Fußball

Mit Rangnick-Verpflichtung beginnt United endlich, ein moderner Klub zu werden

Manchester United steht eine neue Zeitrechnung bevor. Durch die Verpflichtung von Ralf Rangnick startet ein radikaler Umbruch, der in Manchester eigentlich schon lange notwendig war.

Ralf Rangnick
Ralf Rangnick
Credit: Getty Images
Im Februar 1983 traf in der Nähe von Ostfildern, im Südosten Stuttgarts, der örtliche Oberligist Viktoria Backnang in einem Freundschaftsspiel auf Dynamo Kiew. Die Ukrainer, die damals von Valeriy Lobanovskyi trainiert wurden, hatten in der ansässigen Sportschule Ruit ihr Winterquartier bezogen. Dynamo gewann das Spiel ohne Probleme. Für Erstaunen sorgt das allerdings nicht, schließlich waren sie auch die deutlich bessere Mannschaft. Dennoch war für Backnangs jungen Spielertrainer das Spiel eine Offenbarung. Denn es schien so, als wären die Ukrainer mit einem Spieler mehr auf dem Platz. Weshalb er kurzerhand bei einem Einwurf sogar begann, die Spieler von Dynamo zu zählen. Natürlich war alles regelkonform, seine Mannschaft war gerade nur in der Pressing-Maschinerie des Gegners gefangen. 

Jener Spielertrainer wurde nun für die laufende Saison zum Interimscoach von Manchester United ernannt. Der mittlerweile 63-jährige Ralf Rangnick gilt heutzutage als einer der einflussreichsten Trainer seiner Generation.

Ralf Rangnick: Der Fanatiker, der die Fußball-Welt prägt

Seine Liste der Auszeichnungen mag zwar spärlich erscheinen - ein Zweitligatitel mit Hannover, ein deutscher Pokal mit Schalke 04 - aber Rangnick war einer der Pressing-Pioniere in Deutschland. Er war eine Inspiration für aufstrebende Trainertalente.

Als Rangnick seine Trainerkarriere begann, wurde in Deutschland nämlich noch eine andere Art Fußball zelebriert. In den 1980er und frühen 90er Jahren war das Spiel vor allem von der Idee geprägt, dass körperlicher Mut und Führung entscheidend seien. Pressing-Liebhaber wurden als radikale Fanatiker belächelt. Doch Trainer wie Wolfgang Frank und Volker Finke leiteten ein Umdenken ein. Jürgen Klopp sollte später folgen. Infolgedessen wurde Rangnick schließlich auch akzeptiert. Als ein Visionär, der seiner Zeit weit voraus war.

Dennoch endete seine erste große Trainer-Station bei Schalke 04 enttäuschend. Insbesondere der Erfolgsdruck beim Bundesligisten setzte ihm zu. Rangnick blieb fortan lieber im Hintergrund. Er wurde Sportdirektor bei RB Leipzig. In dieser Rolle blieb er federführend ohne in der ersten Reihe zu stehen. Ganz entziehen konnte er sich dem Trainerjob in Leipzig allerdings nicht. Insgesamt zweimal sprang Rangnick als Übergangslösung ein. Jeweils bis ein neuer, jüngerer Trainer gefunden wurde.

Der Berater Ralf Rangnick wird bei Manchester United dringend benötigt

Seine größten Erfolge feierte Rangnick als Head of Sports and Development bei Red Bull, indem er den verschiedenen RB-Klubs weltweit seine Philosophie eintrichterte. Eine ähnliche Rolle hatte er zuletzt bei Lokomotiv Moskau inne. Und auch in Manchester wird Rangnick wohl eine vergleichbare Aufgabe übernehmen. Seine Verpflichtung zielt sowieso mehr auf die Zeit nach dieser Saison ab. Speziell der Berater Rangnick wird bei United nämlich dringend benötigt.  

„Ralf ist einer der angesehensten Trainer und Innovatoren im europäischen Fußball. Er war unser Kandidat Nummer eins für die Position des Interimstrainers, weil er unglaubliche Fähigkeiten mitbringt, die er in fast vier Jahrzehnten im Management und Coaching gesammelt hat. Alle im Verein freuen sich darauf, in der kommenden Saison mit ihm zusammenzuarbeiten und dann für weitere zwei Jahre von seiner Beratung zu profitieren“, sagte Sportdirektor John Murtough.

Manchester United
Mit Ralf Rangnick soll Manchester United der Umschwung gelingen.
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Für United ist die Verpflichtung Rangnicks ein großer Cut. Schließlich kommt der Verein seit der Verabschiedung von Alex Ferguson ein wenig planlos daher. Doch statt daran etwas zu ändern, hatte man über die letzten Jahre vergeblich nach einer Person gesucht, die den Klub wiederbeleben kann.

David Moyes war Fergusons gesalbte Wahl. Louis van Gaal erinnerte an die 90er-Jahre-Inkarnation des totalen Fußballs, allerdings mit wenig Sinn für die Überarbeitung des Klubs und seiner Akademie, die wahrscheinlich erforderlich gewesen wäre. José Mourinho war eine kurzfristige Lösung, die alles noch schlimmer machte. Ole Gunnar Solskjaer war das ideale Gegenmittel zu Mourinho, doch nachdem er den Verein erfolgreich entgiftet hatte, schien er nie auch nur annähernd das erforderliche Niveau zu erreichen.

Manchester United wacht allmählich auf - wie geht es mit Ronaldo weiter?

Jeder von ihnen war eine messianische Figur, eine Führungspersönlichkeit, die den Verein durch eine Mischung aus Persönlichkeit und klugen Neuverpflichtungen zu Ruhm und Ehre führen sollte. In gewisser Weise erinnerten sie diesbezüglich an Uniteds bisherige Meister-Trainer Ernest Mangnall, Matt Busby und Sir Alex Ferguson. Doch im modernen Fußball geht es viel mehr um Prozesse als um Personen, viel mehr um taktische Feinheiten als um Motivation. United hatte bis März, als Murtough ernannt wurde, nicht einmal einen Fußballdirektor.

In diesem Sinne stellt die Verpflichtung von Rangnick einen radikalen Aufbruch dar. Es ist der verspätete Versuch, eine Struktur aufzubauen, die über ein Jahrhundert hinweg konstanten Erfolg bringen könnte. Und eben nicht nur über drei isolierte Jahrzehnte.

Inwieweit seine Philosophie des harten Pressings allerdings auf diese United-Mannschaft übertragbar ist, bleibt abzuwarten. Insbesondere die Integration von Cristiano Ronaldo könnte schwer fallen. Schließlich hat Rangnick bereits vor sechs Jahren als damaliger Leipzig-Trainer erzählt, dass er Ronaldo nicht verpflichten würde. Und das obwohl RB zu dieser Zeit in ganz anderen Sphären unterwegs war. Ein erster Fingerzeig könnte die Partie vom vergangenen Wochenende gegen Chelsea gewesen sein. Als Ronaldo nicht in der Startelf stand. 

Generell wären sie in Manchester jedoch gut beraten, wenn sie in der laufenden Saison nicht zu viel von Rangnick erwarten würden. Denn seine Aufgabe wird es vorwiegend sein, das Fundament für eine bessere und anspruchsvollere Zukunft zu errichten. Weshalb die Qualifikation für die Champions League eben keine Pflicht sein sollte. 

Eines steht allerdings schon jetzt mit der Verpflichtung fest: Das jahrelange Abdriften des Vereins ist vorbei. Man United hat begonnen, ein moderner Fußballverein zu werden.