illustrated: Sie selbst waren stets "box office", Entertainment war mit Ihnen immer garantiert. Sehen Sie aktuell einen Spieler, der in Ihre Fußstapfen auf und neben dem Platz treten könnte? Häufig wird Erling Haaland mit Ihnen verglichen …

Ibrahimović: Vielleicht liegt es am Pferdeschwanz (lacht). Ich mag es nicht, Spieler mitei­nander zu vergleichen, weil sich jeder auf seine eigene Reise begibt und seine eigene Geschichte schreibt. Ich hatte meine Ära, spielte auf meine Weise. Er hat nun seine Ära, spielt auf seine Weise. Es kann also keinen "neuen Zlatan" geben. Ich habe mein Ding gemacht, aber bin inzwischen über mein Verfallsdatum hinaus. Erling Haaland ist ein großartiger Spieler und macht einen fantastischen Job.

Sports Illustrated: Als Sie aktiv waren, waren Ihr Selbstbewusstsein und die dazugehörigen Aussagen Ihr Markenzeichen. Aber gab es nie mal ein Spiel oder einen Moment in Ihrem Leben, vor dem Sie nervös waren? Zweifel hatten? Angst spürten?

Ibrahimović: Ich war nie nervös wegen Selbstzweifeln. Vielleicht bekam ich ein bisschen ein Kribbeln im Magen, wenn ein großes Spiel bevorstand. Aber das ist etwas, worauf man sich freute. Dein Körper wurde aufgeregt. Wenn ich noch auf dem Feld nervös war, war es nach spätestens fünf Minuten vorbei. Ohnehin ist Nervosität manchmal etwas Gutes, denn sie zeigt dir, dass etwas Wichtiges vor dir liegt. Aber ich glaube nicht, dass ich je wirklich nervös oder ängstlich war. Deshalb sprach ich auch am Anfang von mentaler Stärke als Fußballer. Wenn du nicht stark genug bist, wird es sehr schwierig.

Sports Illustrated: Geben Sie diese Erfahrung auch Ihren Söhnen mit? Ihr ältester Sohn Maximilian spielt mit seinen 18 Jahren bereits in der Nachwuchsmannschaft von Milan und der schwedischen U-Nationalmannschaft. Sind Ihre Kinder ebenfalls selbstbewusst wie Sie?

Ibrahimović: Die Situation meiner Söhne ist völlig anders als meine damals. Sie sind meine Jungs – und werden deshalb immer mit mir verglichen. Aber sie sind stark. Sie machen ihr Ding und arbeiten hart. Für mich ist das Wichtigste, dass sie glücklich sind und Selbstdisziplin in dem haben, was sie tun. Sie tun es nicht für mich oder ihre Mutter oder jemand anderen. Sie tun es für sich selbst. Für den Großen wird es jetzt ernster, der Kleine hat noch etwas Zeit. Als Vater motiviere ich sie. Als ehemaliger Profi versuche ich, sie zu leiten, ihnen den Weg zu zeigen und zu erklären, was auf sie zukommt und wie die Dinge funktionieren.

Zlatan Ibrahimovićs Sohn Maximilian (links) im Trikot der U 20 von AC Mailand
Zlatan Ibrahimovićs Sohn Maximilian (links) im Trikot der U 20 von AC Mailand
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Sports Illustrated: Hatten Sie selbst auch jemanden im Fußballgeschäft, der Sie ­geführt hat und von dem Sie lernen konnten?

Ibrahimović: Als Kind von Einwanderern war mein Leben von Anfang an außergewöhnlich – auch als Fußballspieler. Alles, was ich auf und neben dem Spielfeld tat, war extrem. Es war derart einzigartig, dass, wenn ich jemanden um Rat fragte, die Antwort war: "Hör zu, ich war noch nie in dieser Situation." Also musste ich meinen eigenen Weg finden, um mit Dingen umzugehen. Ich habe viele Fehler gemacht, aus ihnen gelernt und dann neue Fehler gemacht, aus denen ich wieder lernen musste. Ich fand dadurch einen Weg und wurde zu dem, der ich heute bin. Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir jedoch ein Satz ein, der sich bei mir eingeprägt hat …

Sports Illustrated: Der wäre?

Ibrahimović: Als ich damals noch in Malmö in der Jugend gespielt hatte, war ein Spieler aus Trinidad und Tobago für ein Probetraining zu Gast. Nach dem Training sagte er plötzlich zu mir: "Wenn du kein Profifußballer wirst, bist du selbst schuld." Ich fragte mich, was er damit meinte. Die Antwort, die ich fand: Es hängt einzig und allein von mir ab, ob ich Profifußballer werde oder nicht, und nicht von jemand anderem. Wenn ich es nicht schaffe, dann ist es meine Schuld. Meine Situation war einfach sehr einzigartig – und der Rest ist Geschichte.

Sports Illustrated: Sie spielten in den größten Ligen, bei den größten Vereinen dieser Welt. Einzig ein deutscher Klub „fehlte“ in Ihrer Karriere. Waren Deutschland und die Bundesliga etwas, das Sie gerne noch erlebt hätten?

Ibrahimović: Der Fußball in Deutschland ist herausragend. Ich liebe die Stadien dort, denn sie sind immer ausverkauft. Für einen Verein wie Bayern München zu spielen, wäre sicher nicht schlecht gewesen, allein aufgrund der Geschichte und der Spieler des Klubs. Für mich gehört der FC Bayern zu den fünf größten Vereinen der Welt. Ich bewundere den deutschen Fußball und die Nationalmannschaft sehr.

Sports Illustrated: Gab es jemals die Möglichkeit, zu einem deutschen Verein zu wechseln?

Ibrahimović: Die hätten sich mich nicht leisten können (lacht). Aber nein, um ehrlich zu sein, gab es nie eine Möglichkeit, dorthin zu wechseln. Es wäre bestimmt schön gewesen – aber das Schicksal hatte andere Pläne für mich.



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