Sabrina Wittmann: Darum ist sie die erste Profi-Fußballtrainerin in Deutschland
- Sabrina Wittmann ist erste Trainer im Profi-Fußball
- Wittmann trainiert FC Ingolstadt in der 3. Liga
- Sabrina Wittmann: "Im Verein ist es überhaupt kein Thema"
Weiß auf Rot fügen sich am Stadiondach mannshohe Buchstaben zum Wort "Schanzer Heimat" zusammen. Unten stutzt ein Gärtner mit einem Elektrotrimmer die Grashalme zwischen den Fugen der Steinplatten. Eine Putzfrau staubt mit einem Wedel in Deutschlandfarben die Außentreppen des Flachbaus ab, in dem die Geschäftsstelle des FC Ingolstadt 04 untergebracht ist.
Der Klub bereitet sich an diesem ersten Donnerstag im August auf den Saisonstart in der dritten Liga gegen den SV Waldhof vor. Es ist ein Saisonstart, wie es zuvor nie einen gegeben hat: Seit acht Uhr parkt auf dem Abstellplatz mit dem Schild "Chef-Trainer" nämlich ein schwarzer Audi. Das Fahrzeug steht für eine sportliche Sensation. Der dunkle Flitzer gehört Sabrina Wittmann.
Die 33-jährige gebürtige Ingolstädterin ist eine echte Pionierin. Die Fußballwelt schaut in dieser Saison ganz besonders auf diese Frau, obwohl sie bei einem eher regional verankerten Verein tätig ist. Wittmann ist die erste Cheftrainerin in einer der drei Profiligen der Männer. Sicher hat es vor ihr andere Frauen gegeben, die Männer trainierten. Etwa Ex-Nationalspielerin Inka Grings beim SV Straelen oder Imke Wübbenhorst bei Sportfreunde Lotte. Aber diese Vorgängerinnen trainierten Herrenmannschaften der vierten Liga, die nicht als Profiliga gilt. Und Marie-Louise Eta war nur Co-Trainerin beim Bundesligisten Union Berlin – und das auch nur für kurze Zeit.
Dietmar Beiersdorfer: "Fußballgeschäft ist nach wie vor Männerdomäne"
Wittmann ist eine angenehme, zugängliche Person, weit entfernt vom Typus jener knurrigen Kerle, die den Männersport des alten Schlags einst prägten. Fußball-Deutschland schaut genau hin, ob das Ingolstädter Experiment gelingt. Nicht alle Beobachter drücken ihr die Daumen.
"Das Fußballgeschäft ist in vielerlei Hinsicht sicherlich nach wie vor eine Männerdomäne", sagt Dietmar Beiersdorfer. "Die Strukturen sind ein Stück weit eingefahren." Der 60-Jährige trägt T-Shirt, Shorts und blaue Socken in braunen Sandalen. Der einstige knochenharte Innenverteidiger des Hamburger SV und Werder Bremens ist seit zweieinhalb Jahren der Geschäftsführer der Ingolstädter. Sein Büro ist spartanisch eingerichtet. Ein Schreibtisch, ein paar Stühle, ein kleiner Tisch. Es ist der nüchterne Arbeitsraum eines Mannes ohne Allüren. "Ich bin schon das eine oder andere Mal gefragt worden, ob das womöglich eine Marketing-Geschichte ist", sagt er. "Aber die Tatsache, dass Sabrina unsere Cheftrainerin ist, ist eine organische Entwicklung, gewissermaßen eine logische Konsequenz."

Der FC Ingolstadt ist ein vergleichsweise frischer Verein. Gegründet wurde er erst 2004. Vielleicht arbeiten hier deshalb mehr Frauen als in einem alteingesessenen Traditionsklub. Bei den jungen Schanzern sind Frauen auf vielen Positionen sichtbar: als Abteilungsleiterinnen, Physiotherapeutinnen, Teammanagerinnen, Pressesprecherinnen. Auf der Geschäftsstelle und in der Fußballschule arbeiten 25 Männer, aber eben auch beachtliche 18 Frauen. Im Nachwuchs- und im Funktionsteam der Profis kommen weitere fünf Frauen hinzu. Die Schanzer unterhalten zudem zwei Mädchenteams und zwei Frauenteams. Frauen sind in diesem Verein eine Selbstverständlichkeit. Sie sind einfach seit Anfang an da. "Wir haben im Klub einen verhältnismäßig hohen Frauenanteil", sagt Beiersdorfer. "Wir stellen gerne Frauen ein, die uns weiterbringen."
Sabrina Wittmann kommt aus eigenem U19-Team
Dass Sabrina Wittmann als Cheftrainerin ganz oben angekommen ist, verdankt sie aber auch einer glücklichen Fügung. Im vergangenen Mai hatten die Schanzer den erfolglosen Michael Köllner von der Position des Cheftrainers freigestellt und die damalige U-19-Trainerin Wittmann interimsweise auf dessen Posten befördert. Parallel dazu starteten die Verantwortlichen die Trainersuche. Dann geschah etwas Erstaunliches: Sabrina Wittmann gelangen mit ihrem Team acht Punkte in vier Ligaspielen. Zudem glückte ihr mit einem 6:1-Sieg der höchste Erfolg der Saison und der erste Landespokal-Gewinn der Vereinsgeschichte. Die Interimslösung war plötzlich Dauerlösung.
"Das ist auch eine sehr, sehr schöne Erfolgsgeschichte des Klubs“, sagt Dietmar Beiersdorfer und streicht sich über den hellen Bart. "Das hat viel mit wechselseitigem Vertrauen zu tun." Wittmanns Einschätzung ist ähnlich: „Ich glaube, dass ich die Chance bekommen habe, weil ich geduldig und engagiert 15 Jahre meine Erfahrungen auf der Schanz gesammelt habe. Ich habe den Job von der Pike auf gelernt, und sowohl Geschäftsführer Dietmar Beiersdorfer als auch Sportdirektor Ivo Grlic waren ganz offensichtlich der Überzeugung, dass sie mir die erste Mannschaft anvertrauen können. Für dieses Vertrauen bin ich beiden unendlich dankbar."
Doch auch fünf Jahrzehnte nach dem offiziellen Ende des Spielverbotes für Frauen durch den Deutschen Fußball-Bund haben es Frauen sogar im Frauenfußball immer noch schwer, sich in den Führungspositionen gegen die männliche Konkurrenz durchzusetzen. Gut drei Dutzend Vollzeitstellen existieren in der Frauenbundesliga. Aber nur die Hälfte davon ist von Frauen besetzt. Auf den Trainerposten ist es ähnlich: Während es im Schweizer Frauenfußball genauso viele Männer wie Frauen als Übungsleiter gibt, wurde manch Erstligist hierzulande noch nie von einem weiblichen Trainer angeleitet.
Sabrina Wittmann trainiert den FC Ingolstadt
Dazu kommt, dass kaum Frauen die Kurse für die höchste Trainerlizenz beim DFB besuchen. Der aktuelle Lehrgang zum Erwerb der UEFA-Pro-Lizenz – ehemals Fußball-Lehrer – ist ausschließlich von Männern belegt, weil die Frauen die Voraussetzungen nicht erfüllen. Beiersdorfer bedauert das: "Frauen trainieren beispielsweise die B-Jugend in der Oberliga, kommen aber oftmals leider nicht weiter oben an." Das Angebot an ausgebildeten weiblichen Top-Trainern bleibt dürftig. Wo keine Nachfrage ist, ist auch kein Angebot – und umgekehrt. Laut Beiersdorfer müssten Frauen in Top-Positionen viel selbstverständlicher werden. "Leider gibt es aktuell nicht so viele Frauen, die vergleichbare Positionen wie Sabrina bekleiden."

32 Grad Celsius im Schatten. Die Sonne brennt auf den Rasen. Gut zwei Dutzend junge Männer schwitzen in der Gluthitze. Ihre Körper sind durchtrainiert. Mächtige Löwenköpfe und andere kämpferische Tattoos sind in Bizeps und Waden geritzt. Ihr Haar tragen sie im Nacken und über den Ohren geschoren. Testosteron liegt in der Luft. In Shorts und mit energischem Schritt schreitet Sabrina Wittmann über das Feld. Das dunkle Haar ist zum Dutt gebunden. "Länge, Länge, Läääänge", brüllt sie mit sich überschlagender Stimme über den Platz. Die gespannten Sehnen am Hals sind weithin sichtbar. Heute geht es ihr um Gegenpressing, Umschaltspiel, gesuchte und gefundene Räume. Wittmann hockt auf dem Rasen, beobachtet, lehnt gegen den Torpfosten und spricht im Mannschaftskreis von "Momenten, die man aushalten muss". Sie redet viel, gestikuliert, erklärt, klatscht bei guten Aktionen krachend in die Hände. "Wir müssen das hinbekommen, Jungs!"
Sabrina Wittmann ist ein Schanzer Urgestein. Vor fast 20 Jahren begann sie als Spielerin. Nach dem Realschulabschluss ging die damals 17-Jährige für ein Semester in die USA an die Highschool von Mount Sterling in Kentucky. Erst sollte sie dort American Football lernen, dann ergriff sie die Gelegenheit, als Co-Trainerin im Fußball Erfahrungen zu sammeln. "Das hat mir sofort großen Spaß gemacht", sagt sie. "Nach meiner Rückkehr bin ich dabeigeblieben und habe über viele Jahre nahezu alle Altersstufen in der Jugend sowohl bei Mädchen als auch Jungs trainiert." Dazu gehören die U17, die U19 und das Frauenteam.
Fußball braucht "role models" wie Sabrina Wittmann
"Wäre sie von einem anderen Klub zu uns gekommen, hätte eine vollumfängliche Einschätzung – wie bei jeder Trainer-Entscheidung – schwerer getroffen werden können", meint FC-Geschäftsführer Beiersdorfer etwas technokratisch. Soll heißen: Eine andere Frau hätte wohl keine Chancen in Ingolstadt bekommen. Wittmann sagt: "Kentucky war die unfreiwillige Geburtsstunde von allem. Ich weiß nicht, ob ich ohne mein US-Auslandssemester oder ohne die Klose-Begegnung Trainerin geworden wäre." Eine Begegnung mit Miroslav Klose als Initialzündung?
Im Sommer 2003 verbrachte Familie Wittmann ihren Urlaub in einer Klubanlage in Kalabrien. Nachmittags trafen sich dort die Klubgäste zum Fußballspielen. Auch Sabrina kickte spontan eine Runde mit, obwohl sie zuvor nie in einem Verein gespielt hatte. Plötzlich stand der heutige Rekordtorschütze der deutschen Nationalmannschaft, der ebenfalls dort seine Ferien verbrachte, neben ihr auf dem Platz. Als sie Klose abends im Klubrestaurant erneut begegnete, ließ sie sich ein Autogramm auf die Speisekarte geben. Klose fragte daraufhin, ob sie auch Fußball im Verein spiele, was sie verneinte. "Mach das doch! Du hast Talent!", forderte er sie auf. "Mein Vater stand daneben und bekam das mit. Nach dem Urlaub meldeten mich meine Eltern dann im Verein an."
"Es ist für mich erstaunlich, dass es immer noch eine Branche gibt, die sich abkoppelt von allen anderen gesellschaftlichen Entwicklungen", sagt Christina Reinhardt. Sie ist Kanzlerin der Bochumer Ruhr-Universität und Präsidiumsmitglied des VfL Bochum. Es brauche "role models", um insbesondere jüngeren Frauen für die Karriere im Fußball zu motivieren. Tatsache ist aber auch, dass die Männer in vielen Jahrzehnten Netzwerke aufgebaut haben, in denen Frauen kaum Lücken finden. Hinzu kommt, dass vielen Frauen die Voraussetzungen und das Geld fehlen, um die notwendigen Trainerscheine zu machen.
DFB hat Projekt "Frauen im Fußball" gestartet
Dass es Veränderungen bedarf, haben zumindest auf dem Papier inzwischen auch die Verbände erkannt. "Frauen im Fußball" heißt etwa eines der Projekte des Deutschen Fußball-Bundes, dessen Ziel es ist, bis 2027 ein Viertel mehr aktive Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen zu haben. Der Weg dorthin bleibt aber nebulös.
"Am Ende zählt der Erfolg", sagt ein Rentner, der das Trainingsgeschehen auf dem Schanzer Rasen beobachtet und seit Vereinsgründung Dauerkartenbesitzer der Ingolstädter ist. "Ich finde es positiv, dass es der Klub mit Sabrina versucht. Die renommierten männlichen Trainer vor ihr hatten ja auch nichts gerissen." Die Top drei könnten es aus seiner Ansicht in der ersten Saison unter einem weiblichen Coach schon werden. Der ältere Herr neben ihm ist da skeptisch. "Wir haben das am Stammtisch schon diskutiert", erklärt der Anhänger des TSV 1860 München. "Bei meinen Sechzgern würde es gewiss keine Frau als Trainerin geben."
Zur Meinung der beiden Männer passt das Ergebnis einer Studie vom Oktober 2023: Zwar hält es die Mehrheit der Befragten für eine Bereicherung, wenn Frauen Führungspositionen im professionellen Fußball einnehmen. Allerdings würden es nur 41,7 Prozent gut finden, wenn der Frauenanteil im eigenen Lieblingsklub steigen würde. Einen weiblichen Trainer könnten sich nur 42,6 Prozent und eine Sportdirektorin 41,4 Prozent vorstellen.

Sabrina Wittmann ist voller positiver Energie. Auf dem Feld fordert sie planvollen Mut zur Offensive. Zurückziehen gilt nicht. Was sie von den jungen Männern fordert, verlangt sie auch von sich selbst. Einen Plan B habe sie nicht, falls es im neuen Amt schiefgehen sollte, sagt sie nach dem Training. Es sei immer schon ihr Ziel gewesen, mit den bestmöglichen Athleten zu trainieren. "Da wollte ich hinkommen – und zwar in einer gesunden Geschwindigkeit, denn schnell ist nicht immer gut. Ich wollte mir immer ein stabiles Fundament aufbauen, sodass ich absolutes Vertrauen in mich habe. Deshalb habe ich mir immer drei Jahre Zeit gegeben, ehe ich den nächsten Trainerschein gemacht habe. So fühle ich mich sicher in dem, was ich mache."
FC Ingolstadt: Am Ende zählt der Erfolg
Schanzer-Boss Beiersdorfer lobt: "Sabrina ist durchsetzungsstark, sehr pragmatisch, inhaltlich sehr, sehr gut, entscheidungsfreudig und kann Menschen überzeugen und mitnehmen."
Noch fehlt Sabrina Wittmann zu ihrem großen Glück, woran es in ihrer Branche so vielen Frauen mangelt: die "Pro Lizenz" der Europäischen Fußballunion. Das Papier wäre für ihre Cheftrainer-Position unbedingt erforderlich. Ohne dieses Schriftstück drohen dem Verein Geldstrafen. Bereits seit Jahren steht in Wittmanns Verträgen eine Klausel, wonach die Ingolstädter im Fall des Falles die etwa 25.000 Euro für den Schein übernehmen würden. Der nächste DFB-Lehrgang beginnt im Januar 2025. Wittmann hat bereits ein polizeiliches Führungszeugnis für die Bewerbung angefordert. Sie sagt: "Ich gehe schwer davon aus, dass ich dabei bin."
Am liebsten würde Sabrina Wittmann ohnehin ausschließlich über Fußball und nicht über ihre Vorreiterrolle reden. Sie sagt: "Im Verein ist es überhaupt kein Thema. Wir reden über Fußball und wie wir als eine Einheit gemeinsam erfolgreich sind – und was dafür nötig ist. Ziel ist es dabei immer, eine Gruppe für etwas Gemeinschaftliches zu begeistern – darum liebe ich diesen Job so. Darum geht es. So denke ich: in den Kategorien gut und schlecht. Nicht in Mann oder Frau."
Nach der letzten Frage des Reporters schaut FC-Geschäftsführer Beiersdorfer etwas verwundert, schließlich lächelt er. Muss der Verein das Schild für Sabrina Wittmanns Parkplatz nicht allmählich in "Chef-Trainerin" umändern? Der Schanzer-Boss sagt: "Wir gendern nicht. Auch Sabrina will das nicht." Wittmann selbst winkt bei der Frage sofort ab. "Da lege ich persönlich keinen Wert drauf." Überhaupt brauche sie "den Lärm um mein Geschlecht nicht". Aber diese Diskussion um ihre Person sei auch "nicht weiter schlimm". "Klar bekomme ich mit, dass man mich als ‚Pionierin‘ bezeichnet. Jedoch denke ich nicht von morgens bis abends über meine Rolle nach. Noch nie habe ich die ‚Frauen-Karte‘ gespielt."
Am Ende zählt ohnehin der Erfolg.
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