Champions League

FC Barcelona geht mit La-Masia-Jünger Xavi schicksalhaftes Risiko ein

Xavi ist seit kurzem der neue Trainer des FC Barcelona. Die Vereinslegende verfolgt eine klare Spielphilosophie. Aber ist die Art von Fußball noch zeitgemäß?

Xavi
Xavi
Credit: Getty Images
Am 5.Spieltag der Champions-League-Gruppenphase trennen sich der FC Barcelona und Benfica torlos. Beide Mannschaften besitzen somit noch die Chance auf die K.o.-Phase. Doch darum ging es bei der Begegnung im Camp Nou eigentlich nicht. Es ging um die Rückkehr eines Helden. Es war Xavis erstes Champions League-Spiel als Trainer und die Fortsetzung seiner ersten Schritte auf einem sehr langen Weg zur Wiederherstellung von Barcelonas Status an der Spitze des europäischen Fußballs.

Xavis Ernennung zum Nachfolger von Ronald Koeman hatte eine Welle der Begeisterung ausgelöst. Zu seinem Debüt in der Liga gegen Espanyol waren mehr als 70.000 Zuschauer gekommen. Am Ende quälte sich sein Team zu einem 1:0-Sieg.

Aufgrund der dürftigen Leistung im Derby scheint die erste Euphorie schon wieder verflogen. Gegen Benfica sank die Zuschauerzahl wieder auf 49.000 - allerdings hatte es an diesem Abend in Barcelona auch sintflutartig geregnet.

Eine Sache fiel trotz des Zuschauerschwundes auf: Die Stimmung war weitaus positiver als in den letzten Wochen von Koemans Amtszeit. Xavi vermittelt den Zuschauern offenbar das Gefühl, dass Barcelona zu seiner wahren Größe zurückkehren kann.

FC Barcelona: Erst Cruyff, dann Guardiola, jetzt Xavi

Seit den frühen 1970er Jahren, als Rinus Michels Trainer wurde und Johan Cruyff sich ihm als Spieler anschloss, war Barcelona ein katalanischer Außenposten des totalen Fußballs. Cruyff stellte diesen Glauben wieder her, als er 1988 das Traineramt übernahm. Seitdem wurde dieser Spirit durch die Akademie, La Masia, und seine Schüler verbreitet. Pep Guardiola war ein La-Masia-Absolvent, der auf dem Spielfeld zu Cruyffs Puppenspieler wurde, und Xavi, ebenfalls ein La-Masia-Absolvent, erfüllte eine ähnliche Funktion für Guardiola.

Pep Guardiola und Xavi
Trainer Pep Guardiola und Xavi während ihrer gemeinsam Zeit in Barcelona
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Generell war Xavi schon immer ein Verfechter des Cruyff'schen Stils. Er spricht von der richtigen Art, Fußball zu spielen, als ob es ein Kampf um die Seele des Sports wäre. Und genau deshalb war er immer der perfekte Kandidat für das Erneuerungsprogramm des zurückgekehrten Präsidenten Joan Laporta. Barcelona ist in dieser Hinsicht sowieso ein merkwürdiger Verein. Denn die richtige philosophische Einstellung scheint oft wichtiger zu sein als praktische Erfahrung. Der unerfahrene Frank Rijkaard führte beispielsweise den Klub zum zweiten Champions-League-Titel. Ein riesiger Erfolg, doch bei seinen darauffolgenden Trainerjobs enttäuschte er.

Ist die Spielidee des FC Barcelona aus der Zeit gefallen?

Allerdings ist Stil ist nicht alles, auch wenn die Erfolge der Jahre von Rijkaard und Guardiola dies suggerieren könnten. Aktuell gibt es zwei Hauptgründe zur Besorgnis beim FC Barcelona. Erstens hat sich der Fußball im letzten Jahrzehnt verändert. Die Pressingstrukturen sind ausgefeilter geworden, und die Mannschaften haben gelernt, mit Mannschaften umzugehen, die in der Lage sind, den Ball über lange Zeit zu halten. Das unter Guardiola noch funktionierende Konzept lässt sich heute nicht mehr schablonenmäßig kopieren. Und das gilt umso mehr, als diese Mannschaft trotz ihrer jungen, talentierten Spieler bei weitem nicht so gut ist wie die, die Guardiola vorgefunden hatte. Zumal darüber hinaus für weitere Verstärkungen nicht annährend die gleichen finanziellen Mittel zur Verfügung stehen.

Und dann ist da noch der spezielle Fall Xavi. Ein La-Masia-Fundamentalist, der die Spielidee vermutlich rezitieren könnte, aber kann er sie auch in die Tat umsetzen?

Nur weil Xavi ein brillanter und intelligenter Spieler war, heißt das noch lange nicht, dass er das auch als Trainer dazu in der Lage ist. Kann er diesen Stil auf andere übertragen? Kann er Anpassungen und Änderungen vornehmen, um sich auf veränderte Umstände und Gegner einzustellen? Vielleicht kann er es, vielleicht aber auch nicht.

Doch der Gewinn der Meisterschaft und des katarischen Pokals mit Al-Sadd reichen als Beweis dafür nicht aus. Speziell wenn man bedenkt, über welche Ressourcen dieser Verein verfügt und wie vergleichsweise gering das Niveau dort ist. Die Tatsache, dass Xavi mit drei Stammspielern der ersten Mannschaft Barcelonas zusammenspielte, macht das Bild nur noch komplizierter.

FC Barcelona droht extreme Seltenheit

Gegen Benfica begann Barcelona stark und es gab Momente, in denen ein aufmerksamer Beobachter den Einfluss von Xavi hätte erkennen können. Die Mannschaft spielte in einem 3-4-3-System mit hohem Ballbesitz, die Flügelspieler standen weit auseinander und es gab kleine Dreiecke. Zwar spielte Barcelona ordentlich, aber es fehlte letztlich an Durchschlagskraft, und der letzte Pass kam zu oft nicht an.

Über die Dauer der Partie verflachte das Spiel zunehmend und wurde zu einem zähen Kampf im Mittelfeld. Benfica wurde in der Folge immer gefährlicher, vor allem nach der Einwechslung von Darwin Núñez. Die Hereinnahme von Ousmane Dembélé von der Bank brachte Barcelona zwar neuen Schwung auf der rechten Seite, doch Benfica hielt dagegen und hätte gewonnen, wenn Haris Seferovic in der Nachspielzeit den Ball nicht irgendwie übers Tor geschossen hätte.

Der FC Barcelona hat deshalb nun zwei Punkte Vorsprung auf Benfica und reist damit zum bereits feststehenden Gruppensieger FC Bayern. Benfica trifft zu Hause auf Dynamo Kiew. Die Ukrainer können sich selbst mit einem Sieg nicht mehr für die Europa League qualifizieren. Am Ende könnte der direkte Vergleich zwischen Benfica und Barcelona entscheiden. In diesem Fall wären die Portugiesen im Vorteil. Barcelona droht somit eine extreme Seltenheit: das Scheitern in der K.o.-Phase. Aber eines steht schon jetzt fest: Bei der Ernennung von Xavi als Chefcoach ging es nie wirklich um die diesjährige Champions-League-Saison. Der Fokus des Projekts ist viel längerfristig angelegt. 

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