Selina Cerci: "Ich habe gemerkt, wie sehr mir der Fußball gefehlt hat"
- Fußballerin Selina Cerci im Sports-Illustrated-Interview
- Selina Cerci steht seit bei der TSG Hoffenheim unter Vertrag
- Cerci über Teamgeist der DFB-Elf, EM und Comeback
Sports Illustrated: Wie viel Klassenfahrt-Atmosphäre steckt in so einem Nationalmannschafts-Lehrgang?
Selina Cerci: Es ist schön, die Menschen hier wiederzusehen, neue Spielerinnen kennenzulernen und für eine kurze Zeit aus dem Alltag im Verein herauszukommen. Die Zeit bei der Nationalmannschaft ist immer etwas Besonderes. Wir haben viel Spaß miteinander, sowohl auf als auch neben dem Platz und lachen viel miteinander. Aber natürlich steht der sportliche Erfolg im Fokus.
Sports Illustrated: Ist der Teamgeist der Mannschaft so gut wie man hört?
Cerci: Auf jeden Fall. Ich war beim letzten Lehrgang das erste Mal seit zwei Jahren wieder dabei. Ich wurde super aufgenommen und habe gemerkt, wie groß der Zusammenhalt hier ist. Wir haben hier eine richtig gute Zeit.
Sports Illustrated: Personell befindet sich die Nationalelf in einem Umbruch. Hat sich die Mannschaft schon gefunden?
Cerci: Wir sind in der Findungsphase. Schon beim letzten Lehrgang waren einige neue Gesichter dabei, dieses Mal wieder. Da will sich jede zeigen und einen guten Eindruck hinterlassen. Das merkt man auch im Training, weil die Intensität automatisch höher ist, wenn alle Spielerinnen 100 Prozent geben. Unter dem neuen Trainer wurden die Karten neu gemischt, alle müssen sich neu beweisen. Das gibt einigen Spielerinnen die Chance, mehr Verantwortung zu übernehmen und eine wichtigere Rolle einzunehmen. Das ist auch mein Ziel.
Sports Illustrated: Wie ist Ihr Eindruck von Bundestrainer Christian Wück?
Cerci: Sehr positiv. Er schafft es, seine Leidenschaft und seine positive Energie auf die Mannschaft zu übertragen. Wir haben im Training eine gute Mischung aus Spaß und der nötigen Ernsthaftigkeit. Er nimmt alle Spielerinnen mit. Außerdem gibt er vielen jungen Spielerinnen die Chance, sich zu zeigen. Man merkt, dass er gemeinsam mit dem Team etwas aufbauen will.
Sports Illustrated: Spielt es für Sie als Spielerin eine Rolle, dass es in den letzten beiden Länderspielen des Jahres auf dem Papier um nichts geht?
Cerci: Überhaupt nicht. Ich bin immer noch frisch dabei und muss mich beweisen. Deshalb muss ich jede Trainingseinheit und jede Einsatzminute nutzen, um mich zu zeigen. Sowieso will ich jedes Spiel gewinnen, ich mag es nicht zu verlieren. Es sind nicht mehr viele Spiele bis zur EM nächstes Jahr, wir müssen jedes einzelne davon nutzen. Deshalb ist es für uns als Mannschaft unwichtig, ob es für die Spiele Punkte gibt oder nicht. Es bleiben Spiele, in denen wir unser Land vertreten.
Sports Illustrated: Während der Oktober-Länderspiele erzielten Sie ihr erstes Länderspieltor. Wie hat sich das angefühlt?
Cerci: Ein unbeschreiblicher Moment. Davon habe ich bereits als kleines Mädchen geträumt. Ehrlich gesagt habe ich in dem Moment, als die Flanke kam, gewusst, dass ich den Ball reinmachen werde. Das hat dann zum Glück auch geklappt. Mein Trikot aus diesem Spiel habe ich aufbewahrt, das bekommt einen Ehrenplatz.
Sports Illustrated: Hatten Sie im Vorfeld mit der Nominierung gerechnet?
Cerci: Ich muss zugeben, dass ich etwas überrascht war. Natürlich hatte ich im Verein einen guten Saisonstart erwischt, aber ich kam auch aus einer zweijährigen Verletzung. Ich hatte die Nationalmannschaft zwar immer im Hinterkopf, aber der Fokus lag eher darauf, wieder konstant fit zu sein und meine Leistung im Verein zu bringen. Umso schöner war es, als der Anruf kam. Ich saß gerade auf der Couch und habe Champions League geschaut. Ich muss gestehen, dass ich ein paar Freudentränen in den Augen hatte. Ein unglaublich schöner Moment. Bei diesem Lehrgang habe ich dann schon etwas mehr damit gerechnet, vielleicht wieder dabei zu sein (lacht.)
Sports Illustrated: Sie sprechen es an: Sie verpassten nahezu zwei komplette Saisons wegen schwerer Knieverletzungen. Wie hart war der Weg zurück?
Cerci: Es war nicht leicht. Allerdings habe ich es relativ schnell geschafft, nach vorne zu blicken und gar nicht so viel damit zu hadern, was passiert ist. Man kann es eh nicht mehr ändern. Ich habe meinen Fokus schnell auf die Reha gelegt und versucht, auch dabei so viel Spaß wie möglich zu haben. Natürlich war die zweite Verletzung ein Rückschlag, aber ich wusste immer, dass ich stärker zurückkommen kann.
Sports Illustrated: Gab es keine schweren Momente?
Cerci: Doch, die gab es. Vor allem während der EM 2022. Die war damals ein großes Ziel für mich. Als ich dann vor dem Fernseher zum Zuschauen gezwungen war, hatte ich oft diese „Was-wäre-wenn“-Gedanken. Aber ich habe es geschafft, nicht in ein Loch zu fallen. Ich habe mich nochmal mehr mit mir selbst beschäftigt und auch mal an andere Dinge als Fußball gedacht, das hat mir geholfen.
Sports Illustrated: Was für Dinge waren das?
Cerci: Ich habe viel über mich als Menschen und mein Leben nachgedacht. Es hat mir gutgetan, darüber nachzudenken, wer ich bin und wo ich hinmöchte. Auch die Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden hat mir gutgetan. Dann hatte ich noch die Baller League, wo ich neue Leute kennengelernt habe und meine Energie in ein neues Projekt stecken konnte. Auf eine andere Art war das auch eine sehr intensive Phase.
Sports Illustrated: Hat sich dadurch Ihr Blickwinkel auf den Fußball verändert?
Cerci: Ich schätze die kleinen und alltäglichen Dinge, die mir der Fußball gibt, mehr wert. Sei es die Zeit auf dem Trainingsplatz oder mit den Mädels in der Kabine – oder den Muskelkater nach einer anstrengenden Trainingseinheit. Wenn man eine so lange Zeit raus war, freut man sich einfach, wieder dabei zu sein. Ich habe gemerkt, wie sehr mir der Fußball gefehlt hat und wie wichtig er für mich ist.
Sports Illustrated: Ist es für Sie deshalb ein umso größeres Ziel, im nächsten Jahr bei der EM dabei zu sein?
Cerci: Auf jeden Fall. Große Turniere wie die EM sind die Dinge, von denen man als kleines Kind träumt. Es wäre unglaublich, Deutschland auf so einer Bühne vertreten zu dürfen. Deshalb ist es für mich umso wichtiger, den Flow mitzunehmen, im Verein weiter gut zu performen und bei der Nationalmannschaft jeden Lehrgang bestmöglich zu nutzen.
Sports Illustrated: Wenn Sie sich für das Länderspieljahr 2025 eine Sache wünschen dürften, welche wäre es?
Cerci: Ich wünsche mir, dass wir jedes Spiel so gut wie möglich bestreiten, uns als Mannschaft weiterentwickeln und eine richtig gute EM spielen. Wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, umso besser.
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