1. Bundesliga

Thomas Wagner: Die Bundesliga wird für den HSV ein fußballerischer Balance-Akt

Thomas Wagner ist einer der bekanntesten Sportmoderatoren Deutschlands – und bekennender HSV-Fan. Im Interview mit Sports Illustrated spricht er über die Bedeutung des Aufstiegs, Trainer Merlin Polzin und die Bundesligatauglichkeit der HSV-Mannschaft.

Thomas Wagner ist einer der bekanntesten Sportmoderatoren Deutschlands
Credit: Imago
 

Sports Illustrated: Sie sind bekennender HSV-Fan. Wie geht es Ihrer Fan-Seele nach dem Aufstieg?  
  
Thomas Wagner: Ich bin HSV-Fan seit ich den Verein 1977 mit meinem Papa das erste Mal im Stadion beim Auswärtsspiel in Köln gesehen habe. Wie bei vielen anderen hat auch mein Fan-Herz in den vergangenen Zweitliga-Jahren gelitten. Nicht, weil ich die Zweite Liga unattraktiv finde, ganz im Gegenteil. Aber man will seinen Verein trotzdem in der höchsten Spielklasse sehen. Umso schöner fühlt sich der Aufstieg an. Ich war beim letzten Heimspiel gegen Ulm im Stadion, das war echt besonders. Aber mein größter Fanwunsch wäre, dass es nie wieder einen Aufstieg braucht.  
  
Sports Illustrated: Wie groß war aus HSV-Sicht die Gefahr, bei einem erneuten Nicht-Aufstieg endgültig zu einem stinknormalen Zweitligisten zu werden? 
  
Wagner: Das Risiko war da. Nach sieben Jahren ist der Verein mittlerweile in vielen Bereichen ein normaler Zweitligist. In dieser Saison lag der 1.FC Köln beim Etat deutlich vor dem HSV. Und ich befürchte, dass auch irgendwann eine mentale Müdigkeit im Verein eingesetzt hätte. Das Stadion wäre immer noch voll gewesen, aber wenn du immer wieder gegen eine Wand läufst und scheiterst, wirkt sich das aufs Selbstverständnis aus.   
 
Sports Illustrated: Welchen Anteil am Aufstieg hat Trainer Merlin Polzin? 
 
Wagner: Einen großen! Er hatte die unglaubliche Aufgabe, den HSV als gebürtiger Hamburger, der quasi direkt aus der Kurve über die Station Osnabrück auf die Trainerbank kam, bei seiner ersten Station als Cheftrainer zu übernehmen. Hut ab, wie souverän er das gemeistert hat. Über die Saison hinweg hat er das kommunikativ und mit großer Überzeugung gelöst, ist dazu fachlich gut. Er ist auch abseits des Fußballs ein total angenehmer, sympathischer Mensch und tut dem Verein gut.  
 

Merlin Polzin führte den HSV in seiner ersten Station als Cheftrainer zum Aufstieg
Gibt die Richtung vor: HSV-Trainer Merlin Polzin
Credit: Imago
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Sports Illustrated: Wie bundesligatauglich ist der aktuelle Kader?  
 
Wagner: Ich sehe aktuell sechs, sieben Spieler mit Bundesliga-Niveau. Ich würde mich da der Einschätzung von Stefan Kunz anschließen, dass 50 Prozent der Stammspieler neu kommen müssen. Das heißt, du brauchst sicherlich vier bis fünf neue Spieler, die bundesligatauglich sind.  
 
Sports Illustrated: Welchen Spielern attestieren Sie Bundesliga-Niveau? 

 
Wagner: Im Tor ist der HSV mit Heuer-Fernandes gut aufgestellt, genau wie auf der linken Abwehrseite mit Muheim. Im Mittelfeld haben Elfadli und Reis definitiv Bundesliga-Niveau, auch wenn es um Reis immer wieder Abgangsgerüchte gibt. Auch die Offensive ist mit Dompé, Glatzel und Selke gut besetzt. Königsdörfer kann mit seinem Tempo ein wertvoller Spieler bei Kontern werden. Ich habe die Hoffnung, dass sich die Offensivspieler, wie bereits in dieser Saison, gegenseitig pushen.  Allerdings gibt es auch hier Fragezeichen. 

Sports Illustrated: Welche? 

Wagner: Bei Selke gilt aktuell ein Abgang als wahrscheinlich, dann bräuchte man noch einen Nachfolger mit ähnlicher Mentalität und Qualität. Bei Glatzel bleibt abzuwarten, ob er an seine überragende Form aus der Zeit vor seiner Verletzung anknüpfen kann. 
 
Sports Illustrated: Auf welchen Positionen besteht folglich der größte Nachholbedarf?   
 
Wagner: In der Innenverteidigung, wo sie sogar zwei neue Spieler brauchen, auf der rechten Außenverteidigerposition und den offensiven Außen. 
 
Sports Illustrated: Haben Sie Wunschtransfers?  

 
Wagner: Da wäre zum einen der Kieler Shuto Machino, der mir für die Außenbahn gefallen würde und seine Bundesligatauglichkeit bewiesen hat. Auch László Bénes, der auf Leihbasis bereits für den HSV gespielt hat, fände ich spannend. Er ist gut bei Standards, kennt den Verein. Für die Innenverteidigung würde ich mir zwei gestandene Bundesliga-Spieler wünschen, ohne dass Sebastian Schonlau, der für die Mannschaft und die Kabine unfassbar wichtig ist, komplett verdrängt wird. Das gleiche gilt im Mittelfeld für Jonas Meffert.
  
Sports Illustrated: In der Zweiten Bundesliga war der HSV immer in der Pflicht, das Spiel zu machen. Das wird sich in der Bundesliga ändern. Wie leicht wird der Mannschaft diese Adaption fallen?  
 
Wagner: Im Gegensatz zum 1. FC Köln, der über defensive Stabilität kam, hat der HSV eher mit Offensivspektakel geglänzt. Als Aufsteiger, der mit so viel Euphorie zurückkommt, musst du auch spielerisch Akzente setzen. Deshalb glaube ich, dass man die Euphorie mit dieser offensiven Spielweise eher beflügeln kann. Wahrscheinlich werden für den Klassenerhalt trotzdem sechs, sieben Zu-Null-Spiele nötig sein, das geht nicht nur mit Hurra-Fußball. Deshalb muss dem HSV dieser Balance-Akt gelingen. 

HSV-Spieler
HSV-Spieler
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Sports Illustrated: Ist das traditionell unruhige HSV-Umfeld inzwischen bereit, die Erwartungen zurückzuschrauben und zwei, drei Jahre Abstiegskampf in der Bundesliga zu akzeptieren?  
  
Wagner: Der natürlichen Reichweite des HSV entsprechen auf sportlicher Ebene im ersten Jahr eigentlich nur Mitaufsteiger Köln, Relegationssieger Heidenheim und St. Pauli. Selbst Vereine wie Augsburg wirtschaften mittlerweile in anderen Sphären. Trotzdem hat der HSV eine unfassbare emotionale Wucht, gehört in Sachen Zuschauer, Titel und Strahlkraft immer noch zu den Top-5 Vereinen in Deutschland. Aber das Umfeld wird akzeptieren müssen, dass das zwei, drei schwierige Jahre werden können – mit dem Fokus auf sportlichen Überlebenskampf.  
  
Sports Illustrated: Wie ruhig ist der Verein mittlerweile? Mit der Diskussion um eine mögliche Präsidentschafts-Kandidatur von Felix Magath war der HSV zuletzt wieder in den Schlagzeilen. 
  
Wagner: Der Verein ist insgesamt zur Ruhe gekommen, schuldenfrei und unabhängig von Klaus-Michael Kühne. Das Magath-Thema war ein Störgeräusch, weil er eine der größten Vereinslegenden ist.  
 
Sports Illustrated: Wie sehen Sie die Personalie? 
 
Wagner: Ich schätze Felix Magath als Fußballfachmann und glaube ihm, dass er gerne etwas beim HSV machen würde. Allerdings müsste er aus meiner Sicht etwas im operativen Bereich machen. Das Präsidenten-Amt wäre für ihn wahrscheinlich nur eine Möglichkeit gewesen, einen Fuß in die Tür zu bekommen.  
 
Sports Illustrated: Wie meinen Sie das?  
 
Wagner: Als Präsident musst du qua Amt die anderen Sportarten und Abteilungen repräsentiere, der Fußball ist nur ein Teil des Jobs. Das hat er in seiner Spieler- und Managerzeit zwar getan, das Problem wäre aber gewesen, dass wenn es beim HSV gekriselt hätte, neben Stefan Kuntz mit Magath eine zweite starke Stimme gesprochen hätte und von der Öffentlichkeit immer wieder befragt worden wäre. Das hätte auf Dauer zu große Unruhe gegeben.  
  
Sports Illustrated: Sie sprechen Sportvorstand Stefan Kuntz an. Wie nehmen Sie ihn wahr? 
 
Wagner: Er ist relativ schwer zu greifen, wenn man sein ganzes Wirken bewerten möchte. Einerseits hat er Polzin das Vertrauen gegeben und ist am Saisonende nah an die Mannschaft gerückt, um Druck von Polzin zu nehmen. Bei seinen Wintertransfers war dagegen lange nicht jeder Schuss ein Treffer. Er ist jemand, der viel von seinem Instinkt geleitet wird, kann zwischendurch auch mal knallhart sein und schneidet seine Vereine immer zu einem gewissen Grad auf sich zu. Deshalb trauern ihm bei seinen letzten Stationen auch nicht alle Leute uneingeschränkt nach. Trotzdem hat er unbestritten große Erfolge vorzuweisen.  

Stefan Kuntz ist seit 2024 Sportvorstand beim HSV
Stefan Kuntz ist seit 2024 Sportvorstand beim HSV
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Sports Illustrated: Trauen Sie ihm zu, eine Bundesligamannschaft zu bauen? 
 
Wagner: Uneingeschränktes Ja, er ist ein Fußballfachmann. Trotzdem muss er seine Transferbilanz verbessern, damit die Mannschaft in der Bundesliga bestehen kann.  
  
Sports Illustrated: Welchen Tabellenplatz würden Sie aus Fan-Sicht in der kommenden Saison unterschreiben?   
  
Wagner: Ich würde für die nächsten beiden Jahre die Plätze 15 und 13 unterschreiben.   



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